Tichys Einblick
Bundesagentur für Arbeit

„Spirit Einwanderungsland“: Nahles wärmt die Willkommenskultur auf

Die Ex-Arbeitsministerin und jetzige Arbeitsagenturchefin Andrea Nahles wünscht sich mehr Zuwanderung, um offene Stellen in Deutschland zu besetzen. An die Arbeitslosen in ihrer Verantwortlichkeit denkt sie zuletzt. Und auch die deutschen Auswanderer sind ihr nur einen Nebensatz wert.

Andrea Nahles

IMAGO / Chris Emil Janßen
Andrea Nahles muss noch an ihrem Wording arbeiten. „Es kommen ja nicht Fachkräfte zu uns, sondern Menschen“, sagte die Ex-SPD-Chefin Andrea („Bätschi“) Nahles in ihrer aktuellen Funktion als Chefin der Bundesagentur für Arbeit dem Nachrichtenportal T-Online. Nähe man sie beim Wort, bedeutete das, dass es unter den 1,1 Millionen Menschen, die im letzten Jahr „nach Deutschland gekommen“ sind keine Fachkräfte gibt. „Eigentlich eine tolle Zahl“, meint Nahles. „Da könnten wir richtig stolz drauf sein. Dummerweise sind gleichzeitig 750.000 Leute wieder ausgewandert.“ Was Nahles hier meint, sind Ausländer, die einst nach Deutschland kamen und dem Land nun wieder den Rücken gekehrt haben.

Das ist sicher keine kleine Zahl, aber auch kein Problem. Deduziert man allerdings die rund 150.000 Asylbewerber des Jahres 2021, dann verbleiben noch etwa 250.000 Einwanderer, die auf vollständig legalem Weg nach Deutschland gekommen sind. Allerdings müsste man noch den Umfang der Familienzusammenführung von Asylbewerbern in Anschlag bringen, was diesen Wert weiter senken dürfte. Leider fehlen dazu offizielle Zahlen.

Die Ex-Politikerin zieht trotz dieser Bilanz einen ganz alten Hut hervor: die Willkommenskultur. So versteht sie jedenfalls die ARD-Tagesschau. Weil Menschen, nicht Fachkräfte nach Deutschland kommen, brauche man „auch die Bereitschaft, sie eben nicht nur als Fachkräfte zu sehen, sondern als Menschen willkommen zu heißen“, sagte Nahles wörtlich. Und das gilt sicher für eingeladene Gäste, die sich im Zuge ihrer Zuwanderung an unsere Regeln und Gesetze halten. Doch die Agenturchefin wünscht sich ganz allgemein den „Spirit Einwanderungsland“ für Deutschland.

Was Nahles völlig außer Acht lässt, sind die deutschen Aus- und Zuwanderer (also eher Zurückkehrer). Hier war der Saldo negativ: 183.650 zugezogenen Deutschen standen 247.829 Auswanderer gegenüber, was eine Nettoauswanderung von 64.179 Deutschen ergibt. Insgesamt kamen also deutlich weniger als 200.000 Fachkräfte ins Land, vielleicht nicht einmal 100.000.

Auch der gemütlichen Pfälzerin Andrea Nahles, die nach den SPD-Wahldesastern unter ihrer Führung unverhofft noch einen Posten an der Spitze der Bundesagentur für Arbeit erhielt, fällt auf, dass man einen Gutteil des Fachkräfteproblems lösen könnte, wenn man die deutschen Auswanderer von ihrem Vorhaben abbrächte. Aber das ist nicht ihr eigentlicher Punkt. Vor allem will die SPD-Politikerin freilich „Hürden“ abbauen, denen Zuwanderer auf dem Weg nach Deutschland begegnen. Das beginne schon damit, dass sie „in ihrem Heimatland Deutsch lernen müssen“. Denn Deutschlehrer seien vielerorts Mangelware. Andere könnten sich den Kurs nicht leisten. Außerdem arbeiten die deutschen Konsulate zu langsam. Ein Seitenhieb auf Annalena Baerbock?

Diversitätspolitisches Exempel ohne Mehrnutzen

Merkwürdig nur, dass Nahles nicht zuerst an ihren eigenen Zuständigkeitsbereich denkt, wo es ihr angeblich um den Fach- und Arbeitskräftemangel im Land geht. Im November waren laut Arbeitsagentur noch 2,4 Millionen Menschen schlechthin arbeitslos (5,3 Prozent), saisonbereinigt ein Anstieg um 17.000. Im Vergleich zum Vorjahresmonat sind nun sogar 117.000 mehr Menschen hart arbeitslos. Hinzu kommen allerdings die Unterbeschäftigten, die teils von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen profitieren, und im November 3,3 Millionen Personen ausmachten, 184.000 mehr als im letzten November.

Damit steht ein Reservoir von mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland zur Verfügung, mit dem sich die 1,8 Millionen realen freien Stellen irgendwie, bei gutem Willen aller Beteiligter eigentlich füllen lassen müssten. Ein Plan, den eine sozialdemokratisch geführte Regierung durchaus verfolgen könnte. Dagegen scheint der Plan, dem sie nun folgt, eher ein neoliberales Zaubergewächs nach dem Motto zu sein: Flute den Arbeitsmarkt mit möglichst vielen Menschen. Aber so magisch ist auch dieses Rezept nicht, und auch nicht liberal.

So sinken zwar die Reallöhne mit einiger Sicherheit, aber wirtschaftlichen Nutzen hat die Einladungsmentalität, die Nahles vorschlägt, eher nicht. Vielmehr würde eine neue „Willkommenskultur“ das Land viel Geld kosten, wenn damit gemeint sein sollte, dass man noch mehr illegale Migranten aufnehmen soll, um ein diversitätspolitisches Exempel an den Bürgern zu statuieren. Das aber würde sich höchst antiliberal rächen, denn eine solche unordentliche Diversität steigert nur das Bedürfnis der Regierenden nach Kontrolle.

In Afghanistan werden schon wieder neue Ortskräfte angeworben

Übrigens ist es vielleicht kein Zufall, dass Nahles mit Zahlen vom letzten Jahr operiert. Im ersten Halbjahr sah es nämlich schon sehr anders aus. Vor allem durch die Zuwanderung von 740.000 ukrainischen Flüchtlingen wuchs die Nettozuwanderung in den ersten sechs Monaten auf mehr als eine Million Menschen an. Aber auch andere Nationalitäten sind vermehrt nach Deutschland gekommen, darunter neben Polen (11.000) und Rumänen (31.000) die nur sehr schwer in den Arbeitsmarkt zu integrierenden Syrer (leichter Anstieg auf 23.000 neue Zuwanderer) und Afghanen, deren Zuzug sich gegenüber 2021 vervierfacht hat (28.000 neue Zuwanderer von Januar bis Juni 2022).

Allein im ersten Halbjahr 2022 sind damit mehr als doppelt so viele Menschen nach Deutschland gekommen wie im ganzen Jahr 2021. Und wieder werden nur die Ausländer betrachtet. Das scheint ein genereller Defekt dieser Statistik-Art zu sein.

Der vermehrte „Zuzug“ aus Afghanistan wird den Taliban zugeschrieben. Dabei ist die Rekrutierung von Ex-Ortskräften durch das Außenministerium schon längst aus dem Ruder gelaufen, während die GIZ laut Presseberichten schon wieder neue Ortskräfte einstellt. Ja, genau: Seit dem August 2021 hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) bereits 250 neue Ortskräfte im Rahmen der deutschen Entwicklungshilfe für die Taliban eingestellt, wie die Welt am Sonntag im September herausfand.

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