Tichys Einblick
METZGERS ORDNUNGSRUF 13-2019

AfD-Vizepräsidentin im sechsten Anlauf?

Heute steht die Wahl einer Vizepräsidentin des Bundestags auf der Tagesordnung. Hat die AfD-Ausgrenzung ein Ende? Wird Mariana Iris Harder-Kühnel gewählt?

imago/Jens Jeske

Die Drucksache 19/3, die der aktuelle Bundestag in seiner konstituierenden Sitzung am 24. Oktober 2017 beschlossen hat, trug die Unterschriften aller damaligen Fraktionsvorsitzenden. Nach Fraktionsgröße unterzeichnet von Volker Kauder und Alexander Dobrindt (CDU/CSU-Fraktion), von Andrea Nahles (SPD-Fraktion), Dr. Alice Weidel und Dr. Alexander Gauland (AfD-Fraktion), Christian Lindner (FDP-Fraktion), Dr. Sahra Wagenknecht und Dr. Dietmar Bartsch (Die Linke), Katrin Göring-Eckhardt und Dr. Anton Hofreiter (Bündnis90/Die Grünen) begehrte der Antrag schlicht und einfach: „Der Bundestag wolle beschließen: „Jede Fraktion stellt eine Stellvertreterin oder einen Stellvertreter des Präsidenten.“

Der Bundestag beschloss zwar einvernehmlich und wählte dann Wolfgang Schäuble als Präsidenten, Hans-Peter Friedrich (CDU/CSU), Thomas Oppermann (SPD), Wolfgang Kubicki (FDP), Petra Pau (Linke) und Claudia Roth (Grüne) zu seinen Stellvertretern. Doch den Kandidaten der AfD-Fraktion ließ die Mehrheit gnadenlos durchfallen. In den drei Wahlgängen dieser konstituierenden Sitzung verfehlte Albrecht Glaser mit 115, 123 und 114 Stimmen die erforderliche Mehrheit meilenweit. Ein merkwürdiges Demokratieverständnis legten damit die etablierten Fraktionen des Parlaments an den Tag, weil sie zwar gemeinsam mit der AfD jeder Fraktion einen Stellvertreterposten im Bundestagspräsidium einräumten, diesen Anspruch dann aber personell per Wahlakt versenkten.

Nachdem ihr erster Kandidat gescheitert war, schlug die AfD-Fraktion rund ein Jahr später die hessische Abgeordnete Mariana Iris Harder-Kühnel, eine Juristin, für das Vizepräsidentenamt vor. Doch auch sie scheiterte im ersten Wahlgang am 29. November 2018 mit 223 Ja-Stimmen an der erforderlichen absoluten Mehrheit von 355 Stimmen. Auch ein zweiter Anlauf war vergeblich. Bei der Wahl am 13. Dezember 2018 erhielt sie zwar 241 Stimmen, verfehlte aber wiederum die erforderliche absolute Mehrheit. Am selben Tag standen übrigens auch vier andere Gremienbesetzungen auf der Tagesordnung des Bundestags, für die der AfD nach ihrer Fraktionsstärke Sitze zustehen. Doch die etablierte Parteienmehrheit blockierte alle vorgeschlagenen AfD- Kandidaten, weil ihnen die erforderlichen Mehrheiten verweigert wurden.

Dass man mit Ausgrenzung politische Konkurrenz aber nicht dauerhaft verhindern kann, sollte sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Republik herumgesprochen haben. Politiker, die mit Dachlatten auf die Schmuddelkinder der Achtziger Jahre losgehen wollten, koalierten wenige Jahre später mit ihnen. Der Sozialdemokrat Holger Börner machte diese Erfahrung in Hessen mit den Grünen. Denn von Ausgrenzung profitieren oft mehr die Ausgegrenzten – als politische Märtyrer. Der Leiter der Parlamentsredaktion von „Bild“ bringt das auf den Nenner: „Volker Kauder hat immer wieder mit Trotz und Stolz darauf hingewiesen, dass er sich nicht mit Politikern der AfD auf Podien oder in Talkshows setze. Nun sitzt er mit der AfD als drittstärkster Kraft im Deutschen Bundestag.“

Trotz Verfassungsschutz-Prüfverfahren, das widerrechtlich öffentlich und spektakulär im Januar vom neuen Chef des Bundesamt hinausposaunt und politisch wie medial geradezu euphorisch begrüßt wurde: die Umfragewerte der AfD etablierten sich stabil im zweistelligen Bereich. Auch die zwielichtige Spendenpraxis der AfD, die seit Monaten für Schlagzeilen sorgt, scheint deren Wähler nicht sonderlich abzuschrecken. Doch da ist das Wahlvolk ja auch beim Establishment so manches gewöhnt. Ein aktueller Prüfbericht des Bundesrechnungshofs wirft den damaligen Fraktionen vor, im Bundestagswahlkampf 2013 widerrechtlich Steuerzuschüsse für die Parteiarbeit verwendet zu haben. Besonders bunt hat es die FDP getrieben, aber auch Grüne, Union, SPD und Linke waren mit von der Partie. Die AfD ist außen vor, weil sie damals noch nicht im Parlament saß.

Heute Nachmittag wird sich zeigen, ob die parlamentarische Mehrheit endlich begreift, dass auch ungeliebte Mitbewerber parlamentarische Rechte beanspruchen dürfen, zumal dann, wenn man ihnen diese per Geschäftsordnung formal einräumt. Die AfD schickt ihre Abgeordnete Harder-Kühnel heute in einen dritten Wahlgang für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten. Heute reicht ihr die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Enthaltungen zählen nicht. Nachdem der FDP-Fraktionschef Christian Lindner, aber auch der Unions-Fraktionsvorsitzende Ralf Brinkhaus angekündigt haben, diese AfD-Abgeordnete zu wählen, könnte der vakante AfD-Stuhl im Bundestagspräsidium also womöglich endlich besetzt werden. Eine späte Einsicht in die Usancen einer demokratischen Parlamentskultur!