Tichys Einblick
Plappermäuler in der Politik

Wo bleibt die Friedensbewegung?

Wo bleibt die Friedensbewegung? Sie war doch sonst immer zur Stelle, wenn es einen Konflikt gab, der zu eskalieren drohte? Machen sich die Ostermarschierer bereit? Wehen wieder weiße Bettlaken mit Friedensparolen aus den Fenstern? Nichts dergleichen. Warum nicht?

IMAGO

Die Studentenbewegung 1968ff. ist gegen den Vietnamkrieg auf die Straße gegangen. Da wurde auch schon mal „USA-SA-SS“ gebrüllt. Von Antiamerikanismus war auch die Friedensbewegung der 1980er Jahre nicht frei, die größte Protestbewegung in der alten BRD. Im Widerstand gegen den NATO-Doppelbeschluss gingen mehr Menschen auf die Straßen als jemals zuvor seit 1949.

Dass die SED die Bewegung finanziell fütterte und der KGB Einflussagenten schickte, war bekannt. Beim „Krefelder Appell“ etwa (November 1980) war die DKP federführend und der Pahl-Rugenstein-Verlag, auch Pahl-Rubelschein genannt, half mit einschlägigen Schriften. Der heutige Bundespräsident schrieb bekanntlich für eine der vom Verlag herausgegebenen Zeitschriften.

Der Organisator des 1980 ins Leben gerufenen Bundes „Generale für den Frieden“ von westdeutschen Ex-Militärs war Gerhard Kade, ein westdeutscher Wirtschaftsprofessor, der sich später als Stasi-Agent entpuppte.

Die aktive Einmischung der SED störte nur wenige. Bei einem atomaren Zusammenstoß zwischen USA und UdSSR würde, so lautete das Argument, ganz Deutschland, Ost wie West, zerstört werden, man hatte also ein gemeinsames Interesse an Frieden. Weit mehr war die Bewegung vom Antiamerikanismus geprägt, wie es ja im Interesse von DDR und Sowjetunion lag: „Die Hauptgefahr geht von Reagan aus“, hieß es. Bei den Grünen galt die Forderung „Raus aus der Nato“ noch bis weit in die 90er Jahre.

Die letzten großen Friedensdemonstrationen gab es in Deutschland, als die USA sich 1991 anschickten, Saddam Hussein daran zu hindern, völkerrechtswidrig Kuweit zu annektieren. Wieder fürchteten viele Deutsche das atomare Armageddon, die Auflösung der Sowjetunion war ja noch nicht lange her. Die Parole lautete „Kein Blut für Öl“. Dass es im Interesse auch Deutschlands liegen mochte, einem Usurpator die Verfügung über große Ölreserven aus der Hand zu nehmen, spielte keine Rolle. Im Gegenteil: wer die amerikanische Aktion guthieß, wurde als Bellizistin durch die Manege gejagt. Ich erinnere mich noch gut daran.

Das änderte sich mit der völkerrechtswidrigen Einmischung in Restjugoslawien 1999. Der damals noch nicht lange amtierende grüne Außenminister Joschka Fischer bemühte Auschwitz, um seine Partei gefügig zu machen: „Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus.“

Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping behauptete, die Serben „spielen mit abgeschnittenen Köpfen Fußball, zerstückeln Leichen, schneiden den getöteten Schwangeren die Föten aus dem Leib und grillen sie“. Die Serben wurden als Täter und muslimische Bosniaken, Kroaten und Kosovaren als Opfer dargestellt, unter hemmungslosem Einsatz von Begriffen wie „Holocaust“ und „Konzentrationslager“. Kriegspropaganda vom Unfeinsten.

Während man sich während der Hochzeit der Friedensbewegung keineswegs davon abschrecken ließ, als nützliche Idioten der Sowjetunion dazustehen, scheinen viele heute die jahrzehntelange Neigung, die Sowjetunion aller stalinistischen Opfer zum Trotz als doch irgendwie Hort einer guten Idee bei schlechter Ausführung zu betrachten, mit der Dämonisierung Russlands kompensieren zu wollen. Das heutige Russland ist jedoch nicht mehr die Sowjetunion, und wenn Putin gewiss kein „lupenreiner Demokrat“ ist (Gerhard Schröder), so ist er doch ebensowenig Stalin. Verhandlung mit „Appeasement“ (Hitlers) gleichzusetzen und damit zu verwerfen, ist kurzsichtig, es widerspricht der alten Soldatenweisheit, dass man mit dem heutigen Feind morgen wieder zusammenleben muss.

Es gilt in Politik und Medien überwiegend die Moralisierung des Konflikts: hier die Guten, dort die Bösen. Das wird nicht nur der Komplexität der Lage nicht gerecht, es ist im übrigen auch die sicherste Weise, einen Konflikt in eine „Blutmühle“ ausufern zu lassen. Der Vergleich mit der Vergangenheit ist verräterisch: dass Putin sich mit einem Stück Ukraine nicht zufriedengeben werde, sondern wie Hitler immer weiter marschieren würde, ist eine Vermutung (und dürfte die russischen Kapazitäten im Übrigen überschreiten), signalisiert allerdings, dass man, wie damals gegen Hitlerdeutschland, zum Äußersten zu gehen gewillt ist.

Wie sagte ein Freund, als ich ihn scherzhaft fragte, ob er ein Putinist oder ein Ukrainefreund sei: „Ich bin ein Freund Deutschlands.“ Ich auch. Es liegt im deutschen Interesse, dass der Konflikt nicht unendlich eskaliert, es ist Diplomatie gefragt, nicht eine Außenministerin, die den Russen „die Beine wegschlagen“ will, sodass sie Jahrzehnte nicht mehr auf die Beine kämen. Es liegt auch nicht im deutschen Interesse, bis zur Selbstaufgabe den amerikanischen Interessen zu folgen.

Wo also ist die Friedensbewegung? Warum ist es so mäuschenstill im Land, bis auf die Plappermäuler in der Politik? Schon gut – der naive Pazifismus der Vergangenheit ist aufgebraucht. Aber es wäre schön, wenn deutsche Politiker*innen aufhörten, groß rumzutönen und sich vielmehr im deutschen Interesse um Verhandlung bemühten. Als Kriegspartei wäre unser Land verloren.
Aber das ist es, bedenkt man die Qualität dieser Regierung, womöglich längst.