Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 21-2019

Das sozialpolitische Wolkenkuckucksheim der Grünen

„Garantiesicherung“: Höher als Hartz IV, bedarfsabhängig, aber bedingungslos; Ausbildungs- oder Arbeitsbereitschaft entbehrlich, Sanktionen überflüssig.

imago/Tim Wagner

So malen sich die Grünen um ihren Superstar Robert Habeck die „Überwindung“ von Hartz IV aus. Mit den Wahlergebnissen im Rücken, die sie bei der Wahl zum Parlament der EU und auch im Stadtstaat Bremen wieder eingefahren haben, werden die Grünen bei der Arbeit an ihrem neuen Grundsatzprogramm noch ungenierter ihre fatalen sozialpolitischen Illusionen pflegen.

Man muss sich einmal vorstellen, was die Grüne Garantiesicherung bedeutet: Jeder ab dem 18. Lebensjahr soll sie bekommen, ob er arbeitet oder nicht, ob er eine Berufsausbildung beginnt oder nicht. Mit jedem Euro Zuverdienst wird die Garantiesicherung um 70 Cent gemindert, bis sie komplett abgeschmolzen ist. Die Grüne Transfer-Entzugsrate liegt also bei 70 Prozent. Prinzipiell wird Vermögen zwar angerechnet. Doch eine hohe Freigrenze von 100.000 Euro pro Person, aber auch die Nichtanrechnung von selbst genutztem Wohneigentum und staatlich geförderter Altersvorsorge werden dazu führen, dass bis weit in die gesellschaftliche Mitte ein Anspruch auf ergänzende Transferleistungen des Staates entsteht.

Immerhin ist selbst den Grünen aufgefallen, dass ihr Modell Schwarzarbeit außerordentlich attraktiv machen könnte. Denn wer nicht im offiziellen Arbeitsmarkt dazu verdient, dessen Transfer-Entzugsrate liegt statt bei 70 bei 0 Prozent. Um diesen verlockenden Anreiz zu unterbinden, fordern sie harte Strafen für Schwarzarbeit. Selbst Privathaushalte sollten streng kontrolliert werden, weil gerade dort umfangreich schwarz gearbeitet wird. Der Grüne Sozialstaat müsste folglich von einem grünen Polizeistaat flankiert werden. Der Grundwiderspruch zu ihrem Anspruch als liberaler Rechtsstaatspartei ist den Grünen wohl noch nicht aufgefallen.

Die Grünen in der Falle
Keiner redet vom Wetter, nur wir
Bei den Kosten untertreibt der Bundesvorsitzende der Ökopartei gnadenlos. Auf gerade einmal 30 Milliarden Euro taxiert er die Garantiesicherung. Im Münchner ifo-Institut arbeiten Ökonomen, die rechnen können. Sie beziffern allein die Kosten für die Absenkung der Transfer-Entzugsrate auf 70 Prozent sowie die gegenüber den heutigen Hartz IV-Sätzen deutlich erhöhten Leistungen auf 60 Milliarden Euro. Weil durch die Ausgestaltung der Garantiesicherung kein Druck auf eine schnelle Arbeitsaufnahme besteht, ist aber auch eine längere Verweildauer in der Arbeitslosigkeit zu befürchten. Diese Effekte auf den Arbeitsmarkt, die sich in nochmals höheren Aufwendungen niederschlügen, hat das ifo-Institut in seiner Hoch-rechnung überhaupt nicht berücksichtigt.

Fragen über Fragen stellen sich auch, wenn es um die konkrete Ausgestaltung geht: Motiviert die Garantiesicherung junge Leute nach der Schulausbildung, möglichst rasch eine berufliche Qualifikation anzustreben? Oder stattdessen erst einmal die Welt zu bereisen? Denn eine Vorbedingung für den Bezug gibt es ja nicht. Sollen Studenten einen Anspruch auf Garantiesicherung erhalten? Die grüne „Bedingungslosigkeit“ des Bezugs ließe eine grundsätzliche Verweigerung jedenfalls als inkonsequent erscheinen. Dann aber würden auch die Söhne und Töchter der gehobenen Mittel- und Oberschicht in den Genuss grüner Wohlfahrt kommen – ein Kostenfaktor von insgesamt nochmals geschätzten 20 Milliarden Euro pro Jahr, wenn man die Garantiesicherung auch allen Studierenden gewährte.

Langfristig will Robert Habeck die Garantiesicherung sogar individualisieren. Selbst die Partner von gut verdienenden Erwerbstätigen hätten dann Anspruch auf die volle Garantiesicherung, wenn ihr eigenes Einkommen unter der Bedarfsschwelle läge. Ein volles Erwerbseinkommen und eine Garantiesicherung wären womöglich für so manches Paar eine verlockende Alternative zur Doppelerwerbstätigkeit mit Vollzeit- und Halbtagstätigkeit.

Mit dieser Wohlfahrts-Vision wecken die Grünen Erwartungen, die in keiner Regierungskonstellation je erfüllbar sind. Die Bedingungslosigkeit von Sozialleistungen wird an der sozialpolitischen Realität scheitern. Denn wenn Sozialleistungen auch an vermögende Personen zu bezahlen wären oder auch an Bürger, die arbeiten könnten, aber nicht wollen, dann wird es spätestens dann zum Knall kommen, wenn den Steuer- und Beitragszahlern die höhere Rechnung präsentiert wird. Georg Cremer, der langjährige Generalsekretär des Caritasverbandes, kommentierte sehr zutreffend in der FAZ: „Eine Sozialpolitik mit der Schrotflinte ist nur mit neuen hohen Abgabenlasten zu finanzieren, die zu großen Teilen die Mitte selbst tragen muss.“ Seinen Schlusssatz sollten die Grünen Sozialromantiker, die wie die Sozialdemokraten und die Linke so gern von gesellschaftlicher Solidarität schwadronieren, auf ihre Hirne und Herzen wirken lassen: „Das kann die Solidaritätsbereitschaft der Mitte mit dem unteren Rand der Gesellschaft schwächen.“