Tichys Einblick
Werbung ist, wenn ...

Wahre Früchte … Über die Sex-Kampagne von True Fruits

Diese bunten Smoothie-Flaschen. Die Vorsorge-Apotheke für moderne Bildungsbürger, die Flasche zum Mini-Cooper und zur bestuckten Altbauwohnung …

imago images / STPP

Wir sind kluge Köpfe. Wir sind von Beruf Soziologen (schließt sich nicht aus). Manchmal machen wir uns fundierte Gedanken über die Welt, denn wir besitzen viele wichtige und richtige Verbesserungsvorschläge für sie. Einige davon schreiben wir auf. Von Politik über Wirtschaft bis Gender, wir sind vielseitig. Manchmal analytisch, manchmal albern und Achtung – manchmal nicht politisch korrekt. Wow. Wild. Toll. Das einzig Schlimme daran: Nie hat sich irgendjemand an irgendetwas gestoßen, was wir geschrieben haben – dabei hätten wir es uns so sehr gewünscht. Ein einziges Mal, da hat einer von uns bei einem TV-Interview einen Pelzkragen am Mantel gehabt – der war aber gar nicht echt! Kurzum, jeder Autor, jeder Mensch der sich irgendwo irgendwann einmal kurz medial verewigen durfte, kennt das: Man (oder Frau!) wünscht sich Reaktionen, wenigstens eine, irgendeine … Liest oder erhört mich irgendwer da draußen? Ich bin doch da!

Und dann kommen diese geilen Saftpresser. Diese bunten Smoothie-Flaschen. Diese trinkbaren Obst-Placebo-Pillen. Höchstwahrscheinlich kluge Menschen, weil sie Gesundheit genau so convenient und teuer machen, wie es unsere gute Gesellschaft liebt: Die Vorsorge-Apotheke für moderne Bildungsbürger, die Flasche zum Mini-Cooper und zur bestuckten Altbauwohnung …

Sie tun es zum wiederholten Male. Beim ersten Mal rollten sie deutschlandweit noch plakativ daher mit „Oralverkehr“, der zum „Samengenuss“ führen sollte … Wow. Wild. Witzig. Zuviel Vitamine sind halt auch nicht nur gesund … Dieses Mal reichte schon ein „Insta-Post“ aus (deutlich günstiger und hipper): Sie offerieren darin sämig gequirltes aus Pfirsich und Maracuja. Das Püree veredeln sie mit dem mega-kreativen Namen „Sun Creamie“ – in einem Flakon, der an die mega-berühmte blau-gelb-germanische Sun Cream erinnert. Und dann dieser Untertitel: „Sommer, wann feierst Du endlich Dein Cumback?“ Ein zweisprachiger Strolch, wer jetzt beim Lesen an etwas Zwischenmenschliches denkt. Davon gab es allerdings ganz schön viele, denn ein massiver neudeutsch Shitstorm prasselte auf die Bonner Firma nieder, soviel Beschimpfung wegen Obstsaft, pardon Smoothie, war selten. Dabei wurde das Schlimmste noch gar nicht erwähnt, die Autoren haben es vor lauter sexuellen Anspielungen vergessen: Auf dem Werbebild sieht man den attraktiven Rücken einer nur mit einem Bikini bekleideten Frau und jemand hat tatsächlich einen weißen Penis auf ihre braune Haut gemalt (inklusive Hoden und Auswurf) – vermutlich mit Sun cream oder gleich mit Sun Creamie … Da schäumt sich alles auf, sogar die politisch korrekte Volksseele. Ein idealtypisches Penis-Mal-Modell, wie es sich sonst millionenfach auf öffentlichen Bahnhofs- und Bibliotheks-Toiletten wiederfindet, jetzt auch in der heilen bunten Werbewelt …

Blick zurück. Machen die alten weißen Männer immer so: Historie. Quellenanalyse. Nicht Haltung, sondern Wissen. Was bedeutet eigentlich Werbung? Wie so oft verrät die Sprachgeschichte bereits (fast) alles: Werbung entstammt dem mittelhochdeutschen Wort „wërben“ und dem althochdeutschen Wort „wërban“. Es bedeutet seinem Wortsinn nach „sich drehen“. Es umschrieb die Anbieter auf den Marktplätzen des Mittelalters, die sich drehten und wendeten, um lautstark ihre Waren anzupreisen. Dabei verkauften diese Händler nicht das übliche Sammelsurium, das wir als postmaterialistische Zeitgenossen dem mittelalterlichen Menschen angedeihen lassen (Messer, Töpfe und Krüge), sondern ausnahmslos „zunftfreie Ware“, also all die Produkte, die der Herstellung nicht eines zünftigen Meisters bedurften: Gequaksalbte Wässerchen und Pulver – also eigentlich fast wie ein Chiasamen-Smoothie. Ein ordentlicher Meister hatte es im Gegensatz dazu nicht nötig „zu werben“. Im Gegenteil: Bis in die Neuzeit verboten sogar Zünfte die Werbung, sie verstieß gegen die Meisterehre. Werbung fand immer an den Schmuddelecken des Wirtschaftssystems statt. Deswegen verkaufte sie in der Neuzeit typischerweise alten weißen Männern Mittelchen, um ihre Haare oder andere Dinge wieder wachsen zu lassen … (siehe Thema oben).

Nun, das Abendland schreitet ganz in diesem Sinne seinem Untergang entgegen und dementsprechend ist der Niedergang der Arbeitskultur sukzessiv fundamental. Bereits der (auch, aber nicht mehr so stark) umstrittene Werner Sombart schrieb 1908, dass Werbung „in schamloser Weise die hässlichen Vorgänge der Bedarfsdeckung ans Licht zerrt und womöglich in Schönheit tauchen möchte.“ Man störte sich an Zwielichtigkeit und Unaufrichtigkeit der Werbung, so dass die Werbung in den letzten 100 Jahren mit nichts anderem beschäftigt war, als sich selbst zu einer Kunstform zu machen. Heute verleiht die Branche sich selbst konsequenterweise feierlich ihre eigenen Film- und Plakatpreise. Werbung durfte in ihrer elaborierten Form nicht laut, ungehobelt und schroff sein, sondern trendangebend, sensibel und gesellschaftlich progressiv. Wenn laut, dann aber bitte ironisch-witzig mit Augenzwinkern. Deswegen trägt der Werber schwarze Brille auf schwarzem Rolli oder irgendwas modisch-existentialistisches. Das Werbung eigentlich allein dafür da war „mehr zu verkaufen“, das war ein grausames Übel für alle – bis auf den Unternehmer.

An sich müssten nun die Bewahrer des guten Geschmacks und des gedanklichen Fortschritts aufatmen: Authentizität heißt das Zauberwort. Endlich ist Werbung wieder das, was sie eigentlich ist: Gemein, abartig, plärrend, verwerflich … in ihrer scheinbar prolitüden Attitüde schwingt eine unterschwellige Botschaft mit, die die Welt der klaren Aussagen und Fakten gar nicht mehr hört. Bezeichnenderweise haben die Smoothie-Macher ihre Werbung ohne echte Werber gemacht – in Eigenregie. In jedem Falle gilt auch hier: Die Wahrheit ist nie so, wie sie im ersten Augenblick scheint. Sie heißt nämlich: Ich bin einfach nur laute Werbung, die nach Aufmerksamkeit schreit und derartige Werbung ist böse. In diesem Sinne legt Euch wieder schlafen, ihr Jeanne D`Arcs der Rechtschaffenheit und macht Euch klar: Die sind eigentlich auf Eurer Seite der Barrikade. Und sie wollen nur spielen …

Die Frage, wie sexistisch oder gender-beleidigend ein comicartiger weißer Penis ist, möchten wir nicht bewerten, das einzige was der Furor beweist: Bei soviel engagiert-tiefsinnigem Gender-Talk, kann die Erderwärmung oder die Rückkehr von Raider nur Fake News sein. Und die Moral von der Geschichte im Management-Deutsch: True Fruits hat es geschafft, im Jahre 2019 mit einer Penis-Zeichnung eine hohe Awareness zu generieren. Ob sich dies in einem erhöhten Abverkauf niederschlägt, ist mehr als fraglich – wie bei jeder Kampagne, die nur auf Awareness ausgelegt ist.

Sex sells? Not zwangsläufig. Manchmal sorgt Sex nach wie vor für eine soziale Welle. Die relevante Frage ist: Sommer-hole, wann können wir endlich Dein „happy end“ feiern? Oder mit Politiker-Phrase geantwortet: Lassen Sie uns endlich zur Sacharbeit zurückkehren. Andererseits: Ist eigentlich jemandem schon einmal aufgefallen, wie eindeutig phallusartig diese True Fruits-Flaschen gestaltet sind?

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