Tichys Einblick
Die innerdeutsche Vertreibung

Staatswillkürliche Exzesse im Namen der Corona-Bekämpfung

Einige Corona-Bestimmungen verstoßen klar gegen Grundrechte: Landesregierungen schaffen das Freizügigkeitsrecht ebenso ab wie die Verfügung über das Eigentum. Das „Infektionsschutzgesetz“ wird hemmungslos überdehnt.

imago images / HMB-Media

„Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet. Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nur für die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist.“

So schreibt es Artikel 11 des Grundgesetzes vor. Es ist ein Grundrecht, das sich die deutschen Bürger im 19. Jahrhundert erkämpft und in die Reichsverfassung von 1871 geschrieben haben. Es bedeutet: Jeder deutsche Staatsbürger hat das absolute und uneingeschränkte Recht, sich innerhalb des Staatsgebiets zu jedem von ihm gewünschten Ort zu begeben und sich dort nach eigenem Belieben aufzuhalten.

„Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.“

So steht es in Artikel 14 des Grundgesetzes. Auch dieses Recht haben sich die Deutschen mit Mühe erkämpft. Es bedeutet, dass die Verfügung über sein Eigentum ausschließlich dem Eigentümer selbst und nicht dem Staat zusteht. Sollte der Staat aus welchen Gründen auch immer zu Lasten der Eigentümer in dieses Recht eingreifen, so ist er zur Entschädigung verpflichtet.

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Meldungen zum 31. Oktober 2020:

„Touristen müssen Hotels in Bayern spätestens am Vormittag des 2. November verlassen. Touristische Übernachtungen seien von dem Tag an nicht mehr gestattet, sagte ein Sprecher des bayerischen des bayerischen Gesundheitsministeriums. ‚Übernachtungsgäste dürfen aus Kulanz auch noch im Laufe des Vormittags es 2. Novembers abreisen, obwohl die Verordnung eigentlich schon ab Mittenacht gilt‘.“ (ZDF)

„Touristen müssen spätestens bis zum 5. November aus Mecklenburg-Vorpommern abreisen. Das kündigte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) am Freitagabend in Schwerin nach einer Kabinettssitzung an. Grundsätzlich dürften vom 2. November an für den restlichen Monat keine Gäste mehr für touristische Zwecke aufgenommen werden.“ (t-online)

„Touristen müssen ihren Urlaub in Niedersachsen … nicht abbrechen … Aufenthalte mit Übernachtung, die bereits vor dem 2. November angetreten worden seien, müssten nicht abgebrochen werden, heißt es in der Regelung des Landes.“ (NDR)
„Das Nachbarbundesland Schleswig-Holstein hatte am Freitag eine ähnliche Regelung wie Mecklenburg-Vorpommern angekündigt. Grundsätzlich müssen Touristen dort bis zum 2. November abgereist sein, Urlauber auf den Nordsee-Inseln und Halligen bekommen wegen der Kapazitäten im Fährverkehr sowie den Autozügen bis zum 5. November Zeit, wie die Landesregierung am Freitag in Kiel unter Verweis auf die jüngsten Bund-Länder-Beschlüsse mitteilte.“ (t-online)

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Was dieses Land gegenwärtig erlebt, macht fassungslos. Landesregierungen treten das Grundgesetz mit Füßen, schaffen das Freizügigkeitsrecht ebenso ab wie die Verfügung über das Eigentum. Urlauber, die der Aufforderung des Gesundheitsministers des Bundes gefolgt sind und ihren Urlaub innerhalb Deutschlands angetreten haben, werden zu Vertriebenen. Aus dem Bundesland gejagt, das sie sich für ihre Erholung ausgesucht hatten.

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Eingriffiger kann das Vorgehen der Exekutive nicht sein. Die Begründung: Ein verfassungsrechtlich nicht legitimiertes Beschlussorgan aus Bundeskanzler und Länderchefs hat faktisch den Katastrophenfall erklärt. Dazu wird auf ein Gesetz zurückgegriffen, welches hemmungslos überdehnt wird, um verfassungswidrige Maßnahmen zu rechtfertigen. Es heißt „Infektionsschutzgesetz“, und ausschließlich an diesem haben sich alle Maßnahmen zu orientieren unter der zwingenden Voraussetzung, dass die dort definierten Grundlagen gegeben und der im Gesetz beschriebene Zweck durch entsprechende Maßnahmen zu erfüllen ist. Verordnungen einzelner Länder oder des Bundes sind belanglos, solange diese Maßgaben nicht absolut vorliegen.

Seinen Zweck definiert das Infektionsschutzgesetz selbst.
„Zweck des Gesetzes ist es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen, Infektionen frühzeitig zu erkennen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern.“

Das klingt auf den ersten Blick sehr allgemein. Damit lassen sich selbst harmlose Erkältungskrankheiten als Begründung für Staatswillkür heranziehen. Doch eigentlich ist es ein Covid-Viren-Gesetz. Denn in §4 wird festgeschrieben, dass es um „das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2“ geht, welches ohne konkrete, medizinische Grundlage als Epidemie definiert wird.

Warum es als Epidemie angenommen werden kann, beschreibt §5:
„Der Deutsche Bundestag stellt eine epidemische Lage von nationaler Tragweite fest.“
Menschen, deren medizinische Vorkenntnisse zumeist gegen Null geht, beschließen also: Das hier ist eine epidemische Lage! Das klingt nicht nur nach Ermächtigungsgesetz – es ist eines. Der Gesetzestext selbst spricht in §13 folgende von „Verordnungsermächtigung“.
Tatsächlich ermächtigt dieses Gesetz für künftige Fälle den Bundestag, nach Belieben entsprechend zu verfahren. Wenn der Deutsche Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite beschließt, legitimiert er mit diesem Gesetz jeden Eingriff in die Grundrechte des Bürgers. Wie gesagt: Auch die alljährliche Erkältungswelle kann als Epidemie angenommen werden. Denn das Infektionsschutzgesetz hat einen „Fehler“, der politischer Willkür Tür und Tor öffnet. Es versäumt, die Feststellung einer Epidemie in der Sache zu beschreiben. Es liegt in der Willkür des Robert-Koch-Instituts, den „Zweck“ festzustellen – oder besser: zu behaupten.

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Im aktuellen Corona-Fall stellt das RKI aktuell rund eine halbe Million infizierte Bürger fest. Das entspricht bei derzeit 82 Millionen Einwohnern einem Prozentsatz von 0,6 Prozent.
Die Zahl der „Todesfälle im Zusammenhang mit dem Virus“ liegt bei – Stand 31.10. – 10.452. Das sind, bezogen auf die Einwohnerzahl, 0,013 Prozent. Bezogen auf die Infektionsfälle liegt die Sterblichkeit bei 2,01 Prozent. Wobei eben nicht klar ist: Sind diese Menschen nun an Corona verstorben – oder mit Corona verstorben? Hat die Infektion einen ohnehin unvermeidbaren, absehbaren Tod nur beschleunigt?
Doch selbst, wenn wir unterstellen, dass die Toten tatsächlich ausschließlich Corona zum Opfer gefallen sind: Was sagt eine Sterblichkeit von zwei Prozent über die tatsächliche Gefährlichkeit des Virus aus?

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Rechtfertigt DIESE Epidemie tatsächlich die unverhältnismäßigen Eingriffe in die Grundrechte? Rechtfertigt sie gegen die Verfassung verstoßendes Verhalten durch die Politik?
Schauen wir noch einmal genau hin und unterstellen wir, dass die Verbreitung dieses Virus tatsächlich mit allen Mitteln unterbunden werden muss auch dann, wenn dessen herausragende Gefährlichkeit sich anhand der Zahlen des RKI vermutlich kaum belegen lässt.
Nun also werden Bundebürger zu Corona-Vertriebenen. Werden aus ihren Hotelzimmern gejagt, aus Bundesländern, in denen sie nun plötzlich unerwünscht sind.
Setzt hier nicht jeder vielleicht noch vorhandene, noch so kleine, verbliebene Rest an gesundem Menschenverstand gänzlich aus? Herrscht in den Köpfen der Verantwortlichen nur noch erschreckend gähnende Leere oder totale Finsternis?

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Wer heute, Stand 31. Oktober oder 1. November, sich an seinem Urlaubsort an der Nordsee oder in den Alpen aufhält – hat der nicht, wenn er tatsächlich mit Corona infiziert sein sollte, dieses Virus längst am Urlaubsort verteilt? Ist er nicht längst Superspreader, wie ihm die Politik nun offenbar unterstellt?

Warum aber bekommen dann die Inselurlauber kapazitätsbedingt ein paar Tage mehr, bevor sie von den Halligen gejagt werden. Tage, in denen diese Seuchenverbreiter fröhlich aktiv werden können. Wäre da nicht angesichts der behaupteten Seuchengefahr eine sofortige Evakuierung mit allen vorhandenen Möglichkeiten angesagt gewesen?

Was also soll das? Welcher Seuchenschutz soll erreicht werden, indem man Menschen, die, falls sie tatsächlich schon bei ihrer Anreise infiziert waren, ohnehin schon das Virus verteilt haben, nun zu hektisch Vertriebenen macht?
Oder anders herum: Unterstellt, die gastgebenden Deutschen in den Urlaubsorten seien flächendeckend Corona-verseucht. Dann ist es doch geradezu ein Irrsinn ohnegleichen, die nun infizierten Urlauber Hals über Kopf in die Fläche zu vertreiben, damit sie dort ihre frisch erworbenen Viren verteilen und den Tod über die Menschen bringen können.

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Selbstverständlich ist es nicht so. Weder schleppen die Urlauber massenhaft Viren in die Urlaubsorte, noch verseuchen die Gastgeber ihre Gäste. Und deswegen ist diese neue Vertreibung von Deutschen in einem Maße hirnlos, das einen nur noch fassungslos zurücklässt.

Von der damit einhergehende, willkürlichen Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz zahlreicher Beherbergungsanbieter soll hier überhaupt nicht die Rede sein. Doch ist auch der Eingriff in deren Grundrechte maßlos, unverhältnismäßig und in der Sache unfassbar.

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Selbst dann, wenn tatsächlich eine mörderische Epidemie festzustellen wäre – was anhand der RKI-Zahlen durchaus bezweifelt werden darf: Diese Vertreibungspolitik des November 2020 geht ohne jedes Maß an jeglicher Vernunft vorbei. Es ist ein Akt der Staatswillkür, der staatlichen Übergriffigkeit, die in einem freien und demokratischen Rechtsstaat bis heute unvorstellbar schien. Und das ist er auch dann, wenn die Niedersachsen wenigstens noch so viel Vernunft aufbringen, den willkürlichen Rauswurf der Gäste nicht zu vollziehen.

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Bei dieser Staatswillkür, für die es in der Republik kein Beispiel gibt, bleibt nur noch die Hoffnung, dass die Bürger massenhaft vor die Verwaltungs- und Verfassungsgerichte ziehen. Und dass dort Richter sitzen, die sich an der Gesetzesgrundgrundlage und dem gesunden Menschenverstand orientieren – und sich nicht als Legitimationsorgane staatlicher Willkür vergewaltigen lassen. Denn sollten sie dieses tun, dann ist das Grundgesetz abschließend als Altpapier zu entsorgen.

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