Tichys Einblick
Auch bei den Eidgenossen

Zweimal vom Gleichen

Der Niedergang der Medien zeigt in der Schweiz sein hässliches Gesicht. In der Deutschschweiz teilen sich zwei Medienhäuser den Tageszeitungs-Markt.

Symbolbild

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Was haben der «Tages-Anzeiger», die «SonntagsZeitung», die «Berner Zeitung», die «Basler Zeitung» und sieben weitere Tageszeitungen gemeinsam? Den gleichen Einheitsbrei in den Ressorts Ausland, Inland, Wirtschaft, Kultur und Sport. Der wird von einer sogenannten Zentralredaktion der Tamedia in Zürich hergestellt und dann verteilt. Den einzelnen Blättern bleibt die Lokalberichterstattung. Erschwerend kommt noch hinzu, dass die Auslandberichterstattung weitgehend von der «Süddeutschen Zeitung» übernommen wird, das eigene Korrespondentennetz fiel fast vollständig Sparmassnahmen zum Opfer. Und natürlich werden zudem fleissig die Meldungen der letzten Nachrichtenagentur in der Schweiz, der SDA, gerne übernommen; kostet im Abonnement schliesslich auch nicht die Welt.

Was haben die «Aargauer Zeitung», die «bz Basel», die Luzerner, Zuger, Urner und Thurgauer Zeitung, das «St. Galler Tagblatt» mit 13 weiteren Tageszeitungen gemeinsam? Seit die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) ihre Regionalblätter an die AZ Medien verkauft hat, wird unter der neuen Dachmarke CH Media für alle 20 Tageszeitungen der Inhalt von einer Zentralredaktion in Aarau hergestellt.

Abgesehen vom Lokalen, und unter fleissiger Benutzung der Nachrichtenagentur SDA. Obwohl zu diesem Imperium auch noch diverse Lokal-TV- und –Radiostationen gehören, werden nach der Fusion und der Betriebsaufnahme im Oktober 2018 insgesamt 200 Mitarbeiter gefeuert. Pardon, es wird nach Lösungen für sie gesucht.
CH Media erzielt damit eine Reichweite von über 2 Millionen Lesern, von rund 6 Millionen Deutschschweizern. Bei Tamedia ist es etwas komplexer, weil der Konzern neben Bezahlzeitungen auch noch die auflagen- und leserstärkste Zeitung der Schweiz, das Gratisblatt «20 Minuten», herausgibt und sehr aktiv im Internet ist. Nicht nur mit Online-Ablegern der Newsredaktion, sondern vor allem mit Handelsplattformen, so dass mehr als die Hälfte des Gewinns (Ebitda) bereits digital erwirtschaftet wird.

Daneben gibt es noch als einsamen Leuchtturm die Neue Zürcher Zeitung und den Ringier-Springer-Verlag. Die Bedeutung seiner Boulevard-Zeitung «Blick» für die politische oder gesellschaftliche Meinungsbildung ist aber in den letzten Jahren knapp über die Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Und als grösster Newsanbieter bleibt noch SRF, das staatliche TV- und Radioangebot, das als einziges elektronisches Medium die ganze Schweiz bestrahlt. Alle Versuche, innerhalb der Schweiz Privatfernsehen national aufzustellen, sind gescheitert, und Radiolizenzen werden nur lokal vergeben.

Soweit die Medienlandschaft; wo ist das Problem? Dieses Duopol auf dem Tageszeitungsmarkt, wenn man die NZZ ausnimmt, die mit einer Reichweite von knapp 240’000 Lesern eher für die Happy few ist, verursacht drei Probleme. Wenn die Grundaufgabe des Journalismus ist: berichten, einordnen, analysieren, dann wird das genau an zwei Orten für die gesamte Leserschaft gemacht, in den beiden Zentralredaktionen. Damit schnurrt Einordnung und Analyse auf zwei sich zudem ähnliche Redaktionen ein. Während sich bis Ende letzten Jahres die «Basler Zeitung» nicht nur im Lokalteil von den Organen der Tamedia unterschied, ist sie nach ihrer Einverleibung ab Anfang dieses Jahres ebenfalls Abfüllorgan von Zürich.

«Das letzte Wort hat Arthur Rutishauser», der Oberchefredakteur bei Tamedia, teilte mir der Chefredakteur der BaZ kürzlich mit. Womit wir zum zweiten Problem kämen.
Sowohl CH Media wie Tamedia hat einen Oberchefredakteur, sozusagen die letzte Instanz, die allen anderen Chefredakteuren einzelner Blätter übergeordnet ist. Und diese beiden Überchefs administrieren nicht nur, sondern greifen selber gerne und häufig in die Tasten. Mit Berichten oder Kommentaren. Natürlich hat damit ihr Wort innerhalb und ausserhalb der Zentralredaktionen grosses Gewicht. Angesichts der trüben Zukunftsaussichten für Journalisten wird vorauseilender Gehorsam gepflegt. Wenn sich also beispielsweise der Oberchefredaktor von Tamedia und auch der von CH Media gegen den Rahmenvertrag zwischen der EU und der Schweiz aussprechen, dann wäre es ein Wunder, wenn ein todesmutiger Redakteur dieser Ansicht öffentlich wiedersprechen würde.

Das Wort von Mainstreammedien gilt in der Schweiz beunruhigend stark. Alleine durch ihre Markt- und Meinungsmacht bügelt dieses Duopol den fröhlichen Wettstreit der Meinungen, der verschiedenen Ansichten, Analysen, Standpunkte einfach nieder. Und wer ins Fadenkreuz einer der beiden Monopolisten kommt, hat ganz schlechte Karten. Denn normalerweise, bei einer fraktionierteren Tageszeitungs-Landschaft, hat der in einem Organ Kritisierte oder Angeschuldigte oder gar Verleumdete immer die Möglichkeit, in einem Konkurrenzmedium dagegenzuhalten. Aber da Tamedia und CH Media zudem ihre Gärtchen sauber abgesteckt haben und eigentlich nirgends in ernsthafter und direkter Konkurrenz zueinander stehen, macht es für beide keinen Sinn, dem anderen in dessen Garten zu machen.

ARD-Strategiepapier
ARD: Manipulieren und Moralisieren mit Gebühren
Wie gefährlich dieser Machtmissbrauch sein kann, lässt sich an zwei Beispielen verdeutlichen. Es gibt einen schweizerisch-angolanischen Geschäftsmann, der bis November 2017 unter dem Radar der Öffentlichkeit und der Medien flog. Bis ihn Tamedia, die sich an der Ausbeutung der ganzen Leaks und Papers beteiligt, aufgrund gestohlener Geschäftsunterlagen bezichtigte, sich skrupellos an Angola zu bereichern, zudem möglicherweise in Steuerhinterziehung und sogar Geldwäsche verwickelt zu sein. Bis heute völlig belegfrei, es ist auch noch keine Anklage erhoben worden, diverse Prozesse wurden vom Geschäftsmann gewonnen. Dennoch: Die Konten seiner Firmen in der Schweiz wurden von der Steuerbehörde präventiv arretiert, er selbst sitzt in einem Höllenknast in Angola.

Oder die Schweizer Raiffeisenbank. Die hatte letztes Jahr zu verkraften, dass ihr ehemaliger Chef für über hundert Tage in U-Haft kam, «ungetreue Geschäftsbesorgung» ist die Anschuldigung. Das gab es in der Schweiz noch nie, entsprechend gross war die Aufregung. Tamedia und CH Media überboten sich, auf die Bank, ihre führenden Organe und die Geschäftsleitung einzuprügeln. Zuerst trat der Präsident des Aufsichtsrats zurück, dann zog sein Stellvertreter die Bewerbung um dieses Amt zurück, dann warf der Geschäftsführer das Handtuch und wollte auf Ende 2018 zurücktreten, wurde aber noch im November durch einen Blattschuss erledigt: ihm wurde eine angebliche Affäre unterstellt, worauf er per sofort abtrat.
Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich beide Konzerne liberal geben, Plattformcharakter, auch Platz für andere Meinungen. Die Praxis sieht allerdings ganz anders aus. Zunächst einmal wird ökonomisch argumentiert. Man könne keinen Beitrag eines Freien wie mir nehmen, das sei ein falsches Signal, während bei CH Media 200 Leute entlassen werden und die verbleibenden Redakteure sich um den schrumpfenden Platz prügeln. Und bei Tamedia schiebt nicht nur der Chefredakteur der BaZ die Verantwortung nach oben. Diverse Ressortchefs rollen die Augen nach oben und sagen im Chor: Wir haben kein Budget mehr für Beiträge von aussen. Und ausserdem: Ich persönlich würde deinen Beitrag liebend gerne bringen. Aber ich sehe keine Chance, ihn durchzukriegen, er widerspricht der Mehrheitsmeinung in der Redaktion.

Umso weniger Varietät, umso wuchtiger wird natürlich jede Meinungsäusserung, jeder Kommentar, jede Berichterstattung. Trump, furchtbar, Maduro, ganz furchtbar, Brexit, die Engländer spinnen, Putin ist ein ganz schlimmer Finger, Saudi-Arabien ist doch noch nicht in der Moderne angekommen; das Rentenproblem sollte mal gelöst werden. Es geht dabei gar nicht darum, ob das richtige oder falsche Ansichten sind. Es geht darum, dass es die einzigen Ansichten sind, mit denen 90 Prozent aller Schweizer Tageszeitungsleser gefüttert werden.

Als Packungsbeilage sei erwähnt, dass ich selbst natürlich auch ein Opfer dieser Pressekonzentration bin. Bis Ende letzten Jahres konnte ich ausführlich und völlig frei in der «Basler Zeitung» publizieren. Eine wuchtige Schreibe gegen den Finanzplatz Schweiz und die Unfähigkeit der Bankenlenker gehörte dazu. Der vorherige Chefredakteur akzeptierte das, und steckte Versuche, ihn mit Anwaltsschreiben einzuschüchtern, locker weg; es passierte auch weiter nichts. Aber unter meinen letzten Beitrag über die Riesenschweinerei, in die die Credit Suisse im Zusammenhang mit einem Milliardenkredit an den Pleitestaat Mosambik verwickelt ist, stellte die neue Eigentümerschaft Tamedia flugs eine «Stellungnahme» der Bank, ohne mich vorher darüber zu informieren oder mir Gelegenheit zu Widerworten zu geben.

All das ist bedenklich. Besonders bedenklich in einem Land, das wie kein anderes die Teilnahme der Bevölkerung an Entscheidungen pflegt. Durch Abstimmungen, Initiativen Referenden, zusätzlich zu den Wahlen. Aber wie und wo soll sich da der Stimmbürger eine Meinung bilden? Erschwerend kommt noch hinzu, dass die stimmenstärkste Partei der Schweiz, die SVP, in diesem Duopol nicht gerade wie die AfD in den deutschen Leitmedien behandelt wird, aber man findet auch keinerlei Aussagen, dass irgend eine Idee oder Forderung der SVP sinnvoll, begrüssenswert oder gar richtig sei. Ausserhalb des Wochenmagazins «Die Weltwoche», die aber nur eine verbreitete Auflage von knapp 46’000 Exemplaren hat. Eine Demokratie braucht eine vielfältige Medienlandschaft wie die Luft zum Atmen. Herrscht ein Duopol, wird’s gefährlich, dann fängt die öffentliche Meinungsbildung unter Luftabschluss an zu verfaulen.