Tichys Einblick
Mangelnde Erkenntnisse und falsche Schlüsse

Zur Forderung eines Verbots der AfD

Auch eine Partei, deren Inhalte und Ziele einem nicht gefallen, hat das Recht und den Anspruch, sich gemäß Grundgesetz am demokratischen Willensbildungsprozess zu beteiligen, an Wahlen teilzunehmen. Sie hat das Recht, in Parlamenten eine Mehrheit zu stellen und dort einen Ministerpräsidentenkandidaten vorzuschlagen.

Unser Autor Tomas Spahn schrieb vor seinem unerwarteten Tod zum Thema AfD-Verbot, hier aus Anlass eines Deutschlandfunk-Interviews des obersten thüringischen Verfassungsschützers Stephan Kramer – ein – wie Spahn es nannte – „Lehrstück für den desolaten Zustand und die dramatische Widersprüchlichkeit der bundesdeutschen Verfassungswirklichkeit „.  – Was Spahn damals schrieb, gilt auch für den aktuellen Vorstoß der NGO, in der ausgerechnet die ehemalige Stasi-Frau Anetta Kahane im Kuratorium thront.

Wir geben daher Spahns Analyse aus dem März dieses Jahres unverändert wieder. Der Vorgang zeigt, dass die Überlegung, die AfD zu verbieten, schon seit längerem gärt und in den von Linken beherrschten Verfassungsschutzämtern geprüft wird. Am Dienstag war der Vorstoß einer höchst fragwürdigen „Menschenrechtsorganisation“ bekannt geworden, die ausgerechnet von Anetta Kahane gegründet und geführt wurde – Kahane hat neun Jahre als informelle Mitarbeiterin (IM) der Staatssicherheit der DDR gearbeitet und die ebenfalls schlimm beleumundete Amadeau-Antonio-Stiftung gegründet, die seither schon das Tragen von Zöpfen bei blonden Kindern als mögliche nationalsozialistische Einstellung der Eltern verfolgt. 


Man muss die AfD nicht mögen. Aber – und das ist das Entscheidende: Solange eine solche Partei sich an die im Grundgesetz festgeschriebenen Regeln der innerparteilichen Demokratie hält,  solange sie sich dem demokratischen Konkurrenzkampf stellt und solange sie nicht mit Gewalt oder gewaltähnlichen Mitteln für die Überwindung des gegenwärtigen Regierungssystems und Staatsmodells, die sogenannte freiheitlich-demokratische Grundordnung, eintritt – solange hat sie wie auch die linksextreme Konkurrenz der PdL das Recht, innerhalb der bundesdeutschen Demokratie mitzuwirken.

Wem die Inhalte der AfD nicht passen, der ist gefordert, sich mit deren Inhalten auseinanderzusetzen und zu überzeugen. Wer die AfD für „undemokratisch“ erklärt, der muss belegen, womit er diese Behauptung begründen kann. Wem die AfD zu „rechts“ ist, dem ist es unbenommen, sie abzulehnen und sich gegen sie zu positionieren.

Kurzum: Auch eine Partei, deren Inhalte und Ziele einem nicht gefallen, hat das Recht und den Anspruch, sich gemäß Grundgesetz am demokratischen Willensbildungsprozess zu beteiligen, an Wahlen teilzunehmen (wenn, anders als aktuell in Bremen, die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind); sie hat sogar das Recht, in Parlamenten eine Mehrheit zu stellen und dort einen Ministerpräsidentenkandidaten vorzuschlagen.

Verfassungsschützer Stephan Kramer beim Deutschlandfunk

All das erkennt im Grundsatz auch der oberste Verfassungsschützer des Landes Thüringen. In einem am 19. März 2023 beim Deutschlandfunk ausgestrahlten Gespräch stellt Stephan Kramer zutreffend fest:

„Unsere Meinungs- und Versammlungsfreiheit gibt viele Freiräume hart an der Grenze dessen, was man im Einzelnen vielleicht akzeptieren möchte … Das überlasse ich jedem – und das ist auch Teil unserer Demokratie – wenn die einen lieber eine Diktatur hätten, ist das ihr gutes Recht. Aber das heißt nicht, dass wir das dann auch umsetzen müssen.“

Tatsächlich malen die etablierten Parteien seit geraumer Zeit ein Schreckgespenst an die Wand. Jenseits dessen, ob die Vertreter und Anhänger der AfD „lieber eine Diktatur hätten“ und was gegenwärtig öffentlich nicht erkennbar ist, zittert das selbsternannte Demokratiekartell vor den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Das Versagen der Etablierten in der Kommunikation mit den Bürgern, welches Kramer ebenfalls feststellt und kritisiert, könnte es geschehen lassen, dass die AfD in den besagten beiden Landtagen eine relative Mehrheit stellt – und sollte in Thüringen für die Altparteien alles aus dem Ruder laufen, wird sogar das Schreckgespenst eines Björn Höcke als künftiger Ministerpräsident an die Wand gemalt.

Die Angst vor dem Höcke-Wähler

Auch wenn wir in Thüringen gelernt haben, dass die konzertierte Aktion von Oben mit dem linken Straßenmob einen demokratisch gewählten Ministerpräsidenten aus dem Amt jagen und durch einen abgewählten Politiker ersetzen kann, der seine Zusagen bricht, so wäre gleichwohl die Wahl eines ungeliebten Politikers zum Ministerpräsidenten immer noch im Rahmen des deutschen Verfassungsrechts ein demokratischer Akt. Ein Ministerpräsident Höcke wäre weder Alleinherrscher noch könnte er als Diktator auftreten. Auch ein Ministerpräsident Höcke wäre an Recht und Gesetz gebunden – und sollte er tatsächlich ansetzen, die Bürgerrepublik in eine Diktatur umzuwandeln, fände er sich schnell vor Gericht wieder.

Insofern sind die Schreckgespenster, die seit geraumer Zeit aufgebaut werden, auch und vor allem die Angst der Systemveränderer von links, dass ihr bislang erfolgreicher Weg der Umwandlung der Res Publica in eine Res Concilia abrupt ausgebremst werden könnte. Eine Angst, die trotz seines Bekenntnisses zur freiheitlich-pluralistischen Demokratie offensichtlich auch Kramer umtreibt, weshalb er in deutlichem Widerspruch zu seinen sonstigen Einlassungen fordert, die AfD noch vor den Landtagswahlen zu verbieten und damit einem gegenwärtig gefühlten Drittel der Wahlbürger ihre politische Vertretung zu nehmen.

Das rechtzeitige Verbot der AfD

Doch lassen wir Kramer persönlich zu Wort kommen. Ab Minute 8 geht es in dem 24-Minuten-Talk um die ungeliebte Partei. Der Moderator leitet ein mit besagtem Hinweis auf die Ein-Drittel-Chance, womit Verfassungsänderungen ohne die AfD nicht mehr möglich wären. Der Moderator scheint die Auffassung zu vertreten, dass Verfassungen einem Daueränderungsprozess zu unterliegen haben, denn er fragt: „Ist das eine Gefährdung für die Demokratie; eine konkrete Gefährdung?“

Kramer hätte mit einem kurzen „Nein“ antworten können, denn eine „konkrete Gefährdung der Demokratie“ läge bestenfalls dann vor, wenn eine entsprechende Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament in der Lage wäre, eine demokratische Verfassung auf rechtlich korrektem Wege durch eine autoritäre zu ersetzen. Kramer allerdings greift das Stichwort dankend auf, ohne die Frage wirklich zu beantworten:

„Ich möchte mir dieses Szenario nicht zuende ausmalen, weil in der Tat: Wir führen die AfD aus guten Gründen belegbar seit den letzten zwei Jahren als erwiesen rechtsextremistisch. Und wenn eine solche Partei ein solches Votum erlangt, dann ist das in der Tat aus meiner Sicht eigentlich schon über die rote Linie hinaus, die das Bundesverfassungsgericht in der Frage Gefährdung, aktuelle Gefährdung des Staates, der Demokratie, im Verfahren gegen die NPD, im zweiten Verfahren, beschrieben hat.

Das Bundesverfassungsgericht hat es aber aus meiner Sicht leider unterlassen, quasi genaue Marker zu setzen, wann denn jetzt nun eine verfassungsrelevante Gefährdung eingetreten ist. Ich sage heute immer scherzhaft: Ist die eingetreten, wenn die Partei solche Stimmen erlangt; ist sie vielleicht eingetreten, wenn Herr Höcke erwartungsgemäß dann vielleicht zum Ministerpräsidenten eingeschworen wird?

Das alles erscheint mir doch sehr theoretisch. Aber in der Praxis bedeutet es natürlich, angenommen, das von Ihnen geschilderte Wahlergebnis, das aus heutiger Sicht durchaus als realistisch anzusehen ist, geschieht, dann würde ein solches Verbotsverfahren, wenn es dazu dann überhaupt noch zeitlich gemäß passieren würde, immerhin eine Partei aus dem Rennen nehmen müssen, die dann möglicherweise ein Drittel oder sogar mehr der Wählerschaft auf sich vereinigen konnte.“

Die Demokratie vor sich selbst schützen

Wir dürfen uns diese Sätze auf der Zunge zergehen lassen. Zum einen bestätigen sie, dass dem Landesverfassungsschutz Erkenntnisse vorliegen, wonach die AfD bei den Landtagswahlen sogar über 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinen könnte. Anders zumindest ist das „erwartungsgemäß zum Ministerpräsidenten eingeschworen“ nicht zu verstehen, auch wenn Kramer dann zurückrudert auf jenes eine Drittel, welches vom Moderator in den Raum gestellt wurde.

In die Sprache des linken Mainstream übersetzt, bedeutet diese Aussage letztlich: Jeder dritte Thüringer ist „Nazi“. Und es zeugt schon von einer gewissen Schizophrenie, wenn Kramer einerseits das Versagen der Altparteien kritisiert und den Bürgern im demokratischen Staat auch eine gegen das System gerichtete Position zubilligt, er aber gleichzeitig dafür plädiert, solchen Bürgern im demokratisch-parlamentarischen Prozess ihre politische Repräsentanz zu nehmen, bevor diese ins Parlament eingezogen ist.

Eine konkrete Begründung für diese Forderung liefert Kramer bis zu diesem Zeitpunkt nicht. Ganz im Gegenteil kritisiert er das Bundesverfassungsgericht, dass es nicht eine Art „Katalog der parteiverbotsrelevanten Extremitäten“ aufgestellt hat, an dem der Landesverfassungsschutz dann abhaken kann, ob und wieweit eine ungeliebte Partei nach diesen Kriterien abmahn- und verbotsfähig ist.

Mangelnde Erkenntnisse und falsche Schlüsse

Es lässt dieses nur den Schluss zu, dass Kramer hier ebenso wie die bundespolitisch aktive Szene auf der Ebene der Unterstellungen und persönlichen Interpretationen agiert. Wenn die AfD „belegbar erwiesen rechtsextremistisch“ ist (wobei die extremistische Variante gemeinhin als gewaltbereite Radikalität verstanden wird), dann wäre es bei entsprechenden Behauptungen unverzichtbar, hierfür Belege anzuführen. Das hat Kramer bislang nicht getan. Doch hören wir, was er weiter zu sagen hat:

„Das führt nicht unbedingt dazu, dass das Vertrauen in die Demokratie, das ohnehin beschädigt ist – nicht nur in Thüringen (Anmerkung: siehe Vorgang Kemmerich-Ramelow), sondern in der ganzen Bundesrepublik –, dann ist das, wie ich finde, eine hochproblematische Situation und ich würde mir wünschen, dass das Bundesverfassungsgericht das alles nochmal konkretisiert, beziehungsweise vielleicht sogar überlegt, ob man nicht doch schon etwas früher einschreiten muss, weil, wenn bereits solche Mehrheiten im Parlament gewählt worden sind und vorhanden sind, ich glaube, dann ist es eigentlich schon zu spät für unsere Demokratie. Und ich glaube, die Reden von Herrn Goebbels muss ich hier nicht wiederholen, der darauf hingewiesen hat, dass es ein Witz der Demokratie sei, den eigenen Feinden die Waffen in die Hand zu geben. Wir haben daraus gelernt: Es gibt eine wehrhafte Demokratie. Dazu gehört der Verfassungsschutz, und wir machen unsere Arbeit.“

Zieht Kramer hier einen NSDAP-AfD-Vergleich? Zumindest gibt er beim Zuhörer den Raum, die AfD als NSDAP zu denken. Den Beweis, dass die AfD den deutschen Parlamentarismus abschaffen will oder gar „SAfd-Horden“ brandschatzend die Straßen und Parlamente terrorisieren, hat Kramer bislang jedoch nicht erbracht. Die wehrhafte Demokratie, die Kramer beschwört, wurde mit der Abschaffung des sogenannten Radikalenerlasses zu Grabe getragen. Seitdem konnte der Staat nebst angegliederter Institutionen auf legalem Wege von Menschen unterwandert werden, die nicht unbedingt Vertreter eines parlamentarisch-demokratischen Regierungssystems sind.

Auch über den Umbau der Bürgerrepublik zum Parteienstaat ist bereits viel geschrieben worden – der Umbau der Republik in die Reconcilia ist allenthalben über die Präferierung einer sogenannten „Zivilgesellschaft“ zu beobachten. Vor allem aber: Wann genau will Kramer einschreiten? Bereits bei der Parteigründung? Das bekannte „Wehret den Anfängen“ hängt tatsächlich ausschließlich davon ab, wer welche „Anfänge“ als solche und als verfassungsfeindlich definiert.

Der Beleg der Behauptungen gegen die AfD bleibt aus

Nach einem kurzen Abschweifen scheint Kramer nun konkret werden zu wollen mit seiner Behauptung, dass die AfD „belegbar erwiesen rechtsextremistisch“ sei:

„Das, was wir heute gegen die AfD gesammelt haben, ist zumindest keine Entlastung erkennbar. Der Weg geht also weiter in die Richtung des Extremismus, aber das wird dann in weiteren Prüfbelegen und Ergebnisse sicherlich auch von uns Richtung Parlament und Regierung vorgelegt. Die Regierung muss dann am Ende entscheiden, ob sie ein Verbotsverfahren für richtig, für erstrebenswert und vor allen Dingen auch für durchsetzbar hält. Es tut dieser Demokratie nicht gut, wenn man solche Verfahren dann einfach nur durchführt, um sie durchzuführen, ohne sich sozusagen auch politisch damit auseinanderzusetzen mit einer solchen Partei, weil ich glaube, diese ganzen Verbote, diese ganzen Beobachtungen sind im Grunde genommen nur der Versuch, kosmetisch an den Symptomen herumzudoktern, sondern als überzeugter Demokrat stehe ich dafür ein und bin ich da fest von überzeugt, dass wenn der Verfassungsschutz erstmal Hand anlegen muss, ist es eigentlich schon viel zu spät.“

Es ist unübersehbar: Kramer gerät ins Schwimmen. Er definiert eine Art Skala des Extremen: extremistisch, extremistischer, noch extremistischer, am extremistischen. Dabei gilt: Extremistisch ist extremistisch. Verfügt der Thüringische Verfassungsschutz über jene „belegbar erwiesen rechtsextremistischen“ Belege, bedarf er keiner „weiteren Prüfbelege und Erkenntnisse“.

Mit anderen Worten: Das, was Kramer bislang gegen die AfD gesammelt hat, reicht für ein Verbotsverfahren nicht aus – was sich auch darin Luft verschafft, indem Kramer in seinen Satz ein „sicherlich“ einfügt. Die Erfahrung lehrt: Wer eine Aussage mit einem „sicherlich“ zu unterstreichen sucht, an dessen Sache ist überhaupt nichts sicher.

Wer, wenn nicht der Verfassungsschutz, soll „Hand anlegen“?

Gänzlich unverständlich muss der Hinweis darauf bleiben, dass es eigentlich „schon viel zu spät (sei), wenn der Verfassungsschutz erstmal Hand anlegen muss“. Wer denn sonst soll in einem Rechtsstaat bei tatsächlichen Gefahren für die freiheitlich-demokratische Grundordnung „Hand anlegen“, wenn nicht die dafür vorgesehene Institution des Verfassungsschutzes? Die linksextreme Schlägertruppe der Antifa? Nein, soweit geht Kramer nicht. Ihm schwebt eine Art Mehrheitsdiktatur vor: 

„Im Grunde muss es die Gesellschaft, muss es die Demokratie, müssen es die Demokratinnen und Demokraten übernehmen, zu entscheiden: Wer ist eigentlich für unsere Demokratie und offene Gesellschaft unterwegs? Und am Ende muss es gelingen, die Wählerinnen und Wähler zu überzeugen und nicht zu irgendwelchen Entscheidungen zu verpflichten. Und ich glaube, da haben wir heute in der Tat einigen Nachholbedarf.“

Ohne Zweifel darf hier von einer sich andeutenden Schizophrenie gesprochen werden, die den Verfassungsschützer plagt. Es beginnt mit der Problematik, dass es keine allgemeingültige Definition von „Demokrat“ gibt. Selbst linkskollektivistische Rätesystematiker bezeichnen sich als „Demokraten“. Nur bekennende Anti-Demokraten wie Lenin, Stalin, Mao oder Hitler stellten sich bewusst anders auf.

Ungeklärt auch, wie die Entscheidung erfolgen soll. Beschließt eine einfache parlamentarische Mehrheit: Der hier ist Demokrat – der dort drüben ist kein Demokrat? Ein solches System hätte mit Demokratie nicht mehr viel gemein. Das wäre so wie in der Türkei: Erdogan beschließt, die PKK ist eine Terrorvereinigung – Erdogan beschließt, die HDP ist deren parlamentarische Vertretung und also ebenfalls terroristisch. Für ein solches System wäre selbst die Bezeichnung der „Diktatur der Mehrheit“ unzutreffend. Allein der Blick auf die Bundesrepublik beweist: Bei 30 Prozent Wahlverweigerung hat die parlamentarische Mehrheit mit einer Mehrheit der Bevölkerung nichts mehr gemein.

Ähnlich Kramers Aussage zu Überzeugung und Verpflichtung. Ist das von ihm präferierte AfD-Verbot also eine Ultima Ratio, weil die anderen Parteien mit der Überzeugung versagt haben? Wozu aber bedarf es dann noch des demokratischen Überzeugungsprozesses, wenn am Ende der Auseinandersetzung mit einer missliebigen Partei ohnehin das Verbot steht?

Das Versagen der etablierten Parteien

Der Moderator knüpft an diese Frage, allerdings ein wenig oberflächlich, an, will nun wissen, ob Kramer die Versuche der etablierten Parteien im Umgang mit der AfD als „nicht besonders erfolgreich“ ansehe.

„Das ist nicht nur meine Beurteilung, sondern das sieht man schlicht und ergreifend an den Zustimmungswerten, die weiterhin hoch sind. Das sehe ich, wenn ich im Land unterwegs bin, anders als vielleicht andere Amtschefs sitze ich nicht nur in meinem Büro und biege die Büroklammern um, fülle Formulare aus, sondern ich gehe raus, ich diskutiere mit Menschen, auch um ein stückweit ein Gefühl dafür zu kriegen: Wie ticken die Menschen? Was treibt die Menschen um?

Klar, das Wutgefühl des einzelnen Bürgers ist nun nicht immer der Kompass, nach dem wir Politik ausrichten sollten. Aber es macht auch keinen Sinn, solche Emotionen zu ignorieren, und das vor allem fortgesetzt. Und wenn ich draußen bin, dann habe ich eben leider nicht den Eindruck, dass sich die Menschen gehört und mit ihnen diskutiert fühlen. Allein die Tatsache, wie man miteinander umgeht, miteinander spricht – ich sag’ immer etwas scherzhaft: Ein Twitter-Tweet, der ist eben nicht ausreichend, wenn es darum geht, die Bevölkerung, die Wählerinnen und Wähler von der politischen Richtung oder Vision zu überzeugen.

Es gibt vor allen Dingen kommunale Politikerinnen und Politiker, gerade auch in (unverständlich) Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, die einen hervorragenden Job draußen machen. Deswegen haben sie auch das Vertrauen.

Aber sobald wir schon eine Stufe höher kommen, wird’s dann schon schwierig. Es gibt eine Menge auch da, die vielleicht auch nicht so richtig verstanden haben, dass Politik-machen heißt: Sich mit den Bürgerinnen und Bürgern auseinanderzusetzen, zu diskutieren, zuzuhören, und dann auch mal das eine oder andere Politische umzusetzen, was man vorher versprochen hat, und nicht immer nur Entschuldigungen dafür zu finden, warum es vielleicht gerade nicht geht.“

Unverhohlene Kritik an den Systemträgern

Diese Sätze Kramers sind durchaus bemerkenswert. Sie sind, wenn wir genau hinhören, ein Rundumschlag gegen seine Amtskollegen, gegen die etablierte Politik – und selbst gegen seinen Arbeitgeber, den amtierenden Ministerpräsidenten des Landes Thüringen.

Die Kritik an seinen Amtskollegen, von denen er offensichtlich viele für das hält, was landläufig als „lebensfremde, bürokratische Sesselpupser“ bezeichnet wird, nehmen wir zur Kenntnis und enthalten uns angesichts mangelnder eigener Erkenntnisse der Beurteilung.

Die harsche Kritik an den Funktionärsparteien, die oberhalb der kommunalen Ebene jeden Kontakt zum Bürger verloren haben, können wir bedenkenlos teilen. Das geht hin bis zu jenen Beleidigungen unzufriedener Bürger als „Spalter“ und „Dunkeldeutsche“. Ob seine Worte Kramer Freunde im Establishment machen, sei dahingestellt – zumindest sind sie für einen führenden Parteienstaatsbediensteten mutig und anerkennenswert.

Am bemerkenswertesten aber ist vielleicht jener Volltreffer gegen jenen Mann, der Kramer in sein Amt gehievt hat. Es war Bodo Ramelow, der nach dem Putsch von oben gegen seinen Vorgänger Kemmerich versprochen hatte, nach einem Jahr einer Art Interims-Amtszeit Neuwahlen durchzuführen. Ein Versprechen, das er vorsätzlich gebrochen hat, weil er um seinen Sessel und die Pfründe seiner Genossen fürchten musste.

So bleibt im Ergebnis des Gesprächs der Eindruck einer durch seinen Job zerrissenen Persönlichkeit. In seinem pluralistisch-freiheitlichen Selbstverständnis scheint Kramer zumindest zu ahnen, dass er als Erfüllungsgehilfe der etablierten Politik in Sachen AfD einen Popanz aufbaut, den faktisch zu untermauern er bislang nicht in der Lage gewesen ist. Wir dürfen gespannt sein, wie „sicherlich“ Kramer Erkenntnisse vorlegen wird, die mehr bieten als eine Sammlung dessen, bei dem „keine Entlastung erkennbar“ ist. Noch zumindest gilt: Der Kläger muss die vorgeworfene Tat beweisen – nicht der Angeklagte seine Unschuld ohne Anklage.

Über die fragwürdigen Abwege einer „Mehrheitsdiktatur“, die Kramer in seiner offensichtlichen Erkenntnis entwickelt, dass die Faktensammlung seiner Behörde offenbar nicht ausreicht, um ein Verbotsverfahren gegen die AfD in die Wege zu leiten, sollte der Behördenchef vielleicht noch einmal nachdenken.

Völlig offen bleibt, was denn nun geschieht, sollte ein Björn Höcke tatsächlich Ministerpräsident des Landes Thüringen werden. Übernimmt dann wieder einmal ein entfesselter Mob die „Bereinigung“ eines demokratisch legitimierten Landeschefs? Befiehlt erneut ein Bundeskanzler die „Rückgängigmachung“ eines parlamentarisch-demokratischen Entscheidungsprozesses? Marschiert die Bundeswehr Richtung Erfurt, um die legitime Regierung in Festungshaft zu nehmen?

Das Gespräch mit Kramer kann durchaus als ein Lehrstück für den desolaten Zustand und die dramatische Widersprüchlichkeit der bundesdeutschen Verfassungswirklichkeit gewertet werden. 

Wer es sich in seiner gesamten Länge anhören möchte, hier der Link.

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