Tichys Einblick
„Folgen der Preissteigerung“ abfedern

Berlin im Energienotstand – Pankow macht’s vor

Pankows Bürgermeister ließ über sein Bezirksamt seine „Lieben Nachbarinnen, liebe Nachbarn“ wissen, was der Bezirk alles tun werde, um die „Folgen der Preissteigerung“ abzufedern. Zwar würden die Verträge für den Bezug von Strom, Fernwärme und Erdgas vom Land Berlin – also Senat – ausgehandelt und der Bezirk habe keinen Einfluss, doch „die öffentliche Hand muss sparen“! Und das tut Pankow jetzt.

imago/Frank Sorge

Außerhalb der Hauptstadt gilt Berlin vielen als Stadt der Warmduscher. Was auch erklären kann, warum deren Bevölkerung eine geständige Promotionsbetrügerin zum „Regiermeister“ macht – wie das Amt des Regierenden Bürgermeisters in der Berliner Kurzform heißt. Doch das soll nun anders werden. Zumindest dann, wenn es nach dem Bezirk Pankow geht. Pankow ist heute der flächenmäßig zweitgrößte Bezirk der Hauptstadt und umfasst neben dem ursprünglichen Pankow seit 2001 auch den Schickmicki-Stadtteil Prenzlauer Berg (besonders bei warmduschenden Grünen beliebt) und Weißensee zur Nordostgrenze der Stadt.

Pankows Bürgermeister, der Kommunist Sören Benn, ließ nun über sein Bezirksamt seine „Lieben Nachbarinnen, liebe Nachbarn“ anschreiben, um ihnen mitzuteilen, was der Bezirk alles tun werde, um die „Folgen der Preissteigerung“ abzufedern. Zwar würden die entsprechenden Verträge für den Bezug von Strom, Fernwärme und Erdgas durch das Land Berlin – also den Senat – ausgehandelt und der Bezirk habe darauf keinen Einfluss, doch „die öffentliche Hand muss sparen“! Und das tut Pankow jetzt.

Als erstes wird in Schulen und Sporthallen das Warmwasser abgeschaltet. Das macht vor allem den Sportunterricht und den Freizeitsport zu einer echten Herausforderung für die verwöhnte Jugend. Denn ab sofort wird nur noch kalt geduscht – oder gestunken, bis man zuhause eine warme Dusche findet. Aber da befindet sich der Bezirk ja ganz auf der Linie des grünen Energieministers, dem das Warmduschen ebenfalls ein Dorn im Auge ist.

Auch sonst ist der Sport künftig mehr etwas für die Harten: Die Wassertemperaturen in den öffentlichen Schwimmbädern werden herabgesenkt, die Heizungen in Sporthallen zwischen 18 und 7 Uhr ausgeschaltet. Da ist also Vorglühen angesagt, wenn die Schüler sich um 8 Uhr zum Sportunterricht treffen. Oder das Problem mit dem Sportunterricht löst sich durch Abwesenheit, wenn die Kids reihgenweise verschnupft zuhause liegen.

Stoßlüfter statt Stoßseufzer – trotz Corona

Denn nicht nur, dass die Raumtemperatur auch in Unterrichtsräumen und Sporthallen künftig 20° nicht übersteigen darf – Lüftungsanlagen sind mit Beginn der Heizperiode überall dort auszuschalten, wo sogenanntes Stoßlüften möglich ist. Darunter wird das Abdrehen der Heizkörper bei gleichzeitigem Öffnen aller Fenster verstanden, um möglichst schnell die stickige, warme Raumluft durch frische Kaltluft zu ersetzen. Die muss dann wieder mittels hochgedrehter Heizung auf 20 ° erwärmt werden – was die Betroffenen ebenfalls abhärtet und mit schnell wechselnden Klimasituationen vertraut macht. Und damit es zumindest in den warmen Zwischenphasen schön mummelig bleibt, sollen auch die mit viel Geld beschafften Anti-Corona-Luftreinigungsgeräte in Winterpause gehen. Wobei die Listung des Bezirksamt hinter „mobile Luftreinigungsgeräte“ in Klammern ein „pandemieabhängig“ setzt, was nach den Regeln der deutschen Sprachen auf eben den Beschaffungsgrund hinweist, allerdings auch so gemeint sein könnte, dass sie dann, wenn der Bundesgesundheitsminister beziehungsweise dessen Berliner oder Pankower Pendant irgendwann wie laut „Panik“ rufen, vielleicht doch angeschaltet werden dürfen. Das allerdings dürfte ohnehin nicht mehr nötig sein, weil sich die Corona-affine Jugend mangels schulischer Maskentragepflicht dann ohnehin vollumfänglich durchseucht haben wird.

Drastische Maßnahmen gegen energieintensive Mitarbeiter

Immerhin richtet sich das Pankower Kältediktat nicht nur gegen die leidende Bevölkerung, sondern auch gegen die mitleidende Mitarbeiterschaft in der Verwaltung. Einmal abgesehen davon, dass diese Damen und Herren sich bereits mit wärmenden Pullovern eingedeckt haben sollen, wird es sie dennoch hart treffen, dass der extra privat angeschaffte E-Heizer bitte in der heimatlichen Wohnung zu bleiben hat. Denn der Betrieb von privaten elektronischen Geräten ist ab sofort untersagt. Sie sind, so wird es explizit ausgedrückt, zu entfernen.

Einzige Ausnahme: Die private Kaffeemaschine, in Pankow vermutlich eher dem berühmten Mitropa-Modell des Hape Kerkeling zuzuordnen, denn den energieintensiven Luxusbrühern aus italienischen Kaffeehausbedarfsschmieden. Dass hier der Teetrinker auf das Übelste diskriminiert wird, weil sein Wasserkocher eben keine Kaffeemaschine ist, lassen wir an dieser Stelle unerwähnt.

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Gleichwohl dürfte die Überlebensgarantie der Kaffeemaschine die Kaffeeproduzenten freuen, denn wenn Kaffee zur einzigen Möglichkeit des Aufwärmens wird, wird der entsprechende Konsum kräftig steigen. Also, liebe Bürger als Kunden städtischer Dienstleistungen, bitte nicht wundern, wenn im Winter manch ein Verwaltungsmitarbeiter überdreht und abgefahren wirkt. Er hat einfach nur seine Aufwärmdosis etwas übertrieben. Vermutlich aber erwischen sie ihn ohnehin nicht, denn mit den privaten Radios werden aus den Büros auch zahllose Zeitgeber entschwinden. Und ein Verwaltungsmitarbeiter ohne festes Zeitschema wird zeitlos und schwebt über den Dingen. Vor allem dann, wenn zudem noch die Überdosis Kaffee mit im Spiel ist.

Tipps für Otto Normalpankower

Neben diesen zielführenden Maßnahmen in den öffentlichen Gebäuden, zu denen das Abschalten der Außenbeleuchtung „( z.B. Rathaus)“ gehört, hält das Bezirksamt auch noch für Pankows Normalbürger einen Strauß von Tipps parat. Offiziell nennt sich dieser „Liste mit Hinweisen für energiesparendes Nutzerverhalten“.
Nein, Kaltduschen und Waschlappen gehören nicht dazu, Dazu ist längst alles Wesentliche gesagt. Aber sonst hat das Bezirksamt viele hilfreiche Tipps parat, um die gebeutelten Bürgerkonten zu entlasten. Es beginnt mit dem Hinweis, dass Licht in ungenutzten Räumen grundsätzlich auszuschalten ist. In allen anderen geschieht dieses spätestens dann, wenn „es hell genug“ ist, wobei auf eine Lumen-Angabe verzichtet wird.

Klimaanlagen und Lüfter sollen „sinnvoll und temperaturabhängig nur in geschlossenen Räumen“ eingesetzt werden. Dabei sollen die Klimaanlagen auf 26° statt auf 22° eingestellt werden – vielleicht findet sich ja unter unseren Lesern ein Experte, der diese, einem Laien etwas unlogisch anmutende Energiespar-Empfehlung erklären kann. Hinsichtlich der Lüfter ist das aber ohnehin ein Placebo, denn kategorisch wird festgestellt: „Keine zusätzlichen Heizlüfter verwenden“! Ja, wozu sind denn die Pankower alle in die Baumärkte gestürmt, wenn sie diese Wärmequelle nun auch im heimatlichen Wohnzimmer nicht mehr nutzen sollen?
St6attdessen empfiehlt das Bezirksamt neben den bereits für die öffentlichen Gebäude vorgeschriebenen Maßnahmen, die Raumtüren in den Wohnungen geschlossen zu halten. Ein warmes Zimmer reicht – am besten das kleinste, weil das am wenigsten Heizwärme benötigt und vielleicht schon durch die Körperwärme der anwesenden Bewohner genug Raumwärme erhält.

Zudem gibt es noch ein paar grundsätzliche Tipps zum allgemeinen Umgang mit elektronischen Geräten. Ausschalten statt Standby, „Bildschirme aus, wenn nicht am Platz“ (womit vermutlich der Bildschirmnutzer und nicht der Bildschirm selbst gemeint ist), Schreibtischbeleuchtung statt Deckenbeleuchtung nutzen. Und wo wir gerade beim Schreibtisch und dem Home-Office sind, welches ohnehin schon den Energieverbrauch von der Öffentlichen Hand auf den unterbezahlten Mitarbeiter verlagert: „Ausdrucken nur, was zwingend benötigt wird“! Das ist selbstverständlich super-ökologisch, spart es nicht nur Druckerstrom, sondern rettet auch Bäume, die andernfalls ihr Leben für die Papierfabrik geben müssten.

Die Küche als Energiefresser

Wichtiger Mittelpunkt des energiesparenden Musterbürgers ist allerdings die Küche, dieser notorische Energieverschwender! „Nur wirklich benötigtes Wasser aufkochen“, meint das Amt, sagt aber nicht, welches gekochte Wasser als wirklich benötigt im Sinne der Verwaltung gilt. Wenn das aber nun schon einmal aufgekocht ist – was auch für traditionelle Kaffeemaschinen gilt -, dann möge das warme Gut bitte in die Thermoskanne gehen und nicht auf der Warmhalteplatte verbleiben. Macht Sinn – Thermoskanne ist energiefrei. Es gilt: „Geschirrspülautomaten in Küchen nur voll benutzen“ (auch interessant – steht der Automat nicht in der Küche, darf er auch arbeiten ohne „voll“, was wiederum die Befüllung meinen dürfte), Gefrierfächer regelmäßig abtauen (was im Winter weniger problematisch ist, wenn es draußen friert und der Inhalt beim Abtauen auf dem Balkon geparkt werden kann).
Zudem und besonders hilfreich: „Defekte elektrische Geräte durch neue mit hoher Energieeffizienz ersetzen“, empfiehlt das Amt. Vermutlich hätte der Autor gern auf das „defekte“ verzichtet oder das „durch neue … ersetzen“ durch ein „nicht ersetzen“ ersetzt – aber so viel Traute hatte das Bezirksamt noch nicht. Wo doch zumindest der Hinweis, alle nicht lebensnotwendig benötigten E-Geräte nicht mehr einzusetzen, keinen Schaden angerichtet hätte.

Auch das Auto nicht vergessen

Die am besten vollständige Nichtnutzung gilt – wieder einmal Berlin-typisch – nur für das private Kfz. Und da trifft es selbstverständlich auch die teuer subventionierten E-Mobile. Schließlich saugen die den Strom direkt aus der Leitung und begnügen sich nicht mit Benzin. Hier gilt: „Wege wann immer möglich per Fahrrad, ÖPNV oder zu Fuß zurücklegen“! Das hat aus Energiesparsicht mehrere Vorteile: In der überbelegten U- oder S-Bahn ist es immer kuschelig warm, womit Berlins neues 29-Euro-Ticket eine gänzlich neue Dimension entwickelt. Einmalig 29 Euro im Monat für Daueraufenthalt im ÖPNV! So spart die Stadt auch die angedachten Wärmehalle für Rentner und andere Minderprivilegierte. Einfach rund um die Uhr U-Bahnfahren!
Und was die ohnehin angestrebte Fahrrad- und Fußgängerstadt angeht – das wärmt den Körper auch. Nur wenn dann noch Sport und Kaltduschverzicht hinzukommen, könnte es zu geringfügigen Geruchsbelästigungen kommen. Hauptsache aber, das Auto bleibt stehen – denn das gehört in Berlin ohnehin bald zum Exoten im Stadtbild. Ist unökologisch, energiefeindlich, kann weg.

Vielleicht einfach Berlin ganz abschalten

War es das nun, an hilfreichen Tipps und Maßnahmen der Verwaltung. Fast. Denn zum krönenden Abschluss gilt noch der Hinweis „Treppe statt Aufzug“. Meine Empfehlung: Diesen überflüssigen Luxus nicht nur in den Verwaltungsgebäuden komplett abschalten, sondern auch in privaten Wohn- und Geschäftsgebäuden. Wer dann beispielsweise im Bahntower am Potsdamer Platz ganz oben angekommen ist, dem ist bestimmt nicht mehr kalt. Und das Gemüffel wird er auch ertragen – in seinem höchstens mit 20° beheizten, überdimensionierten und mangels zu öffnender Fenster nicht stoßgelüftetem Büro, in dem er – welch überholter Luxus – einsam und verlassen residiert.

Oder vielleicht besser noch: Einfach ganz Berlin abschalten. Ob es jemand vermissen wird? Vor allem dürfte die dadurch bewirkte Strom- und Gasersparnis locker reichen, um ganz Brandenburg durch einen warmen Winter zu bringen. Dann müssten zumindest die Schwedter nicht mehr frieren, auch wenn ihre Raffinerie mangels Öl dicht machen muss.

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