Tichys Einblick
Tübingen ist überall

Boris Palmer „Fünf vor 12“ – Wenn Realisten als Rassisten beschimpft werden

Was Palmer über Tübingen berichtet, gilt in oft größeren Formaten praktisch überall. Es ist fünf vor zwölf. In einem Facebook-Beitrag beschreibt Boris Palmer jüngste Erlebnisse und eigene Erfahrungen am Tübinger Bahnhof.

© Michael Gottschalk/Photothek via Getty Images

Dass die Bahn wieder einmal Verspätung hatte, wäre eigentlich kaum der Rede wert, diesmal jedoch mit einer Entschuldigung. Der Schnee von gestern im süddeutschen Raum – geschenkt. Aber, immerhin machte Tübingens OB Boris Palmer dadurch in „seinem“ Tübingen am Hauptbahnhof folgende Erfahrung und ließ Interessierte via Facebook daran teilhaben:

„Planmäßig wäre ich nach einem kurzen Schneeurlaub gestern um 19h daheim gewesen. Tatsächlich kam der Zug um 2354h in Tübingen an. Meinen kleinen Sohn auf dem Arm musste ich mir erstmal einen Weg durch eine Gruppe junger Männer bahnen. Am Taxi angekommen ging es schon los mit körperlicher Gewalt und lautem Geschrei. Die Vernünftigen schafften es zumindest für den Moment gerade noch, die Schläger zurück zu halten. Deutsch sprach niemand.“

Tübingen ist zwar nicht Berlin, war aber von jeher als Universitätsstadt stets international ausgerichtet. Seit 2015 taten Tübingen und sein Oberbürgermeister für die Zugewanderten sehr viel, besonders, als der Regierung Merkel die Organisation und Zügel vollends entglitten, war OB Palmer mit seiner Stadtverwaltung stets so flexibel, adäquat zu helfen. Unterkünfte wurden schnell bereit gestellt. Eine Frage von Humanität und sozialem Gewissen. Darf so ein Oberbürgermeister dann etwa nicht erst recht Zustände in Schieflage kritisieren, ohne gleich als Rassist verunglimpft zu werden?

Im Text geht es weiter, Palmer beschreibt die Situation und Täter zur späten Stunde, wohlgemerkt, andere Reisende und auch Kinder, nicht nur von Palmer darunter:

„Einschließlich der Männer in der Bahnhofshalle waren es 18 junge Männer, davon sechs Schwarzafrikaner und augenscheinlich alle Migranten. In die Polizeistatistik schafft es so ein alltäglicher Fall gar nicht.“

Wie wahr, und auch der Autor weiß von Geschehnissen bis zum aktuellen Datum zu berichten, als sich ihm gegenüber bereits 2015 (aber auch heute noch hin und wieder) berufsmäßige Pendlerinnen bitter beklagten, dass das Zugfahren rund um Ellwangen fast „unerträglich“ geworden sei; und spätabends am Bahnhof ließen sich die Frauen im Alter zwischen 30 und 55 nur noch abholen. Belästigungen, wenn auch „nur“ verbale, seien fast schon normal. Allein durch die wirklich nicht sehr lange Fußgängerzone gehen nach 23 Uhr? „Besser nicht“, so die Geschäftsfrau Lisa M. (54).

Boris Palmer, das weiß der Leser, ist bundesweit bekannt und sicher kein Kind von Traurigkeit oder Angst; er sagt immer deutlich, was zu benennen ist. Doch mulmig war es ihm bei Ankunft am eigenen Heimatbahnhof wohl auch.

„Ich habe diese Entwicklung als regelmäßiger Bahnfahrer früh beobachtet und beschrieben. Ich werde dafür bis heute als Rassist gebrandmarkt. Ich hatte mir für das neue Jahr vorgenommen, über Asylthemen nur noch zu schreiben, wenn es für Tübingen wichtig ist. Es gibt wirklich noch andere Themen. Aber das hier ist wichtig. Und das ist in Tübingen passiert.“

Man merkt, dieser OB lässt sich von den vielen Multikulturalisten und Sozialromantikern unter seinen Parteifreunden, aber auch vom gesamten linken Spektrum nicht stigmatisieren. Palmer geht es um mehr, um die Beschreibung der Realität, wie eben jetzt in Tübingen, und darum, Abhilfe zu schaffen. Die Sicherheit der Bürger muss immer vorgehen – selbst wenn man es im Kanzleramt um Angela Merkel klein zu reden versucht, Deutschland sei sicher. In den Sphären der Politiker mit Sicherheitspersonal, bestimmt. Dort schreit man auf, wenn Hacker persönliche Chats und Daten knacken.

Dass Boris Palmer ein bürgernaher Politiker ist, zeigt sich an den folgenden Zeilen, ehrlich und persönlich:

„Ich fühle mich bedroht und verunsichert, wenn ich durch eine solche Gruppe hindurch muss. Vor dem Jahr 2015 sind mir solche Szenen im Bahnhof Tübingen nicht vorgekommen. Ich bin mir sicher, dass auch andere Reisende das als sehr unangenehm empfinden. Ich könnte mir ein Auto kaufen, einen städtischen Fahrer einstellen und mich von diesem Teil der Wirklichkeit abkoppeln. Da würden mir auch nachts keine Leute auf der Straße mehr begegnen, mit denen ich mich über Respekt und Ruhe auseinandersetzen müsste. Will ich aber nicht.“

Palmer ist ein Vollblutpolitiker, der jedoch weit davon entfernt ist, ein Machtzyniker zu sein. Palmer ist, wie viele Millionen Bürger auch, Familienvater. Schärft auch diese Tatsache die Sinne?

Liegt es vielleicht auch daran, dass die GroKo bei der Bevölkerung, die sie selbst gespalten hat, so einen schweren Stand hat, weil sie wahre Probleme um die Sicherheit ausblendet? Dass ständig verharmlost und relativiert werden muss. Rechtsradikale seien gefährlicher. Die Männer, aus dem arabischen und afrikanischen Raum scheinen wahrlich „Narrenfreiheit“ zu genießen. Selbst Flüchtlinge beklagen sich über diese Delinquenten, und haben gleichzeitig Angst, drangsaliert zu werden.

Palmer ist Vater, Kanzlerin Merkel in zweiter Ehe blieb immer kinderlos. Vielleicht ist das ein weiterer Grund, ohne Kinder plant sich die Zukunft und auch die Sicht darauf anders. So kann man natürlich „bedenkenlos“ Politik nach eigenem Gusto gestalten. Sicherheit? Die sei doch da. Anderswo überlegen Eltern zwei Mal, ob sie ihre Kinder noch allein mit der Bahn reisen lassen können. Nein, Palmer und viele andere Männer auch, müssen nun stets aufpassen, was früher in der Form schlicht nicht notwendig war. Vor 2015 war es deutlich unbeschwerter, und Deutschland war immer bunt.

„Fünf vor 12“, überschrieb Palmer sein jüngstes Erlebnis am Bahnhof. Er könnte sich und seine Familie, wie viele andere Politiker auch, abschotten. Stattdessen:

„Ich will mich nicht in eine sichere Oberschichtenwelt zurück ziehen. Ich will auch nicht, dass immer mehr Menschen wegen Verspätungen Frust mit Bahnreisen verbinden, sondern zunehmend eine Stresserfahrung mit Migranten und Asylbewerbern. Deshalb will ich das nicht hinnehmen. Und das wird auch nicht besser durch Fußballfans und Wasenbesucher. Auf die kann ich mich zumindest einstellen. Fußballfans sind nur dann im Zug, wenn der VfB spielt. Und am Bahnhof ist dann massenhaft Polizei.“

So sieht die pure Realität aus. – Einen weiteren Seitenhieb auf Berlin kann sich der schwäbische OB nicht verkneifen, bietet aber wieder Lösungen an:

„Was kann, was muss man tun? Immer mehr Städte gehen zur Videoüberwachung über. Unter anderem das scheinbar so liberale Berlin. Ich fürchte, der Trend ist angesichts solcher Entwicklungen im öffentlichen Raum nicht zu verhindern.“

Ausgewiesene 60 Millionen Euro habe Tübingen für neue Häuser für Flüchtlinge investiert.

„Wir haben eine eigene Abteilung für Hilfen für Geflüchtete aufgebaut und mittlerweile 20 Personen dort eingestellt. Wir bieten ein Ausbildungsstipendium für Flüchtlinge an. Wir haben Sprachkurse und Schulangebote für alle.“

Bessere Integrationsbemühungen gibt es europaweit kaum. Palmer weiß um die Situation:

„Die meisten der 1.400 Flüchtlinge in der Stadt haben das gut angenommen. Aber rund 50 junge Männer machen immense Probleme. Ich finde nach wie vor, dass wir verlangen können, dass Asylbewerber nicht als bedrohliche Gruppen und wie hier als Teil einer beginnenden Schlägerei auftreten.“

Deswegen, lobt Palmer auch Hessens Weg, wo seine Grünen mit der CDU weiter regieren. Dort stehe im Koalitionsvertrag:

„Zur Ordnung gehört, dass Flüchtlinge, bei denen durch ihr individuelles Verhalten erhebliche Zweifel an ihrer Integrationswilligkeit bestehen, in einer Landeseinrichtung verbleiben oder erneut dort untergebracht werden. Abgelehnte Asylbewerberinnen und -bewerber ohne Bleibeperspektive müssen unser Land schnellstmöglich wieder verlassen.“

Das müsse auch für Tübingen gelten, aber sicher nicht nur.

„Erhebliche Zweifel an Integrationswilligkeit verbunden mit einer massiven Störung der öffentlichen Ordnung. Ich halte es für notwendig, dass Baden-Württemberg den Kommunen in gleicher Weise hilft. Diese jungen Männer müssen zurück in eine sichere Landeseinrichtung. Raus aus dem Sozialraum Stadt. Es darf ihnen nicht gestattet werden, das Zusammenleben dauerhaft in dieser Weise zu beeinträchtigen.“

Palmer ist Verfechter des Doppelten Spurwechsels, einem Bleiberecht für alle, die einen Arbeitsplatz gefunden haben und unsere Gesellschaft respektieren.

Immer mehr fragt man sich, wer sich in Berlin eigentlich um wahre Probleme im Land kümmert, geschweige denn, diese überhaupt noch mitbekommt?


Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.