Tichys Einblick
Braucht die Bundeswehr überhaupt das MK556?

Auf das neue Sturmgewehr wird die Bundeswehr lange warten

Die Firma C. G. Haenel hat keine 10 Angestellten und soll das neue Sturmgewehr der Bundeswehr liefern. Haenel gehört zu einer Holding der Vereinigten Arabischen Emirate. Der Auftrag dürfte Kramp-Karrenbauer und ihre Nachfolger noch lange beschäftigen. Die Soldaten und die Rüstungswirtschaft haben das Nachsehen.

imago Images

Die Entscheidung über das neue Sturmgewehr der Bundeswehr ist gefallen. Es soll vom Thüringer Hersteller C. G. Haenel aus Suhl beschafft werden. Bei einer Bestellung von 120.000 neuen Waffen dürfte der Beschaffungsumfang bei etwa 250 Millionen Euro liegen. Dem jahrzehntelangen Haus- und Hoflieferanten der Bundeswehr Heckler & Koch aus Oberndorf am Neckar wird demnach dieser prestigeträchtige Auftrag entgehen. Die zuständigen Bundestagsausschüsse wurden durch das Verteidigungsministerium entsprechend informiert.

Aber der Reihe nach. Heckler & Koch (H&K) belieferte seit den 1960er Jahren die Bundeswehr mit dem früheren Standardgewehr G3. Dessen Nachfolger war seit 1998 das G36. Das Oberndorfer Rüstungsunternehmen war mit dieser höchst fortschrittlichen Waffe auch auf dem Weltmarkt erfolgreich. Ein leichtes und handliches Gewehr im Kaliber 5,56 mm mit dem selbst Anfänger respektable Schießergebnisse erzielen. Im Lauf der Zeit entwickelte sich daraus eine ganze Waffenfamilie. Auf einzelne Berichte hin, nach denen das G36 unter anderem nach mehreren hundert Schuss (in Afghanistan!) zu heiß werde und darunter die Treffsicherheit leide, hatte die damalige Verteidigungsministerin von der Leyen in eigener Machtvollkommenheit entschieden, den Bestand von 167.000 G36-Gewehren der Bundeswehr zu ersetzen. Das mittlerweile angeschlagene Unternehmen H&K klagte beim Landgericht Koblenz gegen die Mängelvorwürfe und bekam im September 2016 recht. Das Gericht wies Forderungen des Ministeriums nach Ausgleichszahlungen zurück. Rein rechtlich gab es am G36 also schon mal nichts auszusetzen.

G36 mutwillig schlecht geredet

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Auch Befragungen unter hunderten Einsatzsoldaten durch den früheren Wehrbeauftragten Hellmut Könighaus und den Verteidigungsexperten Winfried Nachtwei (Bündnis 90/Die Grünen) konnten keine Mängel am G36 im Einsatz zu Tage fördern. Dass nach langen Schussfolgen unter großer Hitzeeinwirkung die Treffgenauigkeit leidet, ist der Physik geschuldet. Das Gewehr erfüllt die spezifischen Vorgaben zur Zielgenauigkeit gemäß Beschaffungsvertrag. Von den Soldaten wird die Waffe bis heute als sehr bedienungsfreundlich und zuverlässig geschätzt. Aber es half nichts, das G36 habe „keine Zukunft mehr“ so die damalige Ministerin von der Leyen entgegen allen vorliegenden Fakten und Untersuchungsergebnissen. Die Entscheidung über ein Nachfolgemodell sollte im Zuge einer Ausschreibung bis Ende 2018 fallen. 

Ausführlichere Informationen hierzu in: Nicht einmal bedingt abwehrbereit – Die Bundeswehr zwischen Elitetruppe und Reformruine, Finanzbuchverlag Edition TICHYS EINBLICK 2019, Seite 112.

Im Rennen waren von Anfang an neben anderen Heckler & Koch sowie die C. G. Haenel aus Suhl. Die ersten Ausschreibungsergebnisse belegten, dass bis dahin kein Produkt das G36 deutlich übertreffen konnte, die eingereichten Waffen erfüllten nicht die geforderten Kriterien. Das nunmehr ausgewählte Haenel-Sturmgewehr MK556 (Maschinenkarabiner Kaliber 5,56mm) müsste mithin nennenswerte Vorteile aufweisen, andernfalls würde sich die Ersatzbeschaffung endgültig als Farce herausstellen. Es ist hier beileibe nicht die Absicht, dass Suhler Gewehr schlecht zu reden, es wird seine Qualitäten haben. Ob die Unterschiede es allerdings rechtfertigen, das bisherige Standardgewehr G36 für Hunderte Millionen zu ersetzen, ist eine berechtigte Frage.

Gerichte dürften entscheiden

H&K gibt jedenfalls den Kampf nicht auf. Einer Pressemitteilung zufolge hat das Unternehmen gegen die Vergabeentscheidung beim zuständigen Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) eine Rüge eingereicht. 

Im Fall der Abweisung der Rüge – wovon auszugehen ist – kann H&K ein Nachprüfverfahren bei der zuständigen Vergabekammer in Bonn beantragen. Das Oberlandesgericht in Düsseldorf kann sich schon mal darauf einstellen, dass das Streitverfahren im weiteren Verlauf dort landen wird. Vorläufige Konsequenz? Die Truppe erhält in absehbarer Zeit kein neues Sturmgewehr, sie wird es verschmerzen können. Schlimmer ist, dass sich Teile des Beschaffungsamtes jahrelang mit juristischen Streitfragen und politischem Sperrfeuer werden auseinanderzusetzen müssen, anstatt mit voller Energie an der dringend nötigen Erneuerung der Ausrüstung und Bewaffnung der Bundeswehr zu arbeiten.

Spannend wird die Frage, worauf sich die Rüge von H&K beziehen wird. In der Vergangenheit war bereits von Anforderungen die Rede, die der Einsatzrealität widersprechen. Ferner von „methodisch unsauberen Tests“, die zu nicht reproduzierbaren Ergebnissen führen würden. Könnte auch sein, dass ein Verdacht auf unzulässige staatliche Subventionierung aus dem Ausland geäußert wird. Die C.G. Haenel allein hat nach dem Jahresabschluss 2018 einen Jahresumsatz von lediglich 7 Millionen Euro bei 9 Mitarbeitern laut Wirtschaftsdatenbank. Das künftig beste Sturmgewehr der Welt in großer Stückzahl von einer Hinterhoffirma mit kaum sichtbarem Türschild? (Vgl. FAZ vom 28. September 2020, S. 3) Eine derart kleine Einheit kann einen so großen Auftrag unmöglich stemmen. Wird dafür etwa gar der Rüstungskonzern Edge mit Sitz in Abu Dhabi benötigt, zu dem die Merkel Gruppe (Eigner von C.G. Haenel) gehört? Soll gar ein arabisches Sturmgewehr namens „Sultan“ dafür Pate stehen, das mit Unterstützung deutsche Ingenieure aus dem Mittleren Osten kommt? Es stehen schwerwiegende Fragen im Raum, die der Klärung bedürfen.  

Nicht zuletzt ist aber auch die Frage zu stellen, wofür die Truppe eigentlich bei dieser eminent wichtigen Beschaffungsfrage plädiert. Auswahlentscheidungen in derartigen Konkurrenzsituationen werden üblicherweise nach einer vergleichenden Erprobung getroffen. Sind die Soldaten gar nicht gefragt worden, ist kein Truppenversuch mit den beiden Kandidaten durchgeführt worden? Durften abweichende Erprobungsergebnisse den politisch geprägten Auswahlprozess nicht stören? Was sagt eigentlich die Generalität dazu?

Heckler & Koch in Schwierigkeiten

Bei den Oberndorfern leuchten spätestens seit der Berliner Entscheidung dunkelrote Warnlampen. Mit vorliegenden Finanzverpflichtungen etwa in Höhe eines Jahresumsatzes von 250 Millionen Euro ist Gefahr im Verzuge, obwohl das Unternehmen wieder schwarzen Zahlen schreiben soll. Bis 2002 war H&K Bestandteil des britischen Rüstungskonzerns BAE Systems. Seit Juli 2020 hat die Luxemburger Finanzholding CDE die Mehrheit. Finanzgeschäfte der Vergangenheit sorgten für Verwerfungen mit einem früheren Mehrheitsaktionär. Bei Heckler & Koch handelt es sich immerhin um ein Unternehmen mit rund 1.000 Arbeitsplätzen einschließlich derjenigen eines Montagewerkes in den USA. Exportrestriktionen tragen dazu bei, dass die in Deutschland erzielten Firmenerlöse zurückgehen und Auslandsstandorte stärker werden. So scheint es politischer Wille zu sein.

Mit dieser Bundeswehr ist nicht zu spaßen
Ruhig schlafen – beschützt von einer Gender-Armee
Keine ganz neue Erkenntnis: Waffenhersteller haben es in unserem höchst friedfertigen und moraltüchtigen Land nicht gerade einfach. Deutsche Waffenexporte unterliegen strengeren Regularien, als sie jedes andere, zur Herstellung moderner Rüstungsgüter fähige Land vorgibt. Insbesondere die Hersteller von Kleinwaffen können ein Lied davon singen. Dass mit der deutschen Selbstbeschränkung weltweit keine einzige Waffe weniger unterwegs ist, dafür sorgt die Konkurrenz. China beispielsweise exportiert inzwischen Waffen unterschiedlicher Kategorien in alle Welt aus schlichtem Geschäftsinteresse, nicht zuletzt auch mit dem Ziel der Schaffung von Abhängigkeiten. Wenn deutsche wehrtechnische Produkte zu allem Überfluss auch noch durch die eigene Regierung schlecht geredet werden, muss sich über die wirtschaftlichen Folgen niemand wundern. Man darf für H&K nur hoffen, dass die Vorgehensweise des BMVg die Beschaffungsentscheidungen anderer (klügerer?) Nationen nicht weiter tangiert. Die Streitkräfte Norwegens werden mit dem Sturmgewehr HK416 (auf Basis des G36) ausgestattet. Derzeit wird diese Waffe auch an die französische Armee ausgeliefert. Ein Novum in der Waffengeschichte mit der Chance auf europäische Standardisierung. Etliche andere Staaten beispielsweise im Baltikum kaufen auch das G36 weiterhin.
Der Moralweltmeister bekämpft den Exportweltmeister 

Die deutsche Politik arbeitet mit zunehmendem Erfolg daran, deutschen Rüstungsfirmen und Waffenproduzenten das Leben immer noch schwerer zu machen. Schilder auf Rüstungsgütern bei Messen mit der Aufschrift „Frei von deutschen Teilen“ sollten ein Alarmsignal für den Exportweltmeister darstellen.

H&K gehört über eine Luxemburger Finanzholding wer weiß wohin, auch die ursprünglich seit 1840 in der industriellen Waffenfertigung tätige Suhler Firma Carl Gottlieb Haenel ist vom Fluchtreflex deutscher Hersteller erfasst. Das heutige Unternehmen C. G. Haenel ist bereits Lieferant der Bundeswehr für ein Scharfschützengewehr, gehört wie gesehen jedoch über die Merkel Gruppe in die in den Jemen-Krieg verstrickten Vereinigten Arabischen Emirate. Die Beauftragung einer Thüringer Zwergfirma, gesteuert von einem nahöstlichen Rüstungskonzern, dürfte Kramp-Karrenbauer – oder wer auch immer künftig auf dem Stuhl sitzen mag – noch lange beschäftigen. Das Bundesministerium der Verteidigung laviert in politisierten Auseinandersetzungen, die Rüstungsindustrie hat den Schaden und die Beschaffungsbehörde wird mit emsigem Treten auf der Stelle beschäftigt. Mit politisch gefärbten und nicht sachlich dominierten Rüstungsentscheidungen wird das Geld des Steuerzahlers ohne Fortschritt für die Truppe verpulvert. Die in Aussicht gestellte neue Braut der Soldaten wird noch lange auf sich warten lassen.