Tichys Einblick
Demokratischer Zentralismus

Ramelow in Thüringen gewählt: Merkel hat ihren Willen bekommen

Die Wahl des Linken Bodo Ramelow zum thüringischen Ministerpräsidenten ist der Triumph der Bundeskanzlerin. Der Vorgang erinnert an das, was man in der DDR einst "demokratischen Zentralismus" nannte: Von oben nach unten wird diktiert.

Bodo Ramelow

Maja Hitij/Getty Images

Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte aus dem Ausland, die Wahl eines bürgerlichen FDP-Ministerpräsidenten mit ungewollten AfD-Stimmen müsse rückgängig gemacht werden. CDU und FDP folgten der Kanzleranweisung zur Freude der rot-rot-grünen Wahlverlierer in Erfurt. Deren Ex-Regierungschef Bodo Ramelow (Linke) ist nun wieder der Neue.

In einer Art Wiederauflage des Demokratischen Zentralismus aus sozialistischen DDR-Zeiten hat das Thüringer Parlament dank Merkel-Veto heute im zweiten Akt der Demokratie-Posse Wahlverlierer Bodo Ramelow (Linke) erneut zum Ministerpräsidenten gewählt – ohne absolute Mehrheit.

Durch die Enthaltung der CDU-Abgeordneten (vermutlich 20 von 21) und die Wahlverweigerung der anwesenden vier FDP-Abgeordneten ist Ramelow somit im dritten Wahlgang verfassungsrechtlich unbedenklich zum Chef einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung gewählt worden, weil er mehr Ja- als Nein-Stimmen erhalten hat. Damit haben Union und FDP ihre Versprechen gebrochen, keinen Ministerpräsidenten der Linken ins Amt zu hieven. AfD-Kandidat Björn Höcke hatte im dritten Wahlgang verzichtet, damit die Nein-Stimmen (23 und vermutlich 22 von AfD-Abgeordneten) gegen Ramelow ausgewiesen werden mussten.

Nach dem dritten Wahlgang gratulieren alle Ramelow brav, nur dem AfD-Fraktionschef Höcke verwehrte der neue Ministerpräsident den Handschlag. Dennoch gibt es Bilder eines längeren Disputs zwischen Ramelow und Höcke bei der Gratulation auf offener Bühne. „Ich habe Herrn Höcke nicht die Hand gegeben, das kann man als ungehobelt bezeichnen.“ Doch er würde Höcke nur die Hand geben, wenn er und seine Fraktion die Demokratie wieder achtet, verteidigte sich der Linke. Ergo: Die ungewöhnlichen „demokratischen“ Wahlmethoden von Rot-Rot-Grün hingegen sind okay.

Kurz gefasst: Die Thüringer Parlamentarier mussten auf Kanzlergeheiß ihre Wahl in einem zweiten Akt wiederholen – bis das Ergebnis für Merkel und den politischen Mainstream stimmt.

Kanzlerin Merkel hat jetzt ihren Willen bekommen: Ein demokratisch gewählter bürgerlicher Ministerpräsident Thomas Kemmerich (FDP) wurde abgesägt, Neuwahlen im Parlament durchgeführt und der abgewählte Regierungschef der Linken wieder ins Amt befördert. Daran hatte Merkel ohne Frage wohl höchstes Interesse. Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag fanden die Würdigung des Linkspolitikers Ramelow aus der Provinz durch die große Koalition im Bund vor Wochen unmöglich. Sie fragten Merkel in der Fraktionssitzung am 11. Februar gleich mehrfach empört, warum ausgerechnet der abgewählte Thüringer Ministerpräsident Ramelow von den Linken in den Berliner Koalitionsausschuss von Union und SPD telefonisch zugeschaltet wurde. 

Nach der erneuten Wahl von Ramelow kann Merkel nun mit dem Thüringer Ministerpräsidenten ihrer Wahl wieder beste Kontakte bei den Kaminrunden von Kanzlerin und Länder-Regierungschefs vor wichtigen Sitzungen des Bundesrates pflegen.

Ramelow hat es dank Merkels Veto wieder geschafft

Die Linkspartei ist der CDU-Kanzlerin natürlich wesentlich näher als die rechte AfD. Selbst wenn der selbsternannte Demokrat und Ex-Ministerpräsident Ramelow von den SED-Erben trickst nach Belieben. Mediale Empörung bleibt jedoch weitgehend aus. Denn Ramelow hatte ein Problem. Er wollte nicht wie Kemmerich Regierungschef werden, wenn AfD-Stimmen ausschlaggebend sind. Ramelow brauchte im ersten oder zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit, also 46 Stimmen von 90 Abgeordneten im Thüringer Landtag. Aber die rot-rot-grüne Minderheit verfügt nur über 42 Parlamentarier. Nötig waren also Stimmen aus der CDU- oder der FDP-Fraktion.

So drohten zunächst die Wahlverlierer Linke, SPD und Grüne ihren potentiellen Hilfstruppen von CDU und FDP mit Neuwahlen, wenn sie Ramelow nicht mit genügend Stimmen bereits im ersten Wahlgang unterstützten. Denn die CDU würde laut INSA-Umfrage auf 16 Prozent abstürzen und die FDP aus dem Thüringer Landtag fliegen (siehe Grafik).

Wer nicht steht fällt tief: CDU im Sinkflug und die FDP ist raus

Doch diese Forderung kam einer Erpressung gleich. Schwarze und Gelbe wollten da nicht mitspielen. Also bot Trickser Ramelow kurz vor seiner Wahl an, er verzichte auf CDU-Stimmen, denn im dritten Wahlgang reicht ja die einfache Mehrheit. Die demolierte FDP erklärte freiwillig, sie wolle an der Abstimmung nicht teilnehmen. So ging die erste Runde der Neuwahl entsprechend der Lager aus: 42 Stimmen von Rot-Rot-Grün für Ramelow, 22 AfD-Stimmen für Höcke, 21 Enthaltungen durch die CDU-Abgeordnete und fünf fehlende FDP-Parlamentarier, da nur 85 Stimmen abgegeben wurden. Höchstwahrscheinlich wird es so gewesen sein, denn die Abstimmung ist geheim. Genauso fiel der zweite Wahlgang aus.

Im dritten Wahlgang reichten Ramelow 42 Stimmen der rot-rot-grünen Parlamentarier und die einfache Mehrheit für eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung. 20 Abgeordnete vermutlich von der CDU enthielten sich und 23 Abgeordnete von der AfD und wohl einer von der Union stimmten gegen Ramelow.

Die vier anwesenden FDP-Abgeordneten wagten nicht einmal im dritten Wahlgang gegen Ramelow mit Nein zu stimmen. Sie blieben verschämt sitzen und nahmen nicht an der Wahl teil.

Durch dieses Verhalten von CDU- und FDP-Parlamentariern kam der Linke von den SED-Erben wieder an die Macht.

Vergessen wir nicht: Tricksen gehört zum politischen Programm der Linkspartei. So soll Ramelow schon vor dem ersten Wahlakt am 5. Februar laut Bild-Zeitung mit dem damaligen CDU-Chef Mike Mohring einen „Klo-Deal“ besprochen haben. Zum dritten Wahlgang sollten vier CDU-Abgeordnete zur Toilette gehen – und die Wahl absichtlich verpassen. Die Bild beschrieb dieses Verfahren mit der Schlagzeile: „So lügt sich Ramelow um Kopf und Kragen.“

Das Ergebnis einer demokratischen Wahl am 5. Februar 2020

Doch die Abgewählten von Linken, Grünen und Sozis müssen keine Kritik an ihren Methoden zur Wiedererlangung der Macht fürchten – sie haben die Mehrheit der staatstragenden Medien hinter sich. Die FDP hat sich zudem selbst ins Abseits geschossen, sich für schuldig erklärt und selbst erniedrigt. Bundesvorsitzender Christian Lindner gestand im Bundestag demütig: „Erfurt war ein Fehler, aber wir unternehmen alles, damit er sich nicht wiederholen kann.“ Die Quittung dafür bekam er bei der Wahl in Hamburg, wo die einstigen Liberalen aus der Bürgerschaft flogen. Bei der FDP sind jetzt sprichwörtlich beide Augen blau. Der amtierende Regierungschef Thomas Kemmerich gratulierte dann noch Ramelow zu seiner Wahl ausgerechnet mit einem Blumenstrauß. Dabei bekam Kemmerich von der Landeschefin der Linken, Susanne Hennig-Wellsow, bei seiner Wahl vor vier Wochen einen Blumenstrauß vor die Füße geworfen. FDP-Blumen für Ramelow mögen vielleicht liberal sein, aber damit macht sich die FDP lächerlich und noch kleiner als sie jetzt schon ist. Eine Gratulation ohne Blumen wäre zumindest ein selbstbewusster Ausweg gewesen.

Hier müssen wir erneut an eine Lebensweisheit von Ex-FDP-Chef Philipp Rösler erinnern: „Wer sich selbst zum Würstchen macht, braucht sich nicht zu wundern, wenn er verspeist wird.“

Merkel verantwortet das Chaos in Thüringen

Das politische Chaos in Thüringen hat jedoch nach der Abwahl von Rot-Rot-Grün bei der Landtagswahl am 27. Oktober 2019 und der regulären Ministerpräsidentenwahl von Thomas Kemmerich (FDP) eine Verantwortliche der Bundesregierung erst richtig verursacht:

Es war Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die die Lage in Thüringen mit ihrer rigorosen Forderung während einer Auslandsreise aus dem fernen Südafrika verschärfte: „Das Ergebnis muss rückgängig gemacht werden.“ Genauer: „Die Wahl dieses Ministerpräsidenten“, gemeint hat sie fast verächtlich den Liberalen Thomas Kemmerich. Denn „dieser Vorgang“, so Merkel, sei „unverzeihlich“ gewesen. Deshalb „muss man sagen“, dass „auch das Ergebnis wieder rückgängig gemacht werden muss.“

Zweimal „muss“ in einem Satz. Das war ein Diktat einer Kanzlerin, die nicht einmal mehr CDU-Vorsitzende ist, über den Freistaat Thüringen. Obendrein war „dieser Vorgang“ eine demokratische Wahl von freigewählten Abgeordneten in einem Landesparlament. Ein bislang einmaliger Vorgang im demokratischen Deutschland. Merkel hat mit ihrer Anordnung den Demokratischen Zentralismus aus sozialistischen Zeiten quasi wiederbelebt. Im Ost-Block wurde von oben nach unten diktiert.

Die Folge: Merkel demontiert als Nicht-mehr-CDU-Vorsitzende ihre eigene Partei und treibt sie in den Abgrund. Ihre Nachfolgerin Annegret Kramp-Karrenbauer demissioniert. Drei Nachfolge-Kandidaten streiten jetzt um den CDU-Vorsitz vor dem Sonderparteitag am 25. April. Gleichzeitig hat sie auch die CSU als Schwesterpartei beschädigt. Die Christsozialen fürchten jetzt nach dem Ramelow-Merkel-Desaster, bei der Kommunalwahl am 15. März die Quittung von frustrierten bürgerlichen Wählern. Vor sechs Jahren erreichte die CSU in Bayern immerhin noch 39,7 Prozent. Doch am Ende wird der Corona-Virus, die AfD, Erdogan oder Putin schuld sein – nur nicht Angela Merkel.

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