Tichys Einblick
Linke mögen nur Migranten als Opfer

„Was ist dran an den Erzählungen?“

Tomas Spahn in einem Gespräch der anderen Art mit Ali Ertan Toprak von der Kurdischen Gemeinde Deutschland.

Ali Ertan TOPRAK, Praesident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbaende e.V. und Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde Deutschlands

imago/Oryk Haist

Tomas Spahn: Herr Toprak, in Kreisen der Kurdischen Gemeinde Deutschland ist derzeit eine Geschichte zu hören, deren Tragweite kaum vorstellbar ist. Ich würde gern mit Ihnen darüber sprechen.

Ali Ertan Toprak: Das kann ich zwar verstehen, aber gerade, weil die Situation derart surreal ist, möchte ich mich dazu besser nicht äußern.

Das wiederum kann ich angesichts dessen, was ich gehört habe, und auch angesichts des jüngst einmal mehr dokumentierten Vorgehens manch mächtiger Kreise gegen unabhängige Medien nachvollziehen und verstehen. Aber vielleicht machen wir es einfach so: Ich erzähle Ihnen jetzt, was ich gehört habe. Sie müssen das nicht bestätigen – aber Sie können es ja deutlich machen, wenn eine Darstellung nicht auf Tatsachen beruht.

Ich werde Ihnen von mir aus nichts erzählen. Aber ich kann selbstverständlich nicht verhindern, dass andere etwas erzählen. Also lassen Sie mal hören, was Sie gehört haben.

Gut. Dann fange ich mal an. Es wird erzählt, dass Sie und ein weiteres Mitglied Ihres Vorstandes einen Termin mit dem Landesvorsitzenden des größten Landesverbandes einer auf Bundesebene regierenden Partei hatten. Ist das zutreffend?

Solche Gespräche führen wir regelmäßig mit den unterschiedlichsten Parteivertretern. Ich kann diese Darstellung nicht dementieren.

Es wird weiterhin erzählt, es sei darum gegangen, von der deutschen Politik klare Aussagen zu dem Vorgehen der Türkei zu bekommen, deutsche Staatsbürger mit kurdischen Wurzeln zu kriminalisieren, ihnen die Einreise zu verweigern oder sie sogar ohne Grund in der Türkei festzuhalten.

Tatsache ist, dass deutsche Staatsbürger mit kurdischen Wurzeln häufig allein schon wegen ihres kurdischen Ursprungs von der Türkei als PKK-Terroristen kriminalisiert werden. Mit der PKK aber haben sie überhaupt nichts zu tun. Das einzige, was ihnen aus Sicht der Türkei vorgeworfen wird, sind eine kritische Stellungnahme zur Politik Erdogans und ihre kurdischen Wurzeln. Erdogan-Kritik plus Kurde gleich Terrorist. So einfach lautet die Formel, die leider auch in den deutschen Diensten kaum differenziert wird.

Da Deutschland und die sozialen Medien von nationaltürkischen Spitzeln der Muslimbruderschaft durchsetzt sind, geht jede kritische Äußerung sofort an den türkischen Geheimdienst. Mir selbst wurde schon vor vier Jahren von Freunden aus der Türkei signalisiert, dass ich einen großen Bogen um das Land meines Ursprungs machen soll. Ich stünde auf einer „Schwarzen Liste“ jener, die bei Einreise sofort zu verhaften seien. Grund: Mein Engagement für Deutsche mit Wurzeln in der Türkei und meine Kritik daran, dass Deutschland die Türkei auf dem Weg in die nationalislamische Diktatur sogar noch unterstützt . Deshalb bin ich für Erdogan Terrorist – und eine staatstreue, auch in Deutschland vertriebene Zeitung der Türkei hatte ja auch schon einmal ein Foto von mir auf der Titelseite, wo ich offiziell als Terrorist bezeichnet wurde. Dafür reicht es also völlig, wenn man sich für eine demokratische Türkei engagiert, in der die Volksgruppen friedlich und gleichberechtigt miteinander leben können. Mit anderen Worten: Solche Gespräche führen wir mit deutschen Politikern regelmäßig.

Der Politiker, der nebenbei im Deutschen Bundestag sitzt und sein Jurastudium abgebrochen hat, soll daraufhin mitgeteilt haben, dass es das selbstverständliche Recht der Türkei sei, Menschen die Einreise zu verbieten. Schließlich würde die Bundesrepublik auch Terroristen an der Einreise hindern.

Diese Darstellung kann ich nicht dementieren.

Daraufhin sollen Sie darauf hingewiesen haben, dass Sie diesen Vergleich für unerträglich halten, weil es sich bei den Deutschen, die von der Türkei kriminalisiert würden, um anständige Bürger und nicht um Terroristen handele, die wie jene des Islamischen Staats des Massenmordes schuldig seien und Terroranschläge planen. Dieser Hinweis soll Ihren Gesprächspartner erheblich erbost haben.

Auch diese Darstellung kann ich nicht dementieren.

Weiterhin wird erzählt, Sie hätten in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Sie sich von der deutschen Politik eine ähnlich klare Ansage gegenüber der Türkei wünschen, wie sie der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz getätigt hat. Kurz hatte erklärt, die Republik Österreich und seine Regierung werden es nicht zulassen, dass österreichische Staatsbürger gleich welcher Herkunft von ausländischen Mächten kriminalisiert, stigmatisiert und eingeschüchtert würden.

Eine solche Aussage hat Kurz tatsächlich gemacht und ja, ich erwarte von der deutschen Politik, dass sie sich ebenso selbstverständlich auch dann vor ihre Staatsbürger stellt, wenn diese einen Migrationshintergrund haben. Für uns ist der österreichische Bundeskanzler in dieser Frage tatsächlich vorbildlich – auch wenn solche Aussagen eigentlich keiner besonderen Betonung bedürften. Die Forderung stelle ich regelmäßig in Gesprächen, weil ich solche unmissverständlichen Statements bei deutschen Politikern vermisse.

Also auch kein Dementi. Auf diesen Hinweis nun soll Ihr Gesprächspartner förmlich ausgerastet sein und angefangen haben, mit hochrotem Kopf laut zu werden. Es sei eine Unverschämtheit von Ihnen, Herr Toprak, es zu wagen, den Namen dieses Menschen, der mit Rechtsfaschisten von der FPÖ paktiere, überhaupt in den Mund zu nehmen. Diesen Menschen dann noch als Vorbild anzuführen, mache Ihre wahre Gesinnung deutlich.

Die Einschätzung „ausrasten“ ist selbstverständlich eine persönliche Bewertung der Erzählenden. Ich für mich würde andere Formulierungen vorziehen. Zu dem Rest möchte ich mich nicht äußern.

Es wird erzählt, dieser Politiker habe Ihnen daraufhin gedroht. Er werde dem Außenminister – seinem Parteifreund – erzählen, was Sie, die deutschen Kurden, für eine rechte Gesinnung hätten. Denn Sie hätten jetzt offen eine rechtsfaschistische Regierung gelobt.

Auch das kann ich nicht dementieren.

Nun, daraufhin hätten Sie Ihren Gesprächspartner mit deutlichen Worten darauf hingewiesen, dass Sie es sich verböten, auf eine derart unverschämte und beleidigende Art in eine politische Ecke gestellt zu werden, in die Sie nicht gehörten.

Tatsächlich kann ich mich nicht erinnern, jemals zuvor in meiner politischen und meiner Verbandstätigkeit derart unverhohlen angegangen und beleidigt worden zu sein. Zumindest nicht von Personen, die sich selbst für Demokraten halten. Dieses deutlich zu machen, halte ich für selbstverständlich.

Allein bis zu diesem Punkt ist die Geschichte schon unfassbar. Aber die in der KGD kursierende Geschichte geht ja noch weiter. Auf diesen, ich formuliere es einmal freundlich als Wortwechsel, sollen Sie weiterhin darauf hingewiesen haben, dass es sich bei Kurz um den gewählten Bundeskanzler eines befreundeten Landes und EU-Partners handele, und dass Sie solche Ausfälle über einen demokratisch legitimierten Regierungschef für völlig unpassend erachten.

Tatsache ist, dass Sebastian Kurz demokratisch gewählter Bundeskanzler unseres befreundeten Nachbarlandes ist. Auf diese Tatsache hinzuweisen, halte ich unabhängig davon, ob man dessen Politik teilt oder nicht, für völlig selbstverständlich. Zu dem Rest möchte ich mich nicht äußern.

Nun ja. Bis zu diesem Punkt erfolgte zu der kursierenden Geschichte kein Dementi. Und sie ist immer noch nicht am Ende. Nach Ihrem Hinweis auf die Legitimität des Bundeskanzlers Kurz soll sich der Ton Ihres Gesprächspartners noch weiter verschärft haben. Nun ging es überhaupt nicht mehr um Ihr ursprüngliches Anliegen. Vielmehr habe sich Ihr Gesprächspartner zu einem Statement hinreißen lassen, in dem er von einem Versuch der Rechtsfaschisten sprach, seinen – also wörtlich seinen – Staat an sich zu reißen. Das würden er und seine Partei niemals zulassen und die Faschisten mit allen, wirklich allen Mitteln bekämpfen. In den Kreisen der KGD wird es so dargestellt, als habe Ihr Gesprächspartner letztlich mit einem Bürgerkrieg gedroht, um die von ihm behaupteten Rechtsfaschisten verschwinden zu lassen.

Jede Erzählung neigt dazu, Vorgänge und Bewertungen etwas zuzuspitzen. Ansonsten möchte ich mich zu der Darstellung nicht äußern.

Daraufhin sollen sie das Gespräch beendet und den Raum verlassen haben.

Ich habe ein Gespür dafür, wann es keinen Sinn macht, mit einem Gesprächspartner weiter konstruktiv verhandeln zu wollen. Aber dennoch kann man den Versuch unternehmen, ein Gespräch wieder auf eine konstruktive Ebene zu bekommen. Stellt man dann allerdings fest, dass keinerlei Gesprächsebene vorhanden ist, soll man gehen.

Sie sind also mit Ihrem ursprünglichen Anliegen keinem Schritt vorangekommen.

Das muss ich leider bestätigen. Wir finden das insofern bedauerlich, als die besagte Partei in der Öffentlichkeit immer den Eindruck vermittelt, gerade für Migranten und Migrantenkinder ein offenes Ohr zu haben und sich für die Rechte aller Menschen einzusetzen. Aber die Erfahrung lehrt auch, dass eine öffentliche Darstellung nicht zwingend den Tatsachen entsprechen muss. Dieses ist eine grundsätzliche Feststellung.

Ihr Gesprächspartner gehört einer Partei an, die sich links von der Mitte einordnet. Gibt es aus dieser Geschichte, deren erstaunliche Einzelheiten Sie nicht dementiert …

… aber auch nicht bestätigt …

… haben – richtig – eine grundsätzliche Erkenntnis?

Nun, mir führen solche Begegnungen der besonderen Art immer wieder vor Augen, dass linke Politiker Migranten nicht auf gleicher Augenhöhe sehen. Wir sind Ihnen nur in der Opferrolle einer angeblich feindlichen, deutschen Gesellschaft und als Bittsteller einer patriarchalisch-generösen Parteikaste willkommen. Wenn wir es aber wagen, als gleichberechtigte Akteure und Mitbürger aufzutreten, eigenständige und selbstbewusste Positionen einzunehmen und uns nicht für deren Parteipolitik instrumentalisieren zu lassen, fallen wir offenbar aus dem gewünschten Klischee und werden sofort ausgegrenzt, unsere Anliegen abqualifiziert und wir letztlich als unfähig zu jeder politischen Beurteilung herabgewürdigt. Gute Migranten sind offenbar nur dumme Migranten.

Würden linke Ideologen bei einem solchen Verhalten seitens verantwortlicher Politiker nicht von ganz üblem Rassismus sprechen und dieses unfassbare Fehlverhalten eines Politikers, der gleichzeitig Landesvorsitzender einer immer noch wichtigen Partei und Bundestagsabgeordneter ist, zum Anlass nehmen, den verantwortlichen Politiker zum sofortigen Rücktritt aufzufordern?

Dazu möchte ich mich nicht äußern.

Kann ich nachvollziehen – und Sie sind ja auch kein linker Ideologe. Wollen wir unseren Lesern noch verraten, um wen es sich konkret gehandelt hat?

Ich denke, das wissen Ihre Leser längst. Es gibt im Moment nur drei Parteien, die auf Bundesebene Regierungsverantwortung tragen und von denen bei einer der größte Landesverband nicht in landespolitischer Verantwortung steht.

Stimmt. Auch wissen unsere Leser sehr gut, wie sie nicht bestätigte Geschichten, die nicht dementiert werden, einzuschätzen haben. Herr Toprak, ich danke für dieses absolut nichts sagende und dennoch sehr unterhaltsame und aufschlussreiche Gespräch.