Tichys Einblick
"Ein Loch ist im Eimer, Karl-Otto!"

Der Eimer der Bundesbank hat ein Loch

„Die Bundesbank muss möglicherweise rekapitalisiert werden, um Verluste aus Anleihekäufen zu decken“, schreibt die Financial Times am 26. Juni. Wie haben die Bundesbanker das hinbekommen und um was für ein entstandenes Loch handelt es sich da genau? Der Unfall, den wir gerade in der Bundesbankbilanz gesehen haben, ist der erste in einer langen Kette von Offenbarungseiden unserer Zentralbanken, die da noch kommen werden.

IMAGO / Jan Huebner

Erinnerungen an den alten Partysong „Ein Loch ist im Eimer, Karl-Otto, Karl-Otto“ kommen wieder hoch – ein Song, der mit vielen Strophen davon handelt, dass dieser Eimer eben kaputt ist und mit noch so viel Mühe nicht mehr repariert werden kann, weil alle Werkzeuge dafür auch aufgrund mangelnder Pflege unbrauchbar sind. Das hat man früher einmal aufgelegt, wenn man bereits definitiv zu viel intus hatte.

Ich frage mich angesichts der Lage unserer Bundesbank, ob es Zufall ist, dass es mal einen Bundesbankpräsidenten mit dem Vornamen Karl-Otto (Pöhl) gab, zu dessen Zeit der Bilanzeimer dieser einstmals ehrwürdigen Institution noch nicht löchrig war wie ein Schweizer Käse, und ob das Lied nicht der vorweggenommene Hilferuf unserer geldpolitischen Zauberlehrlinge an die Altvorderen ist, weil das ganze von ihnen angerichtete Chaos eigentlich schon immer absehbar war.

Denn der Eimer der Bundesbank hat ein Loch, oder genauer gesagt: Ihre Bilanz hat eines. Das gilt nicht nur für die Bundesbank, sondern für alle Mitgliedsbanken der EZB, damit die EZB selbst, auch die Fed in den USA und die meisten anderen Zentralbanken auf dem Planeten.

Es ist eines, das die Zentralbanken selbst in den Boden des Eimers geschlagen haben, und zwar mit einer Axt und mit der Ansage, dass es egal sei, wenn der Eimer ein Loch habe, weil er immer noch aussehe wie ein Eimer, wenn man ihn einfach auf den Boden stellt. Funktionsfähige Eimer werden nach Meinung der EZB sowieso überschätzt.

Wie also haben sie das hinbekommen und was für ein Loch ist das genau?

Dafür müssen wir ein wenig in der Geschichte zurückgehen. Sie erinnern sich vielleicht noch an Draghis „whatever it takes“ vor ein paar Jahren? Der „größte Geldpolitiker aller Zeiten“ hat uns damals versprochen, den Euro zusammenzuhalten – koste es, was es wolle. Er meinte damit natürlich nicht, koste es ihn, was es wolle, sondern koste es uns, was es wolle. Aber das sind Feinheiten, über die zu streiten unter der Würde des EZB-Rates wäre.

Dieses „was es wolle“ bestand für die EZB und ihre Mitgliedsbanken im Erwerb von Staatsanleihen mit dem Ziel, die Zinsen, die sich am vermeintlichen (aber in Wahrheit außer Kraft gesetzten Markt) bilden, auf ein Niveau zu drücken, bei dem die überschuldeten Länder der Eurozone nicht zahlungsunfähig werden können. Angeblich sollte damit auch der Spielraum für den Schuldenabbau geschaffen werden, aber in Wahrheit war es natürlich ein Belohnungs- und Anreizprogramm für mehr Schulden durch die Regierungen der Staaten.

Wie genau senkt man die Zinsen nicht nur am kurzen Ende (wo die EZB über die kurzfristigen Refinanzierungssätze für Banken sowieso schon immer das Sagen hatte), sondern auch am langen Ende, also bei festverzinslichen Wertpapieren mit Restlaufzeiten von 5, 7 oder 10 Jahren? Ganz einfach: Man kauft mit frisch gedruckten Euro so lange Staatsanleihen auf, bis die künstliche Nachfrage zu einer Kurserhöhung bei festverzinslichen an den fixed-income-Märkten führt und senkt so die effektive Verzinsung der Papiere.

Das sei verbotene Staatsfinanzierung, sagen Sie? Das wäre doch im Maastrichter Vertrag ausdrücklich verboten, sagen Sie? Ja, natürlich, das ist es, aber wir haben einen Trick gefunden, der den untätigen Richtern beim Bundesverfassungsgericht und beim Europäischen Gerichtshof eine Ausrede liefert, nicht eingreifen zu müssen. Wir kaufen die Papiere nicht direkt bei den Staaten, sondern wir kaufen sie als Pakete bei Finanzmarktintermediären, wie BlackRock oder anderen, und machen die nebenbei ein bisschen reicher, als sie eh schon sind. Auf die paar Milliarden kommt’s jetzt ja auch nicht mehr an, oder?

Diese in Massen aufgekauften Papiere packen wir dann in den Keller der EZB, der Bundesbank und der anderen Mitgliedsländer des Eurosystems und hoffen, dass sie dort keinen Schaden anrichten. Auf diese Weise fanden weit über 4 Billionen Euro an Staatsanleihen ihren Weg in die Bilanz und dort machen sie jetzt was? Sie verlieren an Wert. Warum tun sie das? Das ist ganz einfach. Wenn die Zinsen steigen, dann passiert mit den festverzinslichen Papieren das Gegenteil von dem, was passiert, wenn die Zinsen sinken. Sie verlieren an Marktwert. Wie hat man sich das vorzustellen?

Man kann die Folgen der „Zinswende“ am Beispiel einer 10-jährigen Anleihe mit einem Zins von 0,5 Prozent und einem Anstieg der Marktzinsen auf 5 Prozent leicht demonstrieren: Die Anleihe über zum Beispiel 1.000,- Euro erwirtschaftet mit 0,5 Prozent eine Verzinsung von 5 Euro pro Jahr. Über die gesamte Laufzeit von 10 Jahren beträgt der kumulierte Zins 50,- Euro. Steigt der Zins für 10-jährige Anleihen am Kapitalmarkt auf 5 Prozent, so erhält der Käufer einer neuen Anleihe über 1.000,- Euro schon 50,- Euro pro Jahr, also insgesamt 500,- Euro. Die Differenz von 450,–Euro macht die alte Anleihe im Handel unattraktiv, es sei denn ihr Preis sinkt weit genug, um den Käufer für den entgangenen Zins zu kompensieren. Der Preisverfall entspricht der Differenz der abgezinsten Barwerte beider Cash-Flows, in diesem Fall etwa 340 Euro. Die Anleihe verliert also 340 Euro oder 34 Prozent an Wert. Man kann leicht erkennen, dass der Effekt umso größer ist, je länger die Restlaufzeit einer Anleihe noch ist und je mehr die Zinsen steigen.

Die Zinswende von praktisch 0 Prozent über die gesamte Laufzeit in Dollar und Euro auf jetzt 4 bis 5 Prozent führt also zu entsprechend großen Kursverlusten in der Größenordnung von insgesamt 15 bis 20 Billionen US-Dollar auf dem Weltanleihemarkt.

Und ein nicht kleiner Teil dieser Anleihen liegt, das haben wir eben besprochen, dank Mario Draghi in den Büchern der EZB. Die Verluste sind real, und zwar auch dann, wenn die Papiere bis zur Fälligkeit gehalten werden, denn der entgangene Zins ist auch ein realer ökonomischer Verlust, ein Gewinn, der nicht gemacht wird und der sonst an die Staatskasse hätte ausgezahlt werden können. Wie hoch sind die Verluste in der EZB und ihren Mitgliedsbanken? Das ist auf die Schnelle schwer zu sagen, da man dafür die genaue Struktur der Restlaufzeiten der gehaltenen Papiere kennen muss. Im Markt sind es aber um die 10 Prozent des Nominalwertes, so dass bei repräsentativer Stichprobe der Verlust unserer Währungshüter sich auch auf 400 bis 500 Milliarden belaufen könnte.

Von den 4,5 Billionen hält die Bundesbank 666 Milliarden. Was für eine teuflische Zahl. Mit den Kursverlusten ihr Eigenkapital von nicht einmal 6 Milliarden Euro auszuwischen, dürfte angesichts der Höhe des Portfolios leicht sein. Sollte die Bundesbank davon 10 Prozent einbüßen, geht ihr Eigenkapital mal schnell auf minus 60 Milliarden runter. Die grundsolide Bundesbank ist dann überschuldet.

Jetzt ist es aufgrund der Fähigkeit der Zentralbank, Geld aus dem Nichts zu schaffen, ergo zu drucken, natürlich nicht so, dass sie deshalb zahlungsunfähig werden könnte. Genauso wenig würde ein Geldfälscher, der perfekte Blüten druckt, zahlungsunfähig werden können. Überschuldung heißt daher für die Zentralbank nicht automatisch sofort Pleite. Dass eine Zentralbank an ihr Ende findet, passiert erst dann, wenn die Menschen ihr Vertrauen in sie verlieren. Dann flüchten sie aus dem Geld, geben es sofort aus, wenn sie es bekommen, und heizen damit eine Hyperinflation an, die den Laden abfackelt.

Aller Erfahrung nach tritt dieser Vertrauensverlust dann ein, wenn das negative Eigenkapital der Zentralbank die Höhe des Bruttosozialprodukts ihres Währungsraumes überschreitet. Dass wir davon durch den beschriebenen Effekt noch weit entfernt sind, beträgt doch das Bruttosozialprodukt des Euroraums trotz der Bemühungen der Bundesregierung und anderer, uns zu deindustrialisieren, immer noch ca. 13,4 Billionen Euro, jedenfalls wenn man den offiziellen Statistiken Glauben schenkt.

Aber das ist nicht geeignet, uns oder den EZB-Rat in Sicherheit zu wiegen. Denn mit der Bilanzwahrheit haben es die Herrschaften auch nicht so wirklich. Angesichts der schwindenden Bonität der Eurozonen-Staaten sitzt die EZB nämlich in Wahrheit auf einem Riesenhaufen wertlosen Papiers. Das Gleiche gilt für einen Großteil der Bankanleihen in ihren Büchern, wenn man bedenkt, dass auch die Bankbilanzen durch Zombifizierung der Unternehmen, schlechten Kredit und Kursverluste bei Anleihen sturmreif geschossen sind.

Wie auch die Bundesbank es mit der bilanziellen kaufmännischen Vorsicht hält, erkennt man an Target 2, den Forderungen der Bundesbank an andere Mitgliedszentralbanken der EZB. Die 1,2 Billionen Euro sind uneinbringlich. Jeder weiß es, keiner redet darüber. Sind sie deshalb im Wert in der Bilanz korrigiert? Nein, wo denken Sie hin? Das müssen wir nicht tun, denn der Euro hält ewig. Ironie off.

Ich persönlich glaube nicht, dass die EZB-Bilanz von derzeit 8 Billionen Euro außer den Goldreserven der Mitgliedsbanken überhaupt noch werthaltige Assets enthält. Der Unfall, den wir gerade in der Bundesbankbilanz gesehen haben, ist der erste in einer langen Kette von Offenbarungseiden unserer Zentralbanken, die da noch kommen werden. Immerhin hat Frau Lagarde schnell reagiert und klargestellt, dass der Klimawandel die Ursache dieser Bilanzprobleme ist.

„Ein Loch ist im Eimer, Karl-Otto, Karl-Otto!“ Dann stopf es, oh Henry, dann stopf es sofort!

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