Tichys Einblick
Evangelische Publizistik

Im Maschinenraum des autoritären Kirchenprotestantismus

Eine kampagnenfähige Medienanstalt wie das „Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik“ (GEP) ist für eine Kirche zwingend notwendig, die versucht, die weltlichen Geschehnisse zu beeinflussen gemäß ihrer Brille der alternativlosen politischen Wahrheiten.

IMAGO / epd
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat über Jahrzehnte einen zentralen und einflussreichen Konzern der evangelischen Publizistik aufgebaut, an dem sie 94 Prozent der Anteile hält: Das „Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik“ (GEP) mit Sitz in Frankfurt. Eine solche kampagnenfähige Medienanstalt ist für eine Kirche zwingend notwendig, die versucht, die weltlichen Geschehnisse zu beeinflussen gemäß ihrer Brille der alternativlosen politischen Wahrheiten. Die EKD möchte mit ihren politischen, wirtschaftlichen und medizinethischen Zielvorstellungen gesellschaftliche Macht ausüben. Über eine zentrale Steuerung des überregionalen evangelischen Medienauftritts kann die EKD in ihrer Positionierung eine politische Geschlossenheit vortäuschen, indem unliebsame Stimmen und Minderheiten innerhalb der Kirche medial ausgegrenzt werden.

Das „Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik“ (GEP) ist unter anderem für folgende evangelische Formate verantwortlich:

  • das „Wort zum Sonntag“ in der ARD
  • „epd“ („Evangelischer Pressedienst“)
  • die Monatszeitschrift „Chrismon“
  • das Online-Portal „evangelisch.de“
  • die Geschäftsführung für die Fastenkampagne der ev. Kirche in der Passionszeit „7 Wochen Ohne“
  • die Stellenbörse für Freiwilligendienste im Umfeld der EKD
  • die Geschäftsführung des „Evangelischen Medienverbandes in Deutschland“, in dem 40 Presseverbände, Medienhäuser, Verlage und Buchhandlungen organisiert sind
  • 74-Prozent-Beteiligung an der „Evangelischen Verlagsanstalt“ in Leipzig
  • Beteiligung an „Bibel-TV“, die zusammen mit dem Anteil der katholischen Kirche eine Sperrminorität beinhaltet
  • Verlagsdienstleistungen im Auftrag der Magazine „zeitzeichen“, „welt-sichten“ und „Diakonie Magazin“
  • 2023 hat das GEP die Mehrheitsanteile am Medienhaus der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau übernommen.

Sowohl in der zentralisierten Organisationsstruktur, als auch in der inhaltlichen Ausrichtung steht das „Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik“ (GEP) für den autoritären Kirchenprotestantismus:

Im November 2023 hat das GEP bei einer Tochtergesellschaft den bereits gedruckten und publizierten Aufsatzband „Angst, Politik, Civilcourage“ mit sofortiger Wirkung aus dem Markt nehmen lassen. Mit einer überzogen negativen Auslegung hat das GEP in einem der Aufsätze „Menschenfeindlichkeit“, „Antisemitismus“ und „Demokratieverachtung“ aufgestöbert, was nicht „mit den Standards der evangelischen Publizistik“ vereinbar sei. Komisch nur, dass das bewährte Management der Tochtergesellschaft das bei der Herausgabe des Buches nicht bemerkt hat. Die abschreckende Wirkung dieser autoritären und teuren Buchzurücknahme wird im weitverzweigten Medienkonzern GEP die Bereitschaft zu einer offenen und kritischen Denk- und Verlagstätigkeit nicht gesteigert haben (TE berichtete).

In dieser Woche sind am 11. März die beiden neuen Konzernlenkerinnen (kauffrauisch und theologisch) in einem Festgottesdienst durch die EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs eingeführt worden. Die theologische Konzernlenkerin ist die 48-jährige Stefanie Schardien. Sie ist verheiratet mit dem ebenfalls kirchlich gut vernetzten Peter Dabrock, unter anderem 2016 bis 2020 Vorsitzender des deutschen Ethikrates, Mitglied der EKD-Kammer für öffentliche Verantwortung sowie des Steuerungsboards des Kammernetzwerkes der EKD.

Schardien scheint beim „Gemeinschaftswerk für die Evangelische Publizistik“ die richtige Frau am richtigen Platz zu sein, denn auch sie steht für eine fügsame Denkweise innerhalb der engen EKD-Grenzen. In „Zeitzeichen“ veröffentlichte sie im Sommer 2020 den Beitrag „Euch geht’s wohl zu gut! Eine Kritik der kirchlichen Kritikkultur in Corona-Zeiten“. Darin schimpft sie auf Christen, die die Kirche kritisieren, weil diese Alte, Kranke und Einsame im ersten Corona-Lockdown seelsorgerisch im Stich gelassen habe. Diese kritischen Christen seien wie nervig streitende Geschwisterkinder, die endlich mal von den Eltern zurechtgewiesen werden müssten: „Euch geht’s wohl zu gut!“ Frau Schardien als die Erzieherin, die ihre lümmeligen Kirchenkinder treffsicher zurechtweist. Das passt, um Chefin für das GEP zu werden.

Schardien verteidigt die kirchlichen Regeln während der Corona-Zeit mit dem Argument, dass es menschlich und verständlich sei, wenn in einer echten Pandemie nicht alles hundertprozentig klappe. Das sei kein Grund, sich öffentlich zu „zerfleischen“. „Gewiss braucht es keine kirchlichen Claqueure, die alles schönreden und glattbügeln. Es braucht Kritik. Allerdings eine, die nicht stets auf dem positiven Auge blind sein und der es nicht vor allem ums pauschale Denunzieren und Zerstören gehen darf.“ Christen sollten darin beispielhaft sein, „wie man wohlwollend Kritik übt, sich dankbar über Geleistetes zeigt und barmherzig mit Unvollkommenheit umgeht“.

Ich finde das merkwürdig, wenn die kirchlichen Machthaber den einfachen Christen als Oberlehrer mit erhobenem Zeigefinger erklären wollen, wie diese ihre Kritik an der Kirche zu äußern hätten. Klar, Machthaber hätten gerne wohlwollende und brave Kritik, die das Positive betont und die nicht so pauschal ist, wie die eigene Kritik von Frau Schardien an den Kritikern der Kirche. Aber was ist das für eine perverse Streitkultur, in der die Machthaber bestimmen wollen, in welcher Tonlage Kritik geäußert werden darf? Und was ist das für eine perverse Kritikkultur, in der bereits bei der kleinsten Anklageerhebung in vermeintlich christlicher Manier an Gnade vor Recht appelliert wird?

Protestantismus, der protestiert, ist keine „Selbstzerfleischung“, sondern Grundhaltung zur Qualitätsverbesserung. Martin Luther hat im heiligen Zorn das Versagen der katholischen Kirche mit messerscharfem Spott und Sarkasmus gebrandmarkt. Auch die katholische Kirche hatte damals Martin Luther zu wenig Positives und zu viel Zerstörerisches vorgeworfen, statt Luthers berechtigte Kritik an erschreckenden Missständen ernst zu nehmen.

Doch nicht nur der Form, auch dem Inhalt nach verraten die EKD und ihr GEP-Medienkonzern ihren Gründervater: Nach Martin Luther sind allein das Evangelium und die Sakramente die Kennzeichen der ev. Kirche und nicht eine unevangelische Gleichschaltung in irgendwelchen politischen, wirtschaftlichen oder epidemiologischen Streitfragen (so die evangelische Bekenntnisschrift Confessio Augustana §7).

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