Tichys Einblick
Einwanderung für niedrige Löhne

Bertelsmann, die Willkommenskultur und der UN-Migrationspakt: Teil 2

Wie eine Konzern-Stiftung auf Augenhöhe mit Regierungen arbeitet und vorschreibt, wie diese zu handeln habe: Selten war die Vermischung von Wirtschaftsinteressen und Staat inniger und einseitiger zu Lasten der Einheimischen, die wirtschaftlich weniger stark sind.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Die Bertelsmann Stiftung arbeitet nicht nur seit Jahren daran, die Öffentlichkeit mit Dauerwerbung für mehr Migration zu fluten. Sie hat auch nach eigenen Angaben zusammen mit anderen Stiftungen die migrationspolitische Entscheidungsfindung der Bundesregierung koordiniert. Daneben werden Umfragen zurechtmanipuliert und die Geschichte umgeschrieben. Alles im Dienste der Arbeitskräfteakquise. Dem liegt wohl eine besondere Form von Gemeinnützigkeit zugrunde.

„Deutschland öffne Dich!“, hatte die Bertelsmann Stiftung 2013 getitelt, nachdem das Weltwirtschaftsforum festgestellt hatte, man müsse den Bevölkerungen klar machen, dass mehr Migration nötig ist, weil Migration „gut für’s Geschäft“ ist. (Siehe Teil 1) Seither produziert die Stiftung Umfragen, Studien und Policy Papers wie am Fließband. Sie sollen Öffentlichkeit und Politiker überzeugen, dass Migration vorteilhaft ist und mehrheitlich als vorteilhaft empfunden wird.

„Migration fair gestalten“, heißt das Projekt, das die Stiftung dafür aufgesetzt hat. Die Stiftung erklärt die Zielsetzung des Projekts so:

„Deutschland braucht Einwanderung, denn seine Entwicklung wird über lange Zeiträume von Überalterung und Fachkräftemangel bestimmt sein. (…) Die Herausforderung besteht darin, freiwillige und erzwungene Migration so zu gestalten, dass sie Migranten, der Aufnahmegesellschaft und den Herkunftsländern gerecht wird.“

Arbeitsmigration ist gut für die Zielländer und Flucht kann zu Arbeitsmigration werden und ist dann auch gut, lauten die Grundgedanken, oder in den Worten der Stiftung:

„Im Kontext der verstärkten Zuwanderung von Flüchtlingen, des anhaltenden Fachkräftebedarfs und der steigenden Migrationsskepsis in der Bevölkerung gilt: Die Arbeitsmigration muss besser gesteuert werden, die Willkommenskultur gegenüber allen Einwanderern und eine effektive Aufnahmeinfrastruktur müssen in Deutschland weiterentwickelt werden.“

Dafür sei es „wichtig, die Offenheit der Gesellschaft für Einwanderung zu stärken und Aspekte von Willkommenskultur zu fördern.“ Denn gut gesteuerte Migration sei von Vorteil für die Zielländer, kein Wort von möglichen Interessenkonflikten, etwa zwischen Zielländern, die junge, bereits teilweise ausgebildete Arbeitsmigranten haben möchten, und den Herkunftsländern, die auf den Ausbildungskosten sitzen bleiben. Kein Wort auch zu Interessenkonflikten innerhalb der Zielländer.

Stiftungen als Regierungskoordinatoren

Was die Bertelsmann Stiftung macht, macht sie richtig. Ein paar Broschüren reichen da nicht. Als Teil ihres Projektes organisierte die Stiftung auch gleich die migrationspolitische Koordination der Bundesregierung und deren Einbindung in die UN-Strategie. Das geschah im Rahmen einer von der Sitftung einberufenen sogenannten Migration Strategy Group on International Cooperation and Development (MSG) als „partizipativer Stakeholderprozess“ mit Vertretern aller migrationsrelevanter Bundesressorts, internationaler Organisationen und der Zivilgesellschaft. Mitorganisatoren waren die Robert Bosch Stiftung und der German Marshall Fund of the United States (GMF). Es ging also ziemlich transatlantisch zu bei diesem Unterfangen. Neben UN-Organisationen waren auch die mit dem UN-Migrationspakt befassten Bundesministerien und Behörden Teil dieser Strategiegruppe, außerdem Wirtschaftsverbände und einschlägige „zivilgesellschaftliche“ Organisationen.

Ein Abschlusspapier mit konkreten Handlungsempfehlungen in Deutsch und Englisch wurde beim Global Forum on Migration and Development (GFMD) vorgestellt und „mit Regierungsvertretern aus aller Welt diskutiert“. Rückblickend lag aus Sicht der Stiftungen der bedeutendste Beitrag in der Schaffung einer auf Dauer angelegten, vertraulichen (!) Austauschplattform für den interministeriellen und intersektoralen Austausch. Das klingt ganz so, als hätten Bertelsmann Stiftung und ihre transatlantischen Stiftungsfreunde die Einbindung Deutschlands in den UN-Migrationspakt und die deutschen Positionen in den Verhandlungen organisiert.

Im Abschlusspapier mit dem Titel „Mehr Kohärenz! Externe Dimensionen einer umfassenden deutschen Migrations- und Flüchtlingspolitik“ heißt es unter anderem:

„Deutschland wird international immer stärker als wichtiger migrations- und flüchtlingspolitischer Akteur wahrgenommen, nicht zuletzt, weil es in jüngster Zeit viele Flüchtlinge aufgenommen hat. Durch eine aktive Beteiligung an der Gestaltung der Global Migration Governance kann Deutschland diese Rolle festigen.“

An den EU-Migrationspartnerschaften mit Herkunftsländern wird kritisiert, dass in deren Rahmen nicht genug für die Förderung der „legalen“ Migration getan wird. Es gehe zu sehr um Eindämmung der illegalen Migration, die wie später im UN-Migrationspakt auch durchgängig mit dem Euphemismus „irreguläre“ Migration umschrieben wird. (Das fällt bei dem Stiftungsfext besonders auf, weil hier noch niemand gemerkt hatte, dass man konsequenter Weise auch nicht von legaler Migration sprechen sollte, wenn man den Aspekt der möglichen Gesetzwidrigkeit von Grenzübertritten aus dem Bewusstsein verdrängen will.)

Unter anderem Österreich hat den UN-Migrationspakt abgelehnt, weil dieser nicht hinreichend zwischen Flucht und anderen Formen der Migration unterscheide. Diese Verwischung scheint kein Versehen zu sein. Jedenfalls haben die drei Stiftungen genau das in ihrem Bericht gefordert. Statt des negativ besetzten Begriffs Verwischung haben sie allerdings das Wort Verschränkung gewählt:

„Politische Prozesse müssen die Realität gemischter Wanderungsbewegungen reflektieren. Eine kohärente und weitsichtige Politik erfordert die Verschränkung flüchtlings- und migrationspolitischer Aspekte. Parallel zu kurzfristigen Zielen in Bereichen wie Asylverfahren, Unterbringung und Grenzsicherung müssen langfristige Strategien zur Bewältigung des demographischen Wandels in Deutschland und zur Stärkung der globalen Fachkräftebasis verfolgt werden.“

Manipulierte Umfragen

Parallel zu diesen Aktivitäten zur Organisation und Steuerung des regierungsamtlichen Migrationsbetriebs arbeitet die Bertelsmann Stiftung mit großem Eifer daran, die Bevölkerung positiv für Migration zu stimmen, und – wo das nicht in hinreichendem Umfang gelingt – Umfragen entsprechend umzudeuten. Dabei werden die Umfragen gleich so konzipiert, dass die Umdeutung später leicht fällt.So heißt es in einer Broschüre mit Umfrageergebnissen mit dem Titel „Willkommenskultur im Stresstest“:

„Die Befragung zeigt, dass Deutschland sich als eine selbstbewusste Einwanderungsgesellschaft mit einer ausgeprägten Willkommenskultur präsentiert.“

Woraus schließt die Stiftung das? Nicht daraus, dass zwischen 79 und 65 Prozent der Befragten angaben, Zuwanderung führe zu zusätzlichen Belastungen für den Sozialstaat, zu Konflikten zwischen Einheimischen und Zugewanderten, zu Problemen in den Schulen und zu mehr Wohnungsnot in den Ballungszentren. Auch nicht daraus, dass nur 37 Prozent zustimmten, Deutschland sollte aus humanitären Gründen mehr Flüchtlinge aufnehmen und mehr als die Hälfte die „Belastungsgrenze“ erreicht sahen.

Für das positive Resümee müssen stattdessen die Antworten auf tendenziöse Fragen wie diese herhalten: „“Wie empfinden Sie kulturelle Vielfalt in Deutschland?“, mit den abgestuften Antwortmöglichkeiten „als Bereicherung“ und „als Problem“.

Noch besser ist eine Frage aus einer kürzlich veröffentlichten Umfrage der Stiftung zum Bürgersinn von Zuwanderern und Einheimischen:„Müssen gute Bürger in Deutschland geboren sein?“ Die wenig überraschende Antwort auf diese und ähnliche Fragen war die Basis für die Feststellung der Stiftung, dass die deutsche Gesellschaft entgegen einer verbreiteten Wahrnehmung nicht gespalten sei. Sowohl bei den Zuwanderern als auch bei den Einheimischen antworteten 94 Prozent mit „Nein“. Es geht also kein Blatt zwischen die Deutschen und ihre Einwanderer. Was herauskäme, wenn man fragen würde, ob die Befragten den in den letzten Jahren Zugewanderten im Durchschnitt einen ebenso hohen Bürgersinn zuschreiben wie den Einheimischen, wollte man lieber nicht wissen.

Den Begründungen von Bertelsmann Stiftung, Bundesregierung und UN-Migrationspakt für mehr Einwanderung stehen die meisten Deutschen skeptisch gegenüber. Nur ein Drittel möchte als Mittel gegen den Fachkräftemangel mehr Zuwanderung (weniger als 2015), immerhin 26 Prozent sehen im sogenannten Fachkräftemangel ein „aufgebauschtes“ Problem. Wer will es ihnen in Anbetracht der mäßigen Lohnentwicklung verdenken. Die Stiftung schreibt dazu nur: „Von den drei vorgeschlagenen Strategien schneidet die Anwerbung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland weiterhin am besten ab.“ Höhere Löhne zu bezahlen war keine angebotene Option. Es gab neben Zuwanderung nur höhere Frauenerwerbsquote und längere Lebensarbeitszeit. Von einer „gemeinnützigen“ Stiftung dürfte man eigentlich etwas mehr Abstand zum Arbeitgeberinteressen erwarten.

Schon 2015 hatte die Bertelsmann Stiftung aus den Ergebnissen der vorherigen Umfrage geschlossen, das Einwanderungsland Deutschland gewönne an Reife, was der Berichterstatterin des „Tagesspiegel“ immerhin aufgefallen war, angesichts der durch die Befragung offenbarten „Bedenken und Vorurteile“. Denn auch damals schon verbanden annähernd zwei Drittel der Befragten Einwanderung mit Problemen in Schulen, Belastungen des Sozialstaats und Konfliktpotenzial zwischen Einwanderern und Einheimischen. Die Erklärung im Tagesspiegel: „Mit ihrem Resümee bezieht sich die Stiftung vor allem darauf, dass sich die Befragten gleichzeitig mehr Anpassung an die deutsche Kultur wünschen, aber auch mehr über die Kultur der Einwanderer wissen wollen“.

Warme Worte für die sozial Benachteiligten

Immerhin nötigt die Tatsache, dass zwei Drittel der Befragten erhebliche Nachteile durch Zuwanderung sehen, die Stiftung, in den Schlussfolgerungen ihrer 2017er-Umfrage zu fordern, dass die ansonsten hartnäckig totgeschwiegene oder gar geleugnete „Konkurrenzsituation zwischen der sozial benachteiligten einheimischen Bevölkerung und den Neuankömmlingen konstruktiv bearbeitet“ werden müsse. Was darunter verstanden wird, schwankt allerdings zwischen Sonntagsredenfloskeln und Dreistigkeit. Einerseits solll der „Kampf gegen soziale Ausgrenzung aller in Deutschland ansässigen Personen“ geführt werden, andererseits seien „mögliche Neideffekte bei der einheimischen Bevölkerung angesichts umfangreicher staatlicher Ausgaben für Geflüchtete dadurch abzumindern, dass auf deren Investitionscharakter hingewiesen wird.“

Wenn es ernst gemeint wäre, dürfte man schon so etwas erwarten wie die Forderung, dass ganz konkret erreicht und deutlich gemacht wird, dass alle die Kosten tragen, nicht nur die sozial Schwachen, indem diese Kosten durch Steuererhöhungen für Gutverdiener und Unternehmen oder durch Subventionskürzungen für Selbige oder Schließung von Steuerschlupflöchern aufgebracht werden. Aber die ist wohl wieder de enge Auslegung der Stiftung von „gemeinnützig“ als „im gemeinsamen Interesse der Bezieher von Kapital und Unternehmenseinkünften“ im Weg. Da erzählt man den Benachteiligten doch lieber, dass ihre Opfer nicht umsonst sind, sondern „dem Land“ nützen. Ob’s funktioniert, steht auf einem anderen Blatt.

Geschichte der Willkommenskultur wird umgeschrieben

Der Begriff Willkommenskultur, den Bertelsmann so gern verwendet, machte in kurzer Zeit eine beträchtliche Transformation durch. In dem Buch „Deutschland öffne Dich!“ von 2015 ging es noch ganz vorrangig um Willkommenskultur im Dienste der Arbeitskräfte-Einwanderung. Unter dem Stichwort „Vielfalt und Willkommenskultur durch Einwanderungssteuerung“ schrieb Stiftungsvorstand Dräger damals:

„Deutschland braucht wegen des demographischen Wandels zunehmend Fachkräfte aus dem Ausland – und dementsprechend auch bei der Integrationspolitik den Perspektivwechsel von der Vergangenheit in die Zukunft.“

Und Stiftungs-Programmleiter Ulricht Kolber schrieb im gleichen Band zusammen mit Rita Süßmuth über die Herkunft der Willkommenskultur:

„So unscharf der Begriff noch sein mag, so deutlich ist die Zielrichtung der Rede von Willkommenskultur, vor allem in wirtschaftlichen und politischen Kreisen: Deutschland soll sich stärker für Einwanderer* öffnen und mit einer attraktiven Infrastruktur insbesondere auch qualifizierte Zuwanderer und ihre Familien anziehen. Die Debatte um den Fachkräftemangel ist der Kontext, in dem die Rede von der Willkommenskultur in den letzten Jahren entstanden ist.“

Nur zwei Jahre später, nachdem man viele hilfsbereite Menschen in die Willkommenskultur eingebunden hat und die starke Zuwanderung ein politischer Zankapfel geworden ist, ist der schnöde Verweis auf die Nützlichkeit (für Arbeitgeber) offenkundig nicht mehr opportun und die Geschichte des Begriffs wird flugs neu geschrieben. Im „Policy Brief Migration“ der Bertelsmann Stiftung heißt es 2017:

„Die ‚Karriere‘ des Begriffs Willkommenskultur begann in den Nullerjahren, als die Öffentlichkeit durch die Politik mit der Erkenntnis konfrontiert wurde (…), dass die Integrationsanstrengung von Einwanderern und Aufnahmegesellschaft gleichermaßen erbracht werden muss. Die Idee einer Willkommenskultur ist letztendlich ein politisches Projekt, das die deutsche Gesellschaft zu mehr Offenheit und Akzeptanz von Vielfalt bewegen soll, nachdem jahrzehntelang propagiert wurde, Deutschland sei kein Einwanderungsland. Parallel dazu existiert eine Willkommensbewegung auf Graswurzelebene, die sich in der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung und nichtstaatlichen Organisationen gegenüber Flüchtlingen gezeigt hat.“

Erst später, im Zusammenhangmit dem Streit um Zuwanderung und Willkommenskultur wird eingeräumt, dass „für die Befürworter des Projekts Willkommenskultur Nützlichkeitserwägungen einen hohen Stellenwert haben.“ (Man beachte, dass Willkommenskultur als „Projekt“ bzeichnet wird.) Das Projekt verliere jedoch an Glaubwürdigkeit, wenn die Vorteile abstrakt blieben und es sich „von der Lebenswelt der breiten Bevölkerung entfernt“. Also lieber mit Bereicherung durch Multikulti und mit Hilfsbereitschaft argumentieren, soll das heißen. So geht Propaganda.


Der Beitrag von Norbert Häring ist zuerst hier erschienen.


Mehr zum Thema:

Roland Tichy (Herausgeber), Der UN-Migrationspakt und seine Auswirkungen.
Mit Beiträgen von Norbert Häring, Krisztina Koenen, Tomas Spahn, Christopher Walter und Alexander Wendt

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