Tichys Einblick
Die Wirkung kann eine andere sein

AfD in Sachsen: Formfehler oder Anschlag auf die Demokratie?

Selbst wenn das Verwaltungsgericht den Listenausschluss bestätigt, wird sich bei zahlreichen Bürgern nicht nur in Sachsen der Eindruck verfestigen, dass die etablierte Politik in ihrem Kampf gegen die AfD zu tatsächlich jedem Mittel greift.

© Getty Images

Vieles deutet darauf hin, dass die AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen Platz Eins erreichen könnte. 126 Sitze hat das Landesparlament gegenwärtig. 30, vielleicht sogar 40 Sitze für die AfD scheinen insofern nicht ausgeschlossen. Doch nun wird es fraglich, ob die AfD überhaupt all diese Mandate besetzen kann. Denn der Landeswahlausschuss beschloss am Freitag: Nur die ersten 18 Kandidaten haben das Recht, in das Landesparlament einzuziehen. Die nachfolgenden 43 Kandidaten auf der Landesliste bleiben vor der Tür – egal, wie stark die AfD wird. Sollte die AfD mehr als 18 Sitze erhalten und nicht genug Bewerber über die Wahlkreise direkt ins Parlament entsenden – was auch geschehen kann, wenn die Spitzenkandidaten der Liste gleichzeitig als Wahlkreiskandidaten antreten – bleiben diese AfD-Sitze leer.

Der Landeswahlausschuss greift zum Zwecke, die AfD-Mandate unbesetzt zu lassen, tief in die juristische Kiste. Ganz unschuldig daran ist jedoch die AfD nicht.

Ein oder zwei Parteitag/e?

Zur Besetzung ihrer Landesliste hatte die Partei im Februar einen Parteitag durchgeführt. Im Ergebnis wurden hier die ersten 18 Plätze besetzt. Daraufhin lud die AfD im März erneut zum Parteitag und besetzte nun die Plätze 19 bis 61. Damit war aus ihrer Sicht die Liste festgestellt – alles klar.

Doch der Landeswahlausschuss sieht es anders und stellt einen „Formfehler“ fest. Der zweite Parteitag im März sei keine Fortsetzung des ersten gewesen, sondern eine eigenständige, unabhängige Veranstaltung. Damit aber hätten, so die Prüfer, auch die ersten Plätze erneut bestimmt werden müssen – umso mehr, weil die Kandidaten der nun besetzten Plätze keine Chance mehr gehabt hätten, für die Plätze 1 bis 18 anzutreten. Damit, so der Ausschuss, seien alle Plätze nach 18 nicht korrekt besetzt worden – und die Landesliste verfügt nun lediglich über 18 Bewerber. Etwas anderes, so der Beschluss, wäre es gewesen, hätte die AfD den zweiten Parteitag konkret als Fortsetzung des ersten ausgewiesen – was sie laut Landeswahlleiter Carolin Schreck jedoch nicht getan habe. Schreck habe daraufhin, so ihre Ausführung, schon vor geraumer Zeit ein entsprechendes Mängelschreiben an die AfD geschickt. Eine Reaktion darauf sei ausgeblieben.

Nunmehr will die AfD gegen die Entscheidung des Landeswahlausschusses klagen – doch ob die offenbar komplizierte Rechtslage rechtzeitig vor den Wahlen zu klären sein wird, ist fraglich. So deutet nun einiges darauf hin, dass die AfD am Abend des 1. September nicht in der Lage sein wird, alle von ihr gewonnenen Mandate zu besetzen.

Den gegenwärtigen Amtsinhaber dürfte dieses freuen, denn dann könnte selbst eine an Zahl kleinere CDU-Fraktion in der Auswahl ihres Koalitionspartners mehrere Optionen haben. Schließlich reicht zum Regieren die einfache Mehrheit der Abgeordneten – nicht der Sitze. Der von manchen bereits erwartete Konflikt zwischen Michael Kretschmers Landesunion und der Berliner Parteizentrale über eine mögliche Zusammenarbeit mit den zum politischen Paria erklärten Alternativen könnte somit vermieden werden.

So oder so ein fatales Signal

Gut möglich, dass die AfD an der Situation nicht unschuldig ist. Sollte Schreck tatsächlich rechtzeitig eine Mängelrüge an den Landesverband geschickt haben, hätte eine Nachbesserung erfolgen können und müssen – oder das Problem wäre rechtzeitig juristisch zu klären gewesen. Und doch ist das Signal, das von dieser Entscheidung ausgeht, angesichts der Dauerhetze, mit der die AfD seitens der älteren Parteien belegt wird, fatal.

Ein guter Freund mit Wurzeln in Görlitz formulierte es jüngst so: „Die Leute hier haben ein feines Gespür dafür, wenn ihnen die Politik ihre Mitsprache nimmt. Die Jahrzehnte der SED haben Antennen wachsen lassen, die mit feiner Sensorik jeden Angriff auf die Demokratie wahrnehmen.“

Als genau einen solchen Angriff werden nun nicht nur überzeugte Anhänger der AfD den Ausschluss der Listenplätze vom Parlament verstehen. Auch bislang noch wankelmütige Wähler könnten diesen behaupteten „Formfehler“ als politisch motivierte Notbremse eines Kartells der Etablierten betrachten mit dem Ziel, die AfD unabhängig vom Wahlergebnis von jeglicher Mitsprache fernzuhalten.

Sollte sich dieser Eindruck durchsetzen – und das gilt unabhängig davon, ob die Klage der AfD erfolgreich sein wird oder nicht – wäre das insofern ein demokratischer GAU. Es wird der AfD nicht schwerfallen, diese gegen ihre Liste gerichteten Aktion als Angriff auf die Demokratie darzustellen, mit dem die etablierten Parteien in ihrer Panik vor der unbeliebten Partei sich unrechtmäßige Vorteile verschaffen wollen.

Sollte ein Gericht die Entscheidung des Wahlausschusses einkassieren, müsste die Aktion der Landeswahlleiterin zum Pyrrhussieg werden, weil sich genau dieser Eindruck in Öffentlichkeit festsetzt. Doch selbst dann, wenn das Verwaltungsgericht den Listenausschluss bestätigt, wird sich bei zahlreichen Bürgern nicht nur in Sachsen der Eindruck verfestigen, dass die etablierte Politik in ihrem Kampf gegen die AfD zu tatsächlich jedem Mittel greift, um deren Erfolg zu verhindern. So oder so wird die nächste Regierung Sachsens mit dem Vorwurf leben müssen, sie habe ihre Existenz nur unsauberen Tricks und juristischen Winkelzügen zu verdanken.

Für die Einstellung der Bürger zur Demokratie wäre es eine Katastrophe, gelangten sie zu der Auffassung, dass missliebige Konkurrenz durch Hintertürtricks verhindert wird. So könnte Schreck unabhängig davon, ob sie formal im Recht ist oder nicht, der Demokratie einen nicht zu heilenden Bärendienst erwiesen haben. Und das vor allem auch deshalb, weil offenbar keiner der 61 AfD-Listenkandidaten oder der Teilnehmer der/des Parteitage/s Beschwerde gegen das Verfahren eingelegt hat – also niemand da ist, der sich durch das Verfahren benachteiligt fühlt.

Allein schon das Gefühl, dass hier eine Entscheidung gefallen ist, die gezielt die demokratische Teilhabe der AfD an den Landtagswahlen und am parlamentarischen Prozess aushebeln soll, wird insofern selbst mit juristisch möglicherwiese zutreffenden Erläuterungen nicht auszuräumen sein. Gut vorstellbar, dass die AfD nun ganz bewusst zur Nummer Eins in Sachsen hochgewählt wird – auch ohne Kandidaten. Sei es aus Protest gegen den nun im Raum stehenden Eindruck, den Altparteien sei jedes Mittel Recht, um die AfD zu verhindern – sei es, weil die „feinen Antennen“ einen Anschlag auf die demokratischen Rechte der Sachsen wittern, der sie zum Widerstand motiviert. Möglicherweise kommt es sogar zum gegenteiligen Effekt: Die AfD erobert die Direktmandate. Dann braucht sie ohnehin keine Listenmandate und wird trotz der umstrittenen Entscheidung buchstäblich absoluter Wahlsieger.

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