Tichys Einblick
Vorwort zum Sonntag

Gendergerechte Bibelforschung im Strudel der Irrationalität

Soll man das wirklich ernst nehmen? Über die neue Schöpfungsgeschichte der neuen Genderbibel für die neue Genderkirche.

imago images / Everett Collection

Erstaunliches geschieht: Bibelwissenschaftler behaupten inzwischen auf dem öffentlich-rechtlichen Satirekanal Deutschlandfunk Nova, dass, wenn die Bibel im Schöpfungsbericht von Mann und Frau spricht, nicht Mann und Frau gemeint sein müssen, man könne statt Mann und Frau auch Mann und Mann, Frau und Frau, Transgender und Transgender, Menschheit und Waschmaschine, Mensch oder Schreibtisch setzen, denn schon der Dichter Heiner Müller wusste: „Ein Schreibtisch zeugt einen Schreibtisch zeugt einen Schreibtisch.“ 

Um dem Mysterium neuester Bibelforschung auf den Grund zu gehen, hilft der Blick auf ein anderes Geheimnis. Einst drang durch einen vorlauten Schriftsteller die Nachricht in die Öffentlichkeit, dass der Philosoph Aristoteles in seiner Poetik nicht nur die Tragödie behandelt hat, sondern auch die Komödie. Das einzige Exemplar dieses Buches der Poetik, die dem frühchristlichen Furor der Verfolgung heidnischen Schrifttums und den Untergang des römischen Reiches überlebt hatte, fiel der Humorlosigkeit eines mittelalterlichen Mönchs zum Opfer. 

Nun kann man freilich nicht behaupten, dass die Mönche des Mittelalters allgemein humorlos waren, doch unter ihnen befand sich immer mal wieder einer, der, nachdem er in den Spiegel geschaut hatte, meinte, Gott hätte nie gelacht und so dürfe es dem Menschen, der nach Gottes Ebenbilde geschaffen war, auch nicht gestattet werden, sich zu amüsieren oder zu frohlocken. Dieser Mönch dürfte der erste moderne Bibelforscher gewesen sein, denn der Schöpfungsbericht der Bibel kann nicht einfach nur Mann und Frau meinen, wenn dort Mann und Frau steht.

Allerdings scheint nicht nur die Komödie des Aristoteles vernichtet worden zu sein, sondern auf die gleiche Weise eine winzige, aber wichtige Passage des Schöpfungsberichts. 

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Jeder mit Ausnahme einiger Bibelprofessoren, die für gewöhnlich solange auf den Text der Bibel schauen, bis sie vor Buchstaben keine Worte mehr sehen, weiß, dass Gott den Menschen als Mann und Frau erschuf. Wie nun aus der mysteriösen Quelle bekannt wird, heißt es in der vernichteten Passage des Schöpfungsberichtes, dass Gott, bevor er den Menschen am sechsten Tag erschaffen hatte, in der Nacht vom vierten zum fünften Tag, also zwischen Pflanzen und Tieren, ein Wesen aus reinen Launen ersann, das zu keiner Arbeit zu gebrauchen war, sondern lediglich der Unterhaltung diente. Gott schuf diesem Bericht nach zwischen dem vierten und dem fünften Tag den Profonarr für Bibelkunde. 

Wer als Schriftsteller schon einmal die Verrenkungen von Kritikern in der Auslegung seiner Texte beobachten durfte, ahnt, welch göttliches Vergnügen Gott bei den Kommentaren des Profonarrs empfunden hat. Nur allzu possierlich wirkte es, wenn der kleine Racker, weil er die Bibel nicht auf den Kopf zu stellen vermochte, sich selbst auf den Kopf stellt – dann stand sie für ihn auf dem Kopf. 

Doch der Widersacher, der alte Feind, der Teufel gönnte Gott das harmlose Vergnügen nicht, lauerte dem Profonarr unter einem Baum auf und flüsterte ihm zu: „Denk doch mal nach, du bist doch klug, viel klüger als ich, ohne dich gäbe es Gott gar nicht. Gott ist nur eine Konstruktion, er existiert nur Dank deiner Weisheit.“ Als er das hörte, schwoll dem Profonarr die Brust und er kam nicht mehr von der Stelle, denn er wusste auf einmal nicht mehr, wie er vor lauter Bedeutung so etwas Profanes noch ausführen konnte wie zu laufen – und als Gott ihn so sah, eingeklemmt in der Anbetung seiner selbst, erkannte Gott sofort, dass der Teufel sein so harmloses und mutwilliges Geschöpf zur Eitelkeit verführt und damit für immer verdorben hatte. Die Unschuld war ein für alle mal dahin. In jedem Wort sah der Profonarr nur noch seine Idee, in jedem Buchstaben allein seine Handschrift. Also jagte Gott den Profonarr aus dem Paradies und baute ihm als Exil eine Universität, wo er künftig weit weg von Gott sein Leben fristen durfte, denn Gott ist barmherzig. 

Am sechsten Tag schuf nach der niederschmetternden Erfahrung Gott den Menschen, diesmal aber aus Fleisch und Blut und als Frau und Mann, denn es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, weil, wie er beim Profonarr beobachtete, er sonst überschnappt. Der Mensch muss den Menschen begrenzen. Indem Gott den Menschen als Mann und Frau schuf, gab er ihm eine Aufgabe. So heißt es eindeutig in der Bibel: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.“ Soweit so eindeutig. 

Doch der Profonarr konnte das aus Neid auf den Menschen, aus Neid auf Mann und Frau nicht so stehen lassen – und so erfand er die 666 Geschlechter, stellt sich wieder auf den Kopf und verkündet, dass alles, Gott, Himmel und Erde, alles, was auf der Erde kreucht und fleucht und unter dem Himmel fliegt und im Wasser schwimmt wie auch das Geschlecht nur eine Konstruktion sei. Wie sollte der arme Profonarr verstehen, dass Mann und Frau, dass das Geschlecht höchst real sei, wo er doch eine reine Geisteszeugung war und blieb?

Nichts auf der Welt ist zu dumm oder zu verstiegen, dass es nicht doch Anhänger fände. So konnte der Profonarr auch solche unter den Menschen für seinen Genderismus finden, wie den Bibelwissenschaftler Stefan Schorch aus Halle, der mutig gegen Gott streitet, in dem er dem Profonarr nachplapperte, dass der Satz „Gott schuf den Menschen als Mann und Frau“, nicht die Zweigeschlechtigkeit bezeuge, weil Frau nicht Frau und Mann nicht Mann bedeutet. Nun sprächen zwar „verschiedene kulturelle Entwürfe von Sexualität, Partnerschaft und Familie“ nicht gegen die Zweigeschlechtlichkeit, da auch eine homosexuelle Partnerschaft auf  Zweigeschlechtlichkeit beruht, nur eben auf der gleichen. Doch ist Schorchs Behauptung schlichtweg falsch, denn in der Bibel finden sich keine „verschiedenen kulturellen Entwürfe von Sexualität, Partnerschaft und Familie“, sondern eine klare Normierung, und zwar zugunsten von Ehe und Familie. 

Wenn Michaela Bauks als Schöpfung des Menschen die Kreation eines Protoplasten, also eines Zellinhalts, zur Diskussion stellt, dann ist sie der abwegigsten alle abwegigen gnostischen Spekulationen auf dem Leim gegangen. Wenn sie den Text der Bibel mit Platons Symposion verwechselt, begibt sie sich in die heillose Verwirrung unterschiedlichster Schöpfungsmythen. 

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Es ist eine Binse, dass die Texte der Bibel unverändert seien, nur in verschiedenen Zeiten unterschiedlich interpretiert werden, doch beginnt eine Interpretation immer beim Text und nicht bei einer Ideologie, die man mit aller Wichtigtuerei in den Text hineinlesen will. Der Schöpfungsbericht nach Bauks könnte also auch lauten: „Gott schuf den Menschen als Protoplasten.“ Und da der Text im Zusammenhang lautet: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau“, scheint Michaela Bauks auf dem Satirekanal des Deutschlandfunks den Schöpfungsbericht inzwischen so zu lesen: „Und der Protoplast schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde des Protoplasten schuf er ihn; und schuf Protoplast*Innen und Transplasten und Protoplast*Innen etc.“

Es stellt sich leider letztendlich immer wieder heraus, das diejenigen, die sich am stärksten auf die Wissenschaft berufen, am weitesten von ihr entfernt sind. Natürlich kann man alles hoch- und herunterdekonstruieren, kann behaupten, was man will, doch offenbart das nur ein starkes ideologisches Wollen und eine geringe Kenntnis literaturwissenschaftlicher Verfahren in der Analyse von Texten. Es scheint, dass die Geisteswissenschaften immer stärker ihre Wissenschaftlichkeit und Rationalität verlieren und von obskuranten Strömungen wie den Genderismus in den Strudel der Irrationalität gerissen werden. 

Es ist leider nicht einmal Märchenstunde, dazu fehlt es wiederum an erzählerischem Talent, es ist nur Wissenschaft ohne Wissenschaft, Glauben ohne Glauben. Wie sagte doch Romeo zu Mercutio, nach dem der eine allerdings furiose Queen Mab Phantasie zum besten gegeben hatte: „Wach auf, mein Freund, du träumst …  von nichts.“