Tichys Einblick
„Heteronormativität“ dekonstruieren

Der Kampf gegen die Normalen

Der absurde Kulturkampf gegen die Normalität treibt immer neue Blüten. Shampoo soll nicht mehr für normales Haar sein, um Menschen mit fettigen oder trockenen Haaren nicht zu beleidigen. Und die SPD schämt sich für Wolfgang Thierse.

IMAGO / photothek

Eben noch hatten wir das Alte Normal verabschiedet und uns etwas furchtsam auf das Neue Normal vorbereitet – und schon stellt sich heraus: Normal, egal, ob alt oder neu, ist abgeschafft. Es gibt es nicht, und wer anderes behauptet, betreibt Entmenschlichung. 

Ein Weltkonzern wie Unilever hat sich an die Spitze der Bewegung gestellt: Haut- und Haartypen sollen demnächst nicht mehr als „normal“ bezeichnet werden. Dabei hatte man bislang annehmen können, „normal“ bei Shampoo und Hautcreme bedeute lediglich, dass jeder sie benutzen kann, der kein besonderes Problem hat, also trocken oder fettig, sozusagen. Irrtum: Man will mit diesem Verzicht gegen „Diskriminierung in der Beauty-Branche“ vorgehen und „gerechter und inklusiver“ werden – weil man „den Menschen und dem Planeten Gutes tun“  will. Und das ist ja wohl das mindeste!

Leaders of the Woke World unite! Dem Normalen ist der Kampf angesagt. Das sei ja sowieso bloß eine Norm, heißt es in aufgeklärten Kreisen, eine Norm, die irgendwer mal erfunden hat, wahrscheinlich ein toxischer alter weißer Mann. Weshalb es auch keine Heterosexualität als das biologische Normal gibt, sondern nur „Heteronormativität“, die dekonstruiert gehört. 

Diese These wird nicht besser, wenn Lobbyisten der LBQGT-Community sie immer schriller wiederholen und den „rückwärtsgewandten Normalos“ Ausgrenzung und Menschenverachtung vorwerfen. Für Geschlechtervielfalt kämpfen, heißt offenbar mitnichten, auch für Meinungsvielfalt zu kämpfen. 

Schrill ging man also auch mit Wolfgang Thierse ins Gericht. Der altgediente SPD-Genosse erntete nach einem grundvernünftigen Essay in der FAZ tiefste Abscheu von Seiten der SPD-Chefin Saskia Esken und ihrem Vize Kevin Kühnert. Beflissen baten die beiden die Queer-AG in der SPD um Entschuldigung und bekundeten, „zutiefst beschämt“ zu sein über das „rückwärtsgewandte Bild“ der Partei, das da einige zeichneten – womit ganz offenbar Thierse gemeint war. 

Thierse letztes Jahrhundert! Vorwärts immer, rückwärts nimmer! Man würde gern lachen, wenn es nicht so ärmlich und erbärmlich wäre.

Denn Thierse argumentierte lediglich – realistisch. Wenn das heute bei führenden Figuren in der SPD bereits als unmodern gilt, muss man sich nicht lange fragen, warum die einstige Volkspartei nur noch als abgenagtes Skelett in der Landschaft steht. Oder, wie es Nils Heisterhagen formuliert: „Eine SPD, der Lady Bitch Ray wichtiger ist als Wolfgang Thierse, hat keine Zukunft mehr.“

Thierse stellt die Fragen, die kluge Menschen weltweit stellen – in Deutschland etwa Wolfgang Streeck, Bernd Stegemann, Sahra Wagenknecht und Harald Martenstein, der die identitären Aktivisten „Menschensortierer“ nennt. Nicht der Einzelne gilt, sondern die Gruppenzugehörigkeit. Und wer sich gegen die selbsternannten Stellvertreter des Kollektivs stellt, ist ein „Token“, ein Agent des Feindes.

Man kann das auch Rassismus nennen, das ist derzeit besonders angesagt. 

Doch Thierse fragt nicht nur, wann Identitätspolitik in Spaltung umschlägt. Er erklärt gleich noch für „elitäre, arrogante Dummheit“, wenn man nicht wahrhaben wolle, dass sich die Nation keineswegs erledigt hat und dass nicht nur Minderheiten, sondern auch Mehrheiten „berechtigte kulturelle Ansprüche“ haben, die man nicht als „bloß konservativ oder reaktionär oder gar als rassistisch“ denunzieren sollte. „Opfer sind unbedingt zu hören, aber sie haben nicht per se recht.“ Um Diversität friedlich und produktiv zu leben, brauche es die Bereitschaft, „das Eigene in Bezug auf das Gemeinsame, auf das Gemeinwohl zu denken (…), also auch das Eigene zu relativieren.“ Respekt vor Vielfalt und Anderssein „muss eingebettet sein in die Anerkennung von Regen und Verbindlichkeiten, übrigens auch in die Akzeptanz von Mehrheitsentscheidungen.“

Pardauz! Ein Tabu reiht sich ans andere. Gewiss – niemand will sich von der bloßen Mehrheit unterdrücken lassen. Von irgendeiner Minderheit jedoch ebenso wenig. Das Mehrheitsprinzip ist die Grundlage unserer Demokratie, nebenbei gesagt. Und auch die Normalen sind – die Mehrheit.

Das bisschen Flak gegen seinen common sense hat Wolfgang Thierse locker weggesteckt, denn die Dankesschreiben gequälter Sozialdemokraten gingen in die Tausende. Den vielen Normalen scheint langsam aber sicher der Kragen zu platzen. „Deutsch mich nicht voll“, eine Installation an der Glasfassade des Frankfurter Schauspielhauses, soll Solidarität mit allen von Rassismus betroffenen Menschen zeigen und zeugt doch mehr noch von der Verachtung des stinknormalen deutschen Bürgers. Ähnlich identitätsstiftend ist ein Beitrag jüngst in der Zeit, in dem als völlig einleuchtend empfunden wird, Deutsche als „Menschen mit Nazihintergrund“ zu bezeichnen, was zuvor zwei Künstler vorgeschlagen hatten.

Ist dieser Wahnsinn noch heilbar? „Wer in der Gesellschaft keine Anerkennung findet, sucht sie gegen sie“, sagt Norbert Bolz. Das hilft nur nicht weiter. 


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