Tichys Einblick
Labile Konstellation

Erdöl, Iran und der Golf – das Spiel mit dem Feuer

Die zwangsläufig involvierten Staaten auf der westlichen Seite sind schnell benannt: Neben den USA und dem Vereinigten Königreich fänden sich dort Israel, Ägypten, Saudi-Arabien, die VAE. Schnell auch Jordanien, die autonomen Kurden im Irak. Dann Frankreich und letztlich die NATO-Staaten.

The UK-flagged tanker Stena Impero was seized by the Iranian Revolutionary Guard on Friday as it passed through the Strait of Hormuz, a vital regional shipping channel. The Iranian government accused it of violating "international maritime rules" but the UK government says it was illegally commandeered while in Omani waters.

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Spekulationen des „Was wäre, wenn“ gestalten sich in aller Regel schwierig. Dennoch sei mir eine Feststellung erlaubt: Hätte sich im siebten Jahrhundert das glaubenstolerante Sassanidenreich der Perser nicht von einer Horde fanatisierter Nomaden aus den kargen Wüsten Arabiens überrennen und deren autoritäres Imperialismuskonzept aufzwingen lassen – zwischen Arabisch-Persischem Golf und Kaspischem Meer existierte heute eines der zivilisiertesten und vielleicht auch machtvollsten Staatswesen dieses Planeten. Doch die Geschichte wollte es anders – und so wird das Volk der Perser, welches lange vor Griechen, Römern und Europäern bereits Weltreiche und Hochkulturen aufgebaut hatte, bis heute in Geiselhaft gehalten von einer Clique aus machtversessenen, reaktionären Greisen und ungebildeten, brutalen Kampfgruppen.

Die „Revolutionsgarden“ Persiens

Letztere, die wir getrost als Pendant der Waffen-SS betrachten dürfen und die sich selbst als „Revolutionsgarden“ bezeichnen, sind Schild und Schwert jener Greisenclique, die im Namen eines imaginären Allah und eines arabischen Eroberers dem persischen Volk den Weg in eine zivilisierte Zukunft verbauen. Dabei – auch das sei festzuhalten – hat sich eines nicht geändert: Wie bereits zu den Zeiten, als sich Migranten aus Judäa vom persischen Herrscher den Auftrag holten, in der persischen Mittelmeerprovinz ein Bollwerk gegen die konkurrierenden Ägypter aufzubauen, oder die byzantinischen Christen sich in einem ständigen Konflikt mit dem östlichen Nachbarn um die Regionen zwischen Jordan und Euphrat befanden, fällt es den Außenstehenden schwer, die Machtstrukturen, den inneren Machtaufbau dieses Lands zu verstehen.

Dieses Persien, welches noch bis in die klassische Moderne die Phantasien der Europäer beflügelte und das Sven Hedin in seinem Reisebericht aller Idealisierung zum Trotz recht realistisch beschrieb, gilt gegenwärtig als eines der größten Problemfelder internationaler Politik. US-Präsident Donald Trump, der den von seinem Vorgänger mühevoll ausgehandelten, aber doch recht unvollständigen Vertrag über die Verhinderung einer Atommacht Iran aufkündigte, bezeichnet das Land als „totales Chaos“ und Terrorstaat, versucht es letztlich mit bislang noch unbewaffneten Mitteln zu bezwingen.

Der Islam-Export Persiens

Grund genug dazu hat die westliche Führungsmacht. Das Mullahregime beschränkt sich nicht darauf, das eigene Volk in der Sklaverei Mohammeds zu halten – es arbeitet beharrlich daran, ihren frühmittelalterlichen Imperialismus unter der Bezeichnung „Islamische Revolution“ zu exportieren. Dabei sind die Mullahs nicht ohne Erfolg, wie der aktive Kriegseinsatz iranischer Kämpfer an der Seite der Truppen des syrischen Machthabers Assad und dessen russischem Verbündeten ebenso zeigt wie die Unterstützung der im Libanon tonangebenden, schiitischen Hisbullah-Miliz. Auch die ständige Drohung, mit Israel den treuesten Verbündeten der USA in der Region und die einzig funktionierende Demokratie im Nahen Osten auszulöschen, sollte nicht nur den USA Grund genug sein, auf die islamischen Gotteskrieger ein mehr als skeptisches Auge zu werfen.

Wirtschaftlich am Ende

Als die USA nun den fragwürdigen Iran-Atom-Deal außer – und die Sanktionen wieder in Kraft setzten, traf dieses das Mullahregime in seinem Innersten. Trump beschreibt die Situation des Regimes nicht unzutreffend, wenn er im Zusammenhang mit dem vom Iran behauptetem Ausheben eines CIA-Netzwerkes twittert: „ The Report of Iran capturing CIA spies is totally false. Zero truth. Just more lies and propaganda (like their shot down drone) put out by a Religious Regime that is Badly Failing and has no idea what to do. Their Economy is dead, and will get much worse. Iran is a total mess!“

Das islamische Regime, das sich, wie dieses Konstrukt weltweit, an gefühlten Wahrheiten des siebten Jahrhunderts festklammert, ist ökonomisch gescheitert. Die Sanktionen, die den Zweck verfolgen, die außenpolitische Aggressivität der Mullahs wie deren Entwicklung von Nuklearwaffen zu verhindern, haben die ohnehin durch selbstverschuldete Unfähigkeit darniederliegende Wirtschaft des Iran an den Rand des Zusammenbruchs getrieben.

Der Traum von der Revolution

Das Kalkül der USA und der mit diesen verbündeten Israeli, die im glaubensautoritären Iran nicht ohne Grund eine existentielle Bedrohung sehen und nach eigener Aussage die einzigen sind, die aktuell in der Lage wären, den Iran militärisch in die Knie zu zwingen, läuft letztlich darauf hinaus, dass der Systemwechsel über den inneren Zusammenbruch und eine Revolution herbeigeführt wird.

Doch ob dieses Kalkül aufgehen kann, ist fraglich. Denn hier greift die Undurchschaubarkeit des Systems. Der scheinliberale Hassan Ruhani, der regelmäßig in Europa und anderswo auf Werbetour für die Glaubensdiktatur gehen darf, ist ein nach innen zahnloser Tiger. Die Politik bestimmen immer noch die klerikalen Hardliner um den fast schon unsterblich wirkenden, 80-jährigen Ali Chameneii. Dessen Revolutionsgarden aber setzen alles daran, jedwede Liberalisierung und Annäherung an die westlichen Demokratien zu unterbinden. Aus gutem Grund, denn sie wären als die verhasste Schlägertruppe der Diktatur die ersten, die nicht nur überflüssig würden, sondern all ihrer auch wirtschaftlichen Privilegien verlustig gingen und in Schande vom Hof gejagt würden.

Die Revolutionsgarden kämpfen um das Überleben

Diese Revolutionsgarden, die wie einst die Waffen-SS eine treu dem Regime verbundene Gegen-Armee bilden, sind es, die gegenwärtig den Konflikt mit den westlichen Führungsmächten USA und Großbritannien befeuern. Die Haftminenanschläge auf Tanker in der Straße von Hormuz und nun das Kapern eines britischen Tankers als Racheakt für das Festsetzen eines iranischen Tankers bei Gibraltar, weil jenem der per Sanktion untersagte Handel mit iranischem Öl vorgeworfen wird – all das geht auf das Konto der Revolutionsgarden. Die Erkenntnis jedoch, wer diese Aktionen steuert, wer sie befiehlt – das verschwindet in den Schleiern der Erzählungen aus Tausendundeinenacht. Dass es Ruhani als offizieller Präsident der Islamdiktatur ist, darf angezweifelt werden. Der steht mit dem Rücken zur Wand auch deshalb, weil er als Befürworter des Atomdeals intern von den Hardlinern für das aktuelle Desaster verantwortlich gemacht wird und er seine Versprechen einer ökonomischen Gesundung gegenüber dem Volk nicht einhalten kann.

Doch auch die Vorstellung, Chameneii könnte die Eskalation des Konflikts befohlen haben, darf nicht als sicher angenommen werden. Gut vorstellbar hingegen, dass die Revolutionsgarden auf eigene Rechnung agieren, die Verschärfung des Konflikts ohne Rückendeckung durch offizielle Kreise betreiben.

Diese Revolutionsgarden leben in einer eigenen, selbstgestrickten Legende der Überlegenheit über den großen Satan USA und dessen Handlanger in der Region, die sie in Israel ebenso wie im Arabien der Söhne Sauds erkennen. Jene von ihnen initiierte Botschaftsbesetzung nebst Geiselnahme und das Scheitern der Carterschen Befreiungsmission haben ihnen einen Nimbus der Unüberwindlichkeit gegeben, lassen zumindest die hirngewaschenen Fanatiker unter ihnen an einen göttlichen Kampfauftrag nebst Allahs ewigen Beistand glauben. Hinzu kommt, dass sie als weltliche Vertreter der Macht die eigentlichen Nutznießer des Klerikalregimes sind: Längst haben sie sich von einer studentisch-klerikalen Schlägertruppe zum größten Wirtschaftsunternehmen des Iran gemausert.

Die Konfliktverschärfung auf eigene Rechnung

Die Sanktionen treffen insofern vor allem jene Revolutionsgarden, die mit ihren Provokationen den Konflikt zu verschärfen suchen. Dabei kämpfen sie – und das macht die Situation unberechenbar – um das eigene Überleben. Ihr Kalkül: Sollte es tatsächlich zu einem bewaffneten Konflikt im Golf kommen – und dabei spielt es am Ende eine untergeordnete Rolle, ob ihnen eine große Koalition aus USA, Großbritannien, Israel, Saudi-Arabien und Ägypten gegenübersteht oder ob es „nur“ ein regionaler Konflikt beispielsweise mit dem arabischen Nachbarn in Riad ist – so erwarten die Revolutionsgarden einen solidarischen Schulterschluss nicht nur mit den offiziellen Militärs, sondern auch eine Belebung der Unterstützung des ihnen zunehmend ablehnend gegenüber stehenden Volkes. Das klassische Motto: „Die außenpolitische Bedrohung schließt die Reihen nach Innen“, soll die bröckelnde Macht der Garden sichern. Derweil bleibt heute schon den offiziellen Vertretern des Iran nichts anderes, als jede von den Garden vollzogene Provokation als Staatshandeln zu decken – und dafür auch jene nicht immer verifizierbaren Bedrohungslagen eines Drohnenabschusses oder eines CIA-Netzwerkes zu verbreiten.

Das Dilemma des Westens

Das Dilemma des Westens tritt damit offen zu Tage. Unterstützt er – wie die EU-Staaten – weiterhin die islamische Diktatur, trägt er die Verantwortung für die fortgesetzte Unterdrückung der iranischen Bevölkerung, vielleicht auch für künftige Konflikte gegen die um ihre Autonomie kämpfenden Kurden und die Israeli, und sogar für den weiteren Export des Glaubensimperialismus. Folgt er der Linie Trumps, der erwartet, über den ökonomischen Zusammenbruch die iranische Führung an den Verhandlungstisch zwingen zu können, wird dieses angesichts der damit verbundenen existentiellen Gefahr für die Revolutionsgarden ebenfalls nicht ohne Risiko sein. Denn diese iranische Waffen-SS hat nun bereits mehrfach unter Beweis gestellt, dass sie bereit ist, den Konflikt um ihres eigenen Überlebens willen ständig und militant zu eskalieren.

So treiben sich die Konfliktparteien in zunehmend ausweglosere Situationen. Die Geiselnahme des Stena-Tankers wäre dadurch zu beenden, dass Großbritannien den iranischen Tanker freigibt. Damit aber machten sich EU und NATO zum Papiertiger. Umgekehrt aber gilt dieses auch, wenn die Garden ihr Faustpfand ohne Gegenleistung entließen.

Die Verlegung von Marineeinheiten in die Straße von Hormuz – angesichts der Übergriffe der Kämpfer unter iranischer Flagge auf die Herzschlagader der weltweiten Energieversorgung unabwendbar – birgt gleichzeitig die akute Gefahr weiterer Eskalationsstufen. So könnte Trump, auch wenn ihm derzeit an keinem Krieg gelegen ist, gleichwohl in eine Situation geraten, die nur noch eine militärische Lösung zulässt.

Deutschland wird sich entscheiden müssen

Kommt es zu einem solchen Konflikt, dann wäre bis auf weiteres nicht nur Schluss mit Urlaub in Dubai und Co. Denn dann brennen die bereits bestehenden Stellvertreterkriege in Syrien, Yemen, Libanon und anderswo alle in demselben Großfeuer. Die zwangsläufig involvierten Staaten auf der westlichen Seite sind schnell benannt: Neben den USA und dem Vereinigten Königreich fänden sich dort Israel, Ägypten, Saudi-Arabien, die VAE. Schnell auch Jordanien, die autonomen Kurden im Irak. Dann Frankreich und letztlich die NATO-Staaten. Spätestens, wenn es so weit kommen sollte, müsste auch die neue Ministerin der Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland die Frage beantworten, ob sie lieber den Bruch mit dem sozialdemokratischen Koalitionspartner oder mit den internationalen Verbündeten riskiert. Involviert wäre die Bundeswehr durch die in Jordanien und anderswo in der Region stationierten Einheiten ohnehin – und deren Abzug müsste den endgültigen Bruch mit den USA bedeuten.


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