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Der eigentliche Irrsinn steckt im Koalitionsvertrag

Was dominiert Mainstream-Medien wie Netzdebatten? Das Personalchaos der im Koalitionsvertrag so siegreichen Sozialdemokraten und die Merkel-Dämmerung bei der Union, die für das Kanzleramt fast alle Restbestände konservativ-liberaler Überzeugungen und wichtigen Ressortverantwortlichkeiten der CDU aufgegeben hat.

© Patrik Stollarz/AFP/Getty Images

Doch worüber regt sich Vox populi derzeit am meisten auf? Was dominiert die Mainstream-Medien wie die Netzdebatten? Das Personalchaos der programmatisch im Koalitionsvertrag so siegreichen Sozialdemokraten und die Merkel-Dämmerung bei der Union, die für das Kanzleramt fast alle Restbestände konservativ-liberaler Überzeugungen und alle wichtigen Ressortverantwortlichkeiten der CDU aufgegeben hat.

Der Furor in der SPD hat den unsäglichen Martin Schulz alle Ämter gekostet, aber auch die sofortige Inthronisation von Andrea Nahles als kommissarischer Vorsitzender verhindert. Mit Olaf Scholz führt jetzt laut Vorstandsbeschluss ein Mann bis zum Parteitag die Geschäfte, der als designierter Finanzminister im Bundeskabinett alle Chancen hat, sich als Kanzlerkandidat seiner Partei für die nächste Bundestagswahl zu qualifizieren. Auch Andrea Nahles wird parteiintern dafür im Rennen sein – keine Frage!

Die SPD-Basis erzwingt personelle Veränderungen, in der CDU erhoffen sich die leisen „jungen Wilden“ neue Karrierechancen

Und in der Union, die so viel verloren hat – personell und programmatisch? Da melden sich vorwiegend längst aus der Politik Ausgeschiedene kritisch zu Wort – Friedrich Merz, Roland Koch, Volker Rühe. Sie fordern einen Kurswechsel ein: programmatisch und auch personell. Doch die Kanzlerin erklärt im ZDF ganz stoisch: „Ich bleibe vier Jahre!“ Den innerparteilichen Protest will sie mit einem Personaltableau bis zum Bundesparteitag am 26. Februar ausbremsen, in dem sich auch frische und junge Gesichter wiederfinden. Weil das Kanzlerinnen-Wort Karrierechancen verspricht, verhalten sich in der Union jetzt plötzlich alle still, die sich Minister- oder Staatssekretärsposten versprechen.

Bei der SPD sind durch den Druck der Mitgliederbasis dramatische Personalumbrüche erzwungen worden. Doch die Sozialdemokraten haben durch die Ressortverteilung im Kabinett und den wohlfahrtsstaatlichen Grundtenor des Regierungsvertrags alle Chancen, sich schneller, als viele glauben, aus ihrem derzeitigen demoskopischen Tief (near by AfD) herauszuarbeiten. Die Union dagegen wird an ihrer Kanzlerinnen-Dämmerung und ihrer programmatischen Auszehrung viel länger laborieren und – wenn überhaupt – wohl erst nach einer längeren oppositionellen Durstrecke wieder reüssieren. 12 Jahre politischer Alternativlosigkeit haben die einst stolze Volkspartei CDU zu einer inhaltsleeren Machthülle verkommen lassen.

Der linke Umverteilungsgeist des Koalitionsvertrags gefährdet Deutschlands Prosperität

Hinter dem Personal-Tohuwabohu, in dem sich die kleinste Große Koalition aller Zeiten verstrickt hat, gerät in der öffentlichen Diskussion leider die inhaltliche Rezeption des Koalitionsvertrags fast komplett aus dem Blickfeld. Während selbst das notorisch reformunfähige Frankreich unter Präsident Emmanuel Macron Strukturreformen am Arbeitsmarkt durchsetzt, die an die Agenda 2010-Reformen von Gerhard Schröder vor 15 Jahren erinnern, schränkt die neue Berliner Koalition auch noch die letzten Flexibilisierungsinstrumente im Arbeitsmarkt bürokratisch ein. In den USA trimmt ein vor allem in Deutschland verhasster Donald Trump (den zu verteidigen auch mir persönlich mehr als schwer fällt) sein deindustrialisiertes Land auf mehr Wettbewerbsfähigkeit. Mit niedrigen Energiepreisen und einer gewaltigen Unternehmenssteuerreform lockt er internationales Investitionskapital in die Staaten.

Rente: Die Alten werden hofiert, die Jungen drangsaliert

Was machen dagegen Christsoziale, Christ- und Sozialdemokraten in Berlin? Sie bauen mit generöser Volksbeglückungspolitik weiter einen Sozialstaat aus, in dem schon heute jährlich mehr als 1.000 Milliarden Euro umverteilt werden. Die Mütterrente wird auf speziellen CSU-Wunsch weiter verbessert, obwohl bereits die letzte Reform jährlich rund 6 Milliarden Euro Mehrausgaben für die Rentenversicherung bewirkt hat. Umgeschichtet wird damit von der jungen auf die ältere Genration, als ob es keinen demografischen Wandel gäbe. Ohne Rücksicht auf die gewaltigen Kosten soll das Rentenniveau auf SPD-Wunsch mit einem Federstrich auf 48 Prozent (statt heute 43 Prozent) als Untergrenze festgeschrieben werden. Wer Adam Riese beherrscht, muss wissen, was das in der nächsten Rezession und angesichts der Digitalisierung der Arbeitswelt bedeutet: Der Rentenzuschuss aus dem Bundeshaushalt wird von heute knapp 100 Milliarden Euro jährlich weiter massiv steigen. Die Zeche bezahlt der Faktor Arbeit – über höhere Sozialabgaben und höhere Steuern. Die Kinder und Enkel der Rentnergenerationen dürfen sich für künftig immer weniger Netto vom Brutto bei einer Regierung bedanken, die vor allem ihre wichtigste Wählerklientel – Rentner und Pensionäre – bei Laune halten will.

Pflegeversicherung: Teilkasko war gestern!

Begriffe wie Markt, Wettbewerb, Eigenverantwortung sind Fremdworte in einem Koalitionsvertrag, der auf mehr Staat setzt. In der Pflegeversicherung, die einst als Teilkasko-Versicherung angelegt war, werden die Ausgaben als Folge vieler Leistungsverbesserungen steigen. Auch hier wird der Preis über höhere Sozialabgaben und Steuern von den Arbeitnehmern zu bezahlen sein. Statt die bestehenden innerfamiliären Unterhaltspflichten zu verteidigen, wird selbst bei besser situierten Kindern die Unterhaltspflicht für ihre pflegebedürftigen Eltern künftig erst bei mehr als 100.000 Euro Jahreseinkommen greifen. Weil das selbstgenutzte Wohneigentum zum Schonvermögen gehört, ist das für mich eine Form von Erbenschutzprogramm.

Schizophren: Baukindergeld als Subventionsmitnahme für die Bauwirtschaft

Die Baubranche boomt, die Kapazitäten sind ausgebucht. Deshalb steigen die Preise. Doch was macht die Politik in der Hochjunktur. Sie verspricht auf CDU-Wunsch ein Baukindergeld von 1.200 Euro pro Jahr und Kind als neue Subvention, um Familien den Eigentumserwerb zu erleichtern. Das Argument ist so lachhaft wie verlogen. Landen wird das Baukindergeld sofort in höheren Preisen, die von der Bauwirtschaft absorbiert werden. Aus diesem Grund wurde vor vielen Jahren die steuerliche Eigenheimförderung eingestellt, weil diese Form von Mitnahmeeffekten eine Verschleuderung von Steuergeld darstellt.

Will das Volk belogen werden?

Die Mehrheit der Wählerschaft will mehr staatliche Leistungen, will eher früher als später in den Ruhestand gehen. Viele Leute hätten auch in der Privatwirtschaft gern beamtenähnliche Beschäftigungsgarantien. Kitas wie Studium sollen nichts kosten. Die Verkehrsinfrastruktur soll intakt sein, aber Straßenbenutzungsgebühren sind für viele tabu. Der öffentliche Verkehr hat zu funktionieren, sollte aber am besten fast nichts kosten, damit das eigene Auto gelegentlich mal stehen bleiben kann.

Diese Schizophrenie einer verlogenen Gesellschaft bedient die kleine Große Koalition vortrefflich. An einem Punkt ist sie sogar konsequenter als die Wähler. Denn die Wähler-Mehrheit wünscht sich zusätzlich auch eine deutliche Entlastung bei Steuern und Abgaben. Also: Mehr Staat und weniger Steuern und Abgaben!

Die neue Regierung dagegen ist beim Entlastungsthema sehr sparsam. Am Ende der Legislaturperiode (im Jahr 2021) soll der Solidaritätszuschlag für 90 Prozent der bisherigen Zahlungspflichtigen um insgesamt 10 Milliarden Euro abgeschafft werden. Ein größeres Entlastungsversprechen wollten Union und SPD angesichts von deutlich mehr als 50 Milliarden Euro Mehrausgaben dann doch nicht abgeben.