Tichys Einblick
The New Normal?

Fragen zur Causa Strache

Wird dieses Ibiza-Gate dem Instrumentarium der Bekämpfung von politischen Gegnern hinzugefügt?

imago Images/Viennareport

Der österreichische Vizekanzler und FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache ist zu Fall gebracht. Seine Gegner jubeln. Sein Koalitionspartner Sebastian Kurz sucht die Gunst der Stunde zu nutzen und kündigt die Regierungszusammenarbeit mit dem ungeliebten Partner auf in der unverhohlenen Hoffnung, bei den anstehenden Neuwahlen seine Mehrheit auszubauen.

Gut möglich, dass frühere Protestwähler von der FPÖ zur Kurz-ÖVP gehen. Dessen Politik war deutlich näher an deren Vorstellungen als jener Mehltau, mit dem die ewige ÖVP-SPÖ-Kooperation die Alpenrepublik einpuderte. Eine Rückkehr in diese Mehltau-Koalition müsste Kurz letztlich die politische Karriere kosten. Warten wir also ab.

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Ursache des Strache-Falls ist ein dubioses Video, welches den Vizekanzler vor der letzten Nationalratswahl bei der vermeintlichen Geschäftsanbahnung mit einer angeblichen russischen Oligarchin zeigt. Das Versprechen staatlicher Aufträge gegen Wahlkampfhilfe – so der Tenor, der nun allenthalben dem FPÖ-Chef angelastet wird. Ohne Zweifel: Das ist nicht die feine Art, wie in demokratisch gewählten, dem Volk verpflichteten Regierungen die Arbeit ablaufen sollte. Sind wir allerdings ehrlich, dann ist Strache hier kaum anders verfahren als manch ein Vertreter etablierter Parteien. Längst schon steht im Parteienstaat das Parteienwohl über dem Bürgerwohl. Längst schon verknüpfen sich private Interesse auf unheilvolle Art mit politischen. Ob des Schröders Gazprom-Deal, ob der DB-Pofalla – Fälle, in denen eine fragwürdige Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft Herrin des Geschäfts zu sein scheint, sind mittlerweile eher die Regel als die Ausnahme. Nicht umsonst schließlich kündigten nun große Automobilhersteller an, künftig keine Spenden mehr an die Parteien zu überweisen. Nachvollziehbar: Wer finanziert schon seinen Totengräber? Oder setzt sich freiwillig dem Vorwurf aus, die Politik kaufen zu wollen?

Straches Fehler: Er hat bislang immer den Saubermann gegeben; vorgeblich gegen solche Verknüpfungen ankämpfen wollen. Wasser predigen und Wein trinken also auch bei jenen, die als Saubermänner auftreten. Da reiben sich selbstverständlich die anderen Saubermänner die Hände. Besser hätte es nicht laufen können – weshalb vor allem die politische Linke sofort nach Neuwahlen rief in der voraussichtlich irrigen Hoffnung, darüber wieder an die Pfründe der Macht und damit an die unerschöpflichen Steuertöpfe des Staates zu kommen. Deren Jubel, der bis weit in die gemäßigte Linke der EVP-Parteien reicht, ist insofern nachvollziehbar, wenn auch möglicherweise verfrüht.

Nicht verfrüht hingegen wäre etwas, das früher Kennzeichen eines kritischen Journalismus gewesen ist. Das Stellen von Fragen – nicht das Jubeln über den Fall des verhassten Feindes. Dessen Fehlbarkeit nehmen wir als Fakt – und wer ernsthaft davon  ausging, ein Strache würde Politik nur aus altruistischen Motiven machen – geschenkt. Er ist weg. So weit erledigt und Ende.

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Spannend an der „Causa Strache“, wie der Fall in absehbarer Zeit heißen wird, sind jedoch andere Dinge. Fragen, die an dieser Stelle gestellt werden sollen, ohne dass darauf eine Antwort gegeben wird. Fragen, die gleichwohl bereits jetzt in den Netzwerken herumgeistern und deshalb Stoff für zahlreiche Theorien geben können, von denen manche als welche der Verschwörung abgetan werden mögen, andere vielleicht den Tatsachen nahekommen.

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Frage 1: Wer hat das Video aufgenommen? Allem Anschein nach handelt es sich bei dem ominösen Mitschnitt nicht um ein zufällig entstandenes „Leak“, sondern um ein mit Drehbuch inszeniertes Projekt. Wenn es so war, dann ging es von vornherein darum, Strache und seine FPÖ vor das Loch zu schieben. Was perfekt geklappt hat. Wenn es so war, dann folgt

Frage 2: Wer investiert erhebliche Geldmittel, um über ein solches Video einen ungeliebten Politiker zu Fall zu bringen? Alles in allem dürfte die Produktion des Videos einen fünf-, sechsstelligen Eurobetrag gekostet haben. Location, Darsteller, Ambiente, Flüge, Einrichtung geheimer Aufnahmemöglichkeiten undsoweiter – das bezahlt niemand aus der Portokasse. Dahinter steckt Professionalität – und die kostet. Wer also hat dieses Video produzieren lassen? Und mit welchen Mitwirkenden und Darstellern? Die Verschwiegenheit der Crew muss auf alle Ewigkeit gewährleistet sein, sollen nicht vielleicht doch eines Tages unbequeme Erkenntnisse auf dem Tisch liegen. Womit wir nun kommen zu

Frage 3: Warum wurde das Video produziert? Simple Antwort: Um Strache zu Fall zu bringen. Das dürfte zutreffen. Aber – warum lag dann das Produkt zwei Jahre in irgendwelchen Giftschränken, bevor es zum Einsatz kam. Man könnte spekulieren:

  • War es die Strabag, die laut Video um künftige Staatsaufträge gebracht werden sollte? Das wäre ein Motiv. Und die Finanzmittel dürften bei dem Unternehmen auch vorhanden sein. Nur: Wäre es die Strabag, warum wartet sie dann zwei Jahre? Da wäre das Abschießen des Ungeliebten noch vor der Kurz-Strache-Koalition viel angebrachter gewesen – mit dem vermutlichen Ergebnis einer Fortsetzung der Mehltaukoalition und der weiteren Beteiligung an Staatsaufträgen. Strabag hat angekündigt, alle Aufträge der Regierungszeit Straches zu überprüfen. Das ist nachvollziehbar und richtig.
  • Der Sozialdemokratie darf man ebenfalls ein massives Interesse am Abschuss Straches unterstellen. Nur: Auch die hätte keinerlei Grund gehabt, zwei Jahre zu warten. Je eher in die Öffentlichkeit, desto besser.
  • War es ein öffentlich-rechtlich inszenierter Versuch einer versteckten Kamera, der angesichts seiner Brisanz dann doch nicht öffentlich-rechtlich gesendet wurde? Hielt man das kompromittierende Material zurück, bis die Gefahr eines FPÖ-Angriffs auf die ÖR-Betriebe zu groß wurde? Wie groß aber ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Produkt zwei Jahre ohne Flurfunk und Getuschel geheim bleibt?
  • Waren es irgendwelche privaten „Gönner“, die erhebliche Mittel aufwendeten, um Strache ein Bein zu stellen? Auch dann die Frage: Warum zwei Jahre liegen lassen? Hätte man nicht sofort die Chance genutzt?
  • Waren es politische „Freunde“, die Material brauchten, um zum richtigen Zeitpunkt zuzuschlagen? Aus China sind solche Machenschaften bekannt. Auch in den USA soll so etwas gelegentlich vorkommen. Warum nicht auch in Europa? Dann allerdings hat daran jemand lange und strategisch gearbeitet – und er muss es so gemacht haben, dass die Spur niemals zu ihm zu verfolgen ist. Denn dann endete der Vorgang wie einst die Barschel-Pfeiffer-Engholm-Affäre. Das aber macht folglich eine überaus strategisch und verschwiegen arbeitende Konspiration unvermeidlich.
  • Waren es Geheimdienste, die Material brauchten, um es zum richtigen Zeitpunkt gegen einen ungeliebten Politiker einsetzen zu können? Falls so, scheiden USA und Russland aus. Beide gegenwärtigen Führer konnten mit Strache gut leben. Welch ein anderer Dienst aber sollte ein solches Manöver technisch fahren können – und politisch fahren wollen? Andere vermuten ein wirres „Zentrum für Politische Schönheit“ dahinter, zumindest als Briefträger.  Das klingt abenteuerlich, wie eine Posse – Aufklärung damit unumgänglich.

Die vielleicht spannendste und scheinbar unbedeutendste Frage ist am Ende die

Frage 4: Was sagt uns der Zeitpunkt der Veröffentlichung? Tatsächlich bleibt festzustellen: Dieses seit zwei Jahren in irgendeinem Giftschrank schlummernde Video wurde genau eine Woche vor der Wahl zum Europaparlament veröffentlicht.

Hat es also – auch wenn es scheinbar nur innerösterreichische Angelegenheiten betrifft – damit etwas zu tun? Diese Frage mit einem Nein zu beantworten, wäre naiv. Selbstverständlich ist die Veröffentlichung getimed. Perfekt getimed. Zumindest dann, wenn es darum geht, den von vielen befürchteten Erfolg der sogenannten Rechtspopulisten zu verhindern. Fast schon perfide gut getimed vor allem dann, wenn man sich vor Augen führt, dass genau zu diesem Zeitpunkt die Rechtspopulisten in Salvini-Italien ein internationales Großtreffen durchführten.

Diesem erklärten Feind der institutionalisierten Europäischen Union die Maske vom Gesicht zu reißen – denn so ist das Video und dessen Veröffentlichung zu verstehen – könnte ein gutes Motiv des Timing sein in der Hoffnung, dieser Lega-Ressemblement-Alternativ-Liga auf den letzten Metern noch wirksame Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Wäre es so, dann wäre die klassische Frage nach dem Cui Bono – wem nützt es – angesagt. Wer vor allem hat auf EU-europäischer Ebene einen Nutzen davon, dass kurz vor Ziel ein treffsicheres Torpedo gegen die EU-Kritiker gesetzt wurde?

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Wie ich zu Anfang schrieb: Ich werde hier keine Antworten geben. Nur einige Fragen stellen. Fragen, auf die wir vielleicht eines Tages Antworten erfahren werden. Oder Fragen, auf die es nie Antworten geben wird, weil es keine geben darf.

Fragen aber, die vielleicht den einen oder anderen anregen zum Nachdenken darüber, wie mit solchen Vorgängen Politik gemacht wird. Ohne dass am Ende dieses Nachdenkens zwangsläufig eine Verschwörungstheorie stehen muss.