Tichys Einblick
Corona Wunder

Der BER ist bald kein Witz mehr – dafür aber vielleicht pleite

Berlin verliert bald einen Teil seines Charmes. Besucher konnten über die Hauptstadt, ihre Schulden, ihren Politikausfall und den nicht öffnen wollenden Flughafen spotten. Wenn nicht noch die Insolvenz zuschlägt, wird der Jahrhundert-Flughafen im Oktober wohl an den Start gehen. Corona sei Dank!

imago

Der BER wird allen Unkenrufen zum Trotz womöglich tatsächlich am 31. Oktober vollständig ans Netz gehen. Es ist kein Witz: Der BER hat am 28. April seine Baufreigabe erhalten. „Die untere Bauaufsichtsbehörde des Landkreises Dahme-Spreewald bestätigt nach Abschluss der Bauarbeiten die Fertigstellung des Fluggastterminals (Terminal 1) am BER“, verkündet eine Pressemitteilung der Flughafen Berlin Brandenburg Gesellschaft (FBB).

Ursprünglich sollte Berlins neuer Airport am Rande der Hauptstadt bei Schönefeld schon 2008 seinen Betrieb eröffnen. Da die Politik aus Berlin und Brandenburg mit dem Segen des Bundes jedoch seit 2003 den Flughafen selbst bauen wollte – das private Konsortium unter Führung von Hochtief wurde einfach gefeuert – musste man den Start bislang sieben Mal verschieben.

© Grafik Olaf Opitz

Witze gibt es über den „Fluchhafen“, wie ihn der Berliner nennt, inzwischen reichlich. Hier nur eine kleine Auswahl:
Der Klassiker nach Ulbricht: Niemand hat die Absicht, einen Flughafen zu errichten!
A la Honecker: Bauen immer, landen nimmer!
Als Handwerkerspruch: BER – Bestimmt Ein Reparaturauftrag
Der BER als Staatsprojekt: Bauen, Erproben, Reparieren
Oder als Berlin-Slogan: Wir können alles, außer Flughafen!

Der Pannen-Airport hatte sich weltweit einen Namen und damit die deutsche Hauptstadt lächerlich gemacht. Hier nur ein Auszug aus der Mängelliste vergangener Jahre:

  • Rauchabzug, Steuerung von Brandschutztüren und Fenstern im Hauptterminal nicht, fast und jetzt fertig
  • Entrauchungssteuerung, Sprinkleranlagen, Brandmeldeanlage, elektroakustischen Notwarnsysteme und Sicherheitsbeleuchtung jetzt wohl einsatzbereit
  • Statusbericht 2018 stellt bei Verkabelung im Hauptterminal 1415 Mängel fest und 2019 sogar 2500
  • Unterirdischer DB-Bahnhof: Rolltreppen sind zu kurz wegen Umplanung beim Bau
  • Terminal versinkt im Märkischen Sand um Zentimeter, dadurch bersten Fassadenscheiben
  • Direkter U-Bahnanschluss durch Verlängerung der Linie U7 Ultimo – vielleicht in 15 Jahren für 700 Millionen Euro oder mehr, so genau weiß das noch niemand in Berlin
Flughafenchef Hartmut Mehdorns Mängelliste im März 2013

Trotz allen Spotts stehen die Zeichen für den BER-Start inzwischen auf grün. Letztes Risiko bleiben zwar noch die Brandschutz- und Passagiertests. Sollten die erfolgreich verlaufen, kann weder Ochs noch Esel den Start des Berliner Pleiten-, Pech- und Pannen-Flughafens verhindern. Eine Gefahr besteht jedoch: Gut 20.000 Freiwillige müssten eigentlich die Abläufe im Terminal testen. Das sollte dieser Tage passieren, wurde abgesagt und wegen Corona auf den Sommer geschoben. Die nächsten Komparsenübungen seien für Juni und Juli geplant, verbreiten BER-Sprecher. Man teste halt in kleinen Gruppen. Doch geht das mit den Abstandsregeln überhaupt korrekt? Die FBB-Leitung glaubt jedenfalls daran. Und Corona hilft auch hier dem BER. Die Passagierzahlen sind so niedrig wie noch nie, da kann selbst eine laienhafte Geschäftsführung den Flugbetrieb im Oktober ohne weiteres mit so wenigen Fluggästen langsam wieder hochfahren.

Allerdings könnte den BER gleich zum Start eine Pleitewelle erwischen. 2019 war für die Berliner Flughäfen trotz roter Zahlen für wohl längere Zeit das letzte gute Jahr. Zwar hat die Flughafengesellschaft FBB über 95 Millionen Euro Verlust im vergangenen Jahr gemacht, aber von diesen Miesen kann der Flughafenchef 2020 nur träumen. Statt 100.000 Passagiere täglich nutzen nur noch knapp 1.000 Menschen beide Airports in Schönefeld und Tegel. Allein im April starteten und landeten hier nur noch 27.600 Fluggäste – das ist ein Prozent der Passagierzahl im gleichen Monat vor einem Jahr.

Passagierwachstum ist für längere Zeit nun am Ende

© Grafik Olaf Opitz

Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup, ein früherer SPD-Politbeamter aus dem Dunstkreis von Ex-Bundesminister Wolfgang Tiefensee (SPD) alias „Pfütze“, will den beliebten wie stadtnahen Airport Tegel schon ab 15. Juni „temporär“ schließen, um die monatlichen Betriebskosten von 7,5 Millionen Euro zu sparen.

Für die Geschäftsreisenden ist das ein Nachteil, sie können nicht mehr citynah landen, sondern müssen künftig jwd (janz weit draußen) im brandenburgischen Schönefeld runterkommen. Mit dem zivilen Flugverkehr auf Berlins bewährtesten Flughafen ist es dann vorbei. Offiziell zunächst nur für zwei Monate, danach müsste der Aufsichtsrat neu entscheiden. Doch daran glaubt keiner mehr, da der neue BER nun Ende Oktober an den Start gehen soll. Mit diesem Zeittrick will BER-Chef Lütke Daldrup, mit dem Segen des Berliner Senats, Tegel schon jetzt killen. Egal, was die Bevölkerung wünscht und Experten raten. Tegel soll nie wieder öffnen.

Obendrein hat ein Gutachten renommierter Wirtschaftsprüfer festgestellt, dass der BER schon mit seiner vollständigen Eröffnung im Oktober vor der Pleite steht und wohl weiter am Staatstropf hängen würde. Die FBB sei ein Sanierungsfall. Sie brauche bis zu 1,8 Milliarden Euro zusätzlich, andernfalls stehe der BER vor der Insolvenz. Flughafenchef Lütke Daldrup wies diese Prognose erwartungsgemäß zurück. Die Opposition sieht das anders: FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja bezeichnete die FBB als „größten Sanierungsfall der Stadt“. Der BER sei auch schon vor der Corona-Krise auf wirtschaftlichem Sinkflug gewesen.

So verwundert nicht, dass die Gesellschafter – Berlin, Brandenburg und der Bund – der Flughafengesellschaft bis zu 300 Millionen Euro zusätzliches Eigenkapital als Corona-Hilfe in Aussicht gestellt haben, um einen Absturz zu verhindern.
Ohnehin steht der BER-Airport schon jetzt für einen Kosten-Big-Bang: Ursprünglich geplant mit 1,9 Milliarden Euro sind mittlerweile weit über acht Milliarden Gesamtkosten prognostiziert.

© Grafik Olaf Opitz

Dennoch bleibt der Flughafenleitung ein Problem erspart, nämlich die ständig steigenden Passagierzahlen im Flugverkehr. Denn der BER wäre zu seiner Eröffnung schon an seine Grenzen gestoßen. Mit über 35 Millionen Passagieren im Jahr an den Start zu gehen, hielten viele Experten für ein großes Risiko. Deswegen sollte Tegel als Reserveflughafen weiter in Betrieb bleiben. Die Mehrheit der Berliner und ihrer Gäste sehen in dem beliebten citynahen Airport sogar einen Standortvorteil. Auch deswegen hatten beim Volksentscheid am 24. September 2017 immerhin 56,4 Prozent der Wähler in Berlin dafür gestimmt, den alten Flughafen auch nach Eröffnung des neuen Hauptstadt-Airports BER weiter zu betreiben. Doch Volksentscheide sind für Berlins Regierende Sozialdemokraten, Grüne und Linke egal. Sie werden ignoriert. Die rot-rot-grüne Landesregierung mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) an der Spitze lehnte Ende März 2018 den Volkswillen kurzer Hand ab. Ja, det is Berlin, wa?!

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