Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 43-2020

Rechnungshof schlägt Alarm: „Bund schont Rücklage, erklärt aber Notlage“

In nur zwei Jahren erhöht der Bund seine explizite Verschuldung um 314 Milliarden Euro. Das sind 30 Prozent der Schuldensumme der letzten 70 Jahre. „Die Konsolidierung des Haushalts nach der Krise wird schmerzhaft werden", sagt der Präsident des Bundesrechnungshofs.

imago images / wolterfoto

Wer die Grundrechenarten nach Adam Riese beherrscht, weiß um die Problematik der aktuellen Haushaltspolitik. Geld spielt scheinbar keine Rolle. Der Staat pumpt sich mit Krediten voll, weil wir uns den großen „Wumms“ leisten können, wie Bundesfinanzminister Olaf Scholz auch jüngst wieder betont. Denn die zweite Stilllegung von Teilen der Wirtschaft wird nicht nur die jahreszeitbedingte November-Tristesse im Land befördern, sondern erneut viele Milliarden Euro zusätzliche staatliche Hilfen erfordern.

Der Bundesrechnungshof (BRH), dessen Aufgabe laut Art. 114 Grundgesetz in der Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Ordnungsmäßigkeit der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Bundes besteht, hat sich jetzt mit einem Alarmruf an den Haushaltsausschuss des Bundestags gewendet. Dort wird derzeit der Haushaltsplanentwurf 2021 beraten, den der Bundestag in der letzten Novemberwoche endgültig als Gesetz verabschieden wird. Erneut setzt die Haushaltsplanung des Bundesfinanzministers auf eine Aussetzung der Schuldenregel des Grundgesetzes. Nur dadurch kann Olaf Scholz die im Entwurf geplante Neuverschuldung von 96,2 Milliarden Euro im kommenden Jahr rechtfertigen. Gälte dagegen die Schuldenregel, müsste er die von ihm gewünschte Kreditermächtigungssumme um 86,2 Milliarden Euro reduzieren.

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Der BRH, eine unabhängige oberste Bundesbehörde, hält in seinem Bericht die Höhe dieser Notlagenkredite für unangemessen. Die Prüfer attestieren der Bundesregierung, den Kreditansatz nicht auf das notlagenindizierte erforderliche Maß zu begrenzen. Das harte Urteil des BRH: „Eine solche Handlungsweise beeinträchtigt nicht nur die finanzwirtschaftliche Wirkung der Schuldenregel, sie ist verfassungsrechtlich problematisch.“ Die Prüfer beschweren sich vor allem darüber, dass der Bund gut gefüllte Rücklagen unangetastet lässt und sich stattdessen riesige neue Kreditlinien vom Parlament einräumen lassen will. Eine Haushaltspolitik nach dem Motto „Schone Rücklagen, erkläre Notlage“ sei so nicht vom Grundgesetz gedeckt. Im Bundeshaushalt existiere eine Rücklage in Höhe von 48 Milliarden Euro, rechnet der BRH vor. Auch diesen Puffer taste Scholz im Etatentwurf 2021 erneut nicht an. Im Bundeshaushalt des laufenden Jahres fließen weitere 26 Milliarden Euro in den Energie- und Klimafonds, die dort geparkt, aber nicht gebraucht werden. Diese Beispiele sind Wasser auf die Mühlen der Opposition, vor allem der FDP, die schon länger auf diese üppigen Schattenhaushalte hinweist.

In einem Interview mit der Welt zerpflückte Kay Scheller, der Präsident des BRH, auch die naive Vorstellung der Politik, die fiskalische Erholung nach der Corona-Notlage lasse sich mit einem raschen Wirtschaftsaufschwung so leicht bewerkstelligen wie nach der letzten Finanzkrise. Scheller nannte die damalige Erholung eine Phase der „anstrengungslosen Konsolidierung“. Sinkende Sozialausgaben durch Rekordbeschäftigung, stetig steigende Steuereinnahmen und die Niedrigzinsen bescherten Bund und Ländern im vergangenen Jahrzehnt eine Konsolidierung ohne Ausgabenkürzungen oder explizite Steuererhöhungen, sieht man einmal von der heimlichen Steuererhöhung durch die kalte Progression ab. Ein so bequemes Herauswachsen aus der Krise werde sich nicht wiederholen, so Scheller. Denn der demografische Wandel führe auch nach der Bewältigung der Corona-Krise, die aber aktuell alles andere als überwunden ist, zu massiven finanziellen Herausforderungen für die Renten-, Pflege- und Krankenkassen. Die Ertüchtigung der Infrastruktur – analog wie digital – erfordere Ressourcen, auch der Klimawandel. Und wer mit dauerhaften Niedrigzinsen kalkuliere, um sich die Verschuldung schön zu rechnen, werde womöglich viel schneller als gedacht mit einem gewaltigen Zinsänderungsrisiko konfrontiert.

Im kommenden September wird in Deutschland gewählt. Wahljahre sind noch weniger als andere Jahre Zeiten, in denen Politiker die Risiken und Nebenwirkungen ihrer Politik offen thematisieren. Der Rechnungshof und sein Präsident tun es. Kay Scheller resümiert im Welt-Interview: „Die Konsolidierung des Haushalts nach der Krise wird schmerzhaft werden. An Ausgabenkürzungen, Abbau von Steuersubventionen und vielleicht auch Steuererhöhungen geht aus meiner Sicht kein Weg vorbei, wollen wir die Handlungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte und damit die Stabilität des Landes nicht auf Dauer gefährden.“

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