Tichys Einblick
Putins lästige Laus im Pelz

Nawalny und das Gas aus Russland: zwischen Macht und Öko-Ideologie

Nawalny ließ sich nicht vor Putins Karren spannen. Das macht ihn zumindest unangenehm, auch wenn von ihm keine ernsthafte Bedrohung für den Herrn im Kreml ausging. Ob der unmittelbar verantwortlich ist für den Anschlag, ist keineswegs sicher. Eine Analyse der Interessenlagen in Russland und anderswo.

Wladimir Putin

imago images / ITAR-TASS

In der zivilisierten Rechtsprechung gilt das Prinzip des „in dubio pro reo“ – frei übersetzt: Im Zweifel für den Angeklagten. Nicht so allerdings scheint dieser Grundsatz in der internationalen Politik Anwendung zu finden. Zumindest dann nicht, wenn im Hintergrund bei den einen globale Wirtschaftsinteressen und bei anderen die Erwartung der paradiesischen Zukunft eine Rolle spielen.

Die Rede ist vom gegenwärtigen Anheizen der Stimmung gegen Russland – und dem Versuch, das North-Stream-2-Projekt zum Scheitern zu bringen.

Die lästige Laus in Putins Pelz

Reden wir nicht drum herum: Wladimir Putin ist ohne Zweifel alles andere als der „lupenreine Demokrat“, als der ihn sein Freund und Kumpel Gerhard Schröder einst pries und der staunenden Bevölkerung damit dokumentierte, wie der gegenwärtig am meisten strapazierte Politikbegriff des „Demokraten“ aus sozialdemokratischer Sicht zu verstehen ist.

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Ohne Zweifel auch ist Alexej Nawalny für Putin so etwas wie eine lästige Laus im Pelz. Eine Art Politclown wie jener Irrläufer Wladimir Schirinowski, den sich Putin als Rechtsfaschisten hält, um seinem Volk damit seinen eigenen Pragmatismus beweisen zu können. Nur lässt sich Nawalny, anders als Schirinowski, nicht vor Putins Karren spannen. Das macht ihn zumindest unangenehm, auch wenn von ihm zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Bedrohung für den Herrn im Kreml ausging.

Nun ist jener Nawalny nach Erkenntnissen der Giftexperten der Bundeswehr Opfer eines Giftanschlags geworden. Das noch zu Zeiten der Sowjetunion als Chemiewaffe entwickelte Nervengift Nowitschok soll den Oppositionspolitiker aus dem Feld geschlagen haben – und es sollte keine Zweifel daran geben, dass die Erkenntnisse der Bundeswehr zutreffend sind.

Geächtet, aber nicht vernichtet

Keine Zweifel auch sollte es daran geben, dass dieses Nervengift trotz der von Russland mitgetragenen Ächtung aller Chemischen Kampfstoffe noch in irgendwelchen geheimen Labors zu finden sein wird. 

Und dennoch sind Zweifel angebracht. Zweifel daran, ob es tatsächlich „der Kreml“ gewesen ist, der für den Giftanschlag verantwortlich zeichnet. Zumindest steht die Begründung für diese Annahme auf eher tönernen Füßen. Sie unterstellt, dass in einem Russland, in dem Korruption zum alltäglichen Geschäft gehört, Nowitschok tatsächlich ausschließlich in den Hochsicherheitstrakten des Militärs oder der Geheimdienste verfügbar ist. 

Aus dem dann doch recht simplen Schluss, dass ein solches, hochgefährliches Gift niemals ohne Putins Zustimmung aus solchen Laboren entschwinden kann und deshalb die russische Regierung selbst die Verantwortung für den Anschlag tragen muss, wird nun gefordert, jenes milliardenteure Pipelineprojekt, das die karelische Metropole Wyborg mit dem pommerschen Lubmin bei Greifswald verbinden soll, am besten umgehend zu beenden. Zumindest aber, es auf Eis zu legen. Das, so die Begründung, täte Putin besonders weh. Und weil es schmerzt, müsste es den Russen zum Einlenken bewegen und dazu, seine Mitwirkung am Giftanschlag einzugestehen.

Putins Paranoia

Vorweg: Nichts und niemand wird Putin dazu bewegen, Handlungen einzugestehen, die er nicht eingestehen will. Auch dann nicht, wenn der Verkauf des sibirischen Gases an Deutschland und die EU eine bedeutsame Säule der russischen Staatsfinanzierung ist. Doch lassen wir dieses bis auf Weiteres unberücksichtigt im Raum stehen. Blicken wir vielmehr auf die Interessenlagen. Und dabei zuerst auf die des Putin in seinem Blick auf Nawalny.

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Wir dürfen unterstellen: Nach den Ereignissen in der Ukraine und aktuell in Weißrussland wird Putins einst in der untergehenden DDR gezeugte Paranoia weitere Nahrung erhalten haben. Nichts fürchtet der neue Zar mehr als einen unkontrollierbaren Aufstand der Massen, wie er in Kiew seinen Gefolgsmann Wiktor Janukowytsch aus dem Amt fegte. Die zurückhaltende Hilfszusage an den weißrussischen Ex-Politoffizier Aljaksandr Lukaschenka (auf Russisch: Lukaschenko) kommt insofern nicht von ungefähr. Der Aufstand der Frauen in Belarus, ausgelöst durch ein dann doch zumindest gefühlt zu eindeutiges Ergebnis zugunsten des Langzeitdiktators, könnte, so die Furcht des Kremlherrn, wie jede Revolution in der Geschichte ihre Funken über die Landesgrenze hinweg tragen lassen. Minsk als Vorbild für die Russen, sich des Putin zu entledigen?

Möglich und vorstellbar, dass solche Ängste die Politik des Kreml bestimmen. Auch wenn Weißrussland nicht Russland ist und Putin nicht Lukaschenka. Die Freiräume, die die Russen unter Putin haben, sind immer noch andere als jene der Belarussen unter ihrem Diktator. Möglich aber auch, dass die anhaltenden Proteste in der fernen Provinz solchen Ängsten Nahrung geben. In Chabarowsk, einem mittlerweile zur Metropole gewordenen Außenposten des Zaren bei der Kolonialisierung Sibiriens, gehen nicht minder regelmäßig wie in Minsk die Menschen auf die Straße. Ursache auch dort ein Angriff auf die demokratischen Rechte des Volkes. Der Kreml wollte einen ihm unanagenehmen, aber von einer Mehrheit gewählten Provinzgouverneur loswerden. Also wurde eine Anklage konstruiert und der Mann, ein Parteigänger jenes Schirinowski, in einer Nacht- und Nebelaktion in Gewahrsam genommen und nach Moskau verbracht. Dort schmachtet er seitdem in Erwartung einer Anklage als angeblicher Drahtzieher eines Mordanschlags vor gut zehn Jahren.

Denkbar also, dass Putin tatsächlich um seine Macht fürchtet. Denkbar auch, dass er sich dabei des Spruchs Stalins besonnen hat: Ein Mensch, ein Problem – kein Mensch, kein Problem! Nur: Stellte Nawalny tatsächlich für Putin ein Problem dar? 

Nawalny und die Korruption

Der 1976 im Föderationskreis Moskau geborene Rechtsanwalt gilt als führender Oppositioneller gegen Putin. Als solcher sorgte er regelmäßig für Schlagzeilen, wurde verhaftet und wieder freigesetzt, wurde nominiert, um unter fadenscheinigen Begründungen dann doch nicht als Kandidat zugelassen zu werden. Ja, er war lästig. Eben eine Laus im Pelz. Doch reicht das aus, internationale Verwerfungen zu riskieren, indem die Laus vergiftet wird?

Sollte tatsächlich Putin mit seinem Apparat hinter dem Anschlag stehen, dann muss dem mehr zugrunde liegen als das politische Gequengel eines Mannes, den der Kreml letztlich stets im Griff hatte. Das könnte so sein – zumindest dann, wenn es Nawalny beispielsweise gelungen sein sollte, handfeste Beweise für die nachhaltige Korruption zwischen Kreml und russischen Oligarchen vorlegen zu können. Doch bereits 2010 hatte er Dokumente veröffentlicht, die die Verstrickung Putins in illegale Geschäfte des staatlichen Pipelinebetreibers Transneft belegen sollten. Putin sitzt zehn Jahre später immer noch fest im Sattel. 

Ein Mann, ein Problem? Nowitschok gab es auch damals schon. Und Nawalny trat weiterhin regelmäßig mit Vorwürfen der Korruption an die Öffentlichkeit. Einen Umsturz konnte er damit nicht bewirken. Doch er machte sich Feinde, viele Feinde. Und da nun liegt das eigentliche Problem der Anklage.

Warum mit Gift und nicht klassisch?

Putin hätte vielfach Gelegenheit gehabt, den Oppositionellen aus dem Weg zu räumen. Ein Autounfall wäre beispielsweise in Russlands Weiten jederzeit glaubwürdig – über entsprechende geheimdienstliche Erfahrungen verfügte sogar die Stasi der DDR. Bei solchen Vorgängen staatlich befohlenes Handeln nachzuweisen – ein Ding der Unmöglichkeit. Vor allem dann, wenn ein solcher Unfall irgendwo im chaotischen Verkehr inszeniert worden wäre – gleich, ob in Moskau oder in der Provinz. Und: Ein solches Attentat wäre deutlich erfolgversprechender als eine Nowitschok-Attacke. Eine solche hatte bereits der in England lebende Doppelagent Sergej Skripal überlebt.

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Damals, als jener Ex-GRU-Offizier im Jahr 2018 in Salisbury aus dem Weg geräumt werden sollte, lief die Reaktionskurve der Westeuropäer ähnlich ab. Die Briten stellten Nervengift fest, machten den Kreml dafür verantwortlich. Anders als im aktuellen Fall allerdings konnten sie Täternamen nennen – Täter, die unmittelbar mit dem Militärgeheimdienst GRU in Verbindung gebracht werden konnten. So lag zumindest der Indizienbeweis auf der Hand: GRU-Agenten reisen nach England, um einen GRU-Verräter auszuschalten. Russland lieferte die Tatverdächtigen nicht aus – ein weiteres Indiz für die unmittelbare Mitwirkung des Kreml.

Wie damals weist die russische Führung auch im Fall Nawalny jegliche Verantwortung von sich, wirft stattdessen Nebelkerzen bis dahin, dass das Gift dem Opfer erst in Deutschland beigebracht worden sein könnte. Auch das nicht untypisch. Russland wird niemals zugeben, dass Oppositionelle und „Verräter“ in offiziellem Auftrag aus dem Weg geräumt werden. Damit öffnet es entsprechenden Spekulationen Tür und Tor, wird angreifbar und muss sich entsprechende Vorwürfe gefallen lassen.

Ein Vorwurf ist kein Beweis

Doch ein Vorwurf ist kein Beweis. Erinnern wir uns noch an jene Vorgänge in der saudischen Botschaft in der Türkei? Jamal Kashoggi, offiziell als „Journalist“ unterwegs und Träger zahlloser, im arabischen Königshaus ungeliebter Geheimnisse, verschwand auf Nimmerwiedersehen bei der Abholung eines Dokuments. Sein Verbleib – oder besser: der seiner Leiche – ist bis heute ungeklärt. Auch damals Vorwürfe, die sich direkt gegen den führenden Mann im islamischen Ölstaat richteten: Kronprinz  Muhamad ibn Salman persönlich habe den Auftrag erteilt. Bewiesen werden konnte auch dieses nie. Denkbar ist ebenso, dass übereifrige Mitarbeiter ihrem künftigen Chef einen Gefallen tun wollten. So, wie im Fall Nawalny auch vorstellbar ist, dass einer der russischen Geheimdienste ohne konkrete Order aktiv wurde. Oder einer der berüchtigten „Geschäftsleute“ Russlands in Nawalny eine persönliche Gefahr für seine illegale Bereicherung sah und sich mit ein paar vergoldeten Rubeln durch irgendwelche Hintertüren dann doch in den Besitz des Giftes bringen konnte.

Es ist das Problem dieser Art stalinistischer Problembeseitigung, dass nur selten die Schuldigen und fast nie die Hintermänner unabweisbar zu benennen sind. Weshalb in der Diplomatie dann irgendwann jenes „in dubio pro reo“ wirkt – schließlich will man es sich mit dem vermuteten Täter nicht abschließend verderben. Zumindest dann nicht, wenn dieser wie im Fall Muhamad als Energieexporteur in gewisser Weise Narrenfreiheit hat.

Unterstellt, Putin wäre der Auftraggeber

Unterstellt nun, Putin habe tatsächlich den Auftrag gegeben, die für ihn lästige Laus zu vernichten. Wie im Fall Kashoggi wird er in einem solchen Fall darauf vertraut haben, dass nach dem Sturm im Wasserglas schnell wieder Ruhe einkehrt. Denn wer ist schon Nawalny? Gemessen an den Kriterien der aktuellen Hetzjagd auf alles vorgeblich „Rechte“ in den Staaten Westeuropas ist Nawalny ein Rechtsradikaler. Mit seinen politischen Positionen würde er in Deutschland irgendwo zwischen Höckes Flügel und der NPD festgemacht werden. Er ist überzeugter russischer Nationalist, Zuwanderungsgegner und Befürworter der Krim-Annexion. Konnte der Kreml, sollte er für das Attentat verantwortlich zeichnen, tatsächlich damit rechnen, dass ein solcher „Faschist“ zum Helden der Antifaschisten verklärt würde? Aus russischer Sicht nicht – zumindest dann nicht, wenn man in Moskau davon ausgeht, dass es bei dem offiziellen Hass-und-Hetze-Theater um einen Kampf der Ideologien geht, und nicht um einen Kampf um Pfründe und Staatsgeld.

Der ideologische Kampf gegen Nord Stream

Um Ideologie und nicht um Staatsgeld allerdings geht es beim nun ausgebrochenen Kampf um Nord Stream. Die Gaspipeline durch die Ostsee soll das sibirische Gas direkt in deutsche Kraftwerke bringen. Während die deutschen Beteiligten wie Wintershall und niederländische sowie französische Energieversorger auf eine Überlandleitung setzten, beharrte Russland auf den Seeweg. Grund: Die ehemaligen Sowjetrepubliken im Baltikum ebenso wie die Ukraine, aber auch das traditionell anti-russische Polen sollten nicht an Durchleitgebühren partizipieren – was notwendig dafür sorgte, dass aus diesen Ländern massiver Widerspruch gegen das Ostseeprojekt kam.

Eingetütet hatte den Deal im Jahr 2005 der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, der zur Belohnung in den Aufsichtsrat der zu 51 Prozent der russischen Gasprom gehörenden Nord Stream AG umsteigen durfte. Die allerdings ist für die Nord Stream 1 Pipeline zuständig, welche mit zwei Rohren zwischen den besagten Endpunkten bereits 2011 in Betrieb genommen wurde.

Kurz vor der Fertigstellung steht nun Nord Stream 2. Diese befindet sich anders als NS1 zu 100 Prozent im Eigentum der russischen Gazprom. So scheint es den deutschen Kritikern heute ein leichtes, die bis weit südlich vor Bornholm verlegte Strecke zur Bauruine zu machen. Deutsche Regressforderungen sollen sich demnach im überschaubaren Rahmen halten – und den russischen Milliardenverlust meint man, mit Sanktionsnotwendigkeiten begründen zu können.

Nicht nur ökonomisch unsinnig

Doch nicht nur, dass es ökonomischer wie ökologischer Unsinn ist, Milliarden im Ostseesand zu versenken – die Bundesrepublik und mit ihr Westeuropa erweisen sich nach der Abschaltung der weltweit sichersten und saubersten Kernkraft- und Kohleverstromer einen Bärendienst. 55 Milliarden Kubikmeter Gas sollen über NS2 pro Jahr nach Westen gepumpt werden. Das entspricht rund 630 Terawattstunden und damit dem 55-fachen dessen, was beispielsweise das von der Stilllegung bedrohte Kraftwerk Moorburg im Jahr produziert. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier legte daher bereits vorsichtigen Widerspruch gegen den Abbruch des Projekts ein. Ähnlich die SPD-Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Für Manuela Schwesig ist die Pipeline-Anbindung in Lubmin ein wichtiger Standortfaktor dort, wo einst das modernste AKW der DDR betrieben wurde.

Anti-Putin-Front versus Energiesicherheit

Ganz anders aber sieht das eine Anti-Putin-Front, die sich aus einem bunten Mix unterschiedlichster politischer Provenienz rekrutiert. So sah der aussichtslose CDU-Vorsitzbewerber Norbert Röttgen eine Chance, endlich mal wieder in die Tagesschau zu kommen und fordert vollmundig das finale Ende der Pipeline. Der verhinderte EU-Kommissionpräsident Manfred Weber (CSU) stößt in ein ähnliches Horn: Es sei ein Objekt, das Europa in die Zerstrittenheit führe – also Schluss damit. 

„Vergiftete Beziehungen“
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Ist es für die einen die Utopie eines zentralistischen EU-Bundesstaats, wittern andere nun die einmalige Chance, ihren energiepolitischen Shutdown noch schneller zum Abschluss zu bringen. Längst steht fest: Nach dem erfolgreichen Kampf gegen die Zukunftsenergie aus dem Kernkraftwerk und der nun ebenfalls zum Abschluss gebrachten Vernichtung der Kohleverstromung wird Erdgas der nächste Energieträger sein, den die grün getarnten Ökomarxisten abschalten wollen. Die Debatte um den vermeintlichen Demokraten Nawalny scheint ihnen jetzt die Chance zu bieten, hier ihre ursprüngliche Agenda deutlich beschleunigen zu können. Kein Erdgas – keine Erdgasenergie. Den Ersatz müssen die Energiespargel erbringen, die in deutsche Wälder, Felder, Auen, Wiesen und Wattenmeere gepflanzt werden. Das allerdings müssen beim Ausfall von NS2 sehr viele sein: Bis zu 7 Megawatt erzeugt eine Vögel- und Insektenhäckselmaschine im Jahr. Um die Energiekapazität von NS2 zu ersetzen, bedarf es demnach 90 Millionen Windräder in Dauerlast.

Doch bei den Grünen wie bei der Anti-Putin-Fraktion der Union heiligt der Zweck die Mittel. Da spielt es nun auch keine Rolle, plötzlich einen Verbündeten an der Seite zu haben, den man ansonsten scheut wie der Teufel das Weihwasser. Donald Trump, dem deutschen Mainstream verhasster US-Präsident, wurde und wird nicht müde, das umgehende Ende des Pipeline-Projekts zu fordern und den Beteiligten mit Sanktionen zu drohen. Sein Motiv: US-Fracking-Gas nach Europa verkaufen und damit den Wiederaufschwung in den USA befeuern. Wenn dann noch die kleinen NATO-Partner in Mittelosteuropa glücklich sind, ist dies ein gern mitgenommener Nebeneffekt. Für die Ökoisten allerdings spielt das in diesem Falle keine Rolle. Ihr Traum vom emissionslosen Europa um wirklich jeden Preis findet sich nun auch in die Koalition mit dem alten weißen Mann in Washington.

Wenn die Ökoisten zum Sturm auf das Erdgasprojekt blasen, darf auch Angela Merkel nicht fehlen. Sie, die nach dem absehbaren Ende der schwarzroten Zweckehe von einer schwarzgrünen Liebeshochzeit träumt, ist dafür bekannt, ihre Entscheidungsfindung in den gefühlten Mainstream zu hängen. So mag sie nun das Ende von NS2 im Zuge von Anti-Putin-Sanktionen nicht mehr ausschließen. Darüber zu spekulieren, dass solch ein Akt nebenbei eine späte Rache an dem sie nie akzeptierenden Schröder sein könnte, verbietet sich.

Und dann geht das Licht aus

So stehen nun die Signale auf dunkelgelb für Nord Stream 2. Die Verlockung, den Russen Nawalny zum Helden zu verklären und Putin einmal mehr den Schwarzen Peter zuzuschieben – was dieser durch seine übliche Politik des Nebelwerfens und des Tricksens und Täuschens trefflich unterstützt – ist zu groß. Die Deutschen sollten daher vorsorglich schon einmal damit beginnen, für die nächsten Windräder ein paar Plätze im Vorgarten und in den Grünanlagen freizuhalten. Da das als „Kohlekompromiss“ verkaufte Diktat ohnehin nicht mehr aufzuhalten ist und nun noch die Gasversorgung aus dem fernen Asien vor dem Aus steht, werden wir jeden Quadratzentimeter brauchen, um Windräder selbst dort aufzubauen, wo Wind nur selten weht.

Oder aber, wir beziehen unsere Energieträger künftig aus den USA und von den Arabern. Wobei – einem US-Präsidenten durch Abkauf seiner umweltschädlich gefrackten Gase unter die Arme zu greifen – das geht für grünschwarz-merkelianische Ökoisten gar nicht. Und dem Muhamad aus Riad sein Öl abzunehmen – dann könnte man es auch von Putin beziehen. Zumindest moralisch, denn ob sie nun unliebsame Personen haben aus dem Weg räumen lassen oder nicht – das Prädikat wird an ihnen haften wie Sekundenkleber. Aber vielleicht gelingt es ja am Ende doch noch irgendwie, eine Unterscheidung zwischen guten Bösen und bösen Bösen zu erfinden. Dann ist Russland raus und die USA nebst Arabern sind drin im Spiel mit der deutschen Energieversorgung. Es sei denn, die Ökoisten nutzen die sich bietende Chance und ziehen gleich radikal durch. Dann geht im Privathaushalt das Licht aus und die Industrie kann froh sein, noch ein wenig Atomstrom aus Frankreich und Tschechien zu beziehen.

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