Tichys Einblick
Angeblich falsches Zitat

Baerbock verpflichtet

Die Außenministerin redet sich um Kopf und Kragen. Politiker, Journalisten und Ministerialbeamte eilen zu ihrem Schutz herbei: alles nur pro-russische Propaganda von Putintrollen und Rechtsextremen. In Wirklichkeit hätte sie etwas ganz anderes gesagt: Baerbock wird auch von ihren Anhängern als unmündiges Kind wahrgenommen, das man vor sich selbst schützen muss.

IMAGO / photothek

In einem vernünftigen Land in ruhigeren Zeiten hätte der Begriff „Delegitimierer“ gute Aussichten auf den Preis des „Unwort des Jahres“. Im Deutschland dagegen ist es zum Volkssport geworden, jede Person, die nur im Entferntesten an der „Delegitimierung des Staates“ mitwirkt, aufzuspüren und ihr entgegenzutreten. War früher Kritik an Regierungen noch das notwendige Regulativ, damit eine Demokratie länger als ein paar Jahre oder Jahrzehnte überlebte, gilt sie heute als Gift und Grund für die Spaltung der Gesellschaft. Man ist in Deutschland geneigt, jedem noch so unwichtigen Oppositionsführer in Ost-Timor Kamera und Mikrofon hinzuhalten, verfällt aber hierzulande in Hysterie, wenn man auf Twitter die Überforderung und fehlende Kompetenz der Außenministerin thematisiert.

In einer bezeichnenden Aktion, der Politiker, Journalisten, öffentlich-rechtliche Faktenfinder, dubiose Internetseiten und „Social-Media-Influencer“ angehörten, musste ein prinzipiell irreparabler Imageschaden geflickt werden. Die Strategie: Die Aussagen Baerbocks seien verfälscht, verfremdet, aus dem Kontext gerissen worden. In Wirklichkeit handele es sich um ein spaltendes Manöver von pro-russischen Propagandaträgern, Putintrollen und Rechtsextremen. Es war die Reaktion auf einen Tag erhitzter Gemüter, bei dem das Hashtag #BaerbockRücktritt auf Twitter trendete.

Den Aufschlag dazu machte Peter Ptassek, Ministeriumsbeauftragter für strategische Kommunikation aus Baerbocks Behörde: „Der Klassiker: Sinnenstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts und schon ist das Cyber-Instant-Gericht fertig, Desinformation von der Stange. Ob wir uns so billig spalten lassen? Glaube ich nicht.“

Die Russen als Einflüsterer der Außenministerin? Es sprangen die üblichen Verdächtigen auf den Zug auf. Die Verzweiflung, mit der man die verlorene Ehre der Annalena Baebrock retten wollte, äußerte sich auch darin, dass eine dubiose Webseite wie der linkspopulistische „Volksverpetzer“ den Weißen Rittern als Quelle zur Untermauerung dienen sollte. Die ideologisch so vorteilhafte wie journalistisch zweifelhafte Seite mokierte sich über eine „Pro-Putin-Fake-Kampagne über (sic!) Baerbock“, der vor allem die AfD Vorschub leiste, der sich aber auch die Welt angeschlossen hätte. Bei so viel Kontra-Propaganda konnte man auf die Idee gekommen, die ganze Prager Veranstaltung sei eines der berüchtigten „Deep Fakes“ russischer Comedian-Trolle gewesen, um die Stabilität des Westens zu erschüttern.

Wie so oft muss ein sogenannter „Faktenchecker“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks herhalten. Und wie so oft nicht, um die Fakten der Politiker zu checken, sondern die Meinung im Volk richtigzustellen. Plakativ stellt der „Faktenfuchs“ des Bayerischen Rundfunks klar: „Baerbock-Zitat verfälscht und instrumentalisiert“. Das ist eine gute Schlagzeile, die wirkt, wenn man den Text selbst nicht gelesen hat. Mit der Michelsmütze auf dem Kopf lehnt man sich in der „Hab es doch gewusst“-Mentalität wieder im Sofa zurück. Nichts als rechte Propaganda! Wirklich? Die ganze Beweisführung des „Faktenfuchses“ besteht aus diesem Absatz:

„Unter dem Videoclip heißt es in einer Gruppe etwa: ‚Die deutsche Außenministerin verspricht, dass die Ukraine an erster Stelle komme ‚egal, was deutsche Wähler denken‘, oder wie hart ihr Leben wird.‘ Das ist falsch wiedergegeben. Tatsächlich sagte Baerbock: ‚egal, was meine deutschen Wähler denken‘.“

Da sind wir aber erleichtert. Das wirft ein komplett anderes Licht auf die Causa! Dass Baerbock die anderen Wähler a priori egal sind, hat sie in ihrer Zeit als Politikerin täglich bewiesen. Für die Aufarbeitungen solcher Zusammenhänge zahlt der deutsche Bundesbürger rund 20 Euro im Monat.

Dass der Faktenfuchs dabei Baerbock selbst ungenau wiedergibt, wenn er behauptet, Baerbock habe gesagt, es müsse „soziale Entlastungen“ für deutsche Bürger geben, ist dabei nur ein weiteres Kapitel – es fehlt nämlich der Kontext. Vielmehr sagte Baerbock in einem fiktiven Gespräch zu Bürgern, dass man auf Sanktionsaufrufe mit sozialen Maßnahmen reagieren müsse. Das bestätigt umso mehr den Punkt, dass Baerbock zuerst einmal die Interessen der Ukraine bedient: Sie setzt eine Prämisse voraus, und an dieser Prämisse richtet sie nicht nur die Außen-, sondern auch die Innenpolitik aus. Das Argument des „Faktenfuchses“ ist damit ein klassischer Knieschuss.

Prager Offenbarungseid
Baerbock: „Egal, was meine deutschen Wähler denken, ich möchte für die Ukraine liefern“
Mit derselben Begeisterung, mit denen gewisse Medienvertreter bei politischen, journalistischen und kulturellen Vertretern der anderen Seite auch das letzte Salzkorn umdrehen, um darin doch noch eine möglicherweise verfängliche Stelle zu finden, wird Baerbock in Schutz genommen vor ihren eigenen plakativen Äußerungen. Doch alle Narrative taugen nicht. Der Satz „dann möchte ich auch liefern, egal was meine deutschen Wähler denken, aber ich möchte für die ukrainische Bevölkerung liefern“, ist in seiner monolithischen Aussagekraft so eindeutig, dass man im Grunde nichts an ihm deuten kann. Deshalb bleibt nichts anderes übrig, als den Satz selbst auszuradieren oder in die Sphäre der pro-russischen Propaganda einzuordnen.

Es ist ein Satz, der für sich selbst stehen kann; und es ist ein Satz, den sie auch an keiner Stelle revidiert oder präzisiert. Indem sie etwa davon spricht, ihre Solidarität gehöre den „Menschen in Deutschland“ wie den „Menschen in der Ukraine“ stellt sie das Schicksal des Volkes, von dem sie den Regierungsauftrag erhalten hat, mit dem eines anderen Landes gleich. Das kann in einem Staat funktionieren, in dem sie – ähnlich wie Mario Draghi – von außen berufen worden wäre. Aber eben nicht als gewählte Abgeordnete des Bundestags. So gerne auch die Außenministerin „Weltinnenpolitik“ betreiben will.

Baerbock ist sich im Moment ihrer Ansprache völlig bewusst, was sie sagt. Ihre Aussage herunterzuspielen hieße, Baerbock nicht als Herrin der eigenen Worte ernstzunehmen, sondern als jemanden, dessen Worte erst übersetzt gehörten. Die vermeintlichen Baerbock-Retter sind in Wirklichkeit Baerbock-Entmündiger. Blanker Paternalismus gegenüber der einstigen grünen Spitzenkandidatin, die sonst so sehr auf das Image von Unabhängigkeit und moderner Powerfrau setzt.

Auch die Grünen und ihre Sympathisanten müssen sich für ein Narrativ entscheiden: Man kann nicht Wonder Woman spielen und gleichzeitig wiederholt auf Schützenhilfe von weißen Journalisten- und Ministeriumsmännern angewiesen sein. Das ist einmal explizit keine Kritik an Baerbock, sondern an ihren Unterstützern, die die Außenministerin in dieser Situation mehr beschädigen, als sie es selbst könnte. Sie machen aus ihr ein unmündiges Kind, das nicht einmal für seine eigenen Aussagen verantwortlich ist und auch noch vor schlimmen, bösen Mächten beschützt werden muss.

Die Ausgangsfrage wirft dabei ihren Schatten über die Debatte: Wem sind die Eliten dieses Landes in erster Linie eigentlich verpflichtet? Zumindest einige haben jetzt ihre Antwort gegeben.

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