Tichys Einblick

Das Bundesverfassungsgericht verspielt seinen Ruf – vornan dessen Präsident Harbarth

Die drei Gewalten haben sich vermischt: Die Exekutive, vor allem das Kanzleramt, diktierte jahrelang dem Bundestag, wie er abzustimmen hat. Die Vertreter des Volkes lassen es über sich ergehen. Und die Judikative ist vor allem an der Spitze eine Beute der Parteien geworden.

Noch vor geraumer Zeit wussten Schulabgänger – heute in der real existierenden „Bildungs-Nation“ wohl eher die Ausnahme – , was Gewaltenteilung als Grundprinzip eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates ist. Nämlich dass Legislative (Volksvertretung qua Parlament), Exekutive (Regierung) und Judikative (Rechtsprechung) voneinander unabhängige Gewalten sind.

Wahrscheinlich wissen das Schulabgänger heute nicht nur nicht, sondern sie müssen es auch nicht mehr wissen, denn die Gewaltenteilung hat sich in den letzten zehn bis 20 Jahren verschoben. Mehr noch: Die drei Gewalten haben sich vermischt: Die Exekutive, voran ein Merkel’sches Kanzleramt, diktierte jahrelang dem Bundestag, wie er abzustimmen hat. Die Volksvertretung, also der ins Parlament projizierte deutsche Michel, lässt alles über sich ergehen. Und die Judikative ist vor allem an der Spitze eine Beute der Parteien geworden. Das Bundesverfassungsgericht mit seinen 16 Richtern in zwei Senaten wird nach Parteiproporz besetzt, man spricht nicht zu Unrecht von „Kuhhandel“. Und immer wieder erlässt „Karlsruhe“ politisch willfährige Urteile: Siehe Corona, siehe Klima, siehe Transfer-Union.

Nun aber wird es etwas eng um den Ruf des höchsten deutschen Gerichts und um den seit zwei Jahren amtierenden Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth (50), der zuvor eineinhalb Jahr „Vize“ des BVerfG war. Als oberster Repräsentant des BVerfG muss sich Harbarth einiges an Kritik gefallen lassen. Das hat nicht nur damit zu tun, dass er bis kurz vor seinem Einzug in Karlsruhe Stellvertretender CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender im Bundestag und Merkel-Intimus war (und blieb?).

Die berechtigte Kritik hat zumindest mit drei aktuellen Vorgängen zu tun:

Erstens ziert sich Harbarth aktuell offenzulegen, wie er zum Titel eines „Honorarprofessors“ kam. Dieser Titel war wohl eine maßgebliche Voraussetzung für Harbarths Bestellung zum Vizepräsidenten und dann zum Präsidenten des BVerfG.
Unklar ist bis heute, so Bild: Wer waren die Gutachter, die für seine Ernennung zum Honorar-Professor (Uni Heidelberg) entscheidend waren? Ging hier alles mit rechten Dingen zu? Das Verwaltungsgericht Karlsruhe urteilte in einem Rechtsstreit, dass die Uni die Namen nennen muss. Die Uni will dagegen in Berufung gehen. Bild erfuhr vom Verwaltungsgerichtshof: In der zweiten Jahreshälfte wird entschieden, ob der Rechtsstreit weitergeht – oder die Namen rausgerückt werden. Klar, da assoziiert man doch glatt die vielen Fälle eines Plagiats, das Leuten wie Schavan, zu Guttenberg, Giffey, Baerbock usw. nachgewiesen wurde.

Zweitens: Im Juni 2021 lud Merkel zusammen mit Bundesministern die Richter des 1. und 2. Karlsruher Senats zum vertraulichen Abendessen ins Kanzleramt. Das war inmitten heftiger Debatten um Corona und Klimaschutz. Nicht nur Bild kam diese Einladung seltsam vor. Die Zeitung erstellte einen Fragenkatalog dazu. Einsilbige Antwort des BVerfG: „Das Verfahren ist nach den Bestimmungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) durchgeführt worden.“ Obwohl es um heikle Themen ging, wurde nichts schriftlich festgehalten. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe entschied schließlich am 16. Juni 2022, dass das Verfassungsgericht verpflichtet war, die Fragen zu beantworten. Nun, das kommt auch nicht alle Tage vor: Deutschlands oberstes Gericht muss von einem Verwaltungsgericht gezeigt bekommen, wo es langgeht! Nun zweimal schon eine solche Nachhilfe!

Drittens brauchte das BVerfG mehr als zwei Jahre, um in der Causa „Merkel und Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten 2020“ zu urteilen. Merkel habe, so das BVerfG-Urteil des Zweiten BVerfG-Senat mit Vizepräsidentin Doris König (also ohne Harbarth) vom 15. Juni 2022, im Februar 2020 mit ihrem Kommentar zur Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich (56) zum Thüringer Ministerpräsidenten (mit Stimmen der AfD) klar gegen die Verfassung verstoßen. Merkel war auf Reisen in Südafrika, von dort hatte sie die Wahl als „unverzeihlich“ kritisiert und gefordert, dass sie „rückgängig gemacht werden“ müsse. Diese Bewertung ließ Merkel auf den Internetseiten des Kanzleramtes veröffentlichen. Warum „Karlsruhe“ für dieses Urteil mehr als zwei Jahre brauchte, ist ein Rätsel. Eigentlich hätte das Gericht 2020 entscheiden müssen. Aber dann löschte die Regierung die Merkel-Ansagen zu Thüringen von den Web-Seiten der Bundesregierung. Damit aber entfiel die erforderliche Eilbedürftigkeit – und das Gericht sah keinerlei Entscheidungsdruck mehr. Wer da wohl den entscheidenden Tip gegeben hat!? Grund für die Löschung soll wiederum nach Bild-Informationen übrigens ein dezenter Hinweis aus den Reihen des Gerichts gewesen sein.

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