Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 2-2018

Flüchtlinge: Merkels Erpressungsversuch

Einst waren die EU-Strukturhilfen für die osteuropäischen Mitgliedsstaaten das Lockmittel, um deren Märkte für die westeuropäische Wirtschaft zu öffnen. Die deutsche Kanzlerin widmet sie jetzt einfach um: Wer keine Flüchtlinge aufnimmt, dem kürzen wir die EU-Investitionsförderung. So spaltet man Europa.

© John MacDougall/AFP/Getty Images

Die Ausgangssituation muss man sich in Erinnerung rufen, um zu verstehen, was für ein Irrsinn sich hinter den Gedankenspielen der deutschen Regierung versteckt. Weil sich vor allem Polen und Ungarn weigern, Flüchtlinge nach europäischen Quotenregelungen aufzunehmen, will Ihnen die Bundesregierung jetzt die EU-Strukturmittel kürzen und diese Gelder in die nordeuropäischen Staaten umlenken, in denen sich das Gros der Migranten aufhält. Als Deutschland im Spätsommer 2015 seine Grenzen für die Flüchtlinge aus Ungarn öffnete, kamen die Allermeisten liebend gern nach Deutschland. Denn das war und ist nach wie vor ihr begehrtestes Zielland. Deutlich mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge hat Deutschland aufgenommen. Denn da wollen sie hin, weil hier die Sozialleistungen besser sind als in allen anderen EU-Ländern und ein Asylantrag (bei Ausschöpfung aller Rechtsmittel) nach aller Erfahrung auch zu einem mindestens mehrjährigen Aufenthaltsstatus im gelobten Land führt.

Ökonomen nennen dieses Anreizsystem „Moral Hazard“

In der Sprache der Ökonomen nennt man ein solches Anreizsystem, das aus Sicht eines Betroffenen in seiner Verführungskraft absolut nachvollziehbar ist, „moral hazard“ (moralische Versuchung). Doch anstatt dieses Anreizsystem kritisch zu hinterfragen, das Deutschland aus Sicht vieler politisch Verfolgter wie auch vieler Wirtschaftsflüchtlinge so attraktiv macht – das individualrechtlich durch alle Instanzen überprüfbare Asylrecht verbunden mit attraktiven Sozialtransfers für die Antragsteller -, will die deutsche Regierung jetzt Länder mit EU-Mittel-Entzug disziplinieren, die keine Migranten aufnehmen. Wie eine Erpressung funktionieren soll, die das Ziel hat, Menschen dorthin umzusetzen, wo sie überhaupt nicht bleiben wollen, versteht wohl nur, wer sich im Berliner Wolkenkuckucksheim bewegt.

Dass die Europäische Union auf die Einhaltung von rechtsstaatlichen Prinzipien in den Mitgliedsstaaten pocht, die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit in Ungarn oder Polen genauso kritisiert wie die massive Einschränkung der richterlichen Unabhängigkeit, geht absolut in Ordnung. Hier halte ich auch politische Sanktionen bis hin zum Hinterfragen von EU-Nettozahlungen an diese Mitgliedsstaaten für gerechtfertigt. Doch wer wie die Kanzlerin im Deutschen Bundestag die Bereitschaft zur Flüchtlingsaufnahme mit der Höhe der bewilligten EU-Investitionsmittel verknüpft, spaltet Europa. Eine solche Erpressungsankündigung bringt selbst die polnische und ungarische Regierungsopposition in die Defensive, schürt dort eine ohnehin verbreitete EU-kritische Grundstimmung.

Neuer EU-Finanzplan: Von Budgetkürzungen keine Rede

Während sich die kleine Große Koalition in ihrem Koalitionsvertrag europapolitisch äußerst spendierfreudig zeigt, die deutschen Zahlungen sogar ausweiten will, spielt man in Richtung Osteuropa mit der Kürzungskeule. Eine stringente politische Strategie lässt sich hier überhaupt nicht erkennen. Weil durch den Austritt der Briten aus der EU ein Milliardenloch im EU-Haushalt entsteht, will die EU-Kommission für den jetzt zur Verabschiedung anstehenden neuen Fünfjahresplan mehr Geld von den Mitgliedsstaaten. Auch der deutsche Haushaltskommissar Günter Oettinger trommelt mächtig dafür. Die üppigen Agrarsubventionen zu kürzen oder den aufgeblähten EU-Verwaltungskörper in Frage zu stellen, auf die Idee kommt die deutsche Regierung nicht. Immerhin stellen sich Österreich und vor allem die Niederlande, das Land, das nach dem Brexit viertgrößter Nettozahler der EU sein wird, gegen die Forderung nach mehr Geld für Europa.

Deutschland wird diese niederländische und österreichische Mittelverweigerung unter sozialdemokratischer Federführung aus dem Finanzministerium, aber mit voller Zustimmung der Kanzlerin, mit frischem Geld kompensieren helfen und der Öffentlichkeit dann als Trophäe einen Deutschen (Jens Weidmann als Nachfolger Mario Draghis) an der Spitze der Europäischen Zentralbank präsentieren. Ein durchsichtiges Spiel!