Tichys Einblick
SERIE VOLKSBEFRAGUNG: ERZÄHLT, GESCHRIEBEN UND IM BILD.

Antworten 6: Deutsch sein, was ist das für Sie ganz persönlich?

Hier das sechste Antwortpaket. --- Nach dem siebten schließen wir diese formlose Volksbefragung und ziehen ein Zwischenfazit.

Das schickten unsere Zeitgenossen: Wir bitten weiter um Beiträge, die Erzählung Ihrer Großmutter, Fotos, die für Sie typisch Deutsches darstellen. Was immer Ihnen in den Sinn kommt, spontan, ernst oder witzig, wie Sie wollen. Zu dieser Lockerungsübung von Volksbefragung laden wir herzlich ein.

46, männlich, von Gelnhausen nach München: Matriot und Patriot

Vielleicht muß man, wenn man sich der Frage des Deutschen widmet, erst hören, was Nicht-Deutsche über Deutschland sagen. Beispielsweise durch die Übernahme von deutschen Wörtern, die im eigenen Wortschatz keine Entsprechung haben. Das Englische hat verschiedene deutsche Wörter entlehnt, beispielsweise Ahnentafel und echt, Urheimat und Sprachraum, Kindergarten und Aufwuchs, Oktoberfest und Gemütlichkeit. Die Wörter sind Beschreibungen, die wichtig für Identität sind. Sie verweisen auf Tradition und historische Entwicklung. Geschichtliche Herkunft spielt beispielsweise in den meisten westeuropäischen Ländern in der Frage der Staatsbürgerschaft keine Rolle. Das dortige „ius soli“, das „Recht des Bodens“ verleiht die Staatsbürgerschaft. Franzose oder Engländer ist, wer auf französischem oder englischem Staatsboden geboren wird.

In Deutschland und Osteuropa gilt dagegen das „ius sanguinis“: Kinder sind Deutsche, wenn ihre Eltern Deutsche sind. Nicht die Gegenwart – der Geburtsort -, sondern die Geschichte ist entscheidend. Damit spielen nicht nur Mutter und Vater eine große Rolle, sondern auch deren Eltern – die „Ahnentafel“, der „Sprachraum“. Ob Heim-at oder „homeland“: Haus und Hausbau spenden nicht überraschend einen großen Teil des Wortschatzes, der dem Verständnis der Umwelt dient. Oder anders ausgedrückt. Die Umwelt wird nach den Gesetzen des Hauses gegliedert und in Ordnung gebracht und erhält dadurch einen vertrauten und schützenden Charakter. Im Gegensatz zum wilden Wald, also den Gebieten, die nicht mehr den Gesetzen des Hauses gehorchen.

So ist die Ökonomie auch wörtlich „das Gesetz des Hauses“, die Ökologie die „Lehre des Hauses“ Beide beschäftigen sich mit der wiederholenden Herstellung von Ordnung. Zum Beispiel durch Nahrung, die den Menschen restituiert. Der Herd, Stätte des Feuers, ist immer auch Kultstätte, an dem der Kontakt zu den Göttern erfolgt, die das Weiterleben garantieren. Im antiken Griechenland ist die Oikonomia das Reich der Frau, die schon für sich Symbol der Weitergabe des Lebens ist. Während der Mann sich der Politik widmet, den Angelegenheiten der gesamten Gemeinschaft. Mutter und Vater spiegeln sich ebenso in den Überbegriffen von „Heimat“. So ist Mutterland für mich der Ort von Liebe und Geborgenheit, Vertrauen. Wer dagegen Vaterland sagt, meint Verstehen, Tradition und Gesetze, die das Heimatliche – ebenso wie die mütterliche Oikonomie – wiederholen und sichern.

Die wiederholende Herstellung beinhaltet naturgemäß immer Abweichungen – allerdings schrittweise, gemäßigt, planvoll, womit fortschrittliche und bewahrende Kräfte immer wieder kurze Phasen der Balance erreichen. Das ist wichtig, denn beide „Fraktionen“ bauen auf Widersprüche: Die Fortschrittlichen sagen „Gesellschaft ist, was sie nicht ist“, bei den Konservativen lautet das „Die Gesellschaft ist, was sie ist“. Für beide gilt dennoch der Ausspruch Bernhard von Chartres: Wir sind Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres als diese sehen zu können.

Natürlich kann man auch ohne Geschichte und Tradition auskommen. Diesen „Sündenfall“ markiert schon der „Generationenvertrag“, der einen fiktiven Vertrag zwischen den Generationen annimmt, wo eigentlich eine von selbst verständliche familiäre Solidarität und Zugehörigkeit sein sollte. Verträge ersetzen keine Selbstbeschreibung und gefühlte Solidarität. Repräsentation scheint zwar in einer immer komplexer werdenden und ausdifferenzierten Umwelt nahezu unmöglich. Aber der Primat der Funktionen (Wie-Ebene) lebt immer noch von Voraussetzungen, die er kaum mehr selbst reproduziert und aktuell freimütig preisgibt.

Der territoriale Flächenstaat hatte es trotz aller Widersprüche geschafft, die Unterschiede zu vereinen und Solidarität herzustellen. Solidarität meint Hingabe des Einzelnen für die Gemeinschaft, Verbundenheit – und sei es in Form der Steuerzahlung. Solidarität gibt es nicht ohne Patriotismus und Matriatismus. Also ohne Vertrauen, Geborgenheit, Liebe, Verstehen, Traditionen und Gesetze. All dies kann nicht ohne Grenzen existieren. Man kann die Welt nur als Einheit lieben, wenn man außer ihr ist, beispielsweise als Astronaut, und andere Einheiten, beispielsweise den Mond, dazu vergleicht. Ähnliches gilt für die „Menschheit“, die sich nur für einen Beobachter erschließt, der selbst außerhalb der Menschheit steht. Da dies nicht möglich ist, entscheiden individuelle und gemeinschaftliche Vorlieben.

So ist für mich schon die kritische Fragestellung irritierend: Was findest Du eigentlich toll an Deutschland? Hier ist die unhinterfragte Liebe zur Heimat, auch zur erweiterten des Staats/Landes,  der „kalten“ Reflektion gewichen. Der (globale) Markt ist die Stelle, die alle Eigenschaften bewertet und damit vergleicht. Die Liebe enthebt ihr Objekt dem Vergleich. Sie hierarchisiert es – Hierarchie=heilige Ordnung – und macht es damit unvergleichlich. Insofern fällt es mir als bekennend Liebender schwer, mir meine Liebe wie ein Objekt vor mich hinzustellen. Ich bin ein Kind Deutschlands, wie soll ich meinen Ursprung erkennen?

Deutschland ist für mich Mutter- und Vaterland. Das Land, das meine Vorfahren und ihr Leben speichert, als Staub und Erde des Landes und in seiner Geschichte. Die Generationen, die sich hielten und umfassten, zusammenstanden und sich aufeinander verlassen konnten, die dieselbe Sprache hatten und daher wortlos verstanden – in guten wie in schlechten Zeiten. Meine Mutter stammte aus Brandenburg, mein Vater aus Hessen, meine Verwandtschaft lebt in ganz Deutschland, meine Freundin kommt aus Sachsen, mein Kind ist in München geboren, wo auch ich lebe. Deutschland ist der Ort von sicher weit über 95% aller meiner Erfahrungen und Erinnerungen – aus Urlauben, Kontakten, Besuchen, Erlebnissen, Schule, Studium, Beruf. Deutschland, das sind Millionen von Bildern, die mich beeindruckten, Sonnenuntergänge, Morgengrauen, schlaflose Nächte, Kindheit, Jugend und immer wieder Freunde, Freunde, Freunde, deren Heimat Deutschland ist. Ich bin Deutschland dankbar. Wie auch den Deutschen. Meinen Ahnen. Und natürlich meinen Eltern – ohne die (auch den anderen Faktoren) ich nicht wäre. Daher bin ich Matriot und Patriot.

68, männlich, Norddeutschland

Für mich sind gute Gedanken universal, sie setzen keinen Staub an, gelten für alle Zeiten und sind die natürlichen Widersacher der Weltklugheit, der praktischen Lüge und der Vorteilsnahme im täglichen Leben!

Als ich ein Kind war und mit meinen Eltern noch in ärmlichen Verhältnissen lebte, bekam ich zu Weihnachten einen bescheidenen Band der Grimms Märchen geschenkt. Es war die Zeit nach dem Krieg und das Buch war auf einer Art ärmlichen, dünnen Notpapier gedruckt! Die Abbildungen jedenfalls machten damals einen ungeheuren Eindruck auf mein kindliches Gemüt! Es waren Illustrationen aus der Zeit der Romantik und stammten von Ludwig Richter, einem Dresdener Maler und Graphiker. Er schilderte mit seinen Eremiten in romantischen Felshöhlen, anmutigen Engeln, dörflichen Szenen in Haus und Hof, Eichenhainen und spielenden Kindern, das was ich bis heute als typisch deutsch bezeichnen würde! Etwas später fand ich beim Spielen noch einen weggeworfenen Kunstband aus der Hitlerzeit, welcher neben einem Ascheimer lag. Abgebildet waren in diesem Buch unter anderen der grübelnde Engel von Albrecht Dürer, welcher als Melencholia bekannt ist, und eine Graphik aus der Totentanzserie von Alfred Rethel, auf welcher Musiker mit ihren Instrumenten in den Händen panikartig vor dem Mann mit der Sense flohen!

Diese beiden Graphiken und die Holzschnitte von Ludwig Richter sind für mich jedenfalls eine treffende Erklärung geblieben was typisch deutsch ist! Dabei schlägt Alfred Rethel für mich mit seinen Musikern, die sich ein Tuch vor der drohenden Unbill vor den Mund halten, eine Brücke zur heutigen Zeit! Es ist der ewige Hedonismus der Deutschen, den es stets dorthin verschlägt, wo die Musik spielt und andere Menschen, die nicht mitmachen, damit im Regen stehen läßt! Dieses Spiel geht natürlich nur solange gut, bis die aufgelaufenden Widersprüche sich so hoch aufgetürmt haben, dass auch die spitzfindigsten Ausreden nicht mehr greifen! So etwas kann bis zur Selbstzerstörung gehen!

Ich persönlich jedenfalls freue mich bis heute über die schönen, romantischen Graphiken von L. Richter, weil sie ein wichtiger Teil meiner deutschen Lebensgeschichte waren! Es ist mir aber schon klar, dass diese heutigen Heerscharen von linken Durchblickern, Gesellschaftsingeneuren und linken Soziologen diese Kunstblätter nur für eine rührselige Durchgangsstation auf dem Weg in ihre One World Utopie halten! Mir jedenfalls war meine Familie und mein tägliches Umfeld immer wichtiger gewesen als eine schwadronierende, kosmopolitische Attitüde, die ihre Nachbarn zu Versuchkaninchen einer neuen globalen Welt machen will, die gewachsene Kulturen mehr oder weniger auslöschen wird! So gesehen bedeutetet mein positives Deutschsein. das zu schätzen und zu schützen, was uns so reich beschenkt hatte! Zu unserem Lebenskreis gehören natürlicherweise auch unsere Nachbarn, aber wir sollten auch darauf achten, uns nicht selbst aufzugeben, nur weil es eine Minderheit im Staat gibt, welche die Fäden in den Händen hält und mit den Menschen macht, was sie will!

P. S. Im Übrigen ist die Idee des Staates und seiner Kultur zur beliebigen rotgrünen Knetmasse für Interessierte aus aller Welt eine Perversion, welche die Leistungen der Zivilisationen auf den Mülleimer der Geschichte kippt! Lasst tausend Blumen blühen!

62, männlich, Plauen

Ich wuchs auf in einer von Bomben total zerstörten Stadt des Vogtlands – zusammen mit meiner kleinen Schwester bei der Urgroßmutter. Die Kinder hatte ihr der Krieg genommen und ihre Enkelin (meine Mutter) hatte sich um ein Zusatzeinkommen als Näherin zu sorgen. Ein mieser Full-time-Job! Denn die Rente meiner “Oma” von 49 Mark monatlich reichte – nach Abzug der Miete (17 Mark für 2 Zimmer), Gasmünzen, Strom, Wasser und Brennstoff für den Küchenherd – selten aus. Trotzdem kann ich mich nicht erinnern, dass wir Kinder jemals frieren oder hungern mussten. Wie sie – die “Oma”, die Witwe, die Mutter getöteter Kinder – das geschafft hat, ist mir heute noch ein Rätsel.

Freiheit? Als Kinder waren wir frei. Vielleicht notgedrungen, vielleicht erlaubt. Zumindest standen wir nicht unter der permanenten Aufsicht irgendwelcher “Erzieher”.

“Typisch Deutsch” bedeutet für mich deshalb eines: Durchhalten – egal wie’s kommt – das Beste draus machen und versuchen “Mensch” zu bleiben.

50, männlich,Rheinland

Ernsthaftigkeit, Arbeitsfreude, Weltoffenheit, Geduld, Tradition, Bildung, Engagement.

71, weiblich, Rheinland-Pfalz

Deutsch-sein, eine Momentaufnahme: „Wenn Deutsche eine Revolution auf dem Bahnhof vorhaben, kaufen sie sich vorher noch eine Bahnsteigkarte“ (dieses Zitat wird Lenin zugeschrieben). Im Moment hat er, meiner Meinung nach, damit vollkommen recht, wenn er so einen Auschnitt unseres Deutsch-seins charakterisiert.

Es geschehen weltbewegende Veränderungen in unserem Land und ich frage Menschen in meiner Umgebung: „Sollten wir nicht mal auf den Bahnhof gehen und unsere Meinung, wenigstens unsere Meinung, kundtun“ und ich bekomme zur Antwort: „Ich habe keine Bahnsteigkarte!“ oder „Hast du überhaupt eine Bahnsteigkarte?“ oder „Gibt es überhaupt noch Bahnsteigkarten?“ oder „Lass mal die machen, die eine Bahnsteigkarte haben!“ oder, oder, oder ….  Das ist typisch Deutsch und es ist, wie gesagt, eine Momentaufnahme.

Mit oder ohne Bahnsteigkarte, ich fühle mich z.Zt. auf dem Bahnhof sehr einsam und das macht mir Angst.

Fortsetzung – Seite 2

69, männlich, vom Rheinland nach Bayern

Deutsch sein, das bedeutet für mich: Ich bewege mich heute in diesem endlosen Strom von Menschen, die einst in den lichten Wäldern Germaniens von den Römern die Kultur der Antike angenommen haben, deren späte Ausprägung das Christentum war. So entstand eine Kultur, die durch ein straff organisiertes Staatswesen und unvergängliche Schöpfungen der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik einen Volkscharakter geschaffen hat, der eben unverwechselbar ist.

Unsere ganze Art zu leben, das innige Empfinden des zutiefst Menschlichen, wie es im schönsten aller Weihnachtslieder „Stille Nacht“ sich widerspiegelt, die Disziplin des Alltages, wie sie in der selbstverständlichen Befolgung von Regeln zum Ausdruck kommt, das berechtigte Vertrauen in eine sachlich kompetente und unbestechliche Verwaltung und Justiz, unsere Umgangsformen, unsere Feste, unsere Küche, unsere Vergnügungen, unsere Liberalität wie auch unser Bestehen auf Recht und Ordnung, alles das ist eben deutsch. Ich denke auch, daß dies für die allermeisten Deutschen auch so ist. Auf die anderen, die man vorwiegend in Politik, Medien und unter den sogenannten Kulturschaffenden findet, könnte ich leichten Herzens verzichten.

65, männlich, Weimar

Alle großen und erfolgreichen  Nationen wurden auch von Einwanderern geprägt. Jetzt ist Deutschland das „gelobte Kand“ – darauf dürfen wir stolz sein.

Unser Land wird sich ändern, das hat es immer getan, aber wir dürfen uns nicht anpassen, sonst können wir denen, die Hilfe brauchen, bald nicht mehr helfen.

53, männlich, Bayern

So richtig ist mir das „Deutsch sein“ in der Zeit während und nach der Wiedervereinigung bewusst geworden. Nach dem Mauerfall konnte man als sogenannter Westdeutscher ungehindert nach Mitteldeutschland reisen und „Terra incognita“ hautnah erleben. Es zieht mich jedes Jahr von Bayern aus in diese Gebiete. Die Insel Rügen, mit ihren langen dunkel verträumten Alleen, dazu die Kreidefelsen, von Caspar David Friedrich als Bild verbreitet, endlose Sandstrände und Seebäder im kaiserlichen Stil ohne Massentourismus. Entschleunigung pur für Seele und Auge.

Das klassizistische Weimar mit den Wohnungen von Goethe, Schiller und Nietzsche, als Kontrast dazu Bauhaus und Graf Kessler. Das Wirken der liberalen Fürsten von Thüringen wirkte sich positiv auf die Stadt aus. Für das was danach auf dem Ettersberg geschah, konnten sie nichts und hätten es sich auch nicht vorstellen können und wollen. In Potsdam die wundervollen Parkanlagen und Schlösser der preußischen Könige. Hitler war übrigens nie in Sanssouci, da scheute wohl der Teufel das Weihwasser.

Auf der Buchmesse in Leipzig unsere Literatur mit allen Verlagen des Landes. Jünger und Brecht, Tucholsky und Benn, Popper und Marx einträchtig und erlaubt nebeneinander stehend. Nicht zu vergessen die Hauptstadt Berlin mit der Kapuziner-Gruft der Preußen im Dom, das offene Brandenburger Tor, vom Kudamm bis zu den Linden ohne Mauer frei spazieren, der renovierte Gendarmenmarkt wie von Menzel gemalt, die Bauten von Schinkel, welch ein Kontrast zu Honeckers Platte, das malerische Gedächtnis der Nation in den Galerien auf der Museumsinsel und zum Schluss der symbolisch wichtige Wiederaufbau des Berliner Stadtschloss, der Sieg des demokratischen Bürgertums über Krieg und den rot-braunen Sozialismus.

Warum sollte uns nicht auch gelingen, was den Bürgern Polens in Warschau und Danzig gelungen ist? Es wäre noch viel hinzuzufügen, allein der Platz reicht nicht aus, um die Teile Deutschlands zu beschreiben, die jetzt wieder, zu den nicht weniger schönen und kulturell bedeutenden Teilen der ehemaligen Bundesrepublik auf friedlichen Wege hinzugefügt wurden. Danken wir dem Schicksal, dass es so gekommen ist und hören wir auf,  mental Bürger der BRD und DDR zu sein, sondern begreifen wir uns als Deutsche, die jetzt in einer Nation leben und deren Zukunft gemeinsam gestalten müssen.

Europa wird uns nicht in der Not beistehen und auch nicht für unsere Renten und Sozialleistungen aufkommen. Deutsch sein ist mehr und etwas anderes als das, was der braune Mann aus Braunau und seine Satrapen aus dem Land einmal machen wollten. Besinnen wir uns auf das Positive unserer Herkunft und mehren das Gute, zu dem wir auch fähig waren, sind und sein werden. Es gibt noch viel zu tun und entdecken zwischen Flensburg, Oberstdorf, Aachen und Görlitz.

71, weiblich, Hochtaunuskreis

Nach 55 Jahren Erwerbs- und Familienarbeit bin ich unendlich froh, dass ich meine Lebenszeit in Deutschland verbringen konnte. Ich schätze die Tatsache, dass alle Dinge des täglichen Bedarfs jederzeit zur Verfügung standen, dass meine Kinder und Enkelkinder gute Bildungsmöglichkeiten hatten und haben, dass Behördengänge nie unerfreulich waren, egal ob es sich um Ausweispapiere oder Kfz.-An- und Abmeldungen handelte oder beim Amtsgericht, wenn Grundbuchangelegenheiten zu erledigen waren.

Dies gilt übrigens auch für das hiesige Finanzamt. Es klappt alles fabelhaft und wir müssen jetzt höllisch aufpassen, dass es so bleibt. Ich habe nie gefragt, was mein Land für mich tun soll, ich habe immer darauf geachtet, dass ich selbstverständlich meine Angelegenheiten selbst regele und meine Bedürfnisse selbst bezahle. Darum machen mir die vielen Leute Sorgen, die jetzt Teilhabe an dem von mir mit erwirtschafteten Wohlstand haben möchten.

62, männlich, Bochum

Was bedeutet für mich Deutsch? Rechtstreu, zuverlässig, sich an Regeln haltend, nachdenklich, unaufgeregt, Vereinsmitglied, gesellig, tolerant.

Mir persönlich geht Musik aus deutscher Feder extrem unter die Haut: Wagner, Bruckner, Mahler, Strauss, Brahms. Diese Musik ist für mich erregend und berührend. Eine Musik, die offensichtlich eine “deutsche Seele” bei mir offenbart.

Ich würde mich als „bekennenden“ Deutschen bezeichnen. Stolz aber sehr tolerant. Stolz, weil ich 62 Jahre mit zum Aufbau dieses Landes beigetragen habe. Tolerant, weil ich andere Menschen so akzeptiere, wie sie sind. Dabei ist es mir völlig egal, woher sie kommen, woran sie glauben, wie sie aussehen. Ich bin tolereant zu denjenigen, die auch mich tolerieren. Ich kenne keinen Hass, wohl aber Sympathie und Antipathie.

Ich habe mich lange Jahre mit der Zeit von 33-45 beschäftigt und mich schuldig gefühlt, obwohl ich zu der Zeit noch gar nicht geboren war. Nach wie vor bin ich über die 12 Jahre erschüttert. Dennoch verweise ich dann auch darauf, dass es Deutsche Geschichte über 1.000 Jahre gibt und dass es, wenn man den Verlauf betrachtet, eigentlich unverständlich ist, dass ein kulturell hochstehendes Land dermaßen in die Barberei verfallen konnte. Ich bin stolz darauf, wenn ein Mensch aus Deutschland für die Welt etwas Gutes geschaffen oder auch erschaffen hat. Es ist so, als ob ich das als Ausgleich für die Nazi-Zeit empfinde. Ich bin dann spontan gerührt ohne es eigentlich sein zu wollen.

Wir können mit Recht stolz darauf sein, was wir in der Nachkriegszeit aufgebaut haben. Eine Gesellschaft, die aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und eine Demokratie aufgebaut hat, die ihresgleichen in der Welt sucht!

Ich beklage das Fehlen eines Nationalbewusstseins, da ich glaube, dass nur jemand, der sich zu seinem Land zu seiner Gesellschaft bekennt, auch eine gute Ausstrahlung auf andere und Zuwanderer hat.

34, weiblich, bei Ingolstadt

Es ist nicht so einfach, zu benennen, was denn typisch deutsch sei. Ich sehe mich deutsch und müsste mich in diesem Fall selbst beschreiben. Wenn es tatsächlich einen bayerischen Unterschied gibt, dann wird dieser nun meine deutsche Beschreibung verfälschen :-).

Da mein Aufwachsen mich zu dem gemacht hat, was ich bin, führt dies zu meinem Deutschsein. Gut behütet im Nest mit Geschwistern, die ersten Erinnerungen beginnen mit dem Kindergarten und meinem ersten Kindergartenfräulein. Wir sangen Lieder, bereiteten uns auf Bräuche im Jahresablauf vor, liebten die vorgelesenen Märchen und Geschichten von Ottfried Preussler und wurden irgendwann in der Vorschule auf die heiß ersehnte Grundschule vorbereitet.

Dort lernen wir neben Lesen, Schreiben, Rechnen, Heimat- und Sachkunde, Handarbeit und Werken auch den Einstieg in die Kunst durch eigene „naive Malerei“ und dem Singen von deutschen Volksliedern. Nein, das wurde als Kind nicht als Kulturgut geschätzt, aber wenn ich heutzutage Lieder wie „Kein schöner Land“ oder „Der Mond ist aufgegangen“ höre, wird mir ganz wohlig.

Im weiteren Schulverlauf kamen auch noch unglaublich lange auswendig zu lernende Balladen und Fremdsprachen hinzu, durch die man die eigene Sprache besser begreifen lernt. Die Kunst steigerte sich durch alle Epochen, wir mussten einen gotischen Dom zeichnen und Dürers Hasen malen. Auch die klassische Musik wurde gestreift und ich begann mich zu fragen, warum denn die Karten für Wagners Festspiele so begehrt seien, war doch in meiner Familie das im Fernsehen übertragene Neujahrskonzert mit fröhlichen Walzerklängen Pflichtprogramm.

Der Schulsport war Spaß und Anstrengung zugleich, mit der Familie wurde in den Bergen und im Wald gewandert. Meine erste Ferienarbeit werde ich nie vergessen. Gut bezahlte, ewig lange Wochen bei Audi am Band. Das Jammern nach dem ersten Arbeitstag wurde von meinen Eltern mit einem „Stell dich nicht so an“ quittiert. Meine Eltern, Onkeln und Tanten haben den 2. Weltkrieg noch als Kinder erlebt oder sind in der frühen Nachkriegszeit geboren. Auch dieses Umfeld wird wohl geprägt haben, denn ich musste mir als klagendes Kind des Öfteren den Verweis auf den Krieg anhören und dass damals alle mit sehr wenig zufrieden waren.

Mir kam das damals unendlich weit weg vor, ich konnte es nicht begreifen und es war auch nicht interessant. Aber umso älter sich werde, umso näher geht mir das Kriegsschicksal und ich bekomme ein ungutes Gefühl bei heutigen deutschen Kriegseinsätzen. Vor kurzem auf der Feier zum 80. Geburtstag meines Vaters kam das Gespräch auf die Weihnachtszeit im Krieg. Das Christkind brachte eine Puppe, die schon jedes Geschwisterkind durchlaufen hat. Zwei Tage nach Weihnachten ist das Christkind nochmal gekommen und hat die Puppe wieder mitgenommen. Es kam die Frage auf, warum sich niemand von diesen damaligen Kindern arm gefühlt habe.

Diese Menschen leben noch und dürfen sich jetzt anhören, dass es ein ungerechter Zufall sei, dass wir Deutschen in diesem reichen Land geboren wurden, und ja, ich bin mir bewusst, dass ich behütet im Wohlstand aufgewachsen bin, was ich meinen Eltern und Großeltern anrechne. Es ist für mich unverhandelbar, dass ich mir für meine Kinder eine ähnliche Sozialisation wünsche, die wie noch vor 25 Jahren an einer normalen Dorfschule begann und nicht nur an Privatschulen möglich ist.

Auf Reisen war ich schon auf allen Kontinenten und, gerade nach spontanen Rucksackreisen habe ich mich auf die Heimat und einen geregelten Tagesablauf gefreut. Ich bezweifle, dass man durch das Lesen des Grundgesetzes Deutschland begreifen lernt. Ich könnte noch ewig weiterschreiben, ende aber hier, da ich noch etwas von zu Hause aus für die Arbeit erledigen muss (typisch deutsch?!) :-). Bitte verzeihen Sie mir Tipp- und Ausdrucksfehler, die der Eile geschuldet sind.

26, männlich, Herdecke

Die Deutschen macht i.d.R. das aus, was man als die „preußischen“ Sekundärtugenden bezeichnet: Aufrichtigkeit – Bescheidenheit – Ehrlichkeit – Fleiß – Geradlinigkeit – Gerechtigkeitssinn – Gewissenhaftigkeit – Ordnungssinn – Pflichtbewusstsein – Pünktlichkeit – Redlichkeit – Sauberkeit – Sparsamkeit – Unbestechlichkeit – Zurückhaltung („Mehr sein als scheinen!“)  – Zielstrebigkeit

Man kann sicherlich sagen, dass diese Tugenden nicht von allen Deutschen praktiziert werden. Sie werden aber von der Mehrheit der Deutschen als erstrebenswert bezeichnet und der Großteil der Deutschen versucht – bewusst oder unbewusst – danach zu leben.

Zudem bestehen diese Tugenden schon über einen geraumen Zeitraum. Schon Tacitus schrieb über die Deutschen: „Kein Volk auf der Welt kann an Tapferkeit und Treue die Germanen übertreffen!“. Im Mittelalter galten Werte wie triuwe (Loyalität), milte (Gebefreudigkeit), list (Klugheit), maze (Maßhaltenkönnen), stete (Beständigkeit) und tugent (Tugendhaftigkeit) als ertrebenswert.

33, weiblich, Vogtland

Zunächst einmal bin ich Vogtländerin. Ich verbinde damit die wellige, hügelige Landschaft, die Wälder, die kleinräumigen Felder und Fluren, den Dialekt, den Menschenschlag, das Störrische und Zänkische, das Zamhalten, in meinen Nachbarn und mir selbst. Wieviel mir daran liegt, habe ich erst entdeckt, als ich für Ausbildung und Studium eine Weile wegzog – selbst wenn es nicht weit war – Richtung Altenburg, Freiberg, Dresden. Nach dem Studium war ich ein paar Monate in Australien -ausdrücklich mit der Option dazubleiben. Aber ich habe mich dagegenentschieden. Nach ein paar Monaten war die Sehnsucht nach Zuhause zu groß, das Neue hatte seinen Reiz verloren, keine Familie da…

Ich fand einen Weg, hier im Vogtland zu bleiben – beruflich bedeutet das, dass mir einiges an Einkommen entgeht – aber die fehlende ökonomische Sicherheit macht das Vertraute in Menschen und Landschaft wett. Meine Familie ist hier seit Generationen ansässig, auch wenn immer mal jemand von außerhalb eingeheiratet hat. Wir haben hier eben Wurzeln…

Auf dem Weg nach Australien hatte ich ein Stopover von zwei Tagen in Dubai – in einem westlichen, städtischen Teil der arabischen Welt. Trotzdem war der Kontrast zu Australien – Europa – Deutschland – Vogtland extrem. Man definiert sich wahrscheinlich hauptsächlich durch Abgrenzung zu anderen.

Deutsch-sein ist Idealismus in seinen Extremen, sich einer einmal erkannten Wahrheit ganz zu verschreiben und für sie streiten…. bis zum bitteren Ende.

Eine interessantes Beispiel für typisch deutsches Verhalten gab mir übrigens mal ein australischer Automechaniker: „German girls take there boobs out.“ Das mag eine etwas plumpe Anmache sein, aber wir sind am Strand wahrscheinlich wirklich freizügiger als Briten, Australier, Amerikaner, Südeuropäer…

65, männlich, Waiblingen

Deutsch ist neben vielem anderen die Region, aus welcher man kommt, die dazugehörende Landschaft, die Sozialisierung, die Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit usw. sowie das regionale Brauchtum –  vor allem die deutsche Sprache.

Die Sprache ist letztlich der Ausdruck des Denkens und in jeder Nation ein hohes Gut. Sie sollte sorgsam gehütet und nicht jeder Modeerscheinung oder Ideologie anheimgestellt werden. Die Sprache ist wortgewaltig und differenziert. Sie benötigt die Ausgewogenheit der Begrifflichkeit. Es ist die Sprache von Hölderlin, Kant, Goethe und Schiller und auch die Sprache von Heine, Hegel und Marx und nicht zu vergessen dieser unsägliche Postkartenmaler.

Selbstverständlich unterliegt auch die Sprache den Einflüssen aus der Industrialisierung und dem medialen Gebrauch. Es kommen dann Wortbildungen hinzu und einige Begriffe verschwinden wieder. Oft werden dazu Begriffe in „Denglisch“ kreiert und finden Eingang in die Umgangssprache wie zum Beispiel „Handy“ oder „Liken“.

Während bis in die 30iger Jahre noch Deutsch als Wissenschaftssprache selbst an den Universitäten in den Vereinigten Staaten gesprochen wurde, wurde diese Sprache, wie in Victor Klemperers Buch „LTI – Lingua Tertii Imperii“ beschrieben, ideologiekonform angepasst und erreichte einen bis dahin nie dagewesenen Tiefpunkt.

Nachdem ich bis 1985 in Dresden (bezeichnender Weise wurde dieses Buch in der DDR über Jahrzehnte nicht verlegt) gelebt habe und auch dort der damalige Sprachgebrauch wesentlich von der Ideologie geprägt war, habe ich heute Befürchtungen, dass es wieder einmal zu Extremen in der Sprache und damit zur Polarisierung des Bürgers kommt. Eine Begriffsdefinition und damit eine Differenzierung findet nicht mehr statt. Als Beispiel kann hier die Einteilung in „Dunkel und Hell“ und die Benennung als „Pack“ gesehen werden.
Hinzu kommen die von keiner von keiner Bundesverwaltung legitimierten „Genderismen“, die in Schulbücher oder sonstigen Veröffentlichungen eingehen.

Dabei kann ich mich noch nicht entscheiden, ob diese „Genderismen“ oder Sprüche wie „We Love Volkstod“ und „Deutschland du mieses Stück Scheiße“ und ob die „Bunten“ – in einheitlichen „Schwarz“ Gekleideten, mit Politikern und Gewerkschaftern in der zweiten Reihe, die Vorboten des Vierten oder des Fünften Reichs und deren Sprache darstellen.

Also ist für mich die Sprache, ob poetisch, melancholisch oder wissenschaftlich und in ihrer differenzierenden Ausdrucksweise das einigende Deutsche. Auch eine „maasvolle“ Polarisierung schließt die Differenzierung aus.

Fortsetzung – Seite 3

60, weiblich, Rheinland-Pfalz

Ich erinnere mich gerne an Gesangsvereinsausflüge im Bus mit meinen Eltern in den Wald, wo bei der Rast sämtliche Strophen deutscher Wander-, Jäger- oder Heimatlieder auswendig geträllert wurden und wir Kinder spätestens mit 10 Jahren mithalten konnten.

Die Lieder vom Sonntagsgottesdienst oder aus der „Mundorgel“ etc. waren den meisten vertraut. Und wenn mal ein Elternhaus halt nur sub-optimal war, so bekamen viele Jugendliche doch wenigstens über Lieder und Jugendbewegung eine gewisse Moral und ein Bild eines lebensbejahenden, anständigen, freien Menschen in Aufbruchstimmung vermittelt. (Unter anderem wenn man sang: ‚Es, Es, es und es, es ist ein harter Schluss  … Ich sags ihr grad frei ins Gesicht, ihr Speck und Kraut, das schmeckt mir nicht. Ich will mein Glück probieren, marschieren.‘ Oder: ‚Freut euch des Lebens, weil noch das Lämpchen glüht …‘)

Das typische Deutschsein wird durch die Sprache, die Redewendungen, die Sprüche ins Poesiealbum, bzw. durch die Lieder mitgestaltet. Wenn letzteres wegfällt, fällt ein Stück Deutsch-sein weg. Hoffentlich werden wir im Laufe des Globalisierungsprozesses nicht alle zur modernen, urbanen Einheitskonsumentengesellschaft.

31, männlich, Leonberg

Mit dem Deutschsein ist es so eine Sache. Irgendwie kann man stolz drauf sein. Schließlich haben wir Geistesgrößen wie Bach, Beethoven, Kant, Hegel, Heisenberg, Einstein und viele andere mehr hervorgebracht. Wir haben das Auto erfunden. Und den Röntgenapparat. Und einen der ersten Computer gebaut. Vielleicht ist es auch der erste gewesen, aber wir wollen mal nicht kleinlich sein. Die anderen dürfen ruhig auch mal was erfinden.

Wir lieben es, Pläne zu machen. Darin sind wir ziemlich gut. Zeichnen, konstruieren, komponieren – das können wir. Handwerkskunst am toten Objekt könnte man auch sagen. Mit lebenden Subjekten tun wir uns ein bisschen schwerer. Die sind unberechenbarer, das mögen wir nicht so. Alles soll seine Ordnung haben, bloß keine Überraschung. Ausnahme sind Weihnachten und Geburtstage. Da darf es Überraschungen geben. In angemessenem Rahmen natürlich. Außerhalb dieser Feste sollte man Überraschungen am besten vorher ankündigen – wenn’s geht schriftlich.

Wir lieben es, Dinge zu ordnen, zu katalogisieren und zu kategorisieren. Atomkraft, beispielsweise, lehnen wir kategorisch ab. Es ist daher wenig verwunderlich, dass der kategorische Imperativ von einem Deutschen erfunden wurde. Ordnung schaffen und darauf folgend anderen sagen, was sie gefälligst zu tun und zu lassen hätten – das mögen wir. Wenn die anderen unserem weisen Ratschluss nicht folgen, empören wir uns. Das können wir seit ’68 auch ziemlich gut.

Wir haben zwei Weltkriege verloren. Darüber reden wir nicht gern, über die Kriege. Über den ersten nur dann, wenn man nicht drum herum kommt, weil’s sich mal wieder jährt. Über den zweiten reden wir gar nicht, weil wir während diesem getan haben, was viel schlimmer war: Wir haben Millionen Menschen vergast, einfach weil sie uns nicht in den Kram passten. Wobei – „wir“ sagt man heutzutage nicht. Das waren damals die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Und von den Nazis distanzieren wir uns schließlich. Die haben mit uns nichts, aber auch gar nichts, zu tun.

Dafür sind wir ’54 Fußballweltmeister geworden. (Das waren dann keine Nazis, sondern eindeutig „wir“. Die Nazis haben sich 1948  alle in Luft aufgelöst.) 20 Jahre später sind wir nochmals Weltmeister geworden. ’90 und 2014 auch. Da sind wir mächtig stolz drauf. Und da wir sonst kaum Anlass haben, unsere Flaggen, Fahnen und Wimpel hervorzukramen, machen wir das beim Fußball. Sport ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln.

Aber wir können auch friedlich. Immerhin ist uns eine Wiedervereinigung gelungen, ohne dass es deswegen einen Krieg geben musste. Die DDR (und die UdSSR) waren einfach pleite und konnten faktisch nicht anders, als der Einheit zuzustimmen. In Europa versuchen wir gerade das gleiche Prinzip durchzusetzen. Aber die Länder, die wir (beinahe?) pleite gehen lassen, wollen überraschenderweise von Europa nichts mehr wissen! Da sind sie wieder, die unberechenbaren Subjekte.

Deswegen wollen wir die Vorratsdatenspeicherung einführen. Irgendwie muss diesen per se chaotischen Individuen doch beizukommen sein!

62, weiblich, bei Hannover

Zuerst: Nachdenken mit einer Portion Unsicherheit, weil es die Frage der Identität betrifft. Dieses Zögern wäre vor zwanzig Jahren nicht vorstellbar gewesen, während ich jetzt überlege und aufschreibe, was Deutschsein für mich bedeutet. Ich wähle dafür in absichtsloser Reihenfolge einige Stichpunkte und Bilder aus:

  • Das Eingebunden-Sein in eine Familiengeschichte, die etwas vom Pioniergeist der Vorfahren als Siedler in Pommern und Ostpreußen, aber auch von Auswanderung nach Amerika zu erzählen weiß, aber den Verlust der Heimat im 2. Weltkrieg bei keinem Geburtstag oder sonstigen Familientreffen vergessen konnte
  • Die Kindheit in einem Elternhaus, das von Neuanfang und Zurechtfinden- durchzogen von Wehmut und Verlust- aber wenig von unbeschwerter Fröhlichkeit  geprägt war
  • Autorität in der Erziehung
  • Grimm´sche Märchen und deutsche Sagen in der Kindheit
  • Die Vermittlung von tradierten Werten wie Ordnung, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Fleiß, Pflichtgefühl, Bescheidenheit als Tugenden, damit man im Leben was erreichen kann
  • Das Verinnerlichen der genannten Werte als Kompass für das eigene Handeln
  • Das Interesse und die Last der jüngeren Vergangenheit
  • Stolz auf Geschichte, Kultur und Tradition
  • Leben in einem Rechtsstaat, Meinungs-und Redefreiheit
  • Die Landschaft, die Wälder
  • Die Bilder von den Trümmerfrauen
  • Leiden an der Teilung des Landes
  • Die Freude an der deutsche Sprache, an ihrer Vielfältigkeit und Ausdrucksstärke
  • Der Sprung von Peter Fechter
  • Die Freude und das Heimatgefühl nach der Rückkehr aus dem Ausland

61, männlich, Niederhein

Im alten Kreis Moers geboren, Hans Dieter Hüsch ist bei mir um die Ecke groß geworden, habe ich natürlich eine besondere soziale Prägung mitbekommen. Niederrheiner, Ruhrgebiet, holländische Grenze und Verwandte. Eine erfrischende weltoffene Mischung.
Dazu Reisen in ca. 50 Länder der Welt mit wenig Geld. Ich bin als junger Weltbürger in die Welt gezogen und als Deutscher zurückgekommen. Nun nach 61 Lebensjahren und vielen Jahren Alltag in Asien fühle ich mich unter Deutschen nicht so recht wohl, habe aber mit den Einheimischen vor Ort in Asien auch so meine Probleme.

Bildung und Weltoffenheit spielen eine viel größere Rolle als die Herkunft oder der Pass.
Viel entscheidender als die Herkunft ist das Verhalten. Keine Gewalt, keine Unterdrückung anderer, gefährliches Verhalten minimieren. Freiheit, solange sie nicht zur Unterdrückung anderer führt, ist richtig und unabdingbar.

Ordnung und Prinzipientreue, das schafft Vertrauen und Berechenbarkeit sowie Akzeptanz bei seinen Mitmenschen. Verantwortung für das eigene Verhalten zu übernehmen, ein Ehrbegriff in diesem Sinne. Ein Wort geben und dazu stehen. Nicht auf Kosten anderer leben. Seinen eigenen Beitrag leisten. Durchhalten und nicht aufgeben.
Das halte ich für deutsche Tugenden, auch wenn sie nicht von allen Deutschen gelebt werden.

38, männlich, Oberösterreich

Deutsch-sein, das ist wohl auch für den Österreicher ein relevantes Thema. Im europäischen Kontext erfüllt ja auch er die „typisch deutschen“ Tugenden (Fleiß, Genauigkeit etc.) – nur ein bisschen schlampiger, listiger. Historisch betrachtet gehen die Gemeinsamkeiten jedoch in hohem Grade tiefer. Mit dem Österreich-Patriotismus des Austrofaschismus wurde erstmals das Trennende zwischen Deutschland und Österreich im politischen Diskurs klar in den Vordergrund gestellt, doch gute 1.300 Jahre war Österreich Teil und Machtfaktor des deutschen Herrschaftsbereichs. Ein kurzer Ausflug in die Geschichte zeigt, dass sich auch der Österreicher aus guten Gründen mit dem Deutsch-sein befassen kann/muss.

Seit dem 6 Jh. gehörten weite Teile des heutigen Staatsgebietes zum baierischen Stammesherzogtum und bis zum Ende des 10. Jh. wurde das Gebiet bis zur heutigen Ostgrenze bajuwarisch besiedelt. Ab 1156 existierte das von Baiern unabhängige Herzogtum innerhalb des Römischen Reiches. Letzteres regierten die Habsburger als römisch-deutsche Kaiser bis zum Untergang 1806. Österreich blieb aber auch nach Napoleons Niederlage die wichtigste Macht im Deutschen Bund. Erst mit Bismarcks kleindeutscher Lösung von 1871 war Österreich dann draußen. Der Rest ist allgemein bekannt.

Letztendlich hat wohl die perverse Definition von Deutsch-sein (eines Österreichers!) nach 1945 dazu geführt, dass wir uns um eine österreichische Identität bemühen. Gemeinsame Geschichte, Sprache, Kultur und z. T. (bajuwarisch/alemannische) Abstammung machen das gar nicht so einfach möglich. Im Deutschunterricht am Gymnasium führt (zumindest bisher) kein Weg an Schiller und Goethe vorbei. Über die Staatszugehörigkeit Mozarts oder Beethovens gab es schon sinnlose Diskussionen. Ohne Ethnologie-Studium kann man eine oberösterreichische Trachtenmusikkapelle nicht von einer bayerischen unterscheiden, wohl aber von einer burgenländischen. Nur im Fußball, wo wir als Österreicher das ewige Nachsehen haben, wissen viele, dass mit dem SK Rapid Wien eine österreichische Mannschaft 1939 deutscher Pokalsieger und 1941 deutscher Meister geworden ist.

Trotz unserer Abkehr vom Deutsch-sein wird Österreich seit dem österreichischen EU-Beitritt stärker als je zuvor von Deutschland geprägt: Deutschland ist mit Abstand wichtigster Handelspartner, an Österreichs Universitäten lehren verstärkt deutsche Professoren deutsche Studenten, durch den Einfluss deutscher Fernsehsender geht das „Österreichische“ in der deutschen Sprache gerade jetzt verloren und so weiter.

Auch in der aktuellen Migrationskrise geht einzig Österreich bedingungslos den deutschen Sonderweg mit und wendet sich von den ehemaligen Kronländern der Habsburger Monarchie ab. Daher wird man, folgt man dem Ethnienkonzept, in Zukunft wohl nur noch einen Teil der Schweizer fragen können, was Deutsch-sein bedeutet.

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Über das Deutsch-sein lässt sich endlos theoretisieren. Doch theoretisch wollen wir es von Ihnen gar nicht wissen. Sondern was macht für Sie ganz praktisch Deutsch-sein aus? Wohin sollen sich denn Migranten integrieren? Ist es nur die Sprache und die Gesetze der Mülltrennung? Was sind deutsche Werte, was macht die Leitkultur dieses Landes aus? Die Forderung nach Integration ist schnell hingesagt, und schwer realisiert. Was ist Ihr Deutschlandbild?

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