Tichys Einblick
Zeitungssterben

Journalismus – ein Geschäftsmodell?

„Krise des Journalismus“ – „Zeitungssterben“? Ein Redakteurskommentar beim SPIEGEL zeigt auf, wo die eigentlichen Probleme liegen. Weil er deutlich macht, dass Journalisten ihren eigenen Beruf nicht mehr verstehen.

Symbolbild

© John MacDougall/AFP/Getty Images

Einen Kommentar, der das Unverständnis von Journalisten für ihre Zunft bestens ausdrückte, verfasste jüngst ein Redakteur namens Markus Brauck beim einst so stolzen Magazin „Der Spiegel“ unter dem Titel „Zeitungssterben | Das Jahr 2019 wird bitter“. Wer das Dilemma des deutschen Journalismus verstehen will, der muss diesen Kommentar lesen. Es beginnt bereits mit dem ersten Satz, den der Autor von sich gibt:

„Journalismus in der Krise: Geschäftsmodelle von Traditionshäusern wie DuMont brechen weg, jungen digitalen Angeboten fällt es schwer, neue zu entwickeln. Was geschieht, wenn sich die gedruckte Zeitung verabschiedet?“

Der Mann weiß nicht einmal mehr zu unterscheiden zwischen Journalismus und Verlagswesen. Was haben „Geschäftsmodelle von Traditionshäusern“ mit Journalismus zu tun? Nichts! Es geht um Vertriebs- und Anzeigenerlöse.

Zeitungssterben
Schwarzes Jahr für Medien - aber nicht für alle
Journalismus war das Mittel zum Zweck – nie der Zweck selbst. Und „junge digitale Angebote“, die keine neuen Geschäftsmodelle entwickeln? Sie SIND die neuen Geschäftsmodelle. Ob sie als solche erfolgreich sind, hat damit nichts zu tun. Das ist eine andere Frage. Aber es gibt sie. Und viele davon sind journalistischer als es die alten jemals waren. Außerdem: Was haben die digitalen Angebote damit zu tun, dass sich gedruckte Zeitungen vom Markt verabschieden? Ist das ihre Schuld? Sicherlich nicht – Konsumgewohnheiten ändern sich dann, wenn überholte Konsumangebote keine Abnehmer mehr finden. Stört das die Digitalen? Nein, ganz im Gegenteil, denn es verteilt den Werbekuchen neu. Schließlich kommt Deutschland auch ganz gut ohne Kohlezechen, Kokereien und Werften zurecht. Es wird auch ohne die Neven DuMonts gut zurechtkommen – und ohne die vielen Tageszeitungen mit SPD-Beteiligung.
Geschäftsmodell Zeitung

Auch dieser Satz, den der Autor als eine Art Resümee formuliert, ist mehr als bemerkenswert:

„Journalismus, das ist die bittere Wahrheit hinter alldem, ist ein Geschäftsmodell, das wankt.“

Nein! Die nicht bittere Wahrheit ist: Journalismus ist kein Geschäftsmodell. Nie gewesen. Das Geschäftsmodell ist es, die Ergebnisse von Journalismus über kommunikative Medien zu verkaufen. Dieses – und nur dieses – Geschäftsmodell mag wanken. Wenn es schlecht gemacht wird. Und es wankt, weil es schlecht gemacht wird. Journalisten müssen sich andere Verwerter und Verkäufer suchen. Was daran ist schlimm, dass sich die Welt weiterentwickelt?

So ist der Markt: Was nicht funktioniert, keine Kunden findet, verschwindet. Das ist auch gut so – wozu das krampfhafte Aufrechterhalten von Nischenangeboten mit Steuergeldern oder vor Konkurrenz geschützten Schonräumen?

Worauf dieses Gejammer aus der redaktionellen Echokammer offenbar hinauslaufen soll und welches ebenso die Kulturszene längst zum bürgerfernen Exotenselbstdarstellungsvergnügen von „Kunstschaffenden“ gemacht hat wie es die ÖRR-Medien verführt, sich zwecks Selbstverkaufe bei Anleihen früherer Menschenfänger zu bedienen – es nennt sich Staatsmonopolismus. Dort braucht es keine Leser, keine Zuschauer, keine Zuhörer. Sie brauchen nur Gebührenzahler, die über Zwang etwas bezahlen, von dem sie nichts haben. Mit Journalismus hat das, was da entsteht, am Ende nichts mehr zu tun.

Was für eine hybrische Selbstüberhöhung, wenn Brauck schreibt:

„Allein, außer den Journalisten selbst spürt den Niedergang kaum jemand.“

Woher will er das wissen? Der Konsument, der sich von Tageszeitung und Magazin abgewendet hat, spürt dies sehr wohl. Weil er selbst Teil der Verursachung des Niedergangs eines Geschäftsmodells ist – nicht aber Ursache dieser Verursachung. Meist leidet sein Gemütszustand nicht unter dem Verlust der Zeitung, denn er hat ihn freiwillig herbeigeführt. Weil er eben diesen sogenannten Journalismus, der ihm das verkauft werden soll, nicht braucht.

Schlechter Journalismus in Politsprech

„Wen also soll die Krise der Zeitungshäuser interessieren außer diese selbst, wenn das journalistische Angebot nicht wirklich schlechter geworden ist“, greint der Autor. Wunderbar, wie er hier Dinge vermengt und nicht einmal merkt, welchen Unsinn er schreibt.

Zutreffend ist: Die Krise der Zeitungshäuser interessiert niemanden außer diese selbst. Warum auch? Ist eines weg, kommt etwas anderes. Das kennt die Natur seit Millionen von Jahren und es nennt sich Evolution.

Dann aber dieser entlarvende Nebensatz: „wenn das journalistische Angebot nicht wirklich schlechter geworden ist“.

Schon diese Phrase ist journalistisch derart schlecht, dass sie das eigentliche Dilemma perfekt offenbart. „Nicht wirklich schlechter“ ist Politsprech in Vollendung. Eine Floskel der Uneinsichtigkeit. Denn sie bedeutet: „Ja, es ist schlechter geworden – aber wir können/wollen/dürfen es uns nicht eingestehen.“

Die Selbstentlarvung geht weiter, wenn der Autor „Buzzfeed“ als „Nachrichtenportal“ bezeichnet. Hat er sich dieses Portal einmal angeschaut? Dafür ist selbst „Unterhaltungsangebot“ noch überhöht. Aber diese Gleichstellung von billiger Effekthascherei mit Journalismus macht deutlich, dass ihr Urheber jeglicher journalistischen Beurteilungsfähigkeit verlustig gegangen ist. Spontan fällt einem hier Karl Lagerfeld ein: „Wer Buzzfeed für ein Nachrichtenportal hält, hat die journalistische Kontrolle über sich selbst verloren.“

Die Fehlentscheidung Zeitungskauf

Scheinbar gut erkannt wurde die fatale, geschäftliche Fehlentscheidung von duMont, sich allerorten Printzeitungen zusammen zu kaufen. Auch wenn die Behauptung nicht mit Zahlen unterlegt wird, sondern wage von „einem Paket, das mal eine Milliarde wert gewesen“ sei, gesprochen wird.

War es das wirklich? Die Tatsache, dass jemand viel Geld für etwas ausgibt, sagt noch nichts aus über dessen Wert – jeder Hobbysammler weiß das. Tatsächlich aber waren diese Geschäfte der größte Coup, den Springer-Chef Döpfner jemals gelandet hat. Denn wer auch nur ein wenig das Ohr am Puls der Zeit hatte, der wusste schon damals: Die Tage dieser Prints sind gezählt. Nicht nur der ASV hat einen potentiellen Müllberg an die Konkurrenz abgetreten und gegen einen Geldberg getauscht. Der Springer-Verlag hatte damit nicht nur seine Bilanz erheblich aufgebessert, sondern sich künftige Probleme vom Hals geschafft. Warum darüber jammern? DuMont hat das freiwillig getan – und geschäftliche Fehlentscheidungen rächen sich irgendwann.
Heischen nach Talkshowauftritt und Solidarität

Völlig daneben auch dieses unterschwellige Heischen des Kommentators nach Unterstützung durch die öffentlich-rechtlichen Großverdiener und die Politik.
Auf der einen Seite sucht Brauck Schleimpunkte bei jenen Kollegen, die mangels qualifizierter Fachleute die televisionären Sprechschauen füllen. Von der unterschwellig wahrnehmbaren Bitte, doch auch einmal bei Will oder Lanz Nichtssagendes zum Besten geben zu dürfen, um eine „eigene Marke“ zu werden, ganz abgesehen.

Auf der anderen Seite soll ausgerechnet die Solidarität jener kommunalen Politiker eingefordert werden, die seit eh mit den großen Verlagshäusern hadern. Denn die regionale Berichterstattung war dort schon immer bestenfalls lästiges Beiwerk. Seitdem nun auch die „Mäntel“ aus fernen Buchstabenfabriken aufgeliefert werden, entfällt der letzte Grund, sich diese Retortenprodukte zu kaufen, in denen diese Buchstaben nur noch abgefüllt wurden.

„Und diese Lücke werden nicht mehr nur Journalisten zu spüren bekommen. Sondern Stadträte, über deren Arbeit niemand mehr berichtet. Bürger, die über ihre Gemeinde nichts mehr erfahren. Es wird Räume geben ohne Öffentlichkeit. Räume, die sich der Kontrolle entziehen, die Öffentlichkeit bedeutet. Räume ohne öffentliche Debatte, ohne öffentliche Politik“ , meint der Redakteur.

Schon lange erfolgte die Berichterstattung aus kommunalpolitischen Gremien und dem Geschehen vor der Haustür nicht mehr über die Tageszeitungen, sondern in den kostenlosen Anzeigenblättchen. Gut vorstellbar, dass das dort, wo man mittlerweile schreibt, was nicht ist, überhaupt nicht wahrgenommen wurde. Heute sind Webportale dabei, dieses Geschäft zu übernehmen. Sie sind schneller, aktueller. Auch wenn sich das ändern wird: Bestückt sind sie leider noch häufig mit Leuten, die nur selten gut schreiben können. Mit dem, was bei den darbenden Prints der Großverlage als erstes nicht mehr gelitten war, aber der vom Autor formulierten Grundeinstellung frönt, wonach „Journalist“ immer noch ein Traumberuf sei.

Wieso eigentlich? Weil er meint, dann als Oberlehrer einer tumben Nation auftreten zu können? Um das zu tun, hätte der Traumberufler besser in die Politik oder in den Schuldienst gehen sollen – da gehört er hin.

Oder sieht er sich, wie er andeutet, als Blockwart? Als jemanden, dem wer auch immer die oberste Kontrolle anvertraut hat über „Räume ohne Öffentlichkeit, die sich der Kontrolle entziehen“? Es ist der Traum vom Gatekeeper, der nicht nur den Nachrichtenfluss steuert, sondern vom Big Brother, der alles sieht, alles weiß, alles überwacht. Der jede Abweichung vom als „normal“ Gewünschten sofort registriert und an den Pranger stellt. Welch ein ominöses Verständnis von Journalismus! Der Blick des Spanners in das Privatleben der Bürger anstelle der fundierten Kritik an jenen, die beharrlich den Staat an die Wand fahren.

„Eine WhatsApp-Gruppe macht noch keinen Journalismus“, stellt Brauck bedauernd fest. Denn, so ist man geneigt, diesen Stoßseufzer zu interpretieren, sie könnte sich ja unter Ausschluss der medialen Kontrolle formieren. Doch die Frage bleibt: Wer sich per WhatsApp informieren kann, wozu braucht er dann noch Papier?

Ein scheinbarer Rest Vernunft

Immerhin schimmert dann scheinbar doch noch ein kleiner Rest an ökonomischer Vernunft durch, wenn der Autor dem Staatspropagandismus mit Krokodilstränen eine Absage erteilt. Doch allein schon die „Lösung“, die er durchblicken lässt und mit einem „sicherlich nicht“ sich zu fordern noch nicht traut, verdeutlicht, dass offensichtlich in den Verlagen manch einer genau davon träumt.

Brauck schreibt: „Die Lösung für diese Krise ist es sicherlich nicht, Journalismus künftig von Staats wegen oder durch Stiftungen zu finanzieren, oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in diese Lücke vorstoßen zu lassen.“

Einmal abgesehen davon, dass der Autor in der ihm innewohnenden Logik hier nicht von der Subventionierung des Journalismus, sondern von staatlich finanzierten Großverlagen spricht – es bleibt auch völlig unbeantwortet die Frage im Raum stehen, in welche Lücke denn der ÖRR überhaupt vorstoßen soll? Soll er sein Meinungsmonopol durch die Übernahme von Printzeitungen und Webportalen komplettieren? Ist es das, was dem Autor mit der durch ein kleines „sicherlich nicht“ eingeschränkten „Lösung“ vorschwebt? Staatspropagandismus in Totale? Lesen wir zwischen den Zeilen, so drängt sich unweigerlich das Gefühl auf: Dieses „sicherlich nicht“ gilt nur so lange, bis der Autor über ein solches Modell selbst eine Jobgarantie erhält. Denn „sicherlich nicht“ heißt eigentlich „vielleicht doch“.

Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust

Der tatsächlich alles entlarvende Satz steht fast versteckt ganz am Anfang dieses Gejammers: „Journalist ist … schon lange kein sicherer Beruf mehr.“

Das war er noch nie, wenn es dabei um einen „sicheren“ Arbeitsplatz geht. Als ich mit meinem damaligen Chefredakteur und späteren Superminister keine übereinstimmende Linie mehr fand in der Berichterstattung über illegale Hausbesetzungen, fanden wir eine Einigung – meinen sicher geglaubten Job war ich damit jedoch los. Aber war damit der Beruf „unsicher“? Sicherlich nicht. Ganz im Gegenteil: Hätte ich anders gehandelt, hätte ich gegen mein eigenes Berufsethos verstoßen – und mich auf das Schreiben von Belanglosigkeiten beschränken dürfen.
Die Entscheidung eines Journalisten ist wie die in jedem anderen Beruf immer eine persönliche: Kann ich morgens noch in den Spiegel schauen, ohne mich meiner selbst schämen zu müssen? Bin ich bereit, zu mir selbst zu stehen, auch wenn das ein unübersehbares persönliches, weil finanzielles Risiko beinhaltet?

Für Brauck, der dieses Gejammer für den SPIEGEL verfasst hat, stand die Entscheidung offensichtlich nie außer Frage: Journalismus ist für ihn die Sicherung des Wohlergehens der Zeitungsverlage. Deren Sterben bejammert er nicht, weil deren Angebot auch mit Redakteuren wie ihm keine Käufer mehr findet – er bejammert es, weil er davon ausging, mit dem Einstieg als Verlagsredakteur eine Lebensrente ergattert zu haben, für die er nichts anderes zu tun habe, als lapidar dahingeschriebene Texte zu verfassen. Einem solchen Redakteur hätte ich in meinem Ressort umgehend nahegelegt, sich zu einem Berufsfeld umzuorientieren, welches mit Journalismus nicht mehr das Geringste zu tun hat. Schreiber von Werbetexten vielleicht. Verfasser tragischer Groschenromane als denkbare Alternative.

Der Kommentar belegt die Situation des SPIEGEL

Die Tatsache, dass der SPIEGEL einen solchen Kommentar unkommentiert durchgehen lässt, verdeutlicht einmal mehr, dass dessen Chefredaktion jegliche journalistische Bodenhaftung verloren hat. Sie zeigt aber noch mehr: Offensichtlich geht nun auch im früheren Nachrichtenmagazin die Angst um, dass ein spürbarer Mitarbeiterverzicht in einer durch die eigene, journalistische Unfähigkeit belasteten Redaktion nicht mehr zu umgehen sein wird.

Nein! Die beweinte Verlagskrise ist keine Krise des Journalismus!

Die Verlagskrise, die Roland Tichy hier jüngst so perfekt beschrieben hat, findet ihre Ursache darin, dass die Verlage ihre Redaktionen mit Nicht-Journalisten besetzt und stattdessen volksbelehrende Dauerarbeitsplatzbeansprucher in Dienst gestellt haben. Wenn es so etwas wie eine Krise des Journalismus überhaupt gibt, dann wird sie verkörpert durch Redakteure wie Brauck, die zwischen Journalismus und Verlagswesen, zwischen Blockwart und journalistisch arbeiten nicht zu unterscheiden wissen. Die – um es klipp und klar zu sagen – nie begriffen haben, was Journalismus tatsächlich bedeutet.