Tichys Einblick
Stephans Spitzen:

Im Bällebad des Wertewestens

Wie erfolgreich die Mission des Wertewestens ist, hat man zuletzt in Afghanistan gesehen. Nicht alle Menschen und Staaten auf der Welt ticken nach unserer Fasson. Wer, wie Annalena Baerbock, vom „Wertewesten“ redet, möchte entweder die harten Fakten unter moralischem Gewölk verbergen oder hat noch immer nicht begriffen, dass die Welt gänzlich anders funktioniert.

IMAGO / photothek

Man muss es täglich, stündlich, minütlich wiederholen, wenn es um deutsche Außenpolitik und insbesondere um die Außenministerin geht: Zwischen Staaten gibt es keine Freunde, höchstens Allianzen – Charles de Gaulle. Oder Henry Kissinger, über die USA: „Amerika hat keine dauerhaften Freunde oder Feinde, nur Interessen.“ Insofern ist es auch unsinnig, davon zu reden, dass Staaten gemeinsame „Werte“ haben. Eher im Gegenteil: wer, wie Annalena Baerbock, vom „Wertewesten“ redet oder von „Wertepartnern“, möchte entweder die harten Fakten unter moralischem Gewölk verbergen oder hat noch immer nicht begriffen, dass die Welt gänzlich anders funktioniert.

Nehmen wir allein die USA: dort hat man stets mit Despoten, Autokraten und Majestäten kooperiert, solange es den eigenen Interessen diente – sei es im geopolitischen Sinn oder, was Energie und Rohstoffe betrifft. Opferte man doch irgendwann einen dieser Freunde, wie etwa Muammar Al-Gaddafi, ließ man die Welt glauben, es habe sich wieder einmal um eine notwendige Handlung gehalten, eine moralische Notwendigkeit a la „to make the world safe for democracy“. (So Woodrow Wilson, der damit den Kriegseintritt der USA 1917 begründete, womit der europäische Krieg zum Weltkrieg wurde. Später allerdings bequemte er sich zur Wahrheit: der Weltkrieg sei „ein kommerzieller und industrieller Krieg“ gewesen, „kein politischer Krieg“.)

Die moralische Tünche ist gefährlich. Wer die Verteidigung höchster Werte für sich reklamiert, möchte sich nicht nur unangreifbar machen. Er spricht auch allen die Menschlichkeit ab, die nicht auf der gleichen Wolke schweben. Fein hat man im China die deutsche Außenministerin jüngst darauf hingewiesen: „Was China am wenigsten braucht, ist ein Lehrmeister aus dem Westen,“, meinte Qing Gan, ihr chinesischer Amtskollege. Jeder Staat habe seine eigenen Gegebenheiten und kulturellen und historischen Hintergründe.

In der Tat: wie erfolgreich die Mission des Wertewestens ist, hat man zuletzt in Afghanistan gesehen. Nicht alle Menschen und Staaten auf der Welt ticken nach unserer Fasson. Notiz am Rande: Baerbock soll zum Thema Taiwan in China erklärt haben, „Konflikte dürfen nur friedlich gelöst werden.“ Aha. Nur nicht, was Russland betrifft, demgegenüber gilt der Grundsatz der Moral, sei es doch das Reich des Bösen, und demgegenüber sind alle Mittel gerechtfertigt, vor allem die unfriedlichen.
In Kriegsdingen geht es nicht um Gut gegen Böse. Das Glück im Krieg hängt eher von der Stärke der Bataillone ab denn vom moralischen Zuschnitt der Kriegsparteien, wie man im Europa des 19. Jahrhunderts noch wusste. Doch wo die Moral und die Gut-Böse-Dichotomie dominieren, sind nicht nur die feindlichen Armeen teuflische Entsandte Mordors, sondern die Entmenschlichung bezieht auch die Zivilbevölkerung ein, die im Zeitalter der Massenarmeen involviert wurde wie kaum je zuvor.

Die alte kriegsvölkerrechtlich verbürgte Einhegung, wonach Kampfhandlungen nur zwischen Kombattanten legitim sind, hat sich in Zeiten der Atombombe und der Guerilla erledigt. Die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki fielen ganz ohne auch nur den Anschein einer Begründung, etwa der, damit hätte eine kriegsrelevante Industrie getroffen werden müssen, etwas, was bei der Massenbombardierung deutscher Städte wenigstens hie und da noch versucht wurde, wonach zivile Opfer bedauernswerte Kollateralschäden seien. Nein: sie waren gemeint, sie waren das Ziel.

Die Verrohung der Sitten: zwischen einer feindlichen Regierung und der Zivilbevölkerung keinen Unterschied mehr zu machen. Das zeichnet auch die Rhetorik Baerbocks aus – und die allgemeine deutsche Unart, Künstler auszuladen, weil sie Russen sind. Die Justifizierung des Feindes ist die Grundlage jener fundamentalen Kriegsökonomie, wonach es darauf ankommt, dem Gegner das Aufgeben stets offenzuhalten, damit die Kriege kurz und mäßig bleiben. Die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation dient diesem Ziel jedenfalls nicht.

Moral setzt die Regeln außer Kraft, macht den Gegner zum absoluten Feind. „Ich will, dass wir siegen, aber nicht zu sehr“, sagte ein weiser alliierter General im zweiten Weltkrieg. Daran sollte man sich halten, zumal, wenn man an das Danach denkt: an die Zeit, in der man wieder in Frieden zusammenleben will. Die enthemmte Kriegsrhetorik einer feministischen Außenministerin ist da nicht hilfreich.

Achja, der Feminismus. In einem Streitgespräch mit Klaus von Dohnanyi erklärte Kristina Lunz, feministische Außenpolitik sei „der Versuch, die traditionellen Paradigmen von Außen- und Sicherheitspolitik auf den Kopf zu stellen.“ Und: „Neue Moralideen und neues Gewohnheitsrecht zu schaffen, kann nur gelingen im Bündnis mit Gleichgesinnten, die an einem Strang ziehen.“
Genau.

Das ist die Selbstermächtigung der allzeit Moralgewissen über den Rest der Welt. Mädels: das wird nicht funktionieren.


Das neue Buch von Cora Stephan, „Über alle Gräben hinweg. Roman einer Freundschaft“ ist am 8. Februar bei Kiepenheuer & Witsch erschienen