Tichys Einblick
Karrierechancen für Spezialisten

Rekruten, Drohnen und Cyberwar – Personalstrategie der Bundeswehr hinter Nebelkerzen

Die Bundeswehr will angesichts eines Mangels an Freiwilligen Ausländer rekrutieren. Klassischer Sommerlochfüller – oder steckt vielleicht doch mehr dahinter?

© Getty Images

Über den katastrophalen Zustand der Ausrüstung unserer Streitkräfte muss ich an dieser Stelle nichts mehr schreiben. Spätestens seit dem Beitritt der jungen Bundesländer der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland haben offenbar alle verantwortlichen Minister darauf hingearbeitet, die Bundeswehr kampfunfähig zu machen.

Nun stehen Deutschlands Streitkräfte ziemlich desolat da – es soll aufgeholt werden. Vor allem, seitdem US-Präsident Donald Trump den längst zugesagten Stand der Wehrkosten auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes ultimativ einfordert. SPD-Finanzminister Olaf Scholz windet sich – und seine pazifizoiden Hilfstruppen im Bundestag und auf dem flachen Land unterstreichen einmal mehr, dass Landesverteidigung nicht ihr Ding ist.

Während noch darüber diskutiert wurde, ob und wie die Streitkräfte wieder auf einen funktionsfähigen Stand gebracht werden können, schien die Frau Bundesminister der Verteidigung mit einem alten Hut aus der Deckung zu kommen, der prompt gleich einer Nebelkerze die Debatte über die Ausrüstung verhüllt und – passend zur aktuellen Streitunkultur über die dauerrassistischen Deutschen und ihre Integrationsunwilligkeit – mit der Idee aufwartet, die offensichtlich personell völlig unterbesetzten Stäbe und Mannschaften mit Rekruten zu aufzustocken, die aus anderen Ländern angeworben werden.

Wird die Bundeswehr zu Söldnerarmee?

So etwas erfordert Fragen – und Antworten. Soll die Bundeswehr zu einer Söldnerarmee umgestrickt werden? Wie ist bei einer Parlamentsarmee die Bindung von nicht-deutschen Rekruten unter den Einsatzbefehl des Bundestages zu regeln und zu gewährleisten? Stimmt es, dass solche Soldaten mit der Zusage geworben werden sollen, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten? Wie könnte ein möglicher Missbrauch verhindert werden? Vor allem aber auch: Wäre es nicht sinnvoller, bei eklatantem Personalmangel die ausgesetzte Wehrpflicht zu reaktivieren?

Insgesamt sieben Fragenkomplexe umfasste daher die Presseanfrage, die von TE an das Bundesministerium der Verteidigung ging.  Die ersten drei zur Personalsituation waren schnell zu beantworten.

Personalstand und Perspektive

Mit Stand 16. Juli 2018 verfügte Deutschlands Bundeswehr über 170.394 Berufs- und  Zeitsoldaten, sowie über 8.510 Personen, die freiwillig Dienst leisten.

Stärkste Waffengattung ist das Heer mit 60.925 Angehörigen, gefolgt von der Luftwaffe (27.704) und dem Zentralen Sanitätsdienst (27.654). Die Marine liegt auf Rang 4 mit 15.931 Personen – der Rest verteilt sich unter anderem auf Ministerium, Dienststellen, Personalbetreuung und Studenten. Neben den Soldaten verfügt die Bundeswehr über rund 80.000 Zivilangestellte – zumindest dann, wenn die nachfolgende Aussage auf der Website des Ministeriums zutrifft: „Die genaue Anzahl der Soldaten und zivilen Angehörigen variiert von Monat zu Monat – insgesamt arbeiten derzeit aber mehr als 250.000 Menschen für die Bundeswehr.“

Ausgehend von diesem Ist-Stand soll die Bundeswehr – auch das ist den vom Ministerium bereit gestellten Unterlagen zu entnehmen – bis 2024, also innerhalb der kommenden sechs Jahre, um „rund 12.000 Zeit- und Berufssoldatinnen und –soldaten, etwa 1.000 Reservistendienst Leistende sowie rund 5.000 zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wachsen. Angestrebt wird eine Personalstärke von insgesamt rund 198.000 Soldatinnen und Soldaten und 61.400 Haushaltsstellen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im zivilen Bereich.“

Folgen wir diesen Zahlen, so werden im Jahr 2024 etwas unter 260.000 Soldaten und Zivilbedienstete für Deutschlands Sicherheit sorgen. Demnach müssten bis 2024 neben pensionsbedingten oder aus anderen Gründen zu ersetzenden Ausfällen zusätzlich rund 10.000 Personen angeworben werden.

Gleichwohl verblüffen die  genannten Zahlen – denn sie gehen nicht überein. Die Aufstockung der kämpfenden Truppe von derzeit 178.904 auf 198.000 ist angesichts der steigenden Anforderungen durchaus plausibel. Allerdings weist die Mathematik hier nun eine Differenz in Höhe von 19.000 aus – und nicht „rund 12.000“, wie im Perspektivbericht dargestellt. Gleichzeitig soll der Zivilbestand um „rund 5.000“ aufgestockt werden – was aufgrund der aktuellen Zahlen im Ergebnis 85.000 Mitarbeiter bedeutete. Tatsächlich aber sollen hier in sechs Jahren nun 61.400 beschäftigt sein – und damit über 18.000 weniger als heute.

Die „Augsburger“ warf eine Testgranate …

Wie auch immer: Die „Augsburger Allgemeine“ brachte eine Idee ins Spiel, die bereits im Weißbuch 2016 angedacht wurde. Das Ziel, den Personalbestand der Truppe auf die gewünschte Höhe zu bringen, ist demnach mit den gegenwärtigen Methoden der Anwerbung nicht zu erzielen – also müsse darüber nachgedacht werden, auch Nichtdeutsche anzuwerben. Dazu müsse – so stand es seinerzeit im jährlich erscheinenden Basiswerk zur Bundeswehr – dieses über einen Prüfauftrag zur Personalstrategie „abgebildet“ werden.

Das war vor zwei Jahren. Nun holte es die „Augsburger“ ohne erkennbare, neue Informationen wieder aus dem Keller, deutete aber lediglich an, dass zu diesem Zweck sogar das Angebot an künftige Rekruten erwogen werde, diesen im Gegenzug die deutsche Staatsbürgerschaft anzudienen. Prompt überschlugen sich Medien und Politik, drehten die Thematik hin und her – und kamen dennoch nicht zu frischeren Erkenntnissen. Das vermittelte durchaus den Eindruck eines klassischen Sommerloch-Füllers. Durch die „Augsburger“ etwas angedickt mit dem Hinweis darauf, dass diese Thematik der wahlkämpfenden CSU in Bayern überhaupt nicht zupass käme.

Warum „olle Kamelle“ aufwärmen?

Wäre es denkbar, dass das Regionalblatt aus der Schwabenstadt hier eine hübsch versteckte Retourkutsche gegen die Zuwanderungsoffensive des Horst Seehofer fahren, der CSU angesichts der anstehenden Landtagswahl einen kleinen Knüppel zwischen die Beine werfen wollte? Immerhin verweist es schelmisch darauf, dass die Debatte über Bundeswehr-Söldner für die CSU zur Unzeit käme – und vergisst dabei den Hinweis, dass sie selbst es ist, die dieses Thema reaktiviert hat.

Anfrage im Ministerium

Wie also ist es bestellt mit den Überlegungen, aus der Bundeswehr mangels deutschen Bewerbern eine verdeckte Söldnerarmee zu machen? Leider aber gab sich die für „Personal und Bewerbung“ zuständige Mitarbeiterin der ministeriellen Pressestelle nichtssagend.  Der für 2016 ausgewiesene Prüfauftrag  dauere noch.  Da allerdings stellt sich durchaus die Frage, was an einer solchen Prüfung so lange dauert, dass darüber nun bereits zwei Jahre ins Land gegangen sind. Zudem wurde unterstrichen, dass eine solche Rekrutierung  ausschließlich für Bürger der Europäischen Union erwogen werde. Damit scheidet zumindest die Möglichkeit aus, dass einreisewillige „Flüchtlinge“, deren Anlandung Dank der Schlepper-Unterstützung durch sogenannte Nichtregierungsorganisationen nach wie vor auf Hochtouren läuft, gleichsam durch diese Hintertür vom Zuwanderer zum deutschen Bürger werden.

Auf das von der „Augsburger“ angedeutete und anschließend heiß diskutierte Staatsbürgerschaftsangebot unterblieb jedoch jegliche Erklärung. Auch die nun unvermeidbare Frage an das Ministerium, welchen spezifischen Reiz ein solches Angebot auf EU-Bürger ausüben sollte, die ohnehin innerhalb der EU Freizügigkeit genießen, unterblieb trotz Nachhakens jegliche Reaktion. Gut möglich also, dass sich die „Augsburger“ das nur ausgedacht hatte, um seinen Neuaufguss einer „ollen Kamelle“ etwas spannender zu kredenzen.

Halten wir gleichwohl fest: Falls es im Ministerium Überlegungen geben sollte, EU-Rekruten via deutsche Staatsbürgerschaft anzuwerben, dann scheinen diese bestenfalls rudimentär zu existieren und sind derart unausgegoren, dass sich das Ministerium außerstande sieht, dazu Konkretes mitzuteilen.

Ein Hinweis auf die Nachbarn

Gleichwohl: Dass der Prüfauftrag zumindest ein wenig fortgeschritten ist, verdeutlichte das Ministerium nach den Darlegungen einer Sprecherin mit dem Hinweis darauf, dass andere EU-Länder bereits entsprechend verfahren. Man hat also einmal durch die Ministerien europäischer NATO-Partner telefoniert und den jeweiligen Sachstand abgefragt.  Das Ergebnis: „Eine Öffnung der deutschen Streitkräfte für Unionsbürgerinnen und -bürger würde dabei keinen Alleingang Deutschlands darstellen. Belgien, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Dänemark und Luxemburg haben ihre Streitkräfte für Ausländerinnen  und Ausländer geöffnet, wenn auch in Teilen nur konditioniert bzw. eingeschränkt.“ Deutschland befände sich also in guter Gesellschaft – auch wenn offenbar noch keine Vorstellung darüber besteht, welche Konditionen und Einschränkungen bei der Bundeswehr adäquat wären.

Die Wehrpflicht reaktivieren?

Wenn nun schon einem öffentlich behaupteten Personalmangel bei der Bundeswehr zu begegnen ist, dann sollte sich doch bei einem Volk von rund 80 Millionen die Möglichkeit aufdrängen, die von jenem Selbstdarsteller von und zu Guttenberg im Handstreich abgeschaffte Wehrpflicht zu reaktivieren.  Hierzu stellte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums in ihrer Stellungnahme fest: „Die Reaktivierung der Wehrpflicht würde den Bedarf an Fachkräften nicht lösen. Darüber hinaus setzt die Bundeswehr darauf, dass das Personal freiwillig zu uns kommt. Die konstant hohe Bewerberlage und das hohe Ansehen der Bundeswehr bei jungen Menschen (aktuelle Trendence Studie: Bundeswehr auf Platz 3) bestätigt uns darin.“

Das allerdings ist nun wiederum so zu verstehen, dass an klassischem Fußvolk bei der Bundeswehr überhaupt kein Mangel herrscht. Vielmehr gibt es demnach eine „konstant hohe Bewerberlage“, weil die Bundeswehr bei jungen Leuten als Arbeitgeber überaus attraktiv ist. Ein Problem ist jedoch der Fachkräftemangel, der durch junge Wehrpflichtige nicht zu beheben ist.  Demnach geht es überhaupt nicht darum, den Grundbedarf an Gefreiten über diese Maßnahme abzusichern. Denn an denen herrscht ja, so das Ministerium korrekt interpretiert wird, vorgeblich sogar ein deutliches Überangebot.

Nebelkerze oder Ablenkung?

Das nun lässt erneut stutzen. Ist diese öffentliche Diskussion über einen angeblichen Personalmangel tatsächlich nichts anderes als eine Nebelkerze, die von anderen, viel gravierenderen Problemen des Ministeriums ablenken soll? Selbstverständlich: Wer eine Mangelsituation in seinem Zuständigkeitsbereich – und damit sein politisches Versagen – auf einen vorgeblichen Mangel an Bewerbern abwälzen kann, der lenkt damit von den Kernproblemen der fehlenden Ausrüstung und Technik ab. Hat Frau Bundesminister der Verteidigung also dieses vorgebliche Personalproblem nur erfunden, um einen Schuldigen für das eigene  Versagen präsentieren zu können?

Oder geht es möglicherweise um etwas noch anderes? Hat die Bundeswehr tatsächlich einen Personalmangel, der sich ausschließlich auf bestimmte Bereiche beschränkt, für die selbst die von der Bundeswehr optimal an deren Hochschulen ausgebildeten Rekruten ungeeignet sind?

Hier fielen einem zu allererst Stichworte wie Cyberwar und Krieg der Sterne, also das gegenseitige Ausschalten hochsensibler Satelliten, ein. Da für Letzteres das NATO-Monopol bei den USA liegt, müsste es bei der Bundeswehr um jenen anderen Cyberwar gehen: Der Krieg im Internet, mit dem im Krisenfall zivile und militärische Infrastruktur und Kommunikation des Gegners lahmgelegt werden soll: Angriffe auf Krankenhäuser, wie offenbar bereits von einer feindlichen Macht schon einmal in NRW getestet, auf Wasser- und Stromkraftwerke, auf Bahnlogistik undsoweiter.  An entsprechenden Experten könnte, obwohl sich in Deutschlands Nerd-Stuben unzählige Hacker und Virtual-Warriors tummeln,  bei der Bundeswehr tatsächlich ein bedeutsamer Mangel herrschen. Da diese wiederum über die klassischen Marketing-Strategien der Bundeswehr-Werbung die letzten sind, die anzusprechen wären – und da ohnehin der zu erwartende Aufschrei der öffentlichen Entrüstung homerische Formen annähme, sollte die Bundeswehr öffentlich erklären, einen künftigen Schwerpunkt auf diese Waffengattung zu legen – könnte dieses auch erklären, warum das Ministerium nun bereits zwei Jahre lang an dem Prüfauftrag herumtüftelt.

Vorbereitung auf den Krieg der Zukunft?

Denken wir noch einen Schritt weiter, dann dürfte die Bundeswehr in absehbarer Zeit auch einen hohen Bedarf an Soldaten haben, die beispielsweise in Exoskeletten auf das Kampffeld gehen, gut geschützt Drohnen in ferne Ziele steuern oder mit Laser-, Ultraschall- und Mikrowellenwaffen umgehen können. Denn zumindest in den USA, Russland und China wird an entsprechender Kriegstechnologie bereits mit Hochdruck getüftelt. Sollen also Experten aus der EU angeworben werden, die mit klassischem Kriegshandwerk kaum noch etwas zu tun haben? Zwischen den Zeilen gelesen scheint die Antwort aus dem Ministerium genau solche Überlegungen zuzulassen, wenn ein durch den Rekruten-Überschuss nicht zu deckender Fachkräftemangel festgestellt wird und das Ministerium von „Karrierechancen für Spezialisten“ spricht.

Die entsprechenden Fragen nun erneut an das Ministerium stellen zu wollen, wäre jedoch ein unnötiges Unterfangen. Auf einen noch deutlich weniger komplexen Nachfrageversuch zu besagter Rekrutierungsabsicht und die Ungereimtheiten beim Personalbestand kam nur noch die Rezitation des bereits Verlautbarten: „Gerne beantworte ich Ihre Nachfrage wie folgt: Ich verweise nochmals darauf, dass es sich hier ausschließlich um Überlegungen handelt, die Streitkräfte für EU-Bürger zu öffnen. Ergebnisse und somit auch Details liegen noch nicht vor.“

Aufschlussreich war es dennoch.


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