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Verkleinerte Übergröße?

Bundestag: Wahlrecht à la Merkel und SPD

Kanzlerin Angela Merkel will lieber willige „ListenkandidatInnen“ statt relativ unabhängige und direkt gewählte Abgeordnete im Parlament. Die schwindsüchtige SPD möchte mit ihrem Modell gewählte Bewerber direkter Wahlkreise aussieben.

imago Images/Spieker

Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, macht diese Woche den Sozis unmissverständlich klar: „Wer direkt gewählt wird, muss Mitglied des deutschen Bundestages sein.“ Das war die Ansage, dass ein Kompromiss für eine Wahlrechtsänderung noch vor der nächsten Bundestagswahl 2021 in weiter Ferne liegt. Der Bundestag konnte sich bereits im Mai im Streit um eine Wahlrechtsreform nicht einigen.

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Die Sozialdemokraten hatten vorgeschlagen, den Bundestag auf 690 Abgeordnete zu begrenzen. Das sind immer noch gut 100 über der vom Grundgesetz vorgesehenen Größe des Parlaments von genau 598 Abgeordneten. Doch dafür sollten bei zahlreichen Wahlkreisen Direktmandate einfach wegfallen – zugunsten von Listenkandidaten. Bis zu 30 Direktmandate würden so verloren gehen, obwohl die Bewerber die Mehrheit und den Auftrag von ihren Wählern erteilt bekommen.

In einem Schreiben an seinen CSU-Landesgruppenchef kritisierte selbst Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Idee als verfassungswidrig. Das SPD-Modell, angeblich ein „Brückenmodell“, sei eine „grundlegende Abkehr“ vom personalisierten Verhältniswahlrecht bei der Bundestagswahl.

Danach dürfte gut jeder zehnte direkt vom Volk gewählte Abgeordnete sein Mandat nicht antreten. Zudem könnten zahlreiche Wahlkreise überhaupt nicht mehr im Berliner Reichstag vertreten sein. Während über Landeslisten von den Parteispitzen in Hinterzimmern ausgekungelte „KandidatInnen“ in den Bundestag einziehen.

 

Für Dobrindt und viele Unionsabgeordnete kommt nicht in Frage, dass man „gewählte Abgeordnete nicht ins Parlament einziehen lässt.“ Es könne nicht sein, dass irgend jemand mit einem Verfahren über einen Ausschluss entscheide.
„Der CSU-Vorschlag liegt auf dem Tisch“, beharrt Dobrindt. Seine Landesgruppe operiert seit Längerem mit einem Höchstgrenzenmodell, das auch viele direkt gewählte CDU-Abgeordnete unterstützen. Dabei soll die Zahl der Wahlkreise unverändert bleiben, allerdings dürfte es jedoch nur noch maximal 650 Abgeordnete im Bundestag geben. Die Parteien sollten aber weiterhin alle direkt gewonnenen Mandate behalten. Der Bundestag entspräche dann nicht mehr genau dem Zweitstimmenergebnis. Bei der letzten Bundestagswahl hatten CDU und CSU 43 der 46 Überhangmandate gewonnen.

Direkt gewählte Wahlkreisabgeordnete – auch die Gewinner der SPD – wären jedoch durch das CSU- und das CDU-Modell (siehe unten) gestärkt. Sie sind relativ unabhängig und nur ihren Wählern im Sprengel verpflichtet. Während die Listenkandidaten von der jeweiligen Parteispitze erst in Kungelrunden und dann auf Parteitagen als willige, stromlinienförmige Bewerber ausgesucht und aufgestellt werden. Das nimmt vor allem bei der SPD immer mehr zu, weil sie viele Wahlkreise verliert. Fast zwei Drittel der Abgeordneten kommt inzwischen nur noch über die Liste in den Bundestag. Lediglich 58 Sozialdemokraten von 153 Parlamentariern konnten einen Wahlkreis gewinnen. Bei der Union sieht das Verhältnis umgekehrt aus: Von 246 Abgeordneten sind 231 direkt in ihren Wahlkreisen in den Bundestag gewählt worden.

Bürgerabgeordnete statt Parteienvertreter
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Auch Ex-CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel möchte ihre Partei durch Schwächung direkter Wahlkreiskandidaten noch stärker auf Linie bringen, klagen Unionsabgeordnete. Besonders grün und sozial orientierte Frauen lasse sie auf die Listen schleusen, um den verbliebenen konservativen Einfluss in der Union durch unabhängige, direkt gewählte Abgeordnete weiter zu verringern.

Obendrein kommen viele Listenbewerber der Parteien vor allem aus großen Städten und eher nicht aus ländlichen Regionen. Das ist besonders bei grünen Bundestagsabgeordneten, aber auch liberalen Parlamentariern der Fall, die oft ständig in der Hauptstadt leben und nur zeitweise in ihre Wahlkreise reisen. Die 299 direkt gewählten Abgeordneten decken hingegen das gesamte Bundesgebiet in Stadt und Land ab, und sind dort in der Regel auch zu Hause.

Nach der Bundestagswahl bald 800 Abgeordnete?

Die Größe des Bundestags liegt normalerweise bei 598 Abgeordneten, derzeit sitzen aber 709 im Berliner Reichstag. Nach der nächsten Wahl könnten es sogar mehr als 800 sein. Der Grund dafür ist eine Änderung des Wahlrechts im Jahr 2013. Seitdem werden alle Überhangmandate durch Ausgleichsmandate kompensiert. Also wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Wahlkreise gewinnt, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustehen.

Grüne, FDP und Linke wollen die Zahl der Wahlkreise von aktuell 299 auf 250 senken, und selbst Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) auf 270. Das ginge aber nur auf Kosten direkter Wahlkreise. Sie würden vergrößert und die Zahl der direkt Gewählten damit verringert.

Doch es gibt Alternativen: Der inzwischen von mehr als 60 Bundesabgeordneten um Axel Fischer (Karlsruhe Land) eingebrachte Vorschlag für ein „Echtes-Zweistimmen-Wahlrecht“ ist das einzig aktuell vorliegende Modell, welches die Anzahl der Parlamentarier auf die gesetzlich vorgeschriebene Anzahl von 598 begrenzt. Zudem garantiert dieser eine gleichmäßige Abdeckung aller Regionen in Deutschland. Bei diesem Vorschlag werden 299 Abgeordnete mit der Erststimme direkt in den Bundestag gewählt. Die übrigen 299 Sitze ziehen über die Zweitstimme gemäß Verhältniswahlrecht ins Parlament. Der CDU-Vorschlag bekommt in diesen Tagen durch die aktuelle Debatte von Unionsabgeordneten weiteren Zulauf. Eine klare Lösung, die Liste bleibt zweite Wahl und die Erststimme in der Region wichtig. Auch die Hinterzimmerpolitik wird zumindest reduziert.

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