Tichys Einblick
Stephans Spitzen:

Deutsche Schuld, global verfügbar

Die Critical Race Theory kennt nur weiße und europäische Täter, die andere Völker unterdrückt haben. So sah das offenbar auch Außenminister Maas, als er im Mai 2021 am Parlament vorbei ein Abkommen mit dem Staat Namibia einfädelte.

IMAGO
Die Deutschen trauen sich nur das Allerschlimmste zu. Als ob es nicht schlimm genug wäre, dass während der Naziherrschaft Juden, Sinti und Roma, „Asoziale“ und politische Gegner in Lager verfrachtet wurden, wo sie nicht nur an Nazibestialität, sondern auch an Seuchen starben, verhungerten, sich durch Zwangsarbeit totschuften mussten – als ob das nicht reichte, interessieren vor allem die handfesten Greuel, die Erzählungen von Lampenschirmen aus Menschenhaut, etwa. Das, so 1998 der Journalist Jörg Lau, habe dazu geführt, dass die Schilderungen ungeheuerlicher Taten der Nazis in der erfundenen Biografie eine gewissen Binjamin Wilkomirski bei den deutschen Rezensenten eine „fast religiöse Ehrfurcht“ ausgelöst hat: es schmeichele offenbar „der moralischen Eitelkeit des Kritikers, einen Text voll derartiger Schrecken mit gleichsam versagender Stimme zu loben. An solchen Auftritten voller Schuldstolz ist etwas faul.“

Dieser „Schuldstolz“ (Lau) begleitet Deutschland seit langem. Selbst die britische Propaganda im Ersten Weltkrieg mit erschröcklichen Geschichten über die deutschen Barbaren, die Hunnen, hält man bei uns für plausibel, während man sich in Großbritannien längst von der eigenen Propaganda distanziert hat. Etwa von jenem „Blue Book“, in dem die Briten im Mai 1918 das Vorgehen der Deutschen in Südwestafrika als derart grausam beschrieben, dass man den Deutschen die moralische Eignung als Kolonialmacht absprechen müsse. (1926 ließ die britische Regierung die Propagandaschrift einstampfen).

Doch Historiker aus der DDR trieben das Spiel mit Eifer weiter, etwa Horst Drechsler, der den „antiimperialistischen Auftrag des 22. Parteitags der sowjetischen KP“ treulich erfüllte, indem er allein Westdeutschland die historische Verantwortung für Kolonialverbrechen ungeheuren Ausmaßes zuwies.

Das hat offenbar mittlerweile Tradition. Einige unserer Politiker beharren auch dann auf deutscher Schuld, wenn sie nicht nachweisbar ist. Ein Beispiel: die Benin-Bronzen, angeblich gestohlenes kulturelles Erbe der Nigerianer, weshalb Außenministerin Baerbock sie mit großer Geste ins Land zurückbrachte. Dort gingen sie prompt in den Privatbesitz des Königs von Benin über, das Königshaus, bekannt für Sklavenhandel in großem Stil, war schließlich der ursprüngliche Eigentümer.

Macht nichts. Die Critical Race Theory kennt schließlich nur weiße und europäische Täter, die edle Wilde unterdrückt haben. So sah das offenbar auch Außenminister Maas, als er im Mai 2021 am Parlament vorbei ein Abkommen mit dem Staat Namibia einfädelte. „Wir“, die Deutschen, hätten in der kurzen deutschen Kolonialzeit „Völkermord“ betrieben, und bitten „Namibia und die Nachkommen der Opfer um Vergebung.“ (Namibia gibt es allerdings erst seit 1990). Die Vereinbarung von 2021 sieht vor, dass Deutschland in den kommenden 30 Jahren 1,1 Milliarden Euro für Entwicklungs- und Versöhnungsprojekte zahlt, zusätzlich zu der regulären Entwicklungshilfe. Das Geld soll vor allem in jene Gebiete Namibias fließen, in denen die Nama und Herero leben. Diese aber sind mit dem Ergebnis nicht zufrieden.

War es also der erste deutsche Genozid, die Auseinandersetzung der deutschen Schutztruppe mit den Herero, kulminierend in der Schlacht am Waterberg im August 1904 und der darauffolgenden Vertreibung der Herero in die wasserarme Omaheke? Haben, wie der türkische Präsident Erdogan 2016 behauptete, die Deutschen 100 000 Herero in Südwestafrika auf dem Gewissen? Von Afrika nach Auschwitz, wie der Historiker Jürgen Zimmerer meint?

Tomas Spahn hat die Geschichte und den Ausgang des Konflikts für Tichys Einblick akribisch analysiert und attestiert den Deutschen durchaus Kriegsverbrechen, aber keinen Genozid. Vor allem aber habe Heiko Maas einen völkerrechtlich relevanten Präzedenzfall geschaffen, „der die Tür für eine unendliche Kette vom Regressforderungen öffnet.“

Ist der Unterschied zwischen Kriegsverbrechen und Genozid relevant? Aber sicher doch. Und wäre es nicht an der Zeit, deutschen „Schuldstolz“ mit historischen Fakten zu konfrontieren?

Michael Klonovsky fordert angesichts der Milliardenforderung an den deutschen Steuerzahler in Sachen Herero einen Historikerstreit. Zum einen, so greift er auf die Argumentation von Tomas Spahn zurück, sei weder die Zahl der Herero vor der kriegerischen Auseinandersetzung bekannt noch die Zahl ihrer Opfer, gewiss aber waren es keine 100.000, eine derart große Zahl hätte am Waterberg weder Platz noch Nahrung gefunden. Auch habe dort keine „Kesselschlacht“ stattgefunden, sondern eine Reihe von Gefechten. Im übrigen hätten die Deutschen die Herero nicht in die Omaheke getrieben – eine Trockensavanne mit Wasserstellen, keine Wüste –, sondern die Herero nutzten die ihnen seit langem bekannten Routen ins britisch kontrollierte Betschuanaland. Und schließlich war die „Schutztruppe“ trotz martialischer Sprüche ihres Generals Lothar von Trotha längst durch Wassermangel und Krankheiten zermürbt. Die Gesamtzahl der direkt im Kampf gegen die Herero eingesetzten Soldaten betrug wohl maximal 4700 Mann, von denen 2000 oder 3000 gestorben sind.

Es passt dazu, die historischen Gegner lediglich als Opfer zu begreifen, ihnen damit letztlich die Würde abzusprechen – als ob sie auch 120 Jahre nach dem Geschehen noch nicht in der Lage seien, ihr Schicksal in Selbstverantwortung in die Hand zu nehmen.

Das sind sie aber. Sie haben durchaus den Vorteil erkannt, den ihnen die deutsche Reue bietet. Es werden sich gewiss noch andere solcher Opfer finden.