Tichys Einblick
Kein Kampfinstrument, sondern Eigenplacebo

Die Sanktionen treffen die Unter- und Mittelschicht auch in den Sanktionsländern

Nach den erfolglosen Sanktionen gegen Südafrika und Irans Atombomben musste der Westen wissen, dass Sanktionen ihre Ziele nicht erreichen, gegen die Falschen wirken und am Ende nur der Beruhigung des eigenen schlechten „guten Gewissens“ dienen.

Der russische Ministerpräsident Mikhail Mishustin leitet eine Sitzung des Präsidiums der Regierungskommission zur Steigerung der Nachhaltigkeit der russischen Wirtschaft unter Sanktionen, Moskau, 05.07.2022

IMAGO / ITAR-TASS

Sanktionen sind das Kampfinstrument, dessen sich die sich als zivilisiert verstehenden Staaten bedienen, wenn sie in den Krieg ziehen, ohne in den Krieg zu ziehen. Ihr Wert und ihre Effizienz ist seit eh umstritten, ähneln sie doch den Speeren jener Picadores, die dem Stier so lange den Nacken zerfetzen, bis das geschwächte Tier im Stierkampf von einem an Testosteron-Überschuss leidenden Matador abgeschlachtet werden kann.

Das Problem dabei: Das Opfer der Stiche stirbt daran nicht, sondern wird nur noch wütender. Erst dann, wenn der Blutverlust und der Schmerz so groß sind, dass der Widerstand spürbar nachlässt, muss jener von den Massen bejubelte Kämpfer ran, der dem Opfer den Todesstoß versetzt. Was wiederum, betrachten wir Sanktionen als Stierkampf, hier zumeist unterbleibt, denn die wirre Philosophie der Sanktion ist es, den zu sanktionierenden ohne Blut an den eigenen Fingern derart lang zu malträtieren, bis er von selbst zusammenbricht.

Die erfolglosen Sanktionen gegen Südafrika

Geklappt allerdings hat das noch nie. Fast exemplarisch kann der Blick auf Südafrika gerichtet werden, dessen weiße Regierung durch 1985 verhängte Wirtschaftssanktionen zu Fall gebracht werden sollte. Tatsächlich erlebte das Land erhebliche Einbrüche in seiner Wirtschafts- und Innovationskraft, die es in Teilen bis heute nicht aufgeholt hat. Doch Opfer war nicht die weiße Oberschicht, sondern die Farbigen, um deren Befreiung doch vorgeblich die Sanktionspolitik in die Wege geleitet worden war. Es waren die Schwarzen, die zu Tausenden ihre Arbeitsplätze und damit die Grundlage ihrer Existenz verloren, weil das ausländische Kapital im Zuge der Sanktionen das Land verließ.

„The fall of apartheid was not engineered by foreigners, nor was it primarily precipitated by foreign sanctions“, befanden schon 1998 Anton H. Lowenberg und William H. Kaempfer, beide Wirtschaftsprofessoren in Kalifornien. Tatsächlich scheiterte das System der Rassentrennung ganz im Gegenteil an der wirtschaftlichen Dynamik, die Südafrika in den 1950er und -60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt hatte. Die Folge war ein ständiger Zustrom schwarzer Arbeitskräfte in die Städte und Vorstädte, deren Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe an den politischen Prozessen und die dadurch wachsende Unmöglichkeit, ein modernes Wirtschaftsleben auf der Illusion räumlich und im Machtzugang getrennter Bevölkerungsgruppen organisieren zu können. Statt die Apartheid sanktionieren zu wollen, hätte durch die Unterstützung der wirtschaftlichen Prosperität die Emanzipation der Farbigen beschleunigt werden müssen.

Doch das Sanktionssystem, welches selbstverständlich umgehend auch jene fand, die es zu ihrem Vorteil zu umgehen wussten, beruhigte das Gewissen der westlichen weißen Welt, die sich nach den tribalistischen Exzessen des nationalen Sozialismus der eigenen Geschichte als Ausbeuter vor allem schwarzer Afrikaner stellen musste.

Iran-Sanktionen verhindern die Atombombe nicht

Nicht viel anders das Sanktionsregime gegen den Iran. Nachdem sogenannte revolutionäre Studenten 1979 die US-Botschaft in Teheran besetzt hatten, sorgte eine erste Welle von Sanktionen immerhin noch dafür, dass die US-Geiseln im Januar 1981 freigelassen und damit die Sanktionen beendet wurden. Doch schon 1987 führten weitere Provokationen des Mullah-Regimes dazu, erneut zur Sanktionswaffe zu greifen. Sie wurde ständig verschärft – zuletzt als vorgeblich sicheres Instrument, den Iran von seinem Ziel einer eigenen Atombombe abzubringen.

Genützt haben auch diese Sanktionen nichts. Nicht nur, dass sie ständig von unterschiedlichsten Seiten unterlaufen werden – der Iran steht nach Erkenntnissen der Internationalen Atomenergie Organisation IAEA kurz davor, die eigene Bombe bauen zu können. Wie einst in Südafrika traf es auch hier nicht die politische Elite der klerikalen Diktatoren und ihrer Mitläufer, sondern erst die Unter-, dann die Mittelschicht.

Das Sanktionsregime hofft auf die blutige Revolution – stattdessen verursachte es den Exodus jener, die es sich irgendwie leisten konnten, und die Etablierung eines brutalen, mörderischen Unterdrückungsapparats. Dennoch wird sich die westliche, weiße Welt selbst dann noch auf die eigene Schulter klopfen, wenn in der Dascht-e Lut der erste Atompilz in den Himmel wächst, weil der Iran seine eigene Atombombe gezündet hat, um den Sanktionären so den ausgestreckten Mittelfinger entgegen zu recken. Man habe doch alles getan, was getan werden konnte, wird die Beruhigung des Gewissens lauten.

Die meisten Sanktionen laufen ins Leere

Wie da und dort laufen auch jene anti-israelischen Sanktionsversuche privater Antisemiten ins Leere, wenn zum Boykott israelischer Waren aufgerufen wird, die in den sogenannten besetzten Gebieten erzeugt wurden. Die tatsächlich Leidtragenden sind auch dort nicht jene „bösen“ zionistischen Besatzer, die die Sanktionen treffen sollen, sondern die Araber, die mit diesen Produkten ihren Lebensunterhalt verdienen.

Doch wie immer, wenn Sanktionen am Ende an der Sache vorbeilaufen, ist es auch hier nichts anderes als die Befriedigung des eigenen schlechten Gewissens ob der verweigerten Erkenntnis, dass die Welt noch nie „gerecht“ gewesen ist und niemals „gerecht“ sein wird und es der Aktivist sich nicht erklären kann, weshalb ausgerechnet er das unverdiente Glück gehabt hat, auf der Sonnenseite des Lebens aufgewachsen zu sein.

Darum, um dieses schlechte Gewissen, notfalls auch die eigene Untätigkeit oder Unfähigkeit in irgendeiner Weise entschuldigen zu können, geht es tatsächlich bei den Sanktionen. Nicht anders nun, als die westliche weiße Welt in tiefer Erschütterung erstarrte, als der russische Präsident sein Nachbarland überfiel.

Sanktionen werden Russlands Ambitionen nicht beenden

Reden wir nicht drum herum: Hätte man diesem sogenannten Krieg, der längst schon Tausende von Opfern gefordert hat, ein schnelles und finales Ende bereiten wollen, hätten jene, die zu den Sanktionen griffen, unmittelbar nach dem Überfall ihre eigene Militärmacht in Bewegung setzen und das russische Treiben unterbinden müssen. Nur – das hätte möglicherweise das Risiko geborgen, dass ein nun wiederum überraschtes und verschnupftes Russland auf den roten Atomknopf gedrückt und damit die gegenseitige Selbstvernichtung initiiert hätte. Also unterblieb die einzig erfolgversprechende Reaktion – und wieder einmal zog die westliche weiße Welt mit dem Instrumentarium der Sanktionen in den Krieg, der keiner sein durfte, und beruhigte so sein zur Untätigkeit verdammtes Gewissen.

Doch wenn schon schwache Ochsen wie Südafrika und der Iran nicht an den ständigen Speerstößen zugrunde gehen – wie konnte allen Ernstes erwartet werden, damit einen kapitalen Stier wie das flächenmäßig größte Land der Erde in die Knie zwingen zu wollen? Sicherlich: Die Wirtschaftssanktionen tun weh und sie schaden der russischen Binnenwirtschaft, weshalb Wladimir Putin von einem „Wirtschaftsblitzkrieg“ gegen sein Land spricht. Doch sie werden Russland nicht töten, auch dann nicht, wenn ein tatsächlich erfolgreich durchgesetztes Halbleiterembargo die Kriegswaffenproduktion deutlich behindern sollte.

Das Feiern von Scheinerfolgen

Sogenannte Experten der EU-Kommission flüstern sich hörbar und begeistert zu: Die Sanktionen gegen Russland wirken! Um 10,4 Prozent werde die russische Wirtschaftsleistung in diesem Jahr sanktionsbedingt sinken, lobt man sich. Das russische Exportgeschäft, das vor den Sanktionen bei 73 Milliarden Euro im Jahr gelegen hat, werde um 48 Prozent sinken, frohlocken die Bürokraten. Der russische Stier blutet – aber die Picadores in Brüssel und anderswo werden ihn nicht umbringen. Stattdessen haben sie ihn gereizt und ihm nicht zuletzt mit dem Geschrei der deutschen grünen Politikdilettanten nach dem sofortigen Stopp des Erdgasankaufs den Weg gewiesen, wie er den Torero auf die Hörner nehmen kann.

Die Herren im Kreml schreckt es wenig, wenn der russische Durchschnittsbürger ein wenig an westlichem Wohlstand einbüßt. Die rund 13,8 Milliarden Oligarcheneuro, die die EU bislang eingefroren hat, sind Peanuts für einen Putin, dessen eigenes Vermögen sicher in gut versteckten Caches ruht.

Orbán bringt es auf den Punkt

„Zuerst habe ich noch gedacht, wir haben uns ins Knie geschossen. Aber die europäische Wirtschaft hat sich selbst in die Lunge geschossen und ringt nun um Luft. Es gibt Länder, die sind überzeugt von der Sanktionspolitik, aber Brüssel muss eingestehen, dass dies ein Fehler war“, meldet sich der Quertreiber aus Budapest, den die EU-Kommission, weil sie nichts anderes zu tun hat, am vergangenen Freitag wegen seiner LGBT-kritischen Politik vor dem EU-Gerichtshof verklagt hat.

Viktor Orbán hat Recht, auch wenn es niemand zugeben wird, weil es der böse, rechte Orbán ist, der dem Sanktionsversagen den Spiegel vors Gesicht hält. Die ohnehin nur noch mit dem Instrument der staatlich organisierten Dauerpanik funktionsfähige Bundesregierung wird ebenso wenig wie das Frauenregime in EU und EZB auch nur ein Jota von ihrer Linie abweichen.

Die grünen Träumer schienen in den Konsequenzen der eigenen Sanktionspolitik das perfekte Instrument gefunden zu haben, um ihrer ideologisch begründeten Selbstvernichtung um des Klimas Willen den richtigen Argumentationsschub zu geben. So, wie nun der Kampf um die Ukraine eben auch für die hausgemachte Inflation herhalten muss, die angesichts der Euro-Flutung durch die EZB schon lange absehbar und unvermeidbar gewesen ist.

Dabei sollte doch allein schon ein Blick auf die Unmengen an Klimagasen, die das russische Dauerbombardement in Mitteleuropa freisetzt, ebenso den selbstvernebelnden Vorhang von den Augen reißen wie der forcierte Ankauf der russischen „Klimakiller“ durch Länder wie China, Indien und selbst Saudi-Arabien. Dort hat man die marktwirtschaftlichen Chancen der euro-amerikanischen Sanktionspolitik längst erkannt: Einerseits treibt der Zwang der Europäer, ihre leeren Gastanks für einen kalten Winter auffüllen zu müssen, die Weltmarktpreise in irrwitzige Höhen – andererseits ist Russland gezwungen, die nun nicht mehr nach Westen fließenden Mengen an Gas und vor allem an Öl andernorts zu Dumpingpreisen an den Mann zu bringen. Die neomarxistisch durchwirkten Kapitalisten haben ein gigantisches Eigentor geschossen.

Sanktionen nicht einmal vom Anfang her gedacht

Dennoch soll und kann es kein Weichen mehr geben. Vor allem die deutsche Volkswirtschaft läuft mit Hurra in den Selbstmord, weil es ein „wenig zurück“ von den Sanktionen nicht mehr geben kann und der Kriegstreiber in Moskau den Finger am Gashebel und damit die Hurra-Schreier im Schwitzkasten hat.

Wie immer bei Sanktionen hat auch hier niemand bis zum Ende gedacht. Keiner da, der die Frage gestellt hätte: Was ist das strategische Ziel, wenn wir zu Sanktionen greifen – und mit welcher Taktik erreichen wir dieses? Wobei – eigentlich hat schon niemand über den Anfang nachgedacht. Stattdessen blinder Aktionismus und Fensterreden der Selbstvernichtung – bis heute und vor allem aus dem Munde jener Generation der Kind gebliebenen Grünen und grün Infizierten, denen Mama und Patchwork-Papa im Kinderladen die Märchen von der schönen und heilen Welt erzählt haben, die zwangsläufig Wirklichkeit werde, wenn man nur fest genug daran glaube.
Wie schräg, ja wie selbstzerstörerisch das alles ist, wird nicht nur offenbar, wenn der Gottseibeiuns Atomstrom um jeden Preis des Niedergangs exorziert werden muss.

Und wenn den Verantwortlichen der Europäischen Sanktionsunion erst an Tag 142 der russischen Invasion einfällt, dass man Russland vielleicht mit einem Importstopp russischen Goldes ein wenig quälen könnte, denn, so blitzt die späte Erkenntnis aus dem Munde des EU-Vizekommissionspräsidenten Maroš Šefčovič hervor: „Sanktionen gegen Gold, das ein wichtiges Exportgut Russlands ist!“

Längst nicht so wichtig allerdings wie Gas und Öl, das längst schon auf den Sanktionskisten stand oder deren Opfer wurde. Auch hilft das Aurum mangels Brennwert wenig, wenn im Winter die Strom- und Wärmeproduktion zum Erliegen kommt und die von Panikminister Lauterbach wiederbelebten Impfzentren bei Kerzenschein den rettenden „Pieks“ setzen. Und so drängt sich unvermittelt nun auch noch der Eindruck auf, dass sich erst einige Herrschaften krisensicher mit dem russischen Edelmetall eindecken wollten, bevor sie abschließend den Ofen ausmachen und den dummen Bürger in die Kälte schicken.

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