Tichys Einblick
The good, the bad and the normal

Die gespaltenen Staaten von Amerika

Man muss es immer wieder sagen, es geht im insbesondere in deutschen Medien so beliebten Trump-Bashing stets unter: Trump ist nicht die Ursache für die Spaltung Amerikas. Er ist ihr Symptom.

Seine Wahl vor vier Jahren verdankte Trump den vielen Unzufriedenen, die Hillary Clinton verächtlich als „basket of deplorables“ titulierte: All jenen, die sich von der politischen Elite mit ihren eingefahrenen Ritualen und Floskeln nicht vertreten fühlen und mit der hippen Woke-Kultur nichts anfangen können, für das, was sie als Luxusprobleme empfinden, haben sie meist keine Zeit. Man darf vermuten, dass sie, darunter Hispanics, Schwarze und Frauen, Trump auch bei der aktuellen Wahl die Treue hielten, er hat ja mehr Stimmen auf sich vereinigt als bei der Wahl davor, mehr übrigens auch, als der vor allem bei uns so beliebte Barack Obama. Und dabei sieht Bambi doch so viel besser aus als Trump! Man sieht: Ästhetik allein entscheidet keine Wahl, da kann man sich noch so sehr über die aparte Farbe von Donalds Haarschopf lustig machen.

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„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Man mag The Donald aus guten Gründen ablehnen. Der Hass, der ihm bei seinen Gegnern und den Democrats entgegenschlägt, entzündet sich womöglich gerade an dem, was ihn bei seinen Wählern so beliebt macht. Er ist der berühmte „spanner in the works“, der Maverick, der Aufmischer, der Spielverderber, der Störenfried, der das gut geölte Zusammenspiel der Nomenklatura denunziert und ihre Sprache sozusagen dekonstruiert hat. Er spricht nicht wie das überhebliche Establishment und er sieht auch nicht aus wie sie. Das aber scheint die Hälfte der amerikanischen Wählerschaft zu goutieren. Und vor allem deshalb ist es keine gute Idee, Donald Trump noch in der Niederlage zu exorzieren. Es geht nicht um ihn, es geht um seine Wähler.

Die Präsidentenwahl 2020 hat die vorhandene Spaltung bestätigt und womöglich sogar vertieft. Droht jetzt ein Bürgerkrieg? Wenn man sich die tagelangen Gewaltausbrüche nach dem Tod von George Floyd im Mai vor Augen hält und jetzt die Bilder vom „Sturm aufs Kapitol“, könnte man das befürchten. „Die Normen“, schreibt Bari Weiss, „waren bereits gebrochen. Wir lebten bereits in Unwirklichkeit.“

Wer hofft, Joe Biden könne die Wunde heilen – oder gar die hinter ihm wartende Kamala Harris – macht sich womöglich nicht klar, wie lange diese Wunde bereits existiert und wie tief sie ins Herz des „land of the free“ eingedrungen ist.

„E pluribus unum“, aus Vielen wird Eins, war einst Bekenntnis und Hoffnung all jener, die in die „freie Welt“ auswanderten. Wer dort ankam, war nicht mehr Italiener oder Pole oder Deutscher, sondern Amerikaner, der „neue Mensch“, wie viele glaubten. Dieser Traum vom multikulturellen Paradies ist schon lange ausgeträumt. Wer das bereits vor dreißig Jahren analysierte und beklagte, ist Arthur M. Schlesinger Jr., einst Sonderberater von John F. Kennedy, Parteigänger der Democrats und Historiker. Seine Analyse ist von einer Schärfe, die man ihm heute wohl nicht verzeihen würde. Das ist schon deprimierend genug, noch deprimierender ist, dass sich das von ihm analysierte Problem perpetuiert, ja verschärft hat. Die neue Apartheid der Identitätspolitik sondert nicht nur weiß von schwarz ab, sie treibt einen Keil zwischen die Mehrheit der „Normalen“ und allen, die sich einer besonderen Merkmalgruppe zugehörig fühlen.

Besonders hasserfüllt aber ist mittlerweile der Kampf gegen „Weißsein“, gegen den „systemischen Rassismus“, dessen Teil man allein durch seine weiße Hautfarbe sei. Schlesinger kannte die neuen Moden noch nicht, doch er hätte das gewiss als tödliche Konsequenz des bei den Schwarzen in den 60er Jahren modisch gewordenen Ethnokults gesehen, dem er das Zeug zu einer „Konterrevolution“ attestiert – gegen die ursprüngliche Vorstellung einer gemeinsamen Kultur in einer geeinten Nation. Jeder gegen jeden und alle gegen den weißen Mann und das europäische Erbe.

Nach dem Kapitol-Sturm
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Das dürfte das wahre Drama sein. Die amerikanischen Antirassisten und Kämpfer gegen das „Weißsein“ ordnen in ihrem Bemühen, die Schwarzen (die in den USA einen Bevölkerungsanteil von gut 14 Prozent haben) als Opfer zu verteidigen, alles weißer Unterdrückung zu, „systemischem Rassismus“, zu dem sie selbst Tugenden zählen, die dem bloßen Fortkommen innerhalb einer Gesellschaft dienen könnten: Abstraktionsvermögen, Individualismus und Selbständigkeit, Arbeitsmoral, Pünktlichkeit, Zukunftsplanung und Eigentumsrechte.

Westliche Bildungsinhalte? „Systemische Gewalt“! Dieser Hass auf die „weiße“ Kultur verhindert jeden Aufstieg in einer (noch immer) von solchen Tugenden geprägten Welt – und denunziert ganz nebenbei alle, die sich dieser Tugenden befleißigen und damit die ganze Chose am Laufen halten. Doch Opfer sein ist eben einfacher als Selbstermächtigung. Der Begriff des „systemischen Rassismus“ leugnet jede Möglichkeit, selbst etwas an der eigenen Lage ändern zu können. Die schärfsten Kritiker dieser Selbstverletzung sind übrigens schwarze Denker wie Thomas Sowell, John McWorther oder Glenn Cartman Loury.

Der Schwarzen nahegelegte Hass auf den Westen hat sich mittlerweile mit weißer Selbstverachtung verbündet. Die woken Weißen kultivieren anstelle des ihnen unterstellten Überlegenheitsgefühls ein allgegenwärtiges Schuldgefühl – womit sie wenigstens noch moralische Überlegenheit herauskehren können. Gewiss hat das weiße Amerika einst von Sklaverei profitiert – doch man hat sie dort weder erfunden noch betrieben. Versklavt wurden Afrikaner in blutigen Stammesfehden von Afrikanern, den Handel übernahmen überwiegend Araber und die Abschaffung der Sklaverei oblag dem Westen, während sie in afrikanischen Ländern noch lange aufrechterhalten wurde. Denn das genau ist die Stärke des „weißen“ Europa: die Fähigkeit zur Selbstkritik.

Donald Trump hat nicht nur dem verachteten „white trash“ eine Stimme gegeben, sondern auch all jenen, die zuviel zu tun haben, um jede neue ideologische Mode mitzumachen – den vielen systemrelevanten Normalen. Sie müssten von John Biden zurückgewonnen werden. Angesichts der Neigung vieler Democrats, noch den schrillsten Vertretern der Identitätspolitik Beifall zu spenden, muss man fürchten, dass er daran scheitert.


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