Tichys Einblick
Vor dem CDU-Bundesparteitag

Merkels große Jagd auf Merz

Am Wochenende findet der digitale CDU-Parteitag statt. Die heimliche Parteiherrscherin Angela Merkel setzt alles in Bewegung, um Friedrich Merz als Parteichef zu verhindern. Dafür nimmt sie auch den ungeliebten Armin Laschet in Kauf. Das Wahlverfahren selbst ist höchst brisant.

Armin Laschet, Friedrich Merz und Norbert Röttgen

imago images / Sven Simon

Der bürgerliche Kandidat Friedrich Merz darf nicht CDU-Vorsitzender werden – so soll die Parole im Kanzleramt lauten. Die heimliche Parteichefin Angela Merkel will ihren Intimfeind als Nach-Nachfolger verhindern und notgedrungen den von ihr eigentlich ungeliebten NRW-Regierungschef Armin Laschet an der Spitze sehen.

Für die Jagd gegen CDU-Vorsitzkandidat Friedrich Merz mobilisiert das Kanzleramt alle Kanäle und Hilfstruppen, berichten Parteikreise. So sei es kein Wunder, dass Angela Merkels linke Hand Annette Widmann-Mauz – einerseits Chefin der Frauen Union (FU) und andererseits Beauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration im Bundeskanzleramt – kurz vor dem digitalen CDU-Parteitag an diesem Wochenende unverhohlen Stimmung gegen den Intimfeind der Kanzlerin mache.

„Mit einer Empfehlung für NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (59) und Außenpolitiker Norbert Röttgen (55) hat sich der Vorstand der Frauen Union um FU-Chefin Annette Widmann-Mauz (54) handfesten Ärger mit der Basis eingehandelt,“ berichtet dieser Tage selbst die Bild-Zeitung. In einem Brief verlangten sieben Unionsfrauen Aufklärung darüber, wie es zu dem plötzlichen Beschluss gekommen sei, der sich ganz offen gegen den ebenfalls kandidierenden Ex-Unionsfraktionschef Merz (65) richte: „Wir nehmen an der Basis der Frauen Union der CDU Deutschlands eine große Unzufriedenheit und Unsicherheit über die öffentliche Empfehlung der Frauen Union vom 08.01.2021 für die Wahl zum Parteivorsitz der CDU Deutschlands wahr.“ Zu den Kritikern sollen etwa die FU-Chefin Mecklenburg-Vorpommerns Wendy Ruddies, JU-Chefin von Rhein-Neckar Anna Köhler, Gabi Messerosch (CDU Ravensburg), Ilona Koch (CDU Stuttgart) und Nicole La Croix (CDU Karlsruhe-Land) gehören.

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Wer hinter der Anti-Merz-Kampagne an der Spitze der Frauen Union steckt, scheint vielen Unionsleuten klar, wenn ausgerechnet die Staatsministerin für Merkels grenzenlose Asyleinwanderungspolitik ein verzerrtes Stimmungsbild in die Öffentlichkeit bringt. Schließlich darf aus Sicht der Kanzlerin ihre Asyl-, Schulden- und Verteilungspolitik von deutschen Steuermilliarden in der EU und der Welt nicht aufhören. Nur willige CDU-Chefs wie Laschet oder Röttgen können Merkel die Fortsetzung ihres grünenfreundlichen Kurses garantieren. Nach dieser inszenierten Anti-Merz-Aktion wird Merkel-Aktivistin Widmann-Mauz nun um ihre Wahl ins CDU-Präsidium bangen, versichern Delegierte. Opfer müssen für die Kanzlerin halt gebracht werden. 

Noch ein Beispiel gefällig? Offensichtlich behindern in Baden-Württemberg Bundesparteizentrale und Kanzleramt über Umwege sogar Mitgliederbefragungen, wie etwa im Kreisverband Karlsruhe-Land. „Hier findet keine statt“, klagt Kronaus CDU-Bürgermeister Frank Burkard. „Es ist ein völliges Rätsel, warum es ausgerechnet bei uns keine Mitgliederumfrage gibt,“ wundert sich Burkard. Ja, warum? Das sei eine Frage, die der Kreisvorsitzende Daniel Caspary beantworten müsse, meint Burkard. Nur durch massiven Druck und Protest der Mitglieder kam am Mittwochabend in letzter Sekunde auf einer Online-Konferenz doch noch eine Abstimmung zustande, bei der Friedrich Merz mit 53,1 Prozent als klarer Sieger hervorging. Norbert Röttgen erhielt 21,9 und Armin Laschet lediglich 9,4 Prozent.

CDU-Bundesvorstandsmitglieder wissen da mehr. Caspary als Vorsitzender der deutschen CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament sei für Kanzlerin Merkel deshalb wichtig, weil er durch diese Funktion stimmberechtigt im CDU-Präsidium sitzt. Kanzlergehilfe Caspary solle deswegen hinter den Kulissen gegen Merz arbeiten – siehe die fast verhinderte Mitgliederbefragung. Auch wenn er von Kandidat Laschet nicht viel hält, würde er für Merkels kleinstes Übel sogar trommeln, weil dieser wenigstens grüne Wähler für die CDU gewinnen könne. Na klar, grüne Sympathisanten sollen Union wählen und nicht das Original – was für eine dilettantische Erfolgsstrategie.

Immer mehr Unionsmitgliedern werde jedoch bewusst, berichten hohe CDU-Funktionäre, dass Angela Merkel, „wie eine Krake aus dem Kanzleramt“, mit ihren Hilfstruppen alles versuche, um Friedrich Merz als CDU-Vorsitzenden zu verhindern. 

Schließlich soll sich Merkel auch darüber ärgern, dass die CDU-Basis den Konservativen aus Brilon im Hochsauerland als klaren Favoriten für den Parteivorsitz sieht. Kanzler Kohls ehemaliger Regierungssprecher Otto Hauser bestätigt das aus seinem Sprengel. Allein bei den meisten Kreisverbänden Baden-Württembergs liege Merz in Stimmungstests im Schnitt mit gut 60 Prozent weit vorn und Laschet hingegen mit zum Teil unter zehn Prozent abgeschlagen auf dem letzten Platz noch hinter Röttgen, berichtet der langjährige CDU-Landesgruppenchef für den Südwesten im Bundestag. „Ein ‚weiter so‘ à la Merkel lehnt die Mehrheit der Parteibasis ab,“ betont der frühere Parlamentarische Staatssekretär im Bundeskanzleramt. „Sie wollen Werte und Inhalte statt Anpassung an die SPD oder Überholen der Grünen,“ stellt Otto Hauser klar.

Doch wird diese Erkenntnis am Wochenende Merz noch zum Sieg verhelfen? Viele Delegierte bezweifeln es. Denn auf dem virtuellen Bundesparteitag entscheidet nicht die Mitgliederbasis, die mehrheitlich für Merz stimmen würde, sondern eine leicht beeinflussbare Funktionärsschicht, die seit gut 20 Jahren unter dem Joch der langjährigen und jetzt heimlichen CDU-Vorsitzenden Merkel dient. Zwar hat Merz nach einem aktuellen Stimmungsbild des The European mehr als ein Drittel der Delegierten hinter sich, aber auch sein größter Kontrahent und ungeliebter Favorit der Kanzlerin, Armin Laschet, verfügt wohl über ein knappes Drittel der 1.001 Delegierten-Stimmen. Für Röttgen würden wohl derzeit so um die 60 votieren. Merkels Truppen bräuchten also dieser Tage nur gut 300 Unentschiedene für einen Kandidaten der Regierungschefin zu bearbeiten.

Vor dem Bundesparteitag
Noch liegt Merz in der Gunst der CDU-Delegierten in Führung
Dazu muss man diese Delegierten verunsichern, und dafür wird an allen Fronten gegen Merz gearbeitet. Im Netz gibt es sogar eine Petition auf dem Portal change.org „#MerzVerhindern – Friedrich Merz darf nicht Vorsitzender der CDU werden!“. Gestartet vom dubiosen Web-Blog „Der Volksverpetzer“ – eine 2015 gegründete Internetseite zur Verteidigung der umstrittenen Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel, die im Netz Argumente gegen die zunehmende Asylkritik zuliefert. CDU-Insider vermuten hinter dem „Volksverpetzer“ sogar eine indirekte Unterstützung durch das Bundespresseamt. Vom Verschwörungstheoretiker über den fiesen Lobbyisten bis hin zum Klimakiller ist alles dabei, was die grünlackierten Merz-Verpetzer in ihrer Petition dem konservativen Kandidaten vor die Füße werfen. Sollen so schwankende Delegierte auf die Seite von Laschet und Röttgen gedrängt werden? Mit Sicherheit.
Kurze Merz-Freude nur über den ersten Wahlgang?

Bislang erwarten viele Delegierte, Funktionäre und Unionsabgeordnete, dass Merz zwar den ersten Wahlgang gewinnen kann, aber seine Freude nur kurz sein werde. Denn im zweiten Wahlgang dürften sich dann die Stimmen aus dem linken CDU-Lager vereinen. Röttgens Unterstützer würden dann Laschet zum Sieg verhelfen oder umgekehrt. „In jedem Fall ist das Wahlergebnis ein Gradmesser, wie weit sich die Funktionärsschicht von der Mitgliedsbasis entfernt hat“, sagt ein Partei-Insider voraus, falls tatsächlich Laschet oder Röttgen und nicht Merz zum CDU-Vorsitzenden gewählt würden.

Wie der Wind weht
Norbert Röttgen gibt Koalition mit FDP eine Absage
Selbst wenn Merz Vorsitzender würde, könnte er sich kurzfristig kaum gegen den Machtapparat Merkels in Regierung und Kanzleramt durchsetzen. Obendrein hätte er gleich noch vier Merkelkurs-freundliche Parteien im Bundestag gegen sich – CSU, SPD, Grüne und Linke. Und natürlich auch noch die linken Teile der Baum-FDP. Wer kommt schon gegen so eine Nationale Front 2.0 an?

Zudem war die Methode des Lagerwahlkampfs „zwei gegen einen“ schon am 7. Dezember 2018 auf dem Hamburger Bundesparteitag erfolgreich. Annegret Kramp-Karrenbauer gewann in der Stichwahl mit einer knappen absoluten Mehrheit von 517 der 999 abgegebenen Stimmen (51,75 Prozent) gegen Friedrich Merz mit 482 Stimmen (48,25 Prozent), vor allem weil die Anhänger des zuvor unterlegenen dritten Kandidaten Jens Spahn (157 Stimmen) zu Merkels Favoritin überliefen. Somit war die Intrige gegen Merz perfekt.

Dem digitalen Entscheid folgt noch eine Briefwahl

Doch das digitale Votum am 16. Januar über Vorsitz, Präsidium und Vorstand hat laut CDU-Statut noch keine Rechtskraft. Dafür müssen die teilnehmenden Delegierten gleich nach dem Parteitag noch eine Briefwahl abgeben. Fünf Tage nach der virtuellen Wahl am 21. Januar um 18 Uhr müssen diese papierenen Wahlzettel in der Berliner Parteizentrale vorliegen, denn schon am nächsten Tag ist Auszählung. Erst mit dem schriftlichen Ergebnis vom 22. Januar stehen der neue CDU-Vorsitzende und sein neuer Vorstand wirklich fest.

Da müssen sich die Delegierten ordentlich sputen und schon am kommenden Montag ihre Wahlbriefe einwerfen, damit diese noch am Donnerstag im Briefkasten der Bundesparteizentrale in Berlin landen. Was sich wohl die scheidende CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer angesichts vielerorts lahmer Postwege mit dieser knappen Frist dabei gedacht hat? Entweder nichts, wie so oft als historischer Totalausfall an der CDU-Spitze, oder: Soll es etwa noch eine schriftliche Korrekturmöglichkeit des virtuellen Wahlergebnisses geben, falls Merkels Intimfeind Merz virtuell gewinnt? Damit hätte sich die CDU dann allerdings als demokratische Partei endgültig weggeschossen. Die Christdemokraten setzen wohl auf das Prinzip Hoffnung – das alles irgendwie gut geht.

Rache-Risiko beim abschließenden Briefwahlverfahren

Dennoch birgt die sich anschließende Briefwahl große Gefahren. Denn sie ist eigentlich eine zweite Wahl. Bei der könnte es zum Beispiel eine schlechte Wahlbeteiligung geben, weil Delegierte aus den beiden Lagern über Kungeleien und Ergebnisse bei den Vorstandswahlen frustriert sind. Aber auch schriftliche Rachevoten sind möglich. Für die Nicht-Wahl von Merz beispielsweise wäre von seinen Anhängern und anderen Delegierten ein mehrheitliches Nein gegen die Merkel-Vertraute Widmann-Mauz möglich, obwohl sie vielleicht digital ganz knapp gewählt wurde. Auch Gesundheitsminister Jens Spahn dürfte als virtuell gewählter Stellvertreter Laschets zittern. Genauso gut könnte sich das Merkel-Lager im Nachhinein an Merz und dessen ungewollter, knapper Wahl zum CDU-Chef mit einem Negativ-Votum rächen, anstatt ihn fair zu bestätigen. Theoretisch wäre es auch möglich, dass sich noch Merkels Mann fürs Impfchaos nicht nur als Stellvertreter, sondern auch als Vorsitzender berufen fühlt. Jens Spahn könnte sich auf die Briefwahlliste gegen einen bereits virtuell gewählten CDU-Chef setzen lassen.

Es geht also im schriftlichen Wahlverfahren bei der CDU dann zu wie bei Risikospielen am Skat-Tisch – Hand hat allerhand! Damit nicht genug. Rechtlich hochriskant ist auch: Beide Wahlverfahren – das erste virtuelle und das zweite schriftliche – sind nicht gleich. Also gibt es im Prinzip keine Gleichheit der Wahl. 

Interview TE Magazin 02-2021
„CDU wird zum Tellerwäscher des Zeitgeists“
Obendrein sind vielen Delegierten die Details der Briefwahl noch völlig unklar, wenn man bei ihnen in dieser Parteitagswoche nachfragt. In den Informationen zur Digitalwahl heißt es lediglich: „Diese Wahl ist jedoch rechtlich noch nicht verbindlich – daher stimmen die Delegierten noch einmal per Briefwahl ab. Die Stimmzettel für die anschließende Schlussabstimmung via Briefwahl werden unmittelbar nach den digitalen Abstimmungen versendet, so dass bereits am 22. Januar im Berliner Konrad-Adenauer-Haus die Auszählung der Stimmzettel stattfinden kann und dann ein rechtsverbindliches Ergebnis feststeht.“ 

Was hier so umständlich formuliert ist, versteht eben nicht jeder. Selbst die Pressestelle im Berliner Konrad-Adenauer-Haus kann nicht auf Anhieb darüber Auskunft geben, wie das Briefwahlverfahren im Detail abläuft. Offensichtlich haben sich Pressevertreter dafür bis in die Parteitagswoche hinein nicht interessiert. Im Netz finden sich jedenfalls so gut wie keine konkreten Berichte über das Briefwahlverfahren. Erst nach Rückruf bei der Pressestelle und mehrmaligem Nachfragen sowie der ehrlichen Auskunft mit – „soweit ich das verstanden habe“ – wird etwas klarer, wie das Briefvotum ablaufen müsste.

Nach der virtuellen Vorauswahl auf dem Parteitag am Samstag sollen die Delegierten die digital gewählten Namen des Vorsitzenden, Präsidiums und Vorstands für die Briefwahl ausdrucken können, nachdem sie diese per Mail erhalten haben. Auf diesem Ausdruck muss jede digital gewählte Person jeweils durch Ankreuzen mit Ja, Nein oder Enthaltung bestätigt oder besser, erneut gewählt werden. Die zuvor unterlegenen Kandidaten sind nicht mehr aufgeführt, aber neue können theoretisch hinzukommen. Bei dieser schriftlichen Schlussabstimmung ist zur Rechtskraft der Digitalwahl die absolute Mehrheit aller Briefwahlteilnehmer nötig. 

Allerdings sind diese Angaben nach Auskunft der CDU-Pressestelle an dieser Stelle wie bei den Lottozahlen – ohne Gewähr.

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