Tichys Einblick
Vorwort zum Sonntag

William F. Buckley: Ein Lob auf die Durchschnittsmenschen

Was für eine provozierende Aussage: Buckley traute normalen Durchschnittsbürgern aus dem Telefonbuch mehr politische Qualität zu, als den Spitzenintellektuellen einer Eliteuniversität, um die sich die ganze Welt reißt.

© Getty Images

„Ich würde mich lieber von den ersten 2.000 Menschen im Bostoner Telefonbuch regieren lassen, als von den 2.000 Professoren der Havard-Universität“, so hat es der konservative Journalist William F. Buckley zum besten gegeben („Rumbles Left and Right“, 1964).

Was für eine provozierende Aussage: Buckley traute normalen Durchschnittsbürgern aus dem Telefonbuch mehr politische Qualität zu, als den Spitzenintellektuellen einer Eliteuniversität, um die sich die ganze Welt reißt.

Sicherlich, für Konservative sind die meisten Universitäten ein rotes Tuch. Professor Mitchell Langbert hat 2018 herausgearbeitet, dass in den USA landesweit auf einen Professor, der politisch republikanisch tendiert, 10,4 Professoren kommen, die demokratisch ausgerichtet sind. Dafür sorgen vor allem die Geisteswissenschaften, wo das Verhältnis bis 1 zu 108 ist. Was für eine diskursfeindliche Monokultur! Da kann wahrlich bei Republikanern keine Freude aufkommen, wenn sie auf die Universitäten schauen.

Es ist kein Geheimnis, dass über Jahrzehnte gewachsen das Hochschulwesen fest in linker Hand ist. Während bei Hochschulabgängern in den USA nach Langbert das Verhältnis Rechts zu Links noch 1 zu 1,6 ist, ist in die Professorenschaft kaum ein Durchkommen ohne linke Grundhaltung.

Neben diesen empirischen Argumenten der fehlenden Ausgewogenheit in Havard, gibt es vielleicht noch andere Argumente, warum die Normalos aus dem Telefonbuch politikfähiger sein könnten. Im Elfenbeinturm der Uni kann ein Professor etwa den absoluten Wert der unveräußerlichen Menschenwürde problemlos hoch halten. Anders die Altenpflegerin aus dem Telefonbuch, die in der Nachtschicht als Einzelkämpferin einen Altenheim-Anbau mit 45 hochbetagten Senioren am Laufen halten muss. Sie weiß nur zu gut, dass der Alltag, bzw. in ihrem Fall die „Allnacht“, nur in hunderten Kompromissen aus hunderten von inneren und äußeren Anforderungen gelingen kann.

Doch genau damit ist die ganz normale Altenpflegerin nah dran am politischen Alltag, der nicht mit autoritären Werten und Forderungen, sondern nur mit Kompromissen und Interessenausgleich gemeistert werden kann.

Je höher sich Professoren in ihre Theorien und Ideale verstiegen haben, desto schwieriger wird der Transfer in die Praxis. Nach dem Motto des Witzes: „Mein Sexualtherapie-Professor kennt über 100 reizvolle Stellungen; aber leider keine einzige Frau.“ Oder auf unser Thema übertragen: „Mein Professor kennt die ultimative Theorie für eine bessere Welt. Aber er hat leider noch nicht die Welt gefunden, auf die seine Theorie erfolgreich angewandt werden kann.“ Der Unterschied zwischen Theorie und Praxis ist halt in der Praxis größer als in der Theorie.

Vielleicht liegt genau an diesem Punkt eine Ursache für die Linkslastigkeit der meisten Hochschulen in der westlichen Welt. Links ist stark, weil Links von attraktiven Ideen und Utopien ausgeht – umfassende Gerechtigkeit, grenzenlose Universalität, weltweiter Frieden, grüner Einklang mit der Natur, die Gleichheit aller Menschen. Nicht umsonst war Karl Marx ein großer Theoretiker und Utopist. Jetzt muss die wunderbare Theorie „nur“ noch in die Praxis umgesetzt werden.

Konservatives Denken scheint auf den ersten Blick weniger theorielastig zu sein: Gehe nicht von deinen Parolen aus, sondern gehe von deinen Beständen aus; erkenne die Lage; rechne mit deinen Defekten; bewahre das Bewährte und verändere es erst, wenn das Neue sich als wirklich besser erwiesen hat. Das klingt alles sehr bodenständig.

Doch auch hinter dem liberal-konservativen Denken stehen natürlich ausgefeilte Theorien: Subsidiarität, Marktwirtschaft, anthropologische Voraussetzungen, Freiheitsideale, bürgerliche Gesellschaftstheorien.

Während die Naturwissenschaftler schneller experimentell herausfinden können, ob ihre Theorie etwas Praktisches hat, können die Geisteswissenschaftler über Jahrzehnte an realitätsfernen Gesellschaftstheorien festhalten, weil ihre Gesellschaftsexperimente wesentlich länger dauern und komplexer sind. Hinzu kommt, dass staatliche Schuldenorgien das experimentelle Scheitern eines theoretischen Ansatzes verschleiern und hinauszögern. Und manche Utopie ist einfach zu schön, um sich von ihr zu trennen.

Die Leute aus dem Telefonbuch dagegen fragen weniger nach großen Theorien und Utopien; sie stecken mitten in ihrem Alltag und nehmen gerne und dankbar alles auf, was ganz praktisch ihren Alltag hier und heute ein klein wenig erleichtert. Die Funktionalität für die Praxis ist ihr vorrangiges Kriterium.
Der Handwerker, der das Geländer auf unserem Balkon erneuert hat, sagt es mir offen ins Gesicht: „Die Theorie interessiert mich nicht. Mich interessiert nur, dass das Geländer stabil ist und Sie sicher sind und meine Rechnung stimmt.“
Allerdings sollte der Handwerker wissen, dass in die Art seines Geländerbaus und der verwendeten Materialien eine Fülle von Theorien eingeflossen sind. Nichts ist praktischer als eine gute Theorie.

Fazit: Bei den nächsten Wahlen lasse ich meine Praxis von folgendem theoretischen Ansatz anleiten: Ich würde gerne von einer ausgewogenen Mischung von „Handwerkern“, „Mundwerkern“ und „Schreibwerkern“ regiert werden. Auch bei den dahinter liegenden Theorieansätzen wäre mir eine Ausgewogenheit wichtig. Echte liberal-konservative Denke muss darum nicht nur an den Hochschulen gestärkt werden.
Insgesamt 1-2 Politikwissenschaftler, Gendertheoristen und eine wahrscheinliche Völkerrechtlerin dürfen ruhig auch dabei sein.

Die Bibel in Sprüche Salomos 28,26: „Wer sich auf seinen Verstand verlässt, ist ein Dummkopf. Wer aber in der Weisheit wandelt, wird entrinnen.“