Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 09-2020

Armin Laschet: Die Antwort der CDU auf ihr strategisches Dilemma?

Weil sie mit ihrer Politik die AfD groß gemacht hat, steckt die Union heute in der Falle: Was sie rechts wieder gewinnen will, verliert sie an die Grünen.

imago Images/photothek
Der Machtkampf um die Parteiführung der CDU ist nach dem Hamburger Wahlsonntag schlagartig entbrannt. Die desaströsen 11,2 Prozent der hanseatischen Christdemokraten signalisieren auch dem größten Ignoranten, wie erfolgreich sich die CDU bundesweit den demoskopischen Tiefs der SPD nähert. Die einstige stolze Volkspartei ist programmatisch ausgezehrt, beliebig geworden bis zur Unkenntlichkeit. Weil die CDU-Kanzlerin mit ihrer Politik im letzten Jahrzehnt zwei Megathemen – die Euro- und die Migrationskrise – als „alternativlos“ beziehungsweise als „beherrschbar“ durchdrückte, eröffnete die ihr lange Jahre treu ergebene Partei der AfD die Spielräume bei konservativen Wählern, die ihr zu ihrer heutigen Stärke verholfen haben.

Dazu kam eine sozialpolitische Großzügigkeit, die dem sozialdemokratischen Hang zum Verteilen überhaupt nicht mehr nachsteht. In der Energiepolitik stieg die Union nach Fukushima geradezu panisch aus der Atomenergie aus, nachdem sie gemeinsam mit der FDP wenige Monate zuvor noch den rot-grünen und mit der Energiewirtschaft vereinbarten Ausstiegspfad verlassen und die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert hatte. Die Wehrpflicht stampfte die Union genauso in die Tonne wie eine Reihe althergebrachter Grundsätze einer konservativen Familienpolitik. Fast alles geschah per Entscheidung von oben. Programmatische Debatten in der Partei oder gar Parteitagsbeschlüsse waren obsolet.

Er wird es nicht
Friedrich Merz hat sich schon selbst verschlissen
Wer sich zur guten alten Zeit der konservativ-liberalen CDU zurücksehnt, sympathisiert mit Friedrich Merz, dem Mann, der Angela Merkel nach seiner Verdrängung vom CDU-Fraktionsvorsitz seit 17 Jahren in herzlicher Abneigung verbunden ist. Merz, der nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahr 2009 zahlreiche gut dotierte Mandate in der Finanzwelt ausübte und deshalb zahlreiche Angriffsflächen bietet, verspricht einen „Aufbruch“. Die CDU soll wieder pointierter positioniert werden – in der Wirtschaftspolitik, bei den Themen Innere Sicherheit und Migration/Integration. Merz selbst traut sich zu, damit die AfD halbieren und abtrünnige Wähler zurück zur CDU führen zu können. Am Aschermittwoch erklärte zwar die baden-württembergische CDU-Landesspitze mit dem Landesvorsitzenden Thomas Strobl, der Landtags-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann sowie dem Landesgeneralsekretär Manuel Hagel, auf dem Parteitag am 25. April Friedrich Merz wählen zu wollen. Doch die einst stolze konservative CDU im Ländle kommt selbst nicht vom Fleck, dümpelt deutlich hinter den Grünen und hat starke Konkurrenz von der AfD. Auf dieses baden-württembergische Signal sollte Merz also nicht allzu viel geben. Denn die CDU in Baden-Württemberg ist ein Paradebeispiel dafür, was einer Volkspartei passiert, die eine neue Kraft rechts von sich hat entstehen lassen. Beim Versuch, mit konservativerer Politik deren Wähler wieder zurückzugewinnen, wird daraus ein Nullsummenspiel. Denn was man dort holt, verliert man in der liberalen Mitte der eigenen Wählerschaft an die Kretschmann-Grünen.

Dieses strategische Dilemma kennt Armin Laschet. Der Mann, der einst in den neunziger Jahren im Keller des Bonner „Sassella“ in der Pizza-Connection erste personelle Kontakte mit realpolitischen Grünen Abgeordneten suchte (auch Norbert Röttgen und Peter Altmaier zählten auf CDU-Seite zu diesem Kreis), wurde lange als leutselige rheinische Frohnatur unterschätzt. Gegen Norbert Röttgen verlor Laschet im Oktober 2010 sogar ein Mitgliedervotum zur Frage, wer von beiden NRW-Landesvorsitzender werden sollte. Röttgen setzte sich durch, wurde von einem CDU-Parteitag auch formell als Vorsitzender gewählt, vergeigte aber dann als CDU-Spitzenkandidat die vorzeitige Landtagswahl im Mai 2012 desaströs. Röttgen trat als Landesvorsitzender zurück, verlor später auch sein Ministeramt in der Bundesregierung, während Laschet im Juni 2012 zum neuen Landesvorsitzenden der CDU in Nordrhein-Westfalen gewählt wurde. Als Fraktionsvorsitzender und Oppositionsführer gelang Laschet dann im Mai 2017 die Ablösung der rot-grünen Landesregierung. Seit Juni 2017 regiert er mit einer schwarz-gelben Koalition das bevölkerungsreichste Land Nordrhein-Westfalen. Aus dem lange unterschätzten „Türken-Armin“, so apostrophierten ihn parteiinterne Kritiker wegen seiner liberalen und differenzierten Haltung zur Integrationspolitik der CDU, wurde ein Regierungschef, der seine Landesregierung ruhig und kompetent führt und zum geschätzten Landesvater reifte.

Was Laschet noch in seiner ersten Amtsperiode als Bundestagsabgeordneter in der Ära Helmut Kohl von diesem lernte, ist dessen Verständnis von Volkspartei. Eine Volkspartei braucht eine starke Mitte, aber auch einen linken und einen rechten Flügel. In der Balance liegt die Kraft einer solchen Partei. Dafür braucht es aber auch prominentes Personal, das angesichts des heterogenen Wählerspektrums einer Volkspartei auch die Ränder binden kann.

Kampf um CDU-Vorsitz
Armin Laschet hat die besten Chancen
Während Angela Merkel in ihren langen Jahren als Parteivorsitzende und Kanzlerin diese programmatische wie personelle Bandbreite systematisch zerstörte, tickt Laschet, der als „Merkelianer“ eingestuft wird, in der konkreten Regierungspolitik in NRW erkennbar anders. Spätestens mit seinem Überraschungscoup, den konservativen und Merkel-kritischen Jens Spahn in seine Vorsitzenden-Kampagne einzubinden, fällt es seinem Hauptkonkurrenten Merz schwer, Laschet in der Merkel-„Kontinuität“ zu verorten. In Nordrhein-Westfalen beweist Laschet übrigens eindrucksvoll, wie ein liberaler Regierungschef sehr wohl ein „Law and order“-Thema besetzen kann. Denn dort lässt Laschet seinen Innenminister Herbert Reul spektakulär die organisierte arabische Clan-Kriminalität bekämpfen und hält damit auch die AfD klein. Als Ministerpräsident wird Laschet übrigens von der NRW-Wirtschaft durchaus als wirtschaftsfreundlich eingestuft. Gleichzeitig ist Laschet auch ein Brückenbauer zu den Grünen und vor allem deren bürgerlichen Wählerschichten. Ihm trauen deshalb viele in der Union zu, das strategische Dilemma zu vermeiden, das mit Friedrich Merz als Parteivorsitzendem erst recht droht: Man gewinnt zwar AfD-Wähler zurück, verliert dafür aber an die bürgerlichen Grünen.

Obwohl Parteien immer für Überraschungen gut sind, sind Laschets Chancen auf den Parteivorsitz am 25. April mit seinem Spahn-Personalcoup deutlich gewachsen. Merz könnte ihm deshalb deutlicher unterliegen als beim letzten Mal Annegret Kramp-Karrenbauer. Röttgen und den No-Name-Kandidaten werden jedenfalls nicht einmal Außenseiterchancen eingeräumt. Ob Laschet die Union als Kanzlerkandidat bei der Bundestagswahl anführen könnte, wird auch von der CSU und ihrem Vorsitzenden Markus Söder abhängen. Aber ausgeschlossen ist es keineswegs. Mit dem Mann muss gerechnet werden.

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