Tichys Einblick
babylonische Sprachverwirrung

Fünf Schneisen im Dschungel des Freiheitsbegriffs

Alle Religionen und politischen Richtungen versuchen, den Freiheitsbegriff für sich zu beanspruchen. In diese babylonische Sprachverwirrung hinein versucht Pfarrer Zorn fünf Schneisen zu schlagen, die dabei helfen sollen, den Freiheitsbegriff besser zu verstehen.

IMAGO/Steinach

Freiheit ist ein höchst umstrittener Begriff. Alle Religionen und politischen Richtungen versuchen, den Freiheitsbegriff für sich zu beanspruchen. Selbst der schlimmste deutsch-österreichische Diktator hatte sich die „Freiheit“ auf seine Fahnen geschrieben. In Nürnberg feierten die Nationalsozialisten 1935 den „Reichsparteitag der Freiheit“. Der Begriff ist einfach zu schön; darum wird jede sich Autokratie und auch Diktaturen versuchen, die Freiheit auf ihre Seite zu ziehen.

In diese babylonische Sprachverwirrung hinein versuche ich fünf Schneisen zu schlagen, die dabei helfen sollen, den Freiheitsbegriff besser zu verstehen.

Erstens: Der autoritäre Freiheitsbegriff

„Freiheit ist das Einstimmen in das Notwendige“, so lautet das Freiheitsverständnis aller autoritären Systeme dieser Welt. Entscheidend bei diesem Freiheitsverständnis ist dann natürlich, wer die Macht hat, das „Notwendige“ zu definieren und durchzusetzen, dem sich alle Individuen beugen müssen. Dies gilt für umfassende Ideologien genauso wie für Möchtegern-Bestimmer:

Karl Lauterbach: Das regelmäßige Impfen ist das Notwendige; darum sollten sich alle Menschen frei und fröhlich impfen lassen. Menschen, die das nicht einsehen, dürfen mit einer Impfpflicht zu dieser Notwendigkeit geschubst werden. „Selbst die Impfpflicht führt ja dazu, dass man sich am Schluss freiwillig impfen lässt“ – klarer und ungeschminkter als Karl Lauterbach kann man den autoritären Freiheitsbegriff nicht vertreten.

Im Islam: Dass die Menschen im Ramadan tagsüber nichts essen und trinken, dass Frauen sich verschleiern und dass Alkohol und Schweinefleisch gemieden werden müssen, das ist das göttlich Notwendige. Die Freiheit des Menschen besteht darin, sich Gott spirituell und ethisch zu „unterwerfen“, was in allen Gottesdiensten und Gebetszeiten eindrücklich betrieben wird („Islam“ = „sich unterwerfen“).

Karl Marx: Die dialektische Überwindung des Kapitalismus ist das Notwendige, auf das die Geschichte hinausläuft.

Die Grünen: Das Stoppen der Verbrennung aller fossilen Brennstoffe, die gendergerechte Sprache, die grenzenlose Migration, das Ausschalten aller AKWs, Waffen an die Ukraine und der Kampf gegen Rechts – das alles und noch viel mehr ist das grün Notwendige.

Das einzelne Individuum ist frei, wenn es das Notwendige in Vernunft oder Unvernunft anerkennt und es mit seinem Handeln unterstützt und fördert. Dieses autoritäre „Notwendigkeits-Freiheitsverständnis“ diffamiert ein vom Individuum her denkendes Freiheitsverständnis als Egoismus.

Zweitens: Der liberale Freiheitsbegriff

Nach dem Grundgesetz ist Freiheit das Abwehrrecht des Individuums gegen einen übergriffigen Staat. Damit steht das bundesdeutsche Grundgesetz dem Liberalismus nahe; denn der Liberalismus versteht Freiheit zentral vom Individuum her. Im Liberalismus ist die individuelle Freiheit genauso wichtig wie die sozialen Verpflichtungen.

Während autoritäre Systeme bestimmte „solidarische“ Verpflichtungen über die individuelle Freiheit stellen, würdigt der Liberalismus die individuelle Freiheit, indem er sie mit den sozialen Verpflichtungen gleichrangig und gleichwertig auf eine Stufe stellt. Im liberalen Freiheitsverständnis können die individuellen Talente, Bedürfnisse und Stärken eines jeden Menschen bestmöglich zur Geltung kommen.

Drittens: Der egoistische Freiheitsbegriff

Im „Egoismus“ wird die individuelle Freiheit über die sozialen Verpflichtungen gestellt. „Freiheit ist, wenn ich tun und lassen kann, was ich will.“ Dieses Freiheitsverständnis zerstört die größtmögliche Freiheit aller, denn es führt dazu, dass alleine die Mächtigen ihre Freiheit leben können. Das egoistische Freiheitsverständnis ist gnadenloser Sozialdarwinismus.

Viertens: Der weltabgewandte Freiheitsbegriff

Der Mensch zentriert sich auf seine (mehr oder weniger religiös interpretierte) Innerlichkeit und Privatheit; dort findet er seine Seligkeit, die ihn von dieser Welt mit ihren Zwängen und Leiderfahrungen befreit. Freiheit meint hier die Freiheit von Politik und Weltgestaltung im Rückzug auf die innere Erfüllung.

Fünftens: Der christliche Freiheitsbegriff

Der Mensch findet durch Jesus Christus in der Freundschaft zu Gott seinen Halt und seine Erfüllung. Das macht ihn frei:

  • Geborgen in Gott, wird der Mensch frei, seine irdische Begrenztheit und Endlichkeit anzuerkennen;
  • Erlöst in Gott, wird der Mensch frei davon, in sich selber, in seinen Beziehungen oder in der Politik Erlösung finden zu müssen;
  • Vergnügt in Gott wird der Mensch frei, mit einem Schuss Humor im Hier und Jetzt leben zu dürfen;
  • Gerettet in Gott wird der Mensch frei, diese Welt ein klein wenig verbessern zu wollen, ohne sich die Hybris aufzuerlegen, diese Welt retten zu müssen.

Meiner Meinung nach passt das christliche Freiheitsverständis optimal zum liberalen Politik- und Weltverständnis.

„Für die Freiheit hat Christus uns frei gemacht. So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auferlegen!“ (Der Apostel Paulus im Galaterbrief 5,1)

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