Tichys Einblick
Fest der Liebe: 

Was heißt hier „Liebe“? Zum Missbrauch eines Wortes

Vor Weihnachten wird in der Corona-Pandemie mit vermeintlicher Liebe sowohl Politik als auch ein Geschäft gemacht. „Liebe – und dann tu, was du willst“ – hat der Kirchenvater Augustin gesagt. Daraus macht man: „Tu, was du willst, im Namen der Liebe.“ 

picture alliance / Bildagentur-online/Ohde

„Lockdown ist Liebe“ – so weiß es die Antifa bei ihren Anti-Anti-Corona-Demonstrationen. Das sind die Schlägertrupps der Antifa. Sie setzen ganz bewusst Angst und Schrecken (= lat. terror) als politisches Mittel ein. Und ausgerechnet sie wollen uns belehren, was Liebe ist.

Der Lockdown mag für viele Menschen eine wichtige und berechtigte politische Forderung sein. Aber ihn als alternativlose Liebesethik zu bejubeln, das erregt bei mir Widerspruch, da die negativen Langzeitwirkungen des Lockdowns fatal werden könnten.

„Impfen ist Liebe“ sagen Plakate von Anti-Anti-Corona-Maßnahmen-Aktivisten, ebenso wie die Pharmaindustrie. Das ist Marketing der allerbesten Sahne, wenn man sein lukratives Produkt hochmoralisch als „Nächstenliebe“ unters Volk bringen kann. Gut gemacht, Jungs und Mädels von der Pharmalobby! Das habt ihr erfolgreich in die Köpfe der Leute bekommen: Beim Impfen geht es nicht um ein nüchternes medizinisches Abwägen von Pro und Contra für verschiedene Risikogruppen. Da geht es um „Erlösung“ und „Liebe“. Ihr versteht das Geschäft der Liebe.

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Bei soviel Religion rund ums Impfen ist es vielleicht verständlich, dass viele Kirchen aus „Liebe zum Leben“ zu Heiligabend keine Präsenzgottesdienste feiern. Der Staat erlaubt unter strengen Hygienevorschriften Präsenzgottesdienste sogar in geschlossenen Räumen. Aber die Kirche lässt in vielen Gemeinden selbst ihre gut geplanten Freiluftgottesdienste ausfallen. Während die deutsche Judikative staatliche Grundrechtsbeschneidungen infolge von Corona in diesem Jahr oft genug zurückgenommen hat, fallen einige deutsche Kirchen und Kirchengemeinden dadurch auf, dass sie noch über die staatlichen Maßnahmen hinaus bereit sind, die Grundrechte der Religionsfreiheit und der Versammlungsfreiheit auf dem Altar der Seuchenbekämpfung zu opfern. Natürlich aus Liebe zu den Menschen.

Und wenn man die Mutter im Altenheim trotz Erlaubnis der Einrichtungsleitung jetzt noch weniger besucht als vorher, dann geschieht das wiederum rein aus Liebe. Wer will schon ein ganzes Pflegeheim infizieren oder gar töten? Corona als Persilschein für ein reines Gewissen, wie wunderbar.

„Liebe – und dann tu, was du willst“ – hat der Kirchenvater Augustin gesagt. Das wird aus dem Kontext gerissen und zum modernen: „Tu, was du willst, im Namen der Liebe.“ Darum belohnen die einen Eltern ihre Kinder mit Süßigkeiten – „weil wir unsere Kinder lieb haben.“ Während andere Eltern ihren Kindern Süßigkeiten vorenthalten – „weil wir unsere Kinder lieb haben.“

„Bei uns geht es Heiligabend immer sehr harmonisch zu. Ein richtiges Fest der Liebe“, sagte Herr Müller und war sichtlich überrascht, als er am dritten Weihnachtstag feststellen musste, dass seine Frau schon über Jahre eine Außenbeziehung hat. Und Frau Müller schluchzt: „Ich konnte einfach nicht anders, die Liebe hatte mich fest im Griff.“

Eine bessere Rechtfertigung als „Liebe“ gibt es nicht. Erich Honecker und seine FDJ-Sekretärinnen sind natürlich aus Liebe zum Frieden und aus Liebe zur Gerechtigkeit mit ihren Gegnern nicht gerade zimperlich umgegangen. Wo an der Weltrettung gehobelt wird, da fallen Späne.

Es könnte alles so schön sein mit der Liebe. Wenn da nicht der Volksmund wäre mit seiner simplen Wahrheit: „Liebe macht blind und manchmal auch verdammt blöd!“

Darum kommen wir nicht umhin, auch zum Fest der Liebe vernünftig mit unseren Worten umzugehen. „Du sollst den Begriff der Liebe nicht missbrauchen.“

Dabei könnte der Blick auf den menschgewordenen Gott in der Krippe ein nach vorne weisender Kompass sein: Gott kommt aus seiner jenseitigen, hoch erhabenen Komfortzone heraus. Er begegnet uns in den Niederungen des Lebens und Leidens und reicht uns auf Augenhöhe als Mensch, Erlöser und Versöhner die Hand.
Von dieser Zeitenwende aus kann ich Liebe so interpretieren: „Liebe ist, wenn ich aus meiner Komfortzone herausgehe und das wirklich dem anderen zugute kommt.“
Ein schöner Goldstandard in der Hyperinflation des Liebesbegriffs; wobei natürlich offen und ehrlich darum gerungen und gestritten werden muss, was jeweils Komfortzone ist und was wirklich dem anderen zugute kommt.

Dann wäre so mancher Streit eher Liebe als eine beschönigende Liebesromantik.
Dann wäre das Eröffnen von unbequemen aber hilfreichen Alternativen eher Liebe als ein selbstgefälliges Bad in der politischen Korrektheit. Dann wäre das Hineingehen in die ethischen Dilemmata und Widersprüchlichkeiten des Lebens eher Liebe als ein simplifizierendes Gutmenschentum, das allein schon mit guten Absichten meint, die Liebe sicher auf seiner Seite zu haben.

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