Tichys Einblick
Kaltschnäuzig und einseitig

Bei der Sendung von Anne Will fehlte die Liebe zum Leben

Diese Besprechung der Talkshow Anne Will vom vergangenen Sonntag kommt Tage später. Unsere Autorin, die ein Kind erwartet, brauchte mehrere Tage, um ihre Sprachlosigkeit über die dortige Kaltschnäuzigkeit und Einseitigkeit zu überwinden.

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Bei Anne Will wurde das Thema Abtreibungen aufgegriffen und es stand die Frage im Raum, ob der Paragraph 219a, das Werbeverbot für Abtreibungen und der Paragraph 218, der eine Straftat gegen das Leben formuliert, abgeschafft werden sollten.

Folgendes will ich vorausschicken: Ich bin hochschwanger und es kann sein, dass, bis dieser Kommentar erscheint, mein eigenes Kind geboren wurde. Deswegen möchte ich meine Meinung zu dieser Sendung äußern, auch wenn es gedauert hat, sie zu formulieren. Als weitere Meinung, die in dieser Diskussionsrunde fehlte.

Die Talkrunde war, nicht nur was die Geschlechtervielfalt betrifft, alles andere als ausgeglichen. Auch wenn der Auftritt und die Argumentationen von Philipp Amthor (CDU) recht souverän war, so ließ sich dennoch nicht der Eindruck vermeiden, dass es sich hier lediglich um einen (sehr jungen) Quotenmann handelte.

Hinzu kommt, dass er der einzige in dieser Runde war, der eine andere Meinung vertreten hat als die restlichen weiblichen Gäste. Damit waren die Fronten klar verteilt: Männer gegen Frauen. Genauer gesagt: ein Mann gegen vier Frauen mit identischen Meinungen zum Thema gegen Abtreibung – eine billige Inszenierung.

Männer gegen Abtreibungen, weil sie Frauen unterdrücken; Frauen dafür, im Namen der Freiheit und Selbstbestimmung bedingungslos und fristlos. So wurde der Eindruck erweckt, als gäbe es unter allen Frauen nur diese eine Meinung. Als würden die anwesenden Frauen auch mich vertreten. Doch das taten sie nicht. Es gibt genug Frauen mit unterschiedlichen Meinungen zu diesem Thema.

Genauso wie es auch Ärzte gibt, die sich gegen Abtreibungen aussprechen, weil sie  Leben retten wollen. Wieso war in dieser Runde nur diese eine Ärztin, die sich für Abtreibungen einsetzt und Werbung für ihr Geschäftsmodell machen will? Wo blieb die andere Seite?

Verloren gegangen ist auch, dass zum Leben immer Mann und Frau gehören. So aber wurde dieses Thema ausschließlich als  „Frauenthema“ verstanden und behandelt, bei dem sich zufällig auch alle anwesenden Frauen oder wie Teresa  Bücker es bezeichnet – „Personen die schwanger werden können“ einig waren. So simpel geht das.

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass jede Frau das Recht auf Selbstbestimmung hat. So wie auch Männern dieses Recht zusteht und zustehen muss. Allen Frauen sollte der Zugang zu den Möglichkeiten gewährleistet werden, die unsere aktuell bestehenden Gesetze zum Thema „Abtreibungen“ bieten.

Nun ist dies ein extrem sensibles, moralisch und ethisch problematisches Thema. Und genau das ist es, was ich bei dieser Sendung am meisten vermisst habe – und  dass es nicht nur die Frauen allein betrifft. Stattdessen ging es hauptsächlich um Fragen geschlechtlicher Gleichberechtigung, um Paragraphen, Versorgungsengpässe und darum, ob Information Werbung ist oder andersherum.

Die wirklich heiklen Bereiche zu diesem Thema wurden bewusst ausgelassen, weil man „die Debatte nicht komplett neu aufrollen wollte“. Das war der Grundfehler dieser Sendung, denn es geht um die Frage, wer über Leben und Tod entscheiden darf. Es fehlten alle anderen Standpunkte und Positionen zu diesem Thema, die deutlich gemacht hätten, wie leichtfertig in dieser Runde über das Abtreiben, manche sagen: töten von Föten, Embryonen und Babys gesprochen wurde. So wird durch Vorauswahl ein Konsens vorgetäuscht, den es nicht gibt.

Es ist schwer, solch einer Diskussion zu folgen, wenn man selbst ein Baby im Bauch trägt und weiß, was eine „Spätabtreibung“ bedeutet, die bereits jetzt schon in Deutschland unter bestimmten Vorrausetzungen erlaubt sind. Doch selbst diese Begrenzungen sind offensichtlich den meisten weiblichen Gästen ein Dorn im Auge.

In Anbetracht des wirklich ernsten Themas waren für mich die Begründungen für die Abschaffung der Gesetze zum Schutz des werdenden Lebens als Frau und werdende Mutter zwar in gewissen Punkten nachvollziehbar aber absolut nicht ausreichend.

Trotz persönlicher und genereller Bedenken bei Abtreibungen sind diese Gesetze  vertretbar. So wie auch das dazugehörige, vorherige verpflichtende Beratungsgespräch, in dem betroffene Frauen über den Eingriff allumfassend informiert werden sollen.

Sie werden informiert über Methoden und Verlauf der Eingriffe, über Risiken und eventuelle Folgen körperlicher und psychischer Natur. Ich halte dieses Gespräch für unentbehrlich, unter anderem auch für die Bewusstwerdung darüber, was wirklich vollzogen wird, nämlich: das Töten von Leben – unschuldigem Leben. Das sage und meine ich nicht vorwurfsvoll, sondern ich möchte eindringlich darauf hinweisen, worum es hier geht.

Darüber hinaus sind es auch Gedanken und Vorwürfe, die sich viele Frauen selbst machen, nachdem sie vor dieser schweren Entscheidung standen, durchführen ließen und geplagt waren von Trauer und seelischem Schmerz. Die einen sind sich ihrer Sache sicher, bereuen ihr Handeln nicht. Den anderen wird erst im nachhinein bewusst, was an ihrem Körper, mit dem ungeborenen Leben, mit ihrer Erlaubnis vollzogen wurde. Sie bereuen es zutiefst und leiden darunter.

Eine Abtreibung darf nicht „einfach so“ entschieden werden. Die derzeitig geltenden Begrenzungen und Gesetze sensibilisieren für das Thema. Sie helfen dadurch bei der Entscheidungsfindung, denn es ist nicht alltäglich, nicht normal, vor so einer Verantwortung und Entscheidung zu stehen: Vor der Frage, ob man ein Leben auslöscht oder ein Leben gewährt.

Die psychischen Folgen sind nicht zu unterschätzen genauso wenig wie die Folgen einer ungewollten Schwangerschaft oder Mutterschaft. Dessen müssen sich Frauen, ihrer Selbst Willen bewusst sein – sich selbst zuliebe. Es geht hier nicht um Misstrauen gegenüber der weiblichen Mündigkeit. Es geht hier gar nicht um das Frau sein selbst, sondern um das Mensch sein und was er mit sich selbst vereinbaren kann, was er ertragen kann und wie er mit Macht und Verantwortung über Leben umgeht. Das eigene und das, worüber er entscheiden kann.

Bei diesem Thema wird  deutlich, wieviel Macht wir Frauen eigentlich haben. Und allein die rein optische Betrachtung dieser Runde zeigte, welches Geschlecht die eigentlich Macht hat und zusätzlich ausdehnen möchte. Aber zu welchem Preis?

Ist es für die religiösen Menschen Gott, der über Leben und Tod richtet, so sind es in diesem Kontext die Frauen selbst: Wir Frauen sind die Göttin, die Leben gewährt oder vernichtet. Wir sind nicht machtlos. Nur steht die Frage im Raum, wie wir mit dieser Macht umgehen. Das sollte verantwortungsbewusst und gewissenhaft geschehen. Nur weil dieses Gesetz aus einer angeblich patriarchalen Zeit stammt, sollte man sich nicht daran aufreiben – denn es geht nicht nur um uns Frauen – sondern auch um das Leben selbst: im übrigen  um männliches und weibliches. Und wir entscheiden über beides.

Es geht um eine Macht, die der Mann nicht hat. Selbst wenn er sich ein Kind sehnlichst wünschen würde, so wäre es die Frau, die aufgrund „ungünstiger Zeit“ das Ungeborene abtreiben lassen könnte, sie muss es nur wollen. Obwohl unser Kind noch nicht mal auf der Welt ist, wird es von meinem Mann, seinem Vater sehr geliebt, durch meinen Bauch gestreichelt, ungeduldig erwartet und sehnlichst gewünscht.

Keine in dieser Runde schert sich um die Gefühle des Vaters. Seine Gefühle sind bei der aktuellen Gesetzgebung nicht von Bedeutung. Stellen wir uns das Szenario nur anders herum vor. Welch ein Aufschrei.

Durch die aktuell vorhandenen Reglementierungen zum Schwangerschaftsabbruch fühle ich mich nicht bevormundet. Sie machen die Tragweite möglicher Folgen und Konsequenzen für MICH bewusst, denn das „entfernte“ Leben existiert dann nicht mehr. Nur in meinem Kopf oder in meiner verletzten Seele. Darum geht es in den verpflichtenden Gesprächen. Ist man sich seiner Sache sicher, so darf man die Abtreibung durchführen lassen. Dies ist unser aktuelles Gesetz.

Zusätzlich gibt es ein Thema, was bei dieser Debatte völlig vernachlässigt wurde. Es geht um die Bekanntgabe des Geschlechtes, während der Frühschwangerschaft, vor der 13. Schwangerschaftswoche. Nach dem Gendiagnostikgesetz §15 ist es dem Frauenarzt durch den Gesetzgeber verboten, eine Auskunft darüber in der Frühschwangerschaft zu geben.

Es untersagt eine Bekanntgabe des Geschlechtes vor Ablauf der 12. Schwangerschaftswoche, sofern keine medizinische Notwendigkeit besteht. Das Gesetz soll davor schützen, dass die Geschlechtsauskunft bei einem Geschlechtswunsch missbräuchlich für einen Schwangerschaftsabbruch genutzt wird. Nach Ablauf der gesetzlichen Schweigepflicht (also mit Beginn der 13. Schwangerschaftswoche) wäre eine Abtreibung nicht mehr straffrei.

Fällt der Paragraph 218 weg, ist somit auch dieser Paragraph hinfällig. So könnten all diejenigen die sich einen „Stammhalter“ wünschen oder lieber eine „Prinzessin“ hätten, je nach Belieben Leben auslöschen lassen, bis das gewünschte Geschlecht sich in der Gebärmutter eingenistet hat. Es wäre die absolute Entmenschlichung.

Wenn man aber weiß, das die Liberalisierungen unserer aktuellen Gesetze darauf hinaus laufen, das es völlig legal und unkompliziert sein soll, solche Eingriffe sogar bis zum 9. Monat der Schwangerschaft durchführen zu lassen – ohne Fristen ohne Reglementierungen – dann tut es weh. Das Leben wird wertlos.

Es tut weh, weil ein Baby im 5. Monat im Bauch der Mutter klopft, drückt und tritt, oft schon früher. Es nimmt Einflüsse von außen wahr, hört und erkennt die Stimme der Mutter, es reagiert mit Bewegungen. Es kann Schmerz spüren. Viele seiner Organe sind ausgebildet. Es tut weh, weil es Leben ist. Es tut auch der Mutter weh – ob sie es will oder nicht.

Vergessen wir auch nicht all die Frauen, die nicht abtreiben wollten. Wieso werden sie nicht eingeladen? Wieso dürfen sie nicht ihre Meinungen äußern?

Wenn ein Leben bereits über Monate in einem selbst heran wächst, der eigene Körper es ernährt, sich so darauf umstellt, um es weiterhin zu versorgen und zu schützen, wenn man spürt, man ist nicht mehr allein – da ist jemand und es lebt in mir … es will zu mir – dann schmerzt es, dieses Lebewesen mit einem ärztlichen Eingriff zu entfernen – der verglichen wird mit der Entfernung einer Warze. Sie nannten es „Zellhaufen“.

Aber zu unterstellen, wie es die Frauenärztin Kristina Hänel tat, dass Menschen die gegen Abtreibungen sind, „aus Hass handeln“, ist nicht nur haarsträubend, sondern zeigt auch, was derartige Eingriffe mit denjenigen machen können, die sie routiniert durchführen. Denn es braucht massive Abgestumpftheit und Gleichgültigkeit, um zu einer derart verzerrten Wahrnehmung zu kommen.

Nicht nur dass sich die weiblichen Gäste in dieser Runde anmaßten zu glauben, sie würden für die Mehrheit der Frauen sprechen, nein es wurde hier mit unglaublicher Arroganz von Kristina Hänel behauptet zu wissen, aus welch niederen Beweggründen angeblich ihre Gegner/innen handeln.

Ich frage mich, wie solch ein Satz überhaupt einfach stehen gelassen werden konnte. Aber in dieser Runde wundert es nicht.

Wer gegen Abtreibungen ist, handelt nicht aus Hass, sondern aus Liebe zum Leben. Diese Liebe zum Leben fehlte in der Sendung.