Tichys Einblick
Innerrussische Untergrundgruppe?

Das Dugin-Attentat verunsichert Russlands Nomenklatura

Unabhängig davon, wer tatsächlich für den Tod Duginas verantwortlich zeichnet, trifft das Attentat vor allem Russlands Nomenklatura ins Mark. Denn nun kann sich niemand, der öffentlich Putins Terrorüberfall gutheißt, sicher sein, ob nicht er der nächste auf einer Liste von Angriffsopfern ist.

Tatort des Attentats auf Darya Dugina in Bolshiye Vyazyomy, 21.08.2022

IMAGO / ITAR-TASS

In der Nacht zum Sonntag explodierte bei Bolshye Vyazamy nahe der russischen Metropole Moskau ein SUV. In dem Wagen saß Darya Dugina (29). Sie überlebte die Explosion nicht.

Dugina war die Tochter des Alexander Dugin. Der gilt als „Putins Brain“, hat mit seiner nationalfaschistischen Ideologie von der eurasischen Supermacht Russland den gedanklichen Überbau zum Überfall Russlands auf das Nachbarland Ukraine geliefert. Beide, Alexander und seine Tochter, hatten vor den Toren Moskaus eine nationalistische Veranstaltung besucht – Darya war ideologisch von ihrem Vater nicht zu unterscheiden.

Propagandisten des Terrors

Regelmäßig propagierte die als Journalistin tätige Politologin den russischen Überfall als wohlgefällige Tat. Wie ihre Vater vertrat Darya die Auffassung, dass die Russen eine natürliche Führungsaufgabe über die Völker zwischen Lissabon und Anchorage hätten, die die Moskowiter dazu legitimiere, diese Länder zwischen Atlantik und über den Pazifik hinaus zu beherrschen. Den Ukrainern ebenso wie den Weißrussen sprach sie eine eigene nationale Identität ab. Hinzu kam eine Übersteigerung des Panslawismus der Zarenzeit zu einem Panrussifizismus: Überall, wo (gefühlte oder auch nur eingebildete) Russen leben oder einmal ein russisches oder sowjetisches Reich geherrscht hatte, ist Russland. 

Nun also wurde Dugina Opfer einer Explosion, die nach Erkenntnis der Ermittlungsbehörden durch eine unter dem Fahrzeug angebrachte Autobombe ausgelöst wurde. Und es darf nicht wundern, dass der gewaltsame Tod der Ideologin in Russland Entsetzen ausgelöst hat. Margarita Simonjan, Chefredakteur des staatlichen russischen Fernsehsenders RT, beklagt den Anschlag auf die „junge, kluge, schöne und unglaublich talentierte Frau“. Ihrer Meinung nach hätte „Darja einer jener Menschen werden können, die für Russland eine neue Volksideologie bilden“. Womit dann tatsächlich alles gesagt ist, was zu jener Frau, die in Deutschland wegen Volksverhetzung vor Gericht gestellt worden wäre, zu sagen ist.

Dugin als Ziel und die Suche nach den Hintermännern

Unklar ist allerdings, ob tatsächlich die Tochter das Anschlagsziel gewesen ist. Eigentlich sollte Dugin selbst in diesem Fahrzeug sitzen – er entschied sich nur kurzfristig, auf ein anderes Fahrzeug umzusteigen, und war offenbar Zeuge beim gewaltsamen Tod seiner Tochter.

So wie einst Rasputin am Zarenhof den Einflüsterer gab, so gilt Dugin heute als derjenige, der Putin die großrussischen Herrschaftsphantasien ins Ohr flüstert. Gut möglich also, dass Darya nur ein zufälliges Opfer geworden ist – wobei es aus Sicht der Attentäter auch so die richtige getroffen haben wird – und dieses umso mehr, weil sie nun den verhassten Vater leiden sehen.

Seit dem Anschlag kursieren Spekulationen darüber, wer dafür verantwortlich zeichnet und welches Ziel dahintersteckt. Bislang gibt es niemanden, der die Verantwortung für sich deklariert. Stattdessen zeigte der Terrorist Denis Pushilin, selbsternannter Regierungschef der angeblichen Volksrepubliken im Osten der Ukraine, umgehend mit dem Finger auf Kiew. Angeblich sei der Anschlag von den dort regierenden „Nationalfaschisten“ geplant und durchgeführt worden. Beweise dafür allerdings lieferte er nicht.

Das allerdings hielt Maria Zakharova, Sprecherin des russischen Außenministeriums, nicht davon ab, Pushilins Verschwörungstheorie zu übernehmen und die Ukraine offiziell der Tat anzuklagen. Angesichts des Todes Duginas sei es, so Zakharova, an der Zeit, mit Blick auf Kiew über „eine Politik des Staatsterrorismus“ zu sprechen.

Das wiederum entbehrt nicht einer gewissen Ironie – und offenbart, dass in Moskau bekannt ist, worüber in Kiew längst keine Zweifel mehr bestehen: Die Ukraine verfügt über unabhängige Staatsrechtsgutachten, in denen qualifiziert nachgewiesen wird, dass das russische Vorgehen kein Krieg auf Grundlage internationalen Rechts sei, sondern völkerrechtlich als Terrorismus eingeordnet werden müsse. Damit wird jede Aktion der Ukraine, die sich gegen Russland richtet, zur Abwehrmaßnahme terroristischen Vorgehens. Das wiederum rechtfertigt völkerrechtlich nicht nur Anschläge und Angriffe auf russische Versorgungseinheiten und Beamte in der besetzten Ukraine einschließlich der Krim, sondern auch auf russischem Staatsgebiet, wie sie bereits mit Blick auf Belgorod, Rostow und darüberhinaus jüngst am Flughafen von Sotchi vermeldet wurden, ohne dass Kiew dafür die unmittelbare Verantwortung übernahm. Vor allem aber rechtfertigen diese Gutachten auch Anschläge wie jenen auf Dugin/Dugina dann, wenn sie Personen gelten, die sich durch ihre öffentliche Propagierung des Überfalls mit dem Terror identifizieren. Insofern zeigt sich bei Zakharova die klassische Situation: Während ihr Zeigefinger auf Kiew weist, zeigen drei Finger auf Moskau. Es gilt, möglichst schnell Legenden für die eigenen Parteigänger zu produzieren, die vom eigenen Handeln ablenken sollen.

Trotzdem und durchaus nachvollziehbar lehnt Kiew jegliche Verantwortung für das Attentat ab. Mykhailo Podolyak, Berater von Präsident Volodymyr Selenskyi, ließ wissen: „Anders als Russland sind wir kein krimineller Staat.“

Gibt es einen russischen Untergrund?

Somit bleibt Raum für Spekulationen, die nun ein ehemaliger Duma-Abgeordneter, der im ukrainischen Asyl lebt, um eine Variante erweitert hat, die für Putin deutlich problematischer sein könnte, als es eine Urheberschaft Kiews im Rahmen seiner asymmetrischen Abwehr eines terroristischen Überfalls jemals sein könnte. Ilya Ponomarew beansprucht die Urheberschaft für Duginas Tod durch eine sogenannte „Nationalrepublikanische Armee“ (NRA). Dabei handele es sich um eine innerrussische Oppositionsgruppe, die im Untergrund aktiv sei und sich zum Ziel gesetzt habe, Putins Regime von innen heraus zu ersetzen.

Sollte Ponomarews Darstellung den Tatsachen entsprechen, dann formiert sich nun innerhalb Russlands der militante Widerstand gegen die Staatsterroristen im Kreml. Wobei auch in diesem Fall nicht auszuschließen ist, dass ursprünglich ukrainische Staatsbürger mit von der Partie sind, denn durch die Zwangsrussifizierung der Bewohner der besetzten Gebiete, bei denen massenhaft russische Pässe an Ukrainer ausgegeben wurden, könnte es ukrainischen Patrioten deutlich erleichtert worden sein, sich unbemerkt auf russischem Staatsgebiet zu bewegen.

Ziel: Die Verunsicherung der Nomenklatura

Unabhängig davon, wer nun tatsächlich für den Tod Duginas verantwortlich zeichnet, trifft das Attentat vor allem Russlands Nomenklatura ins Mark. Denn ab Sonnabendnacht kann sich niemand, der öffentlich Putins Terrorüberfall gutheißt, sicher sein, ob nicht er der nächste auf einer Liste der Angriffsopfer ist. Vor allem die sogenannten Journalisten, die im Auftrag des Kreml in den gleichgeschalteten Medien an der Spitze der Hetzfront gegen die Ukraine und den Westen stehen, werden sich ab sofort nur noch mit einem unwohlen Gefühl in der Öffentlichkeit blicken lassen. Denn wie auch Dugin und seine Tochter bewegten sie sich bislang wie selbstverständlich und ohne staatlichen Schutz in der russischen Öffentlichkeit. Spätestens, wenn demnächst ein weiterer Propagandist des Terrors Opfer eines ähnlichen Anschlags werden sollte, wird sich die Panik um die eigene Existenz prägend ins Bewusstsein jener schleichen, die Putins Politik öffentlich loben und verteidigen.

Vieles spricht dafür, dass genau diese bereits jetzt festzustellende Verunsicherung der russischen Nomenklatrura das eigentliche Ziel des Anschlags gewesen ist. Denn der offensichtlich beabsichtigte Tod eines Nationalfaschisten wie Dugin allein mag zwar den einen oder anderen befriedigen – doch er bliebe letztlich politisch wie psychologisch wirkungslos, wenn es sich tatsächlich nur um eine einzige Tat gehandelt haben sollte.

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