Tichys Einblick
Diktatursensibilisiert

Die den Knall noch immer nicht gehört haben

Das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt zeigt: Die "Brandmauer" hat die Rechtsextremen in der AfD begünstigt, aber ihrer Attraktivität für Protestwähler kaum geschadet. Die Parteien, allen voran die SPD, zeigen sich weiter lernunwillig.

Norbert Walter-Borjans, SPD-Parteivorsitzender, mit der SPD-Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, Katja Pähle

IMAGO / Metodi Popow

Die Chancen, dass Menschen aus der Geschichte lernen, sind bekanntermaßen gering. Doch wenigstens aus der Gegenwart sollte die eine oder andere Lehre zu beziehen sein, möchte man jedenfalls meinen. Die Lehre aus Brexit und Trumpwahl liegt nun schon seit Jahren nahe: Verachtet nicht den Lümmel, das Volk, gar als bloße Ansammlung von Bemitleidenswerten. Das rächt sich. Bitter. 

Doch eine Mehrzahl von Politiker kann oder will noch heute den Schuss nicht hören, auch hierzulande, wo sich der Aufstieg der AfD ähnlichen Gründen verdankt: einem Überdruss an den eingefahrenen Riten und Ritualen einer Politikkaste, die den Boden unter den Füßen verloren hat.  

Der Brexit wurde knapp gewonnen – dank einer knappen Mehrheit von Wählern, die sich von der EU-Bürokratie nicht bevormunden lassen und selbst darüber bestimmen wollten, wer aus anderen Ländern zu ihnen stoßen darf. Donald Trump hat seine Wiederwahl nur äußerst knapp verloren – gewonnen hatte er beim ersten Mal gegen eine arrogante politische Elite, der hippe Zeitgeistthemen wichtiger waren als das Leben der Normalen im Lande. 

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Und die AfD? Sie wird bleiben, das zeigen nun auch die jüngsten Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, egal wie unangenehm der eine oder andere Vertreter ist. Ihre Brandmarkung als eine undemokratische Zusammenrottung Rechtsextremer hat nur die Rechtsausleger in der Partei begünstigt – und womöglich jetzt erst recht den Trotz ihrer Wähler geweckt. Entgegen all der Warnrufe derer, die das Etikett „demokratisch“ zu vergeben oder zu entziehen sich berufen fühlen, konnte sie ihr Wählerpotential offenbar weitgehend halten. 

Und auch diesmal ist der Erfolg der AfD das Produkt ihrer Verächter, die nicht begreifen wollen, dass sie mit ihrer Verachtung der Partei vor allem deren Wähler verächtlich machen. 

Wer einen „Ostbeauftragten“ beschäftigt, der nichts Besseres weiß, als wieder einmal eines der Länder der DDR dunkeldeutschlandmäßig zu beschimpfen – die seien dort noch „diktatursozialisiert“ und nicht in der Demokratie angekommen – muss sich langsam fragen lassen, ob das Blindheit oder Schwerhörigkeit ist.

Denn es zeigt sich, dass die AfD besonders in der demokratiesozialisierten  Altersgruppe der unter 40jährigen und gerade nicht unter den „diktatursozialisierten“ Älteren gut abgeschnitten hat. Eine Petitesse, die einen wahren Ostbeauftragten von seiner Linie nicht abbringt: Wanderwitz, und das ist wirklich nicht mehr komisch, fordert nun mehr Engagement bei der politischen Bildung der Jüngeren. „Gewisse Dinge werden von Generation zu Generation weitergegeben.“

Nun, vielleicht ist da sogar etwas dran – allerdings anders, als der Ostbeauftragte meint. Diktatursozialisiert heißt ja auch, ein empfindliches Ohr für Neusprech und Propaganda und ein gutes Gespür für jedes kleine Anzeichen dafür zu haben, dass da eine Politikerkaste abhebt und an der Realität der Menschen vorbei agiert. Ja, vielleicht wird eine solche Empfindlichkeit tatsächlich von Generation zu Generation weitergegeben, und dafür sollten wir alle dankbar sein.

Denn was die jüngere Generation in den letzten Jahren von unseren demokratischen Kräften mitbekommen hat, war eben keine Werbung für die Demokratie. Denn was um Himmelswillen ist demokratisch an der Ausgrenzung und Verteufelung eines politischen Gegners, der die eingefahrenen Kreise stört? Entweder ist eine Partei zur Wahl zugelassen oder nicht. Die AfD aber ist nicht verboten und also noch immer legitime Konkurrentin auf dem Wahlschlachtfeld – und je größer die Verteufelung, desto eher wird sie zur Partei der Protestwähler, die es leid sind, sich vorschreiben zu lassen, wie sie zu leben und zu sprechen haben. 

Merkt man in der marginalisierten SPD wirklich nicht, wie lächerlich es ist, wenn man sich dafür lobt, am Bollwerk gegen den erzbösen Feind mitgebastelt zu haben? Hat man bei der sozialdemokratischen Antifa vergessen, wie wenig Verständnis die sozialdemokratische Basis für den Umgang mit Wolfgang Thierse hatte, als der die Partei ermahnte, sich ihres eigentlichen Klientels zu besinnen, statt politisch korrekte Minderheiteninteressen zu bedienen? 

Und dann die Grünen. Da war doch noch was. Hatten unsere demokratischen Medien nicht eben noch die Partei und deren Kanzlerkandidatin in den Himmel gehoben? Mittlerweile hat sich die Canclerette selbst gecancelt. Ein Verlust ist das nicht.



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