Tichys Einblick
LINKER UND RECHTER KOLONIALISMUS (2)

Das koloniale Dilemma und die Schizophrenie der Linken

Das Dilemma der „rechten“, der Neokon-Kolonialisten ist es, dass Afghanistan das vorübergehende Ende des Interventions-Kolonialismus eingeläutet hat. Das Dilemma der linken Kolonialisten des selbsternannten Progressivismus jedoch ist, sich in perfekter Schizophrenie wiederzufinden.

Taliban-Kämpfer in Mehtarlam in Afghanistan, 19. August 2021

IMAGO / SNA

Den ersten Teil lesen Sie hier

Linke Politikideologien – Sozialisten und Kommunisten – suhlen sich in der moralischen Überhebung, Vertreter einer Ideologie der Befreiung zu sein, das Menschenrecht auf politische Selbstbestimmung gegen angebliche oder tatsächliche Macht- und Herrschaftsansprüche der rechten Kolonialisten zu verteidigen. Das Absurde dabei ist: Sie, die den Kolonialismus be- und anklagen, sind selbst nichts anderes als Kolonialisten. Bereits die Ideologie der Befreiung ist eine Form des Kolonialismus, weil sie in den Denkstuben der als Kolonialmächte tätigen Staaten entstanden ist.

Nicht nur China, sondern letztlich alle Staaten der Erde sind –  soweit sie nicht als Länder der westeuropäischen Aufklärung auf dem Boden des alten Europas angesiedelt sind – Kolonialprodukte. Egal, ob sie als europäische Klientelstaaten gelten oder sich in einer imaginären Unabhängigkeit und Selbstbestimmung wähnen. Wobei auch diese europäischen Staaten und Nationen ohne imperiale und kolonialistische Vergangenheit niemals das geworden wären, was sie sind. Die Entwicklung beginnt nicht erst bei der imperialen Kolonialpolitik des antiken Rom – und sie endet nicht beim kolonialen Imperialismus eines Napoleon.

Linker und rechter Kolonialismus (1)
Das koloniale Scheitern der Neokons und Neomarxisten
Der chinesische Massenmörder Mao Zedong wäre ohne die marxistische Erbschaft des westeuropäischen Kolonialismus ein anderer gewesen. Vielleicht nicht weniger kriminell – aber chinesisch-kriminell – nicht europäisch-kriminell. Da jedoch auch sein Vorgänger Chiang Kai-shek als Vertreter einer bürgerlich-europäischen Staatsidee bereits Produkt des europäischen Kolonialismus gewesen ist, wäre es ohne europäischen Imperialismus vielleicht niemals zur maoistischen Diktatur, zu Massenmord und Kulturvernichtung gekommen. Wobei auch diesen beiden und ihrem Konflikt bereits europäische Kolonialhandlungen zugrunde lagen. Dabei soll an dieser Stelle nicht die Rede sein vom Boxeraufstand und dessen Niederschlagung durch Europas Imperialisten. Oder von den Opiumkriegen, mit denen sich das Vereinigte Königreich seine Claims in Fernost sicherte. Viel entscheidender für die Zukunft Chinas und das Werden der heutigen Volksrepublik war die koloniale Öffnung Japans. Dieses in splendid isolation lebende Land wäre ohne den kolonialen US-Einsatz von 1854 und der dadurch verursachten Meiji-Restauration ab 1868 niemals auf die Idee gekommen, das Knowhow der Kolonialisten zu kopieren und dadurch innerhalb weniger Jahre zur führenden Militärmacht der Region zu werden – fähig, das ebenfalls kolonialistische Russland zu besiegen und China und Südostasien zu unterwerfen.

Ohne die Kolonisatoren aus Europa wäre die fernöstliche Geschichte gänzlich anders verlaufen. Das erstarrte China hätte vielleicht irgendwann die Kraft zu einer eigenen Moderne entwickelt – oder es wäre in seinen mittelalterlichen Strukturen hängen geblieben bis heute. Gleiches gilt für den indischen Subkontinent. Die über sechshundertjährige Fremdherrschaft der aus Afghanistan gekommenen Mogule, die als moslemische Elitenherrschaft selbst nichts anderes als eine Verkörperung des Kolonialismus gewesen ist, wäre ohne die europäischen Kolonialisten kaum 1858 zu ihrem Ende gekommen. Ohne die Briten wäre das hinduistische Indien heute vielleicht immer noch ein islamisch fremdbeherrschter Staat – und nicht die größte, wenn auch chaotische Demokratie der Erde. Wobei diese Demokratie selbst wiederum nichts anderes ist als ein Erbe der europäischen Kolonialherren, denn Tradition hat Demokratie weder im Hinduismus noch im Islam.

Was wäre, wenn …

Es ist im Allgemeinen müßig, sich über das „was wäre, wenn“ Gedanken zu machen. Doch die Bigotterie der linksgestrickten Identitätspolitik, deren geschichtsfernes Verständnis der europäisch geprägten Kolonialzeit, lässt es zumindest angeraten erscheinen, einige Aspekte aufzuzeigen.

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Ohne europäische Kolonisation lebten die Erstbesiedler Australiens höchstwahrscheinlich immer noch so, wie vor 500 oder 1.000 Jahren. Auf Neuseeland bekämpften sich die Maori-Stämme in traditionellen Stammesfehden. Gleiches auf zahlreichen Südseeinseln – und selbstverständlich überall dort, wo Europäer nicht für eine pax europa sorgten. Im Norden Afrikas herrschten die arabischen Kolonialisten mit Scharia-Recht und Sklaverei. Ansonsten bekriegten sie sich traditionell gegenseitig. In den Subsahara-Regionen lebten animistische Stämme, von Malaria und anderen Tropenkrankheiten ebenso bedroht wie von den islamisch-persisch-türkischen Sklavenhändlern.

Vermutlich hätte es hier und da so etwas wie indigene Staatenbildung gegeben – die aus Zentralafrika in das heutige Südafrika eingewanderten Zulu waren bei der Ankunft der Migranten aus Europa auf dem besten Weg, etwas ähnliches zu installieren. Doch auch das nichts anderes als Kolonialismus: Die Opfer waren jene zuvor in der Region siedelnden Stämme, die von der gut funktionierenden und den Nachbarn überlegenen Militärmaschine der Zulu unterworfen, versklavt oder vernichtet wurden.

Ähnliche Entwicklungen wären ohne europäische Zivilisation voraussichtlich auf dem amerikanischen Doppelkontinent zu erwarten gewesen. Das Reich der Inka, geführt von einer totalitären Priesterkaste, kann bereits als moderner Staat angesehen werden. Eine Hochkultur, ohne eine Zivilisation zu sein. Denn ihre fehlte der freie Bürger, der Civis. Stattdessen unterwarfen die Inka – wiederum selbst nichts anderes als Kolonialisten – unterlegene Nachbarvölker, welche dem Reich in Kooperation mit den spanischen Konquistadoren ein Ende bereiteten. Einen modernen Staat mit Hochkultur und ohne Zivilisation hätten voraussichtlich auch die Azteken entwickelt – und die verbürgten Opferkulte wären vielleicht noch heute üblich, allen westeuropäischen Menschenrechtsideen zum Trotz.

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Auch im Norden: Die Vereinigung der fünf Nationen, die Haudenosaunee, die von Feinden Iroqu, Klapperschlangen, und von den Europäern Irokesen genannt wurden, hätten ihre Staatenbildung erfolgreich vorantreiben können. Ebenso die militärisch und organisatorisch ihren Nachbarn überlegenen Plains-Indianer der Comanche-Shoshonen. Sie und andere hätten die Möglichkeiten gehabt – und vermutlich genutzt – ihre Einflussgebiete zu erweitern, dabei selbst gegenüber Nachbarn und Konkurrenten zu Kolonisatoren zu werden und vielleicht den Europäern vergleichbare Staatengebilde zu schaffen. Wobei zumindest bei den Comanche gewisse Zweifel angebracht sind, beruhte ihr Erfolg doch maßgeblich auf ihrem exzellenten Umgang mit dem Pferd – welches nichts anderes war als ein Mitbringsel der spanischen Kolonialisten.

Es kam anders. Die Europäer brachten Leid über die Unterlegenen – aber auch Wohlstand und Frieden, wenn sie Stammeskonflikte unterbanden, die Sklaverei abschafften, den kolonialisierten Völkern mit Bildung und moderner Medizin den Weg in die eigene Expansion ebneten.

Die Geschichte der Menschheit ist eine nie endende Geschichte von Migration und kolonialer Unterwerfung. Sie ist gekennzeichnet von Höhen und Tiefen, von Wohltat und Vernichtung. Das war zu keinem Zeitpunkt anders – und es ist ausschließlich der europäischen Weltherrschaft zu verdanken, wenn die Völkerkonflikte nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zumindest partiell humaner ausgetragen wurden.

In der Geschichte der Menschheit galt: Waren die Überlegenen verständig, dann ließen sie die Unterlegenen am Leben und gaben ihnen die Chance, so zu werden wie sie selbst. Waren sie unverständig, dann rotteten sie die Unterlegenen aus – beispielsweise, indem sie den männlichen Teil der Besiegten an der Fortpflanzung hinderten oder sie gleich umbrachten. Auch die europäische Eroberung der Welt verlief nicht ohne Massentötung. Vor allem die Amerikaner waren den durch enge Besiedlung und unhygienische Lebensumstände besser immunisierten Europäern hinsichtlich der Seuchenanfälligkeit unterlegen, sodass von geschätzt 60 Millionen Amerikanern zum Zeitpunkt der Ankunft des Christoph Columbus innerhalb von 100 Jahren rund 90 Prozent starben. Der Anteil jener, die gezieltem Mord und Tötung durch Sklavenarbeit erlagen, ist hingegen eher marginal – es machte auch keinen Sinn, indigene Bewohner massenhaft zu massakrieren, wenn man sie im Sinne der eigenen Gewinnmaximierung besser als kostengünstige Arbeitssklaven hätte einsetzen können.

Der Untergang der ersten Amerikaner schuf die Grundlage für die Massenmigration von Schwarzafrikanern – unfreiwillig und unter großen Opfern für die Betroffenen. Sie wurden gezwungen, die durch Krankheit ausgefallenen ersten Amerikaner zu ersetzen. Und so absurd es klingen mag: Keiner der heute in Nordamerika nicht selten im Wohlstand lebenden Schwarzen ebenso wie keiner jener Afrikastämmigen in der Karibik und Südamerika hätte dort ohne den europäischen Kolonialismus seine Heimat. Ohne diesen sähe die Welt heute tatsächlich anders auch – aber das täte sie auch ohne den ägyptischen, assyrischen, babylonischen, persischen, griechischen und römischen Kolonialismus der Antike; ohne den islamischen und chinesischen Kolonialismus des Mittelalters.

So sehr man aus heutiger Sicht auch dieses Tun ganz oder in Teilen bedauern und anprangern mag – in der jeweils zeitgenössischen Selbstgewissheit unterscheidet sich der menschenverachtende, gewinnorientierte Kolonialismus nicht vom wohlmeinenden, missionarischen Kolonialismus, vom zeitgenössischen, eurozentristischen Menschenrechtskolonialismus oder vom marxistischen, polit-ideologischen Kolonialismus.

Die zwei Säulen des Kolonialismus

Sie alle zeichnet aus, dass sie auf den zwei Säulen einer jeden Form des Kolonialismus ruhen: Dem sich selbst zugewiesenen Recht der Kolonisatoren, die zu kolonisierenden Völker entsprechend behandeln zu dürfen – und der technischen Fähigkeiten, dieses Recht auch gegen den erklärten Willen der zu Kolonisierenden durchzusetzen. Die Motivation – ob, wie in der Antike, mit dem Ziel der persönlichen Wohlstandsmehrung oder wie im Mittelalter und der frühen Neuzeit in Verknüpfung mit den Zielen der Verbreitung ideologischer Herrschafts- und Welterklärungsansprüche, welche letztlich gleichwohl immer auch maßgeblich der Wohlstandmehrung der Verbreiter dienen sollten – ist bei der Kolonisation zweitrangig. Entscheidend ist der Wille, Macht über fremde, andere Völker auszuüben, deren Kultur durch die eigene zu ersetzen – und eben die Fähigkeit, genau dieses zu tun.

In Afghanistan sind alle Formen des Kolonialismus gescheitert

Die aktuelle und nun nicht zuerst in Afghanistan grandios gescheiterte Form des idealistischen Kolonialismus der europäischen Gegenwart unterscheidet sich insofern nicht von ihren Vorgängern. Wer nach Afghanistan zieht, um dort Frauen vor einer archaischen, aber dort selbstverständlichen Unterdrückungskultur zu bewahren, ist Kolonialist. Er unternimmt den Versuch, seine eigene Weltsicht gegenüber der des zu Kolonisierenden durchzusetzen.

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Ist aber auch Kolonialist, wer nach Afghanistan zieht, um dort die Urheber eines Angriffs auf die eigene Nation zu finden und auszuschalten? Bleibt es dabei, sicherlich nicht. Er nimmt lediglich sein Recht auf Selbstverteidigung wahr. Schaltet er jedoch um auf den Versuch, die Selbstverteidigung durch die Implementierung seiner eigenen Wertvorstellungen zu verstetigen, wird er zwangsläufig zum Kolonialisten.

So gesehen starteten die USA ihren Afghanistan-Einsatz auf Grundlage nicht-kolonialer, legitimer Interessen. Der vor allem von den US-Neokons naiv betriebene Anspruch, die Menschen in Afghanistan und der islamischen Welt zur westlichen Demokratie bekehren zu wollen, ist jedoch der unverhohlene Einstieg in koloniales Handeln.

Hierbei nun ist der Blick auf die BRD in besonderem Maße spannend. Deren Bestreben bei ihrem Einsatz in Afghanistan war von vornherein darauf ausgerichtet, die aus ihrer Sicht archaische Kultur der dortigen Bewohner in Sachen Menschen- und Frauenrecht durch die eigene Weltanschauung in diesen Sachen, ergänzt durch den Anspruch auf Demokratie, zu ersetzen. Deutschland handelte insofern von Anbeginn seines Afghanistan-Einsatzes an als Kolonialmacht – nur verzichtete es, anders als 100 Jahre zuvor, auf den Einsatz brachialer Gewalt, um seine kolonialen Ziele durchzusetzen.

Widerspruch? Unnötig, denn Kolonialismus war und ist im Gegensatz zum lupenreinen Imperialismus zu jeder Zeit und in jeder Region das Bestreben einer sich überlegen fühlenden Menschengruppe, eine andere mit den eigenen Wertvorstellungen und Lebensentwürfen zu beglücken, sie sich in irgendeiner Weise gleich zu machen und sie auf dem Weg dorthin als unmündige Kinder zu behandeln. Funktionierte diese Beglückung nicht durch freiwillige Übernahme, so war der Griff zur Gewalt eher die Regel als die Ausnahme.

Die Bigotterie der kolonialen Gutmenschen

Die heute verpönten Kolonialisten vor allem des 19. Jahrhunderts waren zumindest so ehrlich, dazu zu stehen. Sie zogen in die Welt, um als Imperialisten den Nutzen ihrer eigenen Nationen und ihrer selbst zu mehren und in diesem Zusammenhang als Kolonialisten fremde Kulturen der eigenen anzunähern, vielleicht sogar dieser gleich zu machen. Sie waren Imperialisten, die konkrete Ziele hatten – und sie waren beispielsweise als Missionare Kolonialisten, die nicht minder arrogant meinten, die Eingeborenen von der Güte ihres Herrn Jesu überzeugen und deren aus Kolonialistensicht barbarischen Kulturtraditionen durch ihre vorgeblich edleren, fortschrittlicheren ersetzen zu müssen.

Insofern hat sich nichts geändert. Der heute Interventionspolitik genannte Kolonialismus des westeuropäischen Kulturkreises verfügt wie vor 100 Jahren immer noch über dieselben Komponenten. Er strebt nach materiellem Gewinn und/oder nach ideeller Kulturhoheit. Jene, die nach Afghanistan zogen, um dort eine Demokratie nach westlichem Muster durchzusetzen, sind ebenso Kolonialisten wie jene, die meinten, dort die eigenen Menschen- und Frauenrechtsvorstellungen gewährleisten zu können. Sie unterschieden sich nicht von den Kolonisatoren des 19. Jahrhunderts – sogar ihr selbsterklärter, zivilisatorischer Anspruch ist annähernd identisch in der Selbstgewissheit, die eigenen Ideale einer diesen Idealen fremden Welt aufsetzen zu müssen. So sind auch die selbstgefälligen NGO-Vertreter, die nach Afrika oder sonstwohin ziehen, um der dortigen Bevölkerung Gutes zu tun, in ihrer Logik nichts anderes als Kolonialisten. Die gesamte Entwicklungspolitik, die ihre Aufgabe darin sieht, die Lebenssituation in den sogenannten Entwicklungsländern mit Errungenschaften des europäischen Erfindungsgeists zu verbessern, ist letztlich ebenfalls nichts anderes als Kolonialpolitik. Denn sie ist ein Eingriff in die „natürliche“ Entwicklung der Beglückten – also in eine Entwicklung, die sich ohne jeglichen Einfluss durch die kolonisierenden Kulturen ergeben hätte.

Taliban als Freiheitskämpfer gegen den Kolonialismus

Der Sieg der Mohammed-Jünger in Afghanistan ist insofern nichts anderes als ein Sieg regionaler Freiheitskämpfer über den zeitgenössischen Kolonialismus. Terroristen sind sie in den Augen der Kolonisatoren, weil sie sich weigern, deren Weltanschauung zu übernehmen.

China, selbst traditionell sowohl Kolonialist als auch Opfer des Kolonialismus, stößt in die Kerbe der europäischen Schmach, begrüßt offiziell, dass das afghanische Volk nun selbstbestimmt über seine Zukunft entscheiden kann. Hier werden freundschaftliche Marken gesetzt, die das eigene, koloniale Engagement vorbereiten, indem sie die Politik der Besiegten zutreffend als Kolonialismus brandmarken.

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Europas Antifa, koloniale Selbstkasteier und Geschichtsverdreher, Identitätsideologen und Woke-Gemeinde – all jene, die sich überschlagen in der Selbstanklage einer genozidalen Kolonialvergangenheit und bei der Rückgabe vorgeblichen, kolonialen Raubguts, müssten, wären sie ehrlich zu sich selbst, den Sieg der Taliban als Befreiung der Afghanen von kolonialer Fremdbestimmung feiern. Dieses nicht zu können, weil dieses gleichbedeutend wäre mit der Erkenntnis, dass der Weltanspruch globaler Menschenrechte eben auch nichts anderes als Kolonialismus ist, begründet eine Bigotterie des Schizophrenen.

Dabei gilt – historisch korrekt sind auch die Taliban nicht anderes als das Ergebnis kolonialer Fremdbestimmung, der Unterwerfung ihrer Vorfahren durch eine koloniale Imperialismusidee aus der arabischen Wüste. Aber das liegt so lang zurück und war wie überall zwischen Atlantik, Bosporus und Indus derart erfolgreich, dass sich die Nachfahren der Kolonialisierten nicht mehr daran erinnern können, sodass wir darüber hinwegschauen können. Was gern bedauert werden darf, denn es belegt, dass der islamische Kolonialismus im Gegensatz zum aktuellen der Europäer nachhaltig erfolgreich gewesen ist.

Das Dilemma der „rechten“, der Neokon-Kolonialisten ist es, dass Afghanistan das vorübergehende Ende des Interventions-Kolonialismus eingeläutet hat. Das schmerzt und tut weh. Aber es wird die Neokon-Kolonialisten nicht dauerhaft davon abhalten, auch künftig kolonial-interventionistische Abenteuer zu starten.

Das Dilemma der gutmenschelnden, linken Kolonialisten des selbsternannten Progressivismus jedoch ist, sich in perfekter Schizophrenie wiederzufinden. Gescheitert im Ziel, ein menschenrechtliches Weltkolonialreich zu schaffen – erfolgreich im Prinzip, jedweden tatsächlichen oder gefühlten kolonialen Eingriff in indigene Kulturen dennoch grundsätzlich abzulehnen und als Menschenrechtsverletzung zu verurteilen. Irgendwie erinnert dieses Dilemma der Bigotterie an den Pazifisten-Spruch der Hippies. Hieß es damals: „Fighting for peace is like fucking for virginity“, so lautet es heute  „Fighting for global human rights is like suffering from european colonialism.“

Der Konservative wird mit seiner Situation umgehen können. Der in Schizophrenie gefangene Progressive allerdings dürfte reif für die Couch sein.


Fortsetzung folgt: Lesen Sie morgen mehr über das Dilemma der linken und rechten Kolonialisten im dritten Teil. 

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