Tichys Einblick
Was kommt wo an

„24 gute Taten“: Der Adventskalender fürs gute Gewissen

Na, wenn das nichts ist! Gutes Gewissen auf Steuerzahlerkosten, gekuschelte, wohlstandsverwöhnte Mitarbeiter und dann nicht einmal die lästige Entscheidung, wohin denn der Geldsegen gehen soll. Das machen alles die Weihnachtsmänner von „24 gute Taten“.

Demonstration von Fridays For Future in Bonn am 12.12.2021

IMAGO / Rainer Unkel

In den Medien werden die Zuschauer gegenwärtig von einem vielleicht neunjährigen Mädchen behelligt, das einem gequält wirkenden Weihnachtsmann in arrogantem Neunmalklugton ihre Weihnachtswünsche entgegen knallt und am Ende fordernd fragt: „Schaffst Du das!?“

Klar schafft der als alter, weißer Mann karikierte Weihnachtsmann das. Oder? Er müsste dafür nur einen Adventskalender bestellen, der im Internet als „24 gute Taten“-Kalender angeboten wird. Da Geld für das angesprochene Kundenklientel keine Rolle spielt, erfährt der Kaufwillige den Preis erst, nachdem er über „Jetzt bestellen & Freude schenken“ ein „Für mich“, ein „Als Geschenk mit Grußkarte“ oder „Rein digital“ angeklickt hat. 24,00 Euro werden fällig, wenn der Bestellvorgang fortgesetzt wird – und für all jene, die mit Weihnachten und Advent wenig anfangen können und sich einfach nur ein gutes Gewissen erkaufen wollen, gibt es dann noch den Klick „Einfach spenden“, was es mit einem voreingestellten, allerdings veränderbaren Betrag in Höhe von 240,00 Euro für alle Seiten einfacher macht und zudem umweltfreundlich Papier spart.

Screenshot / www.24-gute-taten.de
Auch Unternehmen im Visier

Selbstverständlich können auch Unternehmen in die Gewissenbereinigung einsteigen und den Kalender als Kundenpräsent kaufen – die gestressten Unternehmer werden es dem Anbieter danken, denn alles weitere macht der Hersteller des Kalenders, weshalb eine umfassende Entscheidungshilfe geliefert wird:
„Die Vorteile im Überblick
– Jede Kalenderspende hat eine direkte Auswirkung auf das Leben von Menschen, Tieren sowie Umwelt auf der ganzen Welt.
– Vorauswahl diverser Spendenangebote übernehmen wir.
– Höhere Mitarbeiterbindung und ‑gewinnung durch soziales und ökologisches Employer Branding.
– Gefühl der Sinnhaftigkeit geht einher mit einer erhöhten Produktivität sowie einer verbesserten Arbeitsmoral.
– Kommunikation und Reputation von sozialen Werten inner- und außerhalb des Unternehmens.
– Der Betrag ist als Spende steuerlich absetzbar und als immaterielles Geschenk rechtlich unbedenklich (Bestätigt durch PriveWaterhouseCoopers). Sie erhalten von uns eine entsprechende Spendenquittung.“

Na, wenn das nichts ist! Gutes Gewissen auf Steuerzahlerkosten, gekuschelte, wohlstandsverwöhnte Mitarbeiter und dann nicht einmal die lästige Entscheidung, wohin denn der Geldsegen gehen soll. Dass machen alles die Weihnachtsmänner von „24 gute Taten“.

Wer steckt hinter „24-gute-Taten“?

Womit wir nun bei der Frage sind: Wer steckt hinter dieser Gutmenschaktion?
Das Impressum weist einen „24 GUTE TATEN e. V.“ aus, eingetragen im Vereinsregister Düsseldorf unter VR 10677. Laut „Firmenkontor24“ ein im Handelsregister eingetragenes Unternehmen. Vorsitzender des Vereins, der laut Eigenauskunft „ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke im Sinne des Abschnitts ’steuerbegünstigte Zwecke‘ der Abgabenordnung“ verfolgt, ist Sebastian Wehkamp. Der wiederum verfügt über eine eigene und nur spärlich umfassende Website, welche uns eine mobile Telefonnummer – und einen Verweis auf DIRS-N-DOPS Berlin liefert, welches demnach Wehkamp repräsentiert. DIRS-N-DOPS überrascht den WebUser beim Anklicken mit den leicht bekleideten Rückansichten zweier junger Damen und präsentiert sich selbst als international tätige Agentur für Filmemacher (Filmmakers – neudeutsch und vergendert vielleicht auch als „Filmschaffende“ zu übersetzen). Damit schließt sich ein Kreis, denn Wehkamp arbeitet, folgen wir seiner Website, als Regisseur (Director/DOP) von Werbefilmen.

Den aktuellen Weihnachtskalender-Spot mit der Mini-Annalena hat Wehkamp ebenfalls als Director begleitet, verantwortlich zeichnet die Berliner Agentur Strobinski, 2018 gegründet durch die früheren Scholz&Friends-Mitarbeiter Jens Agotz und Jörg Sachtleben. Zu deren Startkunden gehörte bei der Gründung laut einem Bericht des Spartendienstes „Horizont“ ein Sportwettenanbieter. Bei den Machern des aktuellen Spots handelt es sich folglich um absolute Werbeprofis – und das Ergebnis mit dem geschurigelten Weihnachtsmann kann sich sehen lassen. Laut Auskunft des Deutschen Zentralinstituts für Soziale Fragen hatte Wehkamp bereits im Jahr 2019 mit dem Adventskalender, welcher das einzige sichtbare Projekt des Vereins zu sein scheint, 427.211,78 Euro an Einnahmen generiert.

Die Eine-Million-Euro-Marke im Visier

Schon ein Jahr später hatte sich, wie Wehkamp gegenüber TE erklärte, das Spendenaufkommen fast verdoppelt. 2020 flossen bereits 858.916,85 Euro als Spenden in die Vereinskasse. Angesichts der breiten medialen Streuung des in zeitgemäßer Verwöhnte-Kids-for-Future-Mentalität aufbereiteten Spots des Jahres 2021, dürfte insofern in diesem Jahr die Grenze zur Million überschritten werden.

Wieviel von diesem Geld kommt nun aber tatsächlich bei jenen Empfängern an, über deren Zuwendung laut Wehkamp ein Beirat entscheidet – obgleich in der Satzung diese Entscheidung beim dreiköpfigen Vorstand angesiedelt ist? Wehkamp weist darauf hin, dass alle am Spot Beteiligten ohne Vergütung gewirkt haben: „Die Agentur Strobinski hat unseren Verein kostenlos unterstützt,
auch das Team hat am Spot kostenlos gearbeitet. Es wurden keine Sachspenden-Quittungen ausgestellt.“ So darf unterstellt werden, dass es Verein und Machern tatsächlich um die Sache geht.

Jeder vierte Spenden-Euro kommt nicht an

Dennoch: Von den vielen 100.000-Spendeneuro landet dennoch ein nicht unbedeutender Teil in kommerziellen Kanälen. Laut Wehkamp wurden im vergangenen Jahr von den eingenommenen 858.916,85 Euro nur 644.880,00 Euro an die unterstützten Projekte weitergeleitet. Mit anderen Worten: Im Jahr 2020 kamen 214.036,85 Euro oder 25 Prozent der eingeworbenen Spenden nicht dem beworbenen Zweck zugute. Die Spenden der ersten 8.918 Kalenderkäufer kamen mathematisch insofern nicht den eigentlich bezielten Empfängern zugute. Ein Grund: Um den Kalender verkaufen zu können, muss er beworben werden. Sprich: In den Medien werden umfangreiche Werbeschaltungen gebucht – und die gibt es nicht umsonst. Ein weiterer Posten geht an jene, die den Kalender drucken.

Für 2021 geht der Verein laut Wehkamp wie im Vorjahr davon aus, dass rund ein Viertel des Spendenaufkommens für Druck und Werbeschaltung aufgewendet werden. Das Media-Budget wird in Höhe von rund 150.000 Euro veranschlagt – bleiben auf Grundlage der 2020-Zahlen rund 65.000 Euro für Produktion, Versand und Verwaltung. Hierbei orientiert sich der Verein laut Wehkamp an den Vorgaben des Tarfivertrags für den Öffentlichen Dienst. Die Druck- und Versandkosten berücksichtigt, bleiben da für eine üppige Apanage tatsächlich keine großen Spielräume.

Wer wird unterstützt?

Und wer kommt nun in den Genuss des Spendenüberschusses? Bewerben kann sich jeder, der ein Projekt vorträgt, welches humanitäre oder umweltfreundliche Ziele verfolgt. Fahrräder für Kinder in Afrika werden beispielsweise 2021 angekündigt. Andere Projekte kümmern sich um saubere Trinkwasserversorgung, den Erhalt des Regenwaldes, Klima und Naturschutz. Die Unterstützung wird in Teilsummen ausgezahlt, der korrekte Einsatz ständig kontrolliert, unterstreicht Wehkamp.

Bleibt also jenseits der Werbung durchaus der Eindruck, dass Wehkamp Positives bewirken will. Ob der Umweg über einen Verein, der dann eben doch ein Viertel des Spendenaufkommens verschlingt, tatsächlich sinnvoll ist, steht auf einem anderen Blatt. Für jene, die kurz vor Weihnachten noch einmal für ein paar Euro ihr schlechtes Überflussgewissen beruhigen möchten und dafür eine steuerlich absetzbare Quittung erwarten, ist es vielleicht tatsächlich der einfachste Weg, die Empfängerauswahl in dieser Weise zu delegieren. Wem es allerdings ein Anliegen ist, gezielt Projekte zu fördern, der wird an der Aufgabe, sich selbst schlau zu machen, nicht vorbeikommen.

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