Tichys Einblick
Teil 1 von 2

Türkische Provokationen – europäische Unterwerfung

Das Muster ist immer dasselbe. Erdogan provoziert und führt Krieg. Die EU schmollt und zahlt.

imago images / Seskim Photo
Als Hitler in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts ansetzte, die Welt zu erobern, begründete er dieses Vorhaben auf Grundlage seiner in „Mein Kampf“ niedergelegten Vorstellungen damit, dass „die Deutschen“ einen historischen Auftrag hätten, ein Großdeutschland, welches nicht identisch war mit den Vorstellungen des Paulskirchenparlaments von 1848, schaffen zu müssen. Dazu erzählte er „seinen“ Deutschen, dass eine „Vorsehung“ sie dazu bestimmt hätte, entweder „Weltmacht oder überhaupt nicht“ zu sein. Die sich im postkolonialen Phantomschmerz des verlorenen „Völkerkriegs“, der tatsächlich ein Krieg der europäischen Imperien gewesen war, suhlenden Kriegsverlierer waren mehr als bereit, die ihnen obliegende Schmach der Niederlage und des Verlustes globaler Größe durch Krieg und Eroberung wettzumachen. Dazu sollten als erster Schritt all jene Gebiete, die 1848 zum Großdeutschen Reich gehört hätten, „heim ins Reich“ geholt werden. Damit war Hitler durchaus erfolgreich:
  • In einer Volksabstimmung am 13. Januar 1935 entschieden sich bei einer Wahlbeteiligung von 97,99 Prozent genau 90,73 Prozent der Saarländer für den Wiederanschluss an das Reich. Der Völkerbundsrat setzte den Entscheid zum 1. März 1935 um – das Saarland war wieder deutsch.
  • Die Wiederbesetzung des Rheinlands im Jahr 1936 stellte die deutsche Souveränität über das Industriezentrum des Reichs wieder her – die ehemaligen Siegermächte, allen voran Frankreich, das das Rheinland kontrolliert hatte, akzeptierten zähneknirschend.
  • Bereits am 12. November 1918 hatte der Provisorische Nationalstaat Deutsch-Österreichs beschlossen, dass das, was vom Vielvölkerstaat der K.u.K-Monarchie als deutsches Siedlungsgebiet verblieben war, sich der jungen deutschen Republik anschließen werde. Im Februar 1919 bestätigte die Reichsregierung auf Grundlage entsprechender Beschlüsse der Nationalversammlung den Beitritt, am 2. März 1919 unterzeichneten die Außenminister beider deutscher Staaten das „Anschlussprotokoll“, mit dem Deutschösterreich als „selbstständiger Gliedstaat“ Teil des Reichs werden sollte. Die Siegermächte legten ihr Veto ein, gezwungenermaßen entstand die Republik Österreich. Auf Druck der nationalsozialistischen Reichsregierung in Berlin dankte die austrofaschistische Regierung dann am 11. März 1938 ab, machte den Weg frei für den Anschluss, der zu diesem Zeitpunkt von einer erkennbaren Mehrheit der Österreicher gefeiert wurde.
  • Das Münchner Abkommen vom 29. September 1938 gliederte die sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei dem Reich an. Am 1. Oktober 1938 marschierte die Wehrmacht ein – tags darauf besetzte Polen vereinbarungsgemäß das Teschener Olsagebiet. Einen Monat später übernahm Ungarn die Südslowakei, deren Bevölkerung zu 86,5 Prozent ungarisch sprach.
  • Seit dem 15. März 1939 besetzte das Reich die sogenannte „Rest-Tschechei“, nachdem bereits am 14. März der slowakische Teil der Tschechoslowakei seine Separation erklärt hatte. Auch das wurde von den Alliierten hingenommen – und Hitler konnte die Schaffung des „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren“ immer noch historisch begründen: Von 1198 bis 1806 hatte das Königreich Böhmen zum Heiligen Römischen Reich gehört, anschließend bis zum 31. Oktober 1918 war es – trotz überwiegend tschechischer Bevölkerung – Teil des Habsburger Vielvölkerstaats. So akzeptierten die Alliierten auch diese Annexion, wenngleich die bisherige Lesart, die die Anschlüsse an das Reich mit dem Selbstbestimmungsrecht der Völker begründete, hier nicht mehr greifen konnte.

Bis zu diesem Zeitpunkt kann man im Sinne klassischer Imperienbetrachtung durchaus von einer erfolgreichen Politik sprechen: Die Geschichtsbücher feiern seit eh auch gewaltsam durchgesetzte Imperialpolitik dadurch, dass sie deren erfolgreichen Akteuren das Prädikat „der Große“ anheften – zumindest dann, wenn am Ende der Eroberungspolitik ein Großreich stand. Die politische Philosophie, die hinter dieser Betrachtung stand, lautete: Nur große Reiche haben eine dauerhafte Existenzberechtigung. So wurde aus einem Mazedonen Alexander der Große, aus einem Franken Karl der Große, aus einer deutschen Fürstentochter Katharina die Große – und aus einem Korsen wäre Napoleon der Große geworden, wären seine imperialen Großmachtpläne nicht in der Schlacht bei Waterloo geplatzt. Die Tatsache, dass die meisten der territorialen Eroberungen mit Terror, Mord und Unterdrückung einhergingen; dass nicht einer der „Großen“ über eine demokratische Legitimation verfügte und die Menschen für sie nur Spielmasse waren, blieb in der historischen Betrachtung unbedeutend. Was also hätte Mitte 1939 Hitlers Einzug in die Ruhmeshalle der „Großen“ aufhalten können, wenn nicht, wie geschehen, er selbst? Dabei hatte er sich selbst längst in diese Halle der Weltveränderer geträumt – und als er mit seinen Weltmachtplänen scheiterte, sollte mit ihm auch das ihm willig gefolgte deutsche Volk untergehen.

Die großserbische Agenda

Als das Nachkriegs-Kunstprodukt Südslawien – Jugoslawien – in den Achtzigern des 20. Jahrhunderts zerbrach, wiederholte sich das deutsche Szenario auf dem Balkan. Slobodan Milosevic, einst als Kommunist gestartet, erkannte die Macht der Legende und baute auf serbischen Mythen den Anspruch eines Großserbien. Wieder folgte ihm ein Großteil des von ihm auserwählten Volkes in der Vorstellung, dass Serbien überall dort sei, wo ein Serbe seine Heimstatt hatte. Schon 1914 hatte die Erzählung eines Großserbien den Selbstvernichtungskrieg der europäischen Imperien ausgelöst. Dieses Mal sollte es erst einmal nur darum gehen, die Abspaltung jener Volksidentitäten zwischen Kärnten und Mazedonien zu verhindern, die jenem Jugoslawien, das die serbischen Nationalisten immer schon als Großserbien betrachtet hatten, den Rücken kehren wollten. Es folgte ein Vernichtungskrieg gegen jene, die den großserbischen Anspruch für sich nicht gelten lassen wollten – und serbische Marodeure trugen mit ihrem Vernichtungsfeldzug gegen bosnische Muslime erheblich dazu bei, den radikalislamischen Terror nach Europa zu tragen. Auch Milosevic scheiterte – doch der großserbische Traum hat bis heute Anhänger, die sich gern auch von jener bereits unter den russischen Zaren erdachten Panslawischen Gemeinschaft leiten lassen, welche wiederum Wladimir Putin immer dann ins Gespräch bringen lässt, wenn es darum geht, die slawischen Balkanstaaten nicht den Weg nach Westeuropa finden zu lassen.

Der Muslimbruder Erdogan

Aktuell nun ist es der gefühlte Großtürke Recep Tayyip Erdogan, der sich imperialer Legenden bedient, um einst als Recep der Große in den Geschichtsbüchern zu stehen. Wie Hitler und Milosevic, die hier nur für eine lange Reihe anderer Expansionisten stehen, knüpft er an die Legende nationaler Größe und mythischer Bestimmung zur Vormacht über die Nachbarvölker an, trägt dabei längst den Krieg in Regionen, in denen nie ein „Türke“ gesiedelt hat. Gleich seinem Vorbild Hitler nutzt er den durch den Untergang des Osmanischen Reichs verursachten Minderwertigkeitskomplex des osmanischen Phantomschmerzes zahlreicher seiner Landsleute, um seine totalitäre Politik des neo-osmanischen Imperialismus in der Bevölkerung zu verankern.

Gleich seinem Vorbild auch hatte Erdogan bereits früh deutlich gemacht, wohin seine Politik führen werde. Das Zitat aus dem Gedicht des türkischen Nationalisten Mehmed Ziya, der unter dem Pseudonym Ziya Gökalp publizierte, stellte er schon am 6. Dezember 1997 als Grundlage seines Eroberungskonzepts vor: “Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.” Zu diesem Zeitpunkt sollte es noch sechs Jahre dauern, bis er Ministerpräsident der Türkei wurde und das Land behutsam, aber umso erfolgreicher in eine Präsidialdiktatur umbauten konnte.

Das (vorläufige) Ende des Kalifats

Allein schon die Berufung auf Ziya spricht für sich. Der einer nordwestiranischen Volksgruppe mit der Bezeichnung Zaza entstammende Politiker, 1876 bei der ostanatolischen Stadt Diyarbakir geboren, gilt als wesentlicher Vordenker eines türkischen Nationalismus, der die Ablösung des osmanischen Kalifats betrieb und die Ideologie eines Pantürkismus entwickelte, wonach die „Türken“ eine große Familie bildeten, die vom Bosporus bis in die Mongolei siedelte. Für Ziya war der türkische Nationalismus untrennbar mit dem Islam verbunden. Bereits als Student hatte er sich einem Geheimbund, dem „Komitee der Einheit und des Fortschritts“ (KEF), angeschlossen, in dessen Zentralkomitee er 1909 aufstieg. Diese „İttihad ve Terakki“ gilt als maßgebliche Kraft hinter der jungtürkischen Bewegung, die ab 1908 die Macht im Osmanischen Reich an sich riss und maßgeblich die Verantwortung für den Völkermord an den Armeniern trug. Abdülhamid II, zu diesem Zeitpunkt noch Sultan des Reichs, wurde am 27. April 1909 mit vorgehaltener Waffe zum Rücktritt gezwungen und durch Mehmed V als Marionette der Jungtürken ersetzt. Es folgte eine Phase, in der das KEF wegen Korruption und Vetternwirtschaft massiv an Zustimmung in der Bevölkerung verlor und sich bei den Wahlen im Februar 1912 nur mit massivem Gewalteinsatz gegen die Wähler an der Macht halten konnte. Als auch der militärische Niedergang der Türkei in den Balkankriegen 1912 unübersehbar wurde, überfiel eine bewaffnete Soldateska des KEF am 23. Januar 1913 das Büro des Kriegsministers, der sofort erschossen wurde, und zwang Mehmed V zur Abdankung. Damit endete das Osmanische Sultanat ebenso wie das Islamische Kalifat, deren letzter Vertreter der Marionetten-Pascha gewesen war.

Eine Ideologie aus Nationalismus, Hitler und Islam

Erdogan, der nach eigenen Angaben georgischer Herkunft und damit kein „Türke“ ist, verknüpfte die politischen Ansätze der KEF mit den Machtübernahme-Instrumentarien, die er sich bei Hitler abgeschaut hatte, und beides wiederum mit der Ideologie des Hasan alBanna. Der Ägypter alBanna hatte die heute überaus einflussreiche Muslimbruderschaft gegründet, zu der sich Erdogan durch Zeichen und Symbole regelmäßig als zugehörig erklärt. Die Muslimbruderschaft hat sich eine eigene Geschichtslegende gestrickt, nach der die westeuropäische Renaissance ausschließlich durch den Einfluss der islamischen Welt möglich wurde und der europäische Kolonialismus bewusst und gezielt die Teilhabe der wirtschaftlich wie politisch unterentwickelten, islamischen Staaten an der Moderne verhindere. Um dieses zu ändern, knüpften die Muslimbrüder an die Anfangsphase der Welteroberung durch Mohammeds Beduinenkämpfer an und bezeichnen den Islam nicht nur als Religion, sondern behaupten ihn als „Zivilisationsmodell“. Mit „Zivilisation“ allerdings hat dieses Modell allein schon deshalb nichts zu tun, weil der Islam keinen „Civis“ als freien Bürger kennt. Das korrekt als „Kulturmodell“ zu bezeichnende Herrschaftssystem des Islam anerkennt lediglich Muslime als vollberechtigte Mitglieder seiner Gemeinschaft – und hierbei liegt so etwas wie ein Vollrecht ausschließlich bei männlichen Anhängern der Ideologie des arabischen Waisenjungen.

Erdogan hatte bei Ziya und dessen Komitee abgeschaut, wie Macht funktioniert. Schon Ziya hatte beschrieben, dass der türkische Nationalstaat sich der Instrumente der Europäer – und deren naiver Unterstützung – bedienen müsse, um den maroden Staat in Kleinasien in seinem Sinne umzubauen und zu modernisieren. Am Ende dieses Prozesses sollte ein großtürkisches Reich stehen, das auf der Grundlage des Islam das türkische Volk zum natürlichen Herrscher über alle im Großstaat angesiedelten Nicht-Türken auserkoren habe. Erdogan entwickelte dieses Modell in seinem Sinne weiter: Nach der national-islamischen Gleichschaltung der Türkei strebt er die Restauration des islamischen Kalifats unter türkischer Hegemonie an. Territorial bedeutet dieses: Alle Gebiete, die 1914 unter osmanischer Herrschaft standen, sind unabhängig von der dortigen Wohnbevölkerung in das großtürkische Reich zu integrieren oder, wo dieses nicht unmittelbar möglich ist, unter türkische Hegemonie zu bringen. Deshalb ist für Erdogan der völkerrechtswidrige Einfall in Nordsyrien auch nichts anderes als ein logischer Schritt, um diese verlorenen Gebiete zu „repatriieren“.

Erdogan offenbarte seine Pläne früh

Was unmittelbar auf seiner großtürkischen Agenda steht, zählte er anlässlich seines Wahlsiegs im Jahr 2011 auf: „Glauben sie mir, Sarajevo gewann heute genauso wie Istanbul, Beirut gewann genauso wie Izmir, Damaskus gewann genauso wie Ankara, Ramallah, Nablus, Gaza, die Westbank und Jerusalem gewannen genauso wie Diyarbakir.“

Erdogans Anspruch reicht weit auf den Balkan ebenso wie nach Syrien und Israel. Dazu passt es, dass er anlässlich der gezielten, gegen die christlich geprägte Welt gerichteten Provokation, die bedeutendste christliche Kirche neben dem Petersdom in Rom, die Hagia Sofia in Konstantinopel, wieder zur Moschee zu machen, laut „Jerusalem Post“ wissen ließ: Die „Wiederauferstehung“ der Hagia Sofia als Moschee sei der „entscheidende Schritt, die Initialzündung“, um den Willen aller Muslime weltweit zu erfüllen, die AlAqsa-Moschee in Jerusalem zu „befreien“. Nicht, dass diese drittwichtigste Stätte des Islam von Nicht-Muslimen besetzt wäre. Sie befindet sich lediglich auf Territorium, auf das der Staat Israel Anspruch erhebt.
Anders die Hagia Sophia. Knapp tausend Jahre war die Sophienkathedrale die wichtigste Kirche der christlichen Welt, bis der islamische Schlächter Mehmed II die byzantinische Metropole eroberte und die christliche Hauptkirche zur Moschee umwandelte. Wenn Erdogan diesen Gewaltakt gegen die Christen demonstrativ wiederholt, dann gibt er damit das Signal, sich als legitimer Nachfolger eben jenes Mehmed II in Szene zu setzen. Erdogan will sich zum Weltführer der Muslime aufschwingen. Dabei schmerzen ihn zwei Ereignisse der jüngeren Zeit ganz besonders: Die Absetzung des Muslimbruders Mohammed Mursi durch den Offizier Abd AlFattah A‘Sisi in Ägypten und der Sturz des anderen Muslimbruders Umar Hasan Ahmad AlBaschir durch die Aufstände im Sudan. Der türkisch assimilierte Erdogan verlor damit zwei potentielle Verbündete in seinem Ziel der Wiederherstellung des sunnitischen Kalifats.

Über Libyen gegen Ägypten und Israel

Um diesen Rückschlag wettzumachen, marschierte er nun an der Seite des zuvor auf verlorenem Posten stehenden Fajiz A’Saradj in Libyen ein und versucht, das Bürgerkriegsland Richtung Ägypten aufzurollen. Sollte er damit erfolgreich sein, steht der unmittelbare Konflikt mit Ägypten ins Haus. Dessen A’Sisi unterstützt den Saradj-Konkurrenten Chalifa Haftar und wird nicht hinnehmen können, dass der ihm verfeindete Erdogan den Wüstenstaat Libyen kontrolliert. Das auch deshalb, weil Ägypten für Erdogan ebenfalls Teil seines Kalifats ist – und der Türke über Ägypten den ihm verhassten Judenstaat in die Zange zu nehmen gedenkt.

Wie Ägypten lehnen auch Saudi-Arabien und die mit ihm verbündeten Vereinigten Arabischen Emirate jeglichen Einfluss der Türkei in der arabisch-islamischen Welt strikt ab. In einem Konflikt Türkei-Ägypten stünden die Halbinsel-Araber insofern zwangsläufig an der Seite Ägyptens. Allerdings sind die Saud gegenwärtig sowohl an ihrer nördlichen Peripherie als auch im Jemen damit beschäftigt, den Einfluss des Erbfeindes Iran zu bekämpfen – mit derzeit derart mäßigem Erfolg, dass die Prinzen in Riad ihre Beteiligung im Syrienkrieg bereits gegen Null fahren mussten. Unabhängig davon verabschiedete das Ägyptische Parlament am 20. Juli 2020 einen Beschluss, der die Verteidigung der ägyptischen Westgrenze auch außerhalb ägyptischen Hoheitsgebiets freigab. Erdogan steht nun folglich vor der Situation, entweder seinen Feldzug gegen Haftar herunterzufahren – oder einen unmittelbaren, bewaffneten Konflikt mit Ägypten anzusteuern.

Nicht das geringste Interesse an einer Ausdehnung der Erdogan-Türkei haben zudem die Israeli, die in Erdogans Wunschliste ganz oben auf der Vernichtungsagenda stehen. Insofern wäre es naheliegend, dass Ägypter, Juden und Araber eine gemeinsame Front gegen die Türkei bilden – wäre da nicht die ständige Indoktrination der ägyptischen und arabischen Bevölkerungen mit anti-israelischer Propaganda. So werden bis heute beispielsweise im ägyptischen Fernsehen regelmäßig Filme gesendet, in denen Israel gleichsam als Reich des Bösen diffamiert wird. Genau darauf aber setzt Erdogan: Sein global-islamischer Ansatz soll die Bevölkerungen der von ihm im Sinne der Islambruderschaft zu übernehmenden Länder von ihren jeweiligen Führungen entfremden. Hier hat der neue Kalif vor allem Ägypten im Visier in der Hoffnung, einen neuen Aufstand gegen das im Kern laizistische und pro-westliche Militär zu entfachen. Ägyptern wie Israeli ist dieses durchaus bewusst – und so wird die Zusammenarbeit beider Länder im Kampf gegen die Türkei auch weiterhin keinen offiziellen Anstrich bekommen können.

Auch der Balkan soll ins Kalifat

Jedoch betrifft die türkische Expansion nicht nur die Nachbarn im Süden. Seine Wahlsiegaussage von 2011 verdeutlicht: Für Erdogan gehören die ehemals türkisch besetzten Gebiete in Südosteuropa ebenso zum Kalifat wie selbst die damals noch nicht explizit erwähnte Iberische Halbinsel. Bulgaren und Griechen, aber auch den Serben ist dieser Anspruch sehr wohl bewusst. Die scharfen Reaktionen aus Griechenland auf die erneute Entweihung der Sophienkathedrale basieren nicht nur auf dem Anspruch, die wichtigste Kirche der Orthodoxie nicht erneut als islamische Gebetsstätte zu vergewaltigen. Hier geht es ganz konkret auch um die ständig wiederholten Ansprüche der Türkei auf die griechischen Ägäis-Inseln und das nordöstliche Griechenland. Hinzu kommt der Versuch Erdogans, die Kontrolle über die Erdgas- und möglichen Ölfelder im östlichen Mittelmeer zu erlangen. Bereits heute stoßen türkische Bohrungen vor Zypern auf vehementen Widerspruch. Ein Vorspiel auf den drohenden Konflikt zwischen den beiden NATO-Staaten zeigte sich angesichts des gezielten Versuchs, sogenannte „Flüchtlinge“ dazu zu bewegen, die griechische Landgrenze zu stürmen ebenso, wie bei Scharmützeln zwischen türkischen und griechischen Marineeinheiten.