Tichys Einblick
Gänse und Füchse

Die Schönheit des Rechtsstaates und seine Zertrümmerung

„Demokratieförderung“, „Antirassismus“ oder „Friedensprojekt Europa“ heißen die Zauberwörter, mit denen die Zersetzung des Rechtsstaates verklärt und „qualitätsmedial“ flankiert werden. Selten kommt der Teufel mit Hörnern und Dreizack. Meistens erscheint er als Engel im weißen Gewand.

Demokratie braucht den Rechtsstaat, wenn sie menschenfreundlich sein möchte. „Demokratie ist, wenn zwei Füchse und eine Gans abstimmen, was es zum Mittagessen geben soll. Rechtsstaat ist, wenn die Gans unversehrt den Abend erlebt“ – Benjamin Franklins Demokratie-Zitat rechtsstaatlich ergänzt.

Demokratie ohne Rechtsstaat wird zur Tyrannei der Mehrheit, die wie jede Tyrannei schrecklich ist. Jeder Mensch kann in einer Gesellschaft zur Gans werden. Sogar Menschen, die sich nicht mit einer unausgegorenen Impfung spritzen lassen und die das Grundgesetz hochhalten, können zu „Verschwörungstheoretikern“ erklärt werden, gegen die man rigoros vorgehen müsse. Das kann man sich nicht ausdenken. Der Rechtsstaat ist ein Bollwerk gegen die Menschenverachtung, die man sich nicht ausdenken kann – und die doch immer wieder passiert.

Die Schönheit des Rechtsstaates besteht darin, dass alle Menschen sich darauf verlassen können, dass sie nicht von Füchsen verspeist werden dürfen. Der Rechtsstaat sollte eigentlich auch für Füchse ein Herzensanliegen sein: Denn wer heute Fuchs ist, könnte morgen schon zur Gans umdefiniert werden. Der Rechtsstaat steht für eine ausgewogene, sachliche und abwägende Normendebatte, in der sowohl Füchse als auch Gänse zu ihrem jeweiligen Recht kommen.

Leider wird in der Bundesrepublik Deutschland der Rechtsstaat Schritt für Schritt ausgehöhlt und angegriffen:

  • Die Maastrichtkriterien konnten ab 1999 hundertfach von Staaten mit Füßen getreten werden, ohne dafür Konsequenzen tragen zu müssen; das kommt einer Auflösung des Rechts gleich.
  • 2007/2008 wurden in der Bankenkrise ausgewählte privatwirtschaftliche und staatseigene Unternehmen, die sich katastrophal verspekuliert hatten, mit enormen Steuergeldern belohnt unter Aushebelung des Insolvenzrechts (wie zum Beispiel die „IKB Deutsche Industriebank“, die jeder Bewohner der Bundesrepublik durchschnittlich mit über 110 Euro subventionieren musste).
  • 2010 wurde in der Griechenlandkrise aus der EU gegen alle Rechtsgrundlagen eine Transferunion.
  • Die EZB hat sich widerrechtlich in eine Zentralbank umformen lassen, die nicht alleine der Geldwertstabilität verpflichtet ist, sondern die sich explizit der grünen Transformation und indirekt der Staatsfinanzierung verpflichtet fühlt.
  • 2015 wurde eine grenzenlose Willkommenskultur und damit eine „Herrschaft des Unrechts“ ausgerufen (Horst Seehofer).
  • Die Meinungsfreiheit als Grundlage jeder Demokratie wird mit dem „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ (2017), dem „Gesetz über digitale Dienste“ (2022) und mit dem „Gesetzentwurf zur Stärkung von Maßnahmen zu Demokratieförderung“ (2024) nachhaltig außer Kraft gesetzt.
  • Ab 2020 wurden Grundrechte in der sogenannten Corona-Pandemie ausgehebelt.
  • Anstelle der inhaltlichen Auseinandersetzung mit politischen Alternativparteien wird der Parteienstreit mit Mitteln geführt, die dem rechtlichen Gleichheitsgrundsatz zu den anderen Parteien widersprechen.

„Demokratieförderung“, „Antirassismus“ oder „Friedensprojekt Europa“ heißen die Zauberwörter, mit denen die Zersetzung des Rechtsstaates getarnt und „qualitätsmedial“ flankiert werden. Selten kommt der Teufel mit Hörnern und Dreizack. Meistens erscheint er als Engel im weißen Gewand. Darum warnt die Bibel:

„Wehe denen,
die Böses gut und Gutes böse nennen,
die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen,
die aus sauer süß und aus süß sauer machen.

Wehe denen,
die nur in ihren eigenen Augen weise sind und
die sich selbst für klug halten.

Wehe denen,
die meinen, Helden zu sein, wenn sie Luxuswein trinken (…),
obwohl sie den Schuldigen gerecht sprechen um des eigenen Vorteils willen und das Recht denen wegnehmen, die im Recht sind“ (Jesajah 5,20-23).

Für die Gänse ist die voranschreitende Zersetzung des Rechtsstaates ein höchst schmerzlicher und existenzgefährdender Vorgang. Wenige Methoden reichen aus, mit denen schon immer in der Geschichte das Recht zerstört wurde:

Erstens: Es wird der Notstand ausgerufen. In der Katastrophe hat man keine Zeit für aufwändige und langatmige Rechtsgüterabwägungen. Alle Verächter des Rechtsstaates ersehnen den Ausnahmezustand, er gibt ihnen freie Hand.

Zweitens: Es werden „höhere“ Instanzen auf den Thron gesetzt, die vermeintlich über dem Recht stehen; ob es der „Führer“ ist, die „geschichtliche Notwendigkeit“, „die Wissenschaft“, „Gott“, die Moral oder das eine alternativlose Rechtsgut (zum Beispiel Klima), dem alle anderen Rechtsgüter unterzuordnen seien.

Drittens: Diffizile Rechtsgüter-Abwägungsprozesse werden durch oberflächliche Vorverurteilungen ersetzt; pauschale Brandmauern statt themenbezogener Diskussionen, Freund-Feind-Graben statt Meinungsvielfalt, erstarrte Haltung statt lebendige Lernprozesse.

Viertens: Das Sanktionieren von Verhalten und Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze tritt an die Stelle des Rechts als einzig legitime Grundlage für Bestrafungen. Aus dem alten Rechtsgrundsatz „keine Strafe ohne Gesetz“ wird: „Nichts, was wir für ein Vergehen halten, bleibt ohne Bestrafung“ – wobei nicht mehr das Gesetz, sondern das Rechtsempfinden der Füchse bestimmt, was als Vergehen oder gar Verbrechen gilt.

Die Füchse haben ihre Freude daran, das Recht zu zerstören, damit sie endlich „gefühlt-mehrheitlich-demokratisch“ durchregieren können und die Gänse verspeisen dürfen. Darum gibt es nur wenige Füchse, die sich für den Rechtsstaat einsetzen.

Die Gänse und die potenziellen Gänse müssen für den Rechtsstaat kämpfen. Sie sollten sich nicht spalten lassen. An diesem Punkt ist es egal, wie verschieden die Gänse gefedert sind oder wie unterschiedlich ihnen der Schnabel gewachsen ist. Im Kampf für den Rechtsstaat sollten Rechtsliberale und Linksliberale Seite an Seite stehen gegen alle, die rechtsilliberal oder linksilliberal die Axt an die Wurzeln des Rechtsstaates legen.

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