Tichys Einblick
Befragung im Bundestag

Olaf Scholz ist die fleischgewordene Vertrauenskrise

Olaf Scholz hat im Bundestag zu Waffenlieferungen an die Ukraine geredet. Gesagt hat er nichts. Zumindest nicht direkt. Mit seinem Mix aus Ausweichen, Täuschen und Doppelstandards steht der Kanzler für all das, was die politische Szene diskreditiert.

IMAGO

Am Schluss kommt die Frage nach Correctiv. Die haben einen entscheidenden Teil ihrer Berichterstattung über das Treffen von Potsdam zurücknehmen müssen. Auch auf gerichtlichen Druck. Warum er diese Legende trotzdem noch verbreite, will ein Abgeordneter wissen. Scholz, in seinem hohen Amt? „Da ist was ganz Schlimmes passiert in dieser Villa in Potsdam“, antwortet der Kanzler. In der Antwort steckt alles, was an seinem Führungsstil schlimm ist. Alles, was die gesamte politische Szene in Misskredit bringt:

Der Kanzler übernimmt eine Berichterstattung, obwohl die widerlegt ist – weil die falsche Berichterstattung in sein PR-Konzept passt. Scholz abstrahiert sie mit den Worten „etwas ganz Schlimmes“. Damit muss er selbst nicht die falsche Berichterstattung übernehmen, sorgt aber dafür, dass die falsche, inszenierte Geschichte im Bewusstsein der Menschen weiterlebt. Scholz agiert nicht wie ein Staatsmann, der Verantwortung trägt. Er trickst wie ein Rosstäuscher. Allerdings einer, der ständig ertappt wird. In seiner Amtszeit wurden aus Schulden „Sondervermögen“, aus einer Fleischsteuer eine „Tierwohlagabe“ und aus Organisationen im Sold der Regierung die „Zivilgesellschaft“. Blöd für Scholz, dass immer weniger auf diese Tricksereien reinfallen. Seine Vertrauenswerte sind aus gutem Grund so schlecht wie noch nie zuvor bei einem bundesrepublikanischen Kanzler.

Scholz stellt sich den Fragen der Abgeordneten. Unter anderem geht es um seine Verwicklung in die Cum-Ex-Affäre. Die Abgeordneten wollen wissen, warum dem Kanzler mehrere Dutzend Male im Untersuchungsausschuss das Gedächtnis angeblich versagte. Scholz hält den Fragestellern entgegen: Sie könnten ruhig weiterbohren, der Untersuchungsausschuss sei auch zu keinem Ergebnis gekommen. Ein Kanzler, Staatsmann, Regierungschef, der sich darüber freut, dass der größte Steuerskandal der deutschen Geschichte unaufgeklärt blieb. Scholz überführt sich immer und immer wieder selber.

Doch Scholz ist kein Rosstäuscher, der auf dem Hamburger Isemarkt einen alten Klepper als jungen Gaul verkaufen will. Er ist der Regierungschef der drittgrößten Industrienation. Als solcher entscheidet er aktuell über Krieg und Frieden. Er weigert sich, die Taurus-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, weil Deutschland sonst Kriegspartei würde. Bewahrt er damit den Frieden? Oder schwächt er das NATO-Bündnis und verweigert einer Nation Hilfe, die von einem gefährlichen Aggressor überfallen wurde? Eine wichtige Frage. Eine Schicksalsfrage. Doch auch hier kann Scholz seinen toxischen Mix aus Ausweichen, Täuschen und Doppelstandards nicht überwinden. Auch in dieser Frage spricht er nicht Klartext. Ist nicht geradeaus wie ein großer Staatsmann, sondern linkisch wie ein Hamburger Rosstäuscher.

In seiner Vorrede betont Scholz noch, dass Land solle solidarisch sein. In einer wichtigen Frage wie Krieg oder Frieden, solle man sich „unterhaken“ und respektvoll miteinander umgehen. Doch schon auf die erste Frage erwidert er Johann David Wadephul (CDU), dessen Ausführungen seien „lächerlich“ und die Bürger hätten Angst vor ihm. Der Respektkanzler bei der Arbeit. Scholz sagt, das Land solle respektvoll sein und sich unterhaken. Doch damit meint er nicht sich. Damit meint er, niemand solle ihm widersprechen oder die Hand frei haben, um sich gegen Scholz’ Tun wehren zu können. Soweit zu den Doppelstandards.

Nun zum Täuschen und Ausweichen: Die NATO-Partner sind aktuell sauer auf Scholz, weil der durch unbedachte öffentliche Auftritte darauf aufmerksam gemacht hat, dass zum Beispiel britische Soldaten in der Ukraine sind, um der ukrainischen Armee zu helfen, die Ziele für deren Marschflugkörper einzustellen. Eine hoch brisante Aussage in Zeiten, in denen der Ukraine-Krieg droht, zu einem Atomkrieg der NATO mit Russland zu werden.

Er habe nicht gesagt, Großbritannien verhalte sich wie eine Kriegspartei, hält Scholz dagegen. Wer ihn damit im Bundestag zitiere, nutze sein eigenes Wissen und das Unwissen der Bevölkerung aus, um die Bevölkerung zu täuschen. Norbert Röttgen (CDU) zitiert darauf den Kanzler damit wörtlich, dass er nicht Kriegspartei werden wolle, indem es das Gleiche tue wie andere. Da ist er wieder, der Rosstäuscher. Scholz sagt, dass etwa Großbritannien Soldaten zur Ziellenkung der Marschkörper in die Ukraine schickt. Dass er nicht das Gleiche tun wolle wie Großbritannien, weil Deutschland dann Kriegspartei würde. Aber er sage nicht, dass Großbritannien damit Kriegspartei sei. Scholz muss man verstehen wollen – und selbst dann fällt es immer noch schwer.

Doch es lohnt sich. Denn in dem, was Scholz Röttgen da an den Kopf geworfen hat, steckt ja noch mehr drin: Röttgen nütze sein Wissen und das Unwissen der Bevölkerung, um Politik zu machen. Damit sagt Scholz ganz offen: Die Bevölkerung weiß eben nicht alles Notwendige, um sich ein Bild über die Lage in der Ukraine machen zu können. Und die Bevölkerung soll folgen. Ohne zu wissen. Deswegen versucht Scholz erst gar nicht, die Wissenslücke zu füllen. Der Mann mit dem pünktlich versagenden Gedächtnis und den falschen Zitaten verlangt von den Bürgern, dass sie ihm blind vertrauen. Das muss schiefgehen.

Die AfD steht in den Umfragen bei rund 20 Prozent. Neue Parteien gründen sich wie die Werteunion oder das Bündnis Sahra Wagenknecht und stehen in den Umfragen sofort bei mindestens vier Prozent. Die persönlichen Vertrauenswerte der Politiker schmieren durch die Bank ab – von Linke, über Grüne, SPD und FDP bis zur Union. Der mit Abstand beliebteste Politiker ist der, der am kürzesten dabei und folglich noch am wenigsten in seinem Tun bekannt ist. Die politische Szene in Berlin steckt in einer Vertrauenskrise.

Eine Veranstaltung wie die Befragung des Bundeskanzlers im Bundestag liefert eine Erklärung dafür, warum die Vertrauenswerte in den Keller gehen. Wenn der Bundestag eine Stunde mit dem Regierungschef über Krieg und Frieden redet – und für die Wähler dabei als einzig brisante Information herauskommt, dass sie halt nicht das wissen, was die Politiker wissen. Und auch gar nicht wissen sollen. Dann ist schon das verheerend. Dazu kommt, dass der Rest der Veranstaltung Ausweichen, Täuschen und Doppelstandards ist. Für die Akzeptanz der politischen Szene ist das verheerend – aber wohlverdient. Doch den eigentlichen Schaden richten die Beteiligten damit der Demokratie an.

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