Tichys Einblick
Stephans Spitzen:

Die Krise kommt, der Wahlkampf geht weiter

Sickert angesichts der großen Krise Realitätssinn in die abgehobene politische Sphäre ein? Ach was. Es ist immer nur Wahlkampf. Profilierung hat dementsprechend Vorrang, während bitter notwendige Entscheidungen, die das ganze Land betreffen, aufgeschoben werden.

IMAGO / Sven Simon

Sie streiten sich, unsere Ampelosis. Insbesondere der Kanzler der Herzen Robert Habeck bekommt derzeit Zunder. „Murksminister“ nennen ihn bereits einige, darunter auch solche, die ihm ansonsten zugetan sind. Das Gehampele um die Idee einer „Gasumlage“, mit der eh schon gebeutelte Bürger auch solche Unternehmen retten sollten, die aus der Energienotlage bislang Gewinne geschöpft haben, ist hochnotpeinlich, und da hilft es auch nicht, dass Habeck – „er ist ja so authentisch“ – in seiner bekannten und Journalistinnen landauf, landab begeisternden Art den Kopf schief legt und nun eine Korrektur anbietet, die wahrscheinlich zu spät kommt.

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Wenigstens seine Partei steht hinter ihm, mehr oder weniger, vermuten wir mal, und der eine oder andere teilt derweil gegen den Bundeskanzler aus. Ach ja, die SPD – dort entdeckt manch einer mittlerweile wieder sein soziales Gewissen, bevor das gänzlich zum Alleinstellungsmerkmal der Linkspartei wird, und selbst in der CDU unter Merz wagt manch einer Unerhörtes und täuscht auf Opposition an. Aus der FDP hört man überdies den Ruf nach einem „klaren Signal“, die Kernkraftwerke über das Jahresende hinaus zu betreiben, über den schlitzohrigen Vorschlag von Wolfgang Kubicki, sich einfach aus Nord Stream 2 mit Gas zu versorgen, wird der Mantel des Schweigens gebreitet.

Sickert Realitätssinn in die abgehobene politische Sphäre ein? Ach was. Es ist immer nur Wahlkampf. Genauer gesagt: Am 9. Oktober sind Landtagswahlen in Niedersachsen. Und so, wie es sich in Umfragen andeutet, wird der Höhenflug der Grünen anhalten, während die SPD heftig und die CDU mäßig Federn lassen muss.

Der Logik von Wahlkämpfen folgend nimmt der Profilierungskampf in den Wochen davor zu, während bitter notwendige Entscheidungen, die das ganze Land betreffen, aufgeschoben werden. Das gilt etwa für den Abschied vom AKW-Nein-Danke-Credo der Grünen. Wenn weitere Preisexplosionen abgefedert werden sollen, ist es unumgänglich, wenigstens die drei noch arbeitenden Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen. „Frieren für den Frieden“ und „Hungern gegen die Despotie“ gibt bloß dem Wutbürger die Sporen und „Gas sparen“ zwingt vor allem die Wirtschaft in die Knie.

Doch die niedersächsischen Grünen werden schon wissen, warum eine solche Entscheidung frühestens am 10. Oktober bekannt werden darf, viele ihrer Wähler glauben womöglich noch immer, dass Sonne und Wind keine Rechnung schicken.

Was die SPD betrifft: Es kommt ihr entgegen, wenn der Nimbus von Robert Habeck als eigentlichem Bundeskanzler an ihm selbst zerschellt, da muss man nur noch ein ganz klein wenig nachlegen.

Doch nicht zu früh gefreut: Sie werden sich schon wieder zusammenraufen, jetzt, während der Klausur der Bundesregierung in Meseberg. Am Ende wird der Wunsch nach Machterhalt wie immer siegen.

Was der Bürger davon hat?
Genau. Nichts.